»Voor een' vryen Staet«
Die Niederlande, das Reich und »Tyrannen«
in den Krisenjahren 1572 und 1672
Gorch Pieken
Joost van den Vondel, der größte niederländische Dichter des Goldenen Zeitalters, schrieb während der ersten statthalterlosen Zeit von 1650 bis 1672 eine Reihe von Historiendramen und Gedichten um den Kernpunkt der niederländischen Geschichte, die »Freiheit«. Der Kampf »für einen freien Staat«1 zog sich für Van den Vondels Publikum erkennbar von den Ahnherren der Niederländer, den germanischen Batavern, über den noch nicht so lange zurückliegenden Aufstand gegen Philipp II. bis in das 17. Jahrhundert hinein. Zu allen Zeiten seien die Rechte und die Unabhängigkeit der Niederlande durch »Tyrannen« bedroht gewesen. Und zur Zeit Van den Vondels schien die Freiheit, »von alters her der Deutschen eigenes Erbe,// Und allerwertester Schatz«2, in größerer Gefahr denn je.
Bereits 100 Jahre früher galt die »Freiheit« Wilhelm I. von Oranien und seinen Propagandisten als zentrale Rechtfertigung für den Aufstand gegen Spanien. In seinem Manifest aus dem Jahre 1568 begründete der Prinz von Oranien das Ergreifen der Waffen mit der Verletzung der provinzialen »Freiheiten und Privilegien« und erklärte sich zum Verteidiger der »Freiheit« gegen die spanische Sklaverei.

Vom Thronverzicht Kaiser Karls V. bis zum niederländischen Aufstand

Seit den 1540er Jahren und noch mehr in dem darauffolgenden Jahrzehnt hatten sich die Niederlande im Kampf gegen Frankreich zur militärischen Hauptbasis Kaiser Karls V. entwickelt. Nicht nur Transport und Kriegslogistik, sondern auch die Versorgung und kurzfristige Finanzierung der Truppen waren hier leichter und effizienter zu handhaben als etwa in Karls spanischem Königreich oder den habsburgischen Besitzungen in Italien. Die Niederländer lebten in siebzehn Provinzen, die Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts durch Heirat oder Kauf an die Habsburger gekommen waren und die sich mehr oder weniger mit dem Gebiet deckten, das heute Belgien und den Niederlanden entspricht. In den vielen großen und reichen Städten des Landes entwickelten sich die Kultur und das Lebensgefühl der Renaissance. Philosophie, Kunst und Literatur blühten. »Die Niederlande stehen keinem Land in Europa nach, wenn es um die Bevölkerungszahl, um den Reichtum, um den Ertrag des Bodens, um den Vorzug natürlicher Verkehrswege geht, die durch Seen und das Land durchziehende Flüsse gegeben sind ... Die Staaten bilden die Schatzkammer des Königs von Spanien, sie haben während vieler Jahre die Kosten der Kriege des Kaisers in Italien, Deutschland und Frankreich getragen und sie haben ihm Ansehen und Anerkennung verschafft.«3 Paris lag nicht weit von der niederländischen Grenze, und den kaiserlichen Truppen versperrte kein Festungsgürtel den Weg. Während die Niederlande durch einen natürlichen Riegel von Flüssen und Kanälen geschützt waren, konnte der französische König sein Land nur mit Mühe gegen einen militärischen Vorstoß aus dieser Richtung verteidigen. Im Ringen um die Vorherrschaft in Europa nutzte Kaiser Karl V. die Niederlande mit ihren Ressourcen als wichtigste strategische Bastion langfristig für eine Auseinandersetzung mit der französischen Dynastie der Valois, an der wohl dem Hause Habsburg gelegen war, die aber zusehends den Interessen der 17 niederländischen Provinzen widersprach.

Im französisch-habsburgischen Krieg von 1552 bis 1559 wuchs die Unzufriedenheit der Niederländer mit den schnell steigenden Forderungen nach Geld, Mannschaften und Verpflegung. Als Karl V. mitten im Krieg seinem Sohn Philipp 1555 die Herrschaft über die Niederlande übertrug, vermachte er ihm einen nahezu bankrotten Staat. Zu den Königreichen von Neapel und Sizilien erhielt Philipp im Januar 1556 noch die spanische Krone, nachdem sich Karl in ein Kloster zurückgezogen hatte. Nach dem Frieden von Cateau Cambrésis im April 1559 verließ Philipp ungeachtet der durch den Krieg verursachten Probleme die Niederlande, um in sein Königreich Spanien zu ziehen. Als Generalstatthalterin setzte er seine Halbschwester Margarete von Parma ein. Ihr zur Seite sollte von Brüssel aus der Staatsrat die Geschäfte der 17 Provinzen führen. Die Ratsherren und Beamten hatten nach Anzahl und Einfluß merklich zugenommen und galten schon zur Zeit des Thronverzichts als selbständiger Machtfaktor in den Niederlanden. Mit der Zentralisierung wuchs auch die Bedeutung der Monarchie in einem Land, das sich weder in juristischer noch ökonomischer Hinsicht als Einheit verstand. Die Niederlande bestanden im 16. Jahrhundert aus einer großen Zahl von Staaten mit unterschiedlicher Verwaltung und Rechtssprache. Der Einfluß des Fürsten endete nach ihrer Ansicht dort, wo die Vorrechte der Bürger und des Adels begannen. So mußte Philipp, bevor er die Nachfolge seines Vaters in der Provinz Holland antreten konnte, schwören, daß er »alle Privilegien und Freiheiten des Adels, der Städte, Gemeinden und Untertanen ... gut und getreulich einhalten und erhalten werde«. 4 Im Gegensatz dazu verstand sich der in Spanien aufgewachsene und erzogene König als »rex lex animata« (der König als Verkörperung des Rechts), der ein gigantisches Weltreich nur durch eine stark zentralisierte Verwaltung mit absolutistischem Anspruch regieren konnte.

 

Kaiser Karl V. mit Kommandostab

Margarete von Parma

Unter Ausschluß der Mitsprache von Untertanen und von individuellen und kollektiven Rechten und Vorrechten bedeutete dies die Allmacht des Staates mit nur einer Stimme und nur einem Gottesdienst. So wie die meisten regierenden Fürsten war Philipp der Überzeugung, daß die Einheit der Religion eine unverzichtbare Voraussetzung für die Einheit und das Wohl des Staates sei. Selbst der Gewissensfreiheit mochte er keinen Platz in seinem Reich einräumen. Jedes von der römisch-katholischen Glaubensüberzeugung abweichende Bekenntnis war demnach eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und wurde nach der damals geläufigen Rechtsauslegung der Majestätsbeleidigung gleichgestellt. Philipp sah sich selbst als Verteidiger der ganzen Christenheit und intervenierte diplomatisch und militärisch in allen Weltteilen gleicherweise gegen den Islam wie gegen die Protestanten. Bei seinem Abschied mahnte der König denn auch zur strengen Anwendung der Ketzererlasse. Nach diesen war schon der Besitz von verbotener konfessioneller Literatur seit 1526 mit ewiger Verbannung geahndet worden. Das sogenannte Blutplakat vom 25. August 1550 verpflichtete jeden zur Anzeige von Ketzern. Selbst reuevolle männliche Häretiker wurden enthauptet, Frauen lebendig begraben, die Unbeirrbaren dem Feuertod übergeben. Zum Zeitpunkt von Philipps Abreise gab jedoch die katholische Kirche zu größerer Sorge Anlaß als die verschwindend kleine Gruppe von Protestanten. Die Mißachtung des Zölibats, Ämterpatronage für Priestersöhne, reiche Klöster, die auf Kosten armer Bauern lebten, und eine verbreitete Unkenntnis des Evangeliums in weiten Kreisen des Klerus machten grundlegende Veränderungen innerhalb der Kirche notwendig. Vor diesem Hintergrund tagte das gegenreformatorische Konzil von Trient zwischen 1545 und 1563. Um die dort gefaßten Beschlüsse in den 17 Provinzen wirkungsvoll umzusetzen und damit einer weiteren Protestantisierung des Landes vorzubeugen, versprach der Vatikan im Konkordat von 1559 eine Umstrukturierung der niederländischen Bistümer, von der sich der König eine einheitsstiftende Wirkung und eine größere Kontrolle des Landes erhoffte.

Margarete wurde 1522 in Flandern als Kind Kaiser Karls V. und der bürgerlichen Jeanne van den Gheynst geboren. Mit 14 Jahren verheiratete Karl seine Tochter mit Alexander de' Medici. Nur ein Jahr später übernahm sie nach der Ermordung ihres Gatten die Regierung in Florenz. Der 1538 geschlossenen Ehe mit Ottavio Farnese war kein Glück beschieden. Obwohl Karl seinem Schwiegersohn bei der Erlangung der Herzogswürde von Parma behilflich war, verbündete sich dieser später mit dem französischen König. Von 1556 an wurde der einzige Sohn Margaretes, Alexander Farnese, als Geisel für die politische Zuverlässigkeit seines Vaters am spanischen Hof erzogen. Nach ihrem Rücktritt als Generalstatthalterin der Niederlande zog sich Margarete 1567 nach Italien zurück. Auf Anregung Kardinal Granvelles versuchte Philipp II., die Herzogin nach der Pazifikation von Gent 1576 erneut mit der Landvogtei über die 17 Provinzen zu beauftragen. Die Zeit ihrer Regierung war den Niederländern, nicht zuletzt im Vergleich mit der des eisernen Herzogs, in guter Erinnerung geblieben. 1580 mußte ihr Sohn die Generalstatthalterschaft an seine Mutter abtreten, während er weiterhin den militärischen Oberbefehl ausübte. Das Problem der Machtaufteilung zwischen Margarete und Alexander blieb ungelöst und belastete die Verwaltung der Niederlande. Erst als Margarete 1583 mit Genehmigung von Philipp II. auf ihr Amt verzichtete, wurde der Dauerkonflikt mit ihrem Sohn beendet. 1586 verstarb die Herzogin von Parma in Italien.

 

Die vorher den Erzbischöfen von Köln und Reims unterstellten niederländischen Gemeinden wurden unter Berücksichtigung der Sprach und Provinzgrenzen in drei Erzbistümer und 15 Bistümer unterteilt, während sich der Monarch die Ernennung des Episkopats vorbehielt. Mit der Einsetzung loyaler Bischöfe von meist niederer Herkunft verfügte Philipp über königstreue Vasallen mit Stimmrecht in den einzelnen Provinzialvertretungen, den sogenannten Staatenversammlungen. Über diese Neuerungen geriet Philipp erstmals in Konflikt mit dem Schwertadel. Die 10 Familien der Hocharistokratie sahen sich um die sichere Pfründe einer Kirchenlaufbahn für zweitgeborene Söhne gebracht. Schwerer jedoch wog in ihren Augen der wachsende Einfluß, den ein Teil der neuen Amtsträger ausübte. Insbesondere die Ritter vom Orden des Goldenen Vlieses betrachteten traditionell die höchsten Funktionen in Regierung, Verwaltung und Armee als ausschließlich von ihnen zu besetzende Positionen. Diese dem König als Ordensritter formal ebenbürtigen Standesgenossen fühlten sich bei Abwesenheit des Monarchen als dessen natürliche Stellvertreter. Während jedoch ein Teil von ihnen als Statthalter mit Aufgaben fern von Brüssel betraut war, zog der persönliche Vertraute des Königs, Antoon Perrenot, Herr von Granvelle, die Regierungsgeschäfte an sich. Vor allem nach dessen Berufung zum Erzbischof von Mechelen und Kardinal im Jahre 1561 wuchs die Verbitterung unter den »großen Häuptern«, weil einem »Fremden mehr Kredit als den einheimischen Land Herren zugestanden wird«, sie sich somit »der ungehörigen Autorität eines Fremden«5 gegenübersahen. Noch mehr Unmut erregte Granvelles Ernennung zum Abt der reichen Abtei Afflighem in Brabant, wodurch der Kardinal an die Spitze des ersten Standes der wichtigsten Provinz trat.

Nachdem die immer lauter werdende Forderung nach sofortiger Entlassung des Kardinals beim König ohne Wirkung blieb, gründeten die hohen Herren die »Liga der Großen«. Als einziges Ziel verfolgte diese Vereinigung von lediglich neun Adligen die Vertreibung Granvelles aus allen Ämtern. Die Unterzeichner verweigerten jede Mitarbeit im Staatsrat, allen voran die Grafen von Egmont und Horne sowie der angesehenste und reichste Aristokrat der Niederlande, Wilhelm von Oranien. Als selbst Margarete von Parma den unpopulären Kardinal fallen ließ, fügte sich Philipp 1564 dem Druck des Adels und betraute Granvelle mit Aufgaben in anderen Teilen seines Reiches. Und obwohl der Kardinal die Niederlande nie wieder betreten sollte, erwies er sich in den folgenden Jahren als ausgezeichnet informierter Korrespondenzpartner verschiedener lokaler Würdenträger und als einflußreicher Berater des Königs in allen Angelegenheiten des Landes. Während sich der hohe Adel wieder an den Regierungsgeschäften beteiligte und seinen Einfluß auf die Geschicke des Staates zu vergrößern trachtete, gärte es allerorten im Land. Ein seit 1563 andauernder Handelskonflikt mit England und die Störung der wichtigen Ostseeschiffahrt durch den Dänisch Schwedischen Krieg trugen zum Einbruch des Binnenmarktes als Folge wachsender Armut bei. Der ökonomische Rückgang führte selbst zur nominalen Senkung der Löhne und verurteilte viele zur dauerhaften Arbeitslosigkeit. Verschiedenen Schätzungen zufolge waren bis zu 40 Prozent der städtischen Bevölkerung auf öffentliche oder private Wohltätigkeit angewiesen.6 Die Mißernte des Jahres 1565 und der darauffolgende strenge Winter verschlimmerten noch die tiefe wirtschaftliche Krise und zeitigten gesellschaftliche Folgen. Immer breitere Schichten der Bevölkerung erwiesen sich neuen religiösen Heilsbotschaften gegenüber als sehr zugänglich. Neben den bereits vorhandenen kleinen Gruppen von Lutheranern und Wiedertäufern konnte in den 60er Jahren vor allem der Kalvinismus Anhänger gewinnen. Bis in die Spitzen der Stadtmagistrate und in bedeutenden Teilen des niederen Adels verbreitete sich die Lehre des Johannes Calvin. So gering auch erst ihre Zahl war, so viel Einfluß hatten Kalvinisten auf die Meinung vieler Menschen über den Zustand der Kirche von Rom und über die Todesstrafe als zweifelhaftes Instrument gegen Anders-gläubige. Ketzerverbrennungen 1562 in Valenciennes und Doornik (Tournai) und 1564 in Antwerpen führten zu Tumulten innerhalb der Bürgerschaft. Verschiedene zum Teil erfolgreiche Versuche wurden unternommen, Ketzer aus den Gefängnissen zu befreien. In Amsterdam verbrannte man schon lange keine Häretiker mehr, in Friesland nur noch selten. In Flandern nahm der Rat von Brügge sogar den berüchtigten Inquisitor Pieter Titelurans gefangen. Solange Häretiker die öffentliche Ruhe nicht störten, sahen sich die Magistrate außerstande, gegen sie vorzugehen. 

 

Kardinal Granvelle

Antoon Perrenot wurde 1517 in Besançon geboren, er stammte aus einem in Burgund ansässigen bürgerlichen Geschlecht. Sein Vater Nicolaas Perrenot wurde als erster Ratgeber Kaiser Karls V. in den Adelsstand erhoben. Die Herren von Granvelle verdrängten als Angehörige einer neuen Elite juristisch geschulter Männer die Magnaten am königlichen Hof. Der auf Tradition und Kriegshandwerk beruhenden Macht des Adels setzte die neue Führungsschicht den Glauben an die Wissenschaft und den Stolz des Gelehrten entgegen. In allen Teilen des Weltreiches bemühte sich die »Noblesse de Robe« um eine Zentralisierung der Verwaltung und um die Stärkung der fürstlichen Macht. Von 1547 an diente Antoon Perrenot mehr als 40 Jahre dem Hause Habsburg. An allen wichtigen Entscheidungen dieser Zeit war er beteiligt: an den konfessionellen und politischen Kämpfen in Deutschland, der Heirat Philipps II. mit der englischen Königin Mary, den Kriegen gegen Frankreich und die Türken, dem Aufstand der Niederlande und der Eroberung von Portugal. Am Ende seines Lebens wurde er von Philipp nach Spanien zurückgerufen, um den Vorsitz im Staatsrat zu übernehmen. Er starb hochgeachtet im Jahre 1586.

Philipp Graf von Horne

 

 

Eine Gesandtschaft des hohen Adels unter Leitung des Grafen von Egmont reiste im Frühjahr 1565 nach Spanien. Zwei Anliegen trugen sie dem König vor: eine Stärkung des Staatsrates unter Mitwirkung des heimischen Adels und vor allem eine Milderung der Ketzererlasse. Die Antwort Philipps im berühmten Brief vom Oktober 1565 aus den Wäldern von Segovia, in dem er Zugeständnisse in Fragen der Landesadministration in Aussicht stellte, sich aber für ein kompromißloses Vorgehen der Inquisition aussprach, hatte weitreichende Folgen. Eine Welle von Pamphleten und handgeschriebenen Pasquinaden überschwemmte das Land. Der mittlere und niedere Adel gründete unter Leitung Hendrik van Brederodes, Florin Graf von Culemborgs (der wie Brederode und Oranien eine deutsche Lutheranerin zur Frau hatte) und des jüngeren Bruders des Prinzen, des Grafen Ludwig von Nassau, einen Monat später die berühmte »Liga des Kompromisses«. Diese Bewegung von offenen und heimlichen Protestanten suchte die Unterstützung aller, die einen Frieden zwischen den Konfessionen wünschten. Am 5. April 1566 erzwangen sich 300 Adlige den Zutritt in den Gouverneurspalast von Brüssel und übergaben Margarete von Parma eine Petition mit scharfen Angriffen gegen die Inquisition. Die in Niederländisch, Deutsch und Französisch publizierte Bittschrift unterstrich die Forderung nach sofortiger Auflösung dieser Behörde mit der kaum verhohlenen Drohung einer bewaffneten Rebellion.

 

 

300 Adlige ziehen zum Gouverneurspalast in Brüssel und überreichen
Margarete von Parma ihre Bittschrift

 

Lamoraal Graf von Egmont

Nach Ansicht der Beschwerdeführer war die Inquisition nicht nur unmenschlich, sondern untergrub das Recht und zerstörte die Gesellschaft. Die Inquisition, sagten sie, würde den Staaten die freie Rede nehmen, ihnen alle überkommenen Privilegien, Rechte und Freiheiten rauben, sie würde nicht nur die Bürger des Landes zu elenden und ewigen Sklaven der Inquisitoren machen, die nichtswürdige Menschen seien, sondern auch die Magistrate, Amtsträger und den Adel von der Gnade oder Ungnade dieser Männer abhängig machen.7 Die Generalstatthalterin hatte keine andere Wahl, als nachzugeben. Sie verzögerte die Umsetzung der Ketzererlasse, bis der König im fernen Spanien eine Entscheidung getroffen hatte. Philipps Antwort, die eine Milderung verschiedener Erlasse ankündigte, ließ jedoch so lange auf sich warten, daß sie keinen Einfluß mehr auf den Fortgang des Geschehens nehmen konnte. Es war am Brüsseler Hof, daß der rebellische Adel erstmals »Gueux« (Bettler) genannt wurde. In den folgenden Wochen und Monaten unterzeichneten Aristokraten überall in Flandern, Brabant und Holland die Petition, während in den Straßen vieler Gemeinden aufgebrachte Menschenmengen den »Bettlern« ihre Unterstützung zusicherten. Zur gleichen Zeit begannen Kalvinisten außerhalb der Städte in allen Teilen des Landes vor Hunderten, oft Tausenden von Menschen sogenannte Heckenpredigten zu halten.

 

Wilhelm I. von Oranien

 

 

Machtlos schaute die Regierung zu. Am 10. August 1566 brach eine Welle von Gewalt über die alte Kirche und ihre Symbole herein. Nach einer Predigt nahe Steenvoorde in Westflandern griff die aufgebrachte Menge ein Kloster an und zerstörte alle Skulpturen und Bilder. Rasend schnell zog der Bildersturm über das ganze Land. Auch in den großen Städten wurden Kirchen von »papistischen Götzenbildern gesäubert«8, deren Aufstellung als ein Verstoß gegen das zweite göttliche Gebot verstanden wurde. Die Übergriffe erfolgten oft spontan, vielerorts waren sie jedoch von langer Hand vorbereitet. Eine große Zahl der Bilderstürmer erhielt Tagelohn. Die Ausschreitungen in Den Haag und Leiden fanden unter dem Schutz bewaffneter Adliger statt. Die Grafen von Culemborg und Batenburg befahlen auf ihrem Land die Entfernung der Altäre und Bilder aus den Kirchen. Die meisten Magnaten boten jedoch Margarete von Parma Hilfe bei der Wiederherstellung der Ordnung an, wenn die Regierung den Protestanten Gottesdienste dort zugestand, wo diese bereits praktiziert wurden. Auf dieser Grundlage wurde am 23. August ein Akkord geschlossen. Für einige Zeit schien es, als würden die gemäßigten Adligen unter Führung Wilhelms von Oranien auf friedlichem Wege die Politik des Königs beeinflussen und den Frieden zwischen allen Konfessionen herstellen. Die Mittlerposition des Prinzen geriet jedoch zusehends unter den Druck sich verhärtender Fronten zwischen königstreuen Aristokraten im Süden und denen um Brederode im Norden, die zum bewaffneten Aufstand bereit waren.

 

Wilhelm von Oranien wurde als ältester Sohn von Wilhelm dem Reichen und Juliana von Stolberg 1533 auf der Dillenburg geboren. Mit elf Jahren erbte er von seinem Cousin René van Chalon das Fürstentum Oranien und eine große Zahl von Herrschaften und Gütern in den Niederlanden. Um eine Bündelung von zuviel Reichtum und Macht in der Hand des protestantischen Hauses Nassau zu verhindern, forderte Kaiser Karl V. Wilhelms Übertritt zum Katholizismus und den Verzicht auf sein väterliches Erbteil. Selbst die weitere Erziehung des jungen Prinzen wurde den Eltern entzogen. Der besonderen Gunst des Kaisers verdankte Wilhelm mit 21 Jahren die Ernennung zum Kapitän-General. In Karls Armee lernte er vor allem den Umgang mit schlecht ausgestatteten, schlecht ernährten und schlecht bezahlten Soldaten. Bei dieser für sein weiteres Leben wichtigen Erfahrung zeichnete er sich durch eine besondere Gabe aus, auf Menschen zuzugehen. Später sollten Wilhelms Feinde darin einen der wichtigen Gründe für seinen Erfolg erkennen. Nicht, weil er schweigsam gewesen wäre, sondern seiner Verschwiegenheit wegen nannte man ihn Wilhelm den Schweiger. In verschiedenen Funktionen, die der besonderen Wertschätzung des Kaisers zu danken waren, diente er viele Jahre dem Hause Habsburg. Getrübt wurde das gute Verhältnis zwischen Prinz und Herrscherhaus erstmals durch die Eheschließung mit Anna von Sachsen, als Wilhelm der Schwiegersohn des mächtigsten protestantischen Reichsfürsten und Gegenspielers des Kaisers wurde. Obwohl diese Ehe bereits 1575 wegen Annas leidenschaftlicher Affäre mit dem Vater von Peter Paul Rubens annulliert wurde, gebar die sächsische Prinzessin Wilhelms Erben. Der nach seinem Großvater benannte Sohn sollte die Niederlande aus der Verteidigung in die militärische Offensive gegen Spanien führen - Prinz Mauritz von Oranien.

Und so wenig sich der Kalvinismus auf die Gebiete aus dem Akkord begrenzen ließ, so wenig fühlte sich die Generalstatthalterin an die erzwungene Vereinbarung gebunden. Am Ende des Jahres 1566 gab es nur noch die Wahl zwischen Rebellion und Unterwerfung. Von Margarete geworbene deutsche Söldnertruppen begannen im Dezember, von den Wallonischen Provinzen aus das Land zu befrieden. Die Entscheidung eines großen Teils des Adels im Norden, nicht gegen den König zu kämpfen, ließ jede bewaffnete Gegenwehr aussichtslos erscheinen. Während Egmont und Horne den von der Generalstatthalterin geforderten Treueschwur leisteten, floh Wilhelm von Oranien auf die Dillenburg, den Stammsitz seiner Familie. Wie er emigrierten Brederode, Hoogstraten, Culemborg und andere prominente Adlige nach Deutschland. Die Rebellion schien im Keim erstickt, die Niederlande unterworfen.

 

Bildersturm

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