Otto Dix

Stellen wir Radziwills Kriegsbilder denen von Otto Dix gegenüber, die Ende der zwanziger und in den dreißiger Jahren entstanden, insbesondere das berühmte Triptychon "Der Krieg" (1929 bis 1932) und das Bild "Schlachtfeld in Flandern" (1934-1936), dann wird der Unterschied in der Haltung gegenüber dem Ersten Weltkrieg bei beiden Malern deutlich 54.

Dix hatte das große Triptychon gleich von Anbeginn als Ganzes geplant und dann ausgeführt. Es war, wie er später selbst in einem Interview bekundete, ein unmittelbarer Reflex auf die Realität der letzten Jahre der Republik, deren rechtem politischem Lager er kritisch gegenüberstand. "In dieser Zeit übrigens", erzählte der Maler später, "propagierten viele Bücher ungehindert … erneut ein Heldentum und einen Heldenbegriff, die in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges längst ad absurdum geführt worden waren. Die Menschen begannen schon zu vergessen, was für entsetzliches Leid der Krieg ihnen gebracht hatte. Aus dieser Situation heraus entstand das Triptychon… Ich wollte also nicht Angst und Panik auslösen, sondern Wissen um die Furchtbarkeit eines Krieges vermitteln und damit die Kräfte der Abwehr wecken."55

Als Aufklärung und Abschreckung können wir Dix' Absicht beschreiben. Die grausigen Tafeln seines "Altars" sollten mahnen. Sie bezogen Stellung gegen die national-konservative und nationalsozialistische Rezeption des Krieges. Das Triptychon formulierte ein oppositionelles Bild zum vorherrschenden affirmativen Kriegsbild.

Ursprünglich sollte es in einem speziell errichteten Bunker in Dresden aufgestellt werden. Es wäre ein Ort der Andacht und der Einkehr entstanden. Unter den gegebenen politischen und ökonomischen Bedingungen war an die Realisierung eines solchen Projektes aber nicht zu denken. Nur einmal, 1932 auf der Herbstausstellung der Preußischen Akademie, wurde das Werk öffentlich gezeigt. Dann wurde es in Kisten verpackt und bei Dix' Freund, dem Fabrikanten und Pazifisten Fritz Bienert, außerhalb Dresdens gelagert. Dadurch entging es dem Zugriff der Nationalsozialisten und der Zerstörung durch die britisch-amerikanischen Luftangriffe auf Dresden.

Das Triptychon gilt als eine der herausragenden künstlerischen Stellungnahmen gegen den Krieg im 20. Jahrhundert. Doch was war seine aufklärerische Botschaft?
Wie in seinen Kriegsbildern aus den frühen zwanziger Jahren ging es Dix auch hier nicht um die Ursachen und Verursacher des Krieges. Den marxistischen Gesellschaftsanalysen seiner links eingestellten Künstlerfreunde wie Conrad Felixmüller oder George Grosz stand er fern. Die schockierende Unmittelbarkeit seines Realismus, die Drastik und Sinnlichkeit seiner Malerei hatten eine abschreckende Funktion. Den Betrachter sollte die Scheußlichkeit des Dargestellten abstoßen, mit Ekel erfüllen. Die häßlichen Seiten wurden noch einmal als Mahnung in Erinnerung gerufen. Eine nähere Betrachtung des "Altars der Tatsachen"56 macht anschaulich, welches Bild vom Ersten Weltkrieg Dix Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre hatte.

Auf dem linken Flügel sehen wir eine marschierende Truppe. Die Soldaten kommen aus der Tiefe des Bildraums, vollziehen im Vordergrund einen scharfen Schwenk, so daß wir von ihnen nur noch den Rücken sehen, und verschwinden rechts oben im Nebel. In der Mitteltafel breitet sich ein Schlachtfeld aus, eine umgepflügte, "tote" Kraterlandschaft. Zerrissene Körper, Leichenteile, Eingeweide, Schlamm und ein verkohlter Baumstamm beherrschen den Vordergrund. Die schreckliche Szenerie überragt ein auf einen Stahlträger aufgespießter, schon in Verwesung übergegangener, skelettierter Körper eines Soldaten.

Im rechten Flügel malte Dix sein Selbstbildnis. Als Soldat schleppt er einen Kameraden aus der Feuerzone, die sich infolge von Explosionen und Bränden in ein Inferno verwandelt hat. Die Landschaft im Hintergrund ist in einem lodernden Feuerball aufgegangen. Zu Füßen von Dix befindet sich ein weiterer Soldat, dessen Zustand unklar ist. Die Predella stellt schlafende Soldaten in einem engen, mit Holzbrettern verschalten, niedrigen Raum dar, der von einer Zeltplane überspannt ist. Ratten laufen umher.

Der linke Flügel gibt den Marsch in die Schlacht wieder. Es dominieren die Farben Braun und Grau, einzig der Himmel hat einen roten Schimmer. Die Komposition ist so angelegt, als ziehe der Betrachter mit den Soldaten in die Schlacht. Steil ragen die Gewehre aus dem Nebel. Von den Soldaten sind nur zwei, und zwar die beiden, die dem Betrachter ihren Rücken zuwenden, gut sichtbar, während alle anderen durch die dichten Nebelschwaden undeutlich, schemenhaft bleiben. Bei genauerem Hinschauen erkennen wir die Augen von drei Soldaten, doch ihre Gesichter bleiben verborgen. Einer anonymen Soldatenmasse sieht sich der Betrachter gegenüber.

Die endgültige Komposition des linken Flügels - mehrfach vom Künstler verändert - weist Parallelen zu einer Szene aus der amerikanischen Romanverfilmung "Im Westen nichts Neues" auf, wo ebenfalls Kolonnen im Frühnebel in die Schlacht ziehen.57 Ebenso gibt es eine Analogie zu einer Textstelle aus Erich Maria Remarques weltberühmtem Roman.58

Das kurze Geleitwort, das der Autor voranstellte, könnte ebenfalls für das Triptychon gelten: "Dieses Buch soll weder eine Anklage noch ein Bekenntnis sein. Es soll nur den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde - auch wenn sie seinen Granaten entkam." Selbst wenn Dix nicht wie Remarque eine bestimmte Generation von Männern zeigte, die vernichtet wurde, so ist das Triptychon gleichfalls die nüchterne Bestandsaufnahme seines Kriegserlebnisses und der nicht aus dem Krieg zurückgekehrten Männer.

Eine Entsprechung der Motive ist also durchaus zu erkennen. Dix bestimmte seinen künstlerischen Standpunkt als den eines Zeitzeugen. Künstler, so meinte er in einem Gespräch von 1958, könnten nicht bessern oder bekehren, denn dafür seien sie zu gering, würden sie zuwenig gesellschaftlichen Einfluß ausüben: "Nur bezeugen müssen sie."59

Das Triptychon ist keine Anklage, wie es Pablo Picassos "Guernica" (1937) war. Otto Dix vermittelte nicht zuallererst den Schmerz der Betroffenen. Er malte in altmeisterlicher Lasurtechnik die Vernichtung menschlichen Lebens und die Zerstörung von Materie. Nirgendwo wird das deutlicher als in der Mitteltafel, und hier zeigt sich letztlich im Vergleich mit dem "Grab im Niemandsland" auch, wie wenig Radziwill von der Wirklichkeit des Soldatentodes im Schützengraben preisgab, um den Mythos des Weltkriegserlebnisses nicht zu gefährden.

Alles überragend, hebt sich die auf Stahlträgern verwesende Leiche vom kalten, grau-blauen Himmel ab. Ihr ausgestreckter Arm zeigt in den unteren linken Teil des Bildes auf einen vom Maschinengewehrfeuer durchsiebten Soldaten.
Der Vordergrund ist im wahrsten Sinne des Wortes ein "Schlacht-Feld". Dort liegen auf der rechten Seite ausgebreitet zwei völlig zerfetzte Leichen. Dem einen Toten sind der Unterkiefer und der Unterkörper weggerissen. Frisches Blut, Eingeweide und Schlamm haben sich zu einem Brei vermischt, in dem die Gliedmaßen zerfetzter Leiber nur schwerlich zu identifizieren sind.
Auf der linken Seite ist ein Soldat im Stacheldraht mit abgerissenem Kopf und Unterleib dargestellt. Der Kopf befindet sich nicht weit vom Rumpf und ist mit Stacheldraht umwunden. Über dem zerstückelten Körper liegt ein Toter, der aus Mund und Nase geblutet hat. Daneben steht ein Soldat mit Gasmaske und Helm, von dem sich nicht eindeutig sagen läßt, ob er im Stehen den Tod gefunden hat oder ob er der einzige Lebende ist. In der Tiefe stehen die Grundmauern eines Hauses, und es türmen sich Schutthügel auf, die eine Verbindung herstellen zu den Wellblech- und Holzresten im Vordergrund. Zum Horizont erstreckt sich eine Mondlandschaft aus Kratern und Trichtern. Verbrannte Baumstümpfe erinnern an die vormalige Vegetation.

Während sich im Vordergrund alles zu einer breiigen, ekelhaften Masse vereint, die ehemals lebendige menschliche Materie kaum mehr von der Erde zu unterscheiden, alles nur noch Dreck ist, erstreckt sich im Hintergrund die kahle und kalte, lebensfeindliche Landschaft. Den Vordergrund dominieren kräftige Rot- und Orangetöne, im Hintergrund überwiegen die Farben Weiß, Grau und Blau. Der Hintergrund wirkt kalt, der Vordergrund warm, da hier jener warme, breiige Schlamm und das frisch vergossene Blut erst noch erkalten müssen.

Das Bild zerstampfter Körper findet sich schon in Dix' berühmtem Werk "Der Schützengraben"(1923). Im Triptychon komprimierte der Maler die Komposition, um eine größere Geschlossenheit der Form zu erreichen. Den aufgespießten Soldaten setzte er so ins Bild, daß seine Figur so etwas wie ein Halbrund bildet, das sich im unteren Teil in der Anordnung der zerfetzten Körper und in dem Baumstumpf fortsetzt. Blicken wir genau hin, erkennen wir einen runden Ausschnitt, durch den wir die Todesszene betrachten.

Die Annahme, daß Dix an einem nüchternen Bericht über den Ersten Weltkrieg gelegen war, der nichts verschweigt und lediglich "Fakten" beschreibt, deckt sich mit der von ihm gemachten Aussage, er hätte "beim Malen … nicht die Absicht (gehabt), Angst beim Beschauer zu erzeugen".60 Weiter erklärte er: "Ich wollte ganz einfach - fast reportagemäßig - meine Erlebnisse der Jahre 1914 bis 1918 zusammenfassend schildern und zeigen, daß echtes menschliches Heldentum in der Überwindung des sinnlosen Sterbens besteht."61 Das "Blut fließen zu sehen und die Niedergemetzelten schreien zu hören, den Gestank der Gefallenen riechen zu lassen"62, diese Wirklichkeit erfahrbar zu machen, schwebte Dix vor.

Das Triptychon wird als die Darstellung eines Tages an der Front bei Verdun oder auch an der Somme gedeutet. Der Kunsthistoriker Dietrich Schubert, der es als Kreislauf des Totentanzes interpretierte, wies auf den Rhythmus der Tageszeiten hin. Seiner Meinung nach herrschen im linken Flügel Morgen, in der Mitteltafel Mittag, im rechten Flügel Abend und in der Predella Nacht.
Wenn sich bei den beiden Seitentafeln die Tageszeit vielleicht noch ansatzweise bestimmen läßt - durch den blaßrot schimmernden Himmel und den Nebel links, den im Licht der Abenddämmerung getauchten Himmel rechts -, so ist das für die Mitteltafel und die Predella unmöglich. Das Schlachtfeld könnte auch am Morgen so ausgesehen haben, und die Szene im Unterstand hätte sich zu jeder Stunde so darbieten können. Die Tafeln müssen nicht unbedingt einen Kreislauf welcher Art auch immer beschreiben, auch nicht die Passion des Menschen in Analogie zur Passion Christi - mit dem Unterschied, daß es keine Erlösung gibt. Auf eine Verbindung zu Grünewalds Isenheimer Altar (1513-1515) als dem künstlerischen Vorbild wurde immer wieder hingewiesen, es bedarf jedoch nicht der Kenntnis der altdeutschen Malerei, um das Kriegstriptychon zu verstehen, einmal davon abgesehen, daß die Dixsche Bildwelt sowohl künstlerisch wie thematisch völlig eigenständig ist. In den Tafeln können auch unterschiedliche Momente dargestellt sein, die sich nicht innerhalb eines Tages ereignet haben müssen. Wir wissen, daß die Offensiven oftmals über Wochen und Monate andauerten. Möglich wäre demnach auch ein längerer Zeitabschnitt, in dem die beschriebenen Szenen beobachtet wurden.

Eindeutig ist, daß die Tafeln einzelne Phasen des Kampfes präsentieren: das In-die-Schlacht-Ziehen, das Nach-dem-Feuer, das Sich-aus-der-Feuerzone-Retten und das -im-Unterstand. Diese Momentaufnahmen erscheinen als eine fortlaufende Handlung, wie die Sequenz eines Films. Die Lesrichtung der Tafeln ist dabei freigestellt.
Entsprechend unserer Gewohnheit neigen wir dazu, sie von links nach rechts und von oben nach unten zu betrachten. In dem Falle stünde die Predella am Ende, und für sie kämen zwei Interpretationen in Frage:
1. Die Soldaten ruhen, um erneut in die Schlacht zu ziehen - sie wären demnach in einem Zyklus gefangen.
2. Sie ruhen nach der Schlacht, ohne erneut an die Front zurückzukehren.

Natürlich könnte die Betrachtung auch mit der Predella beginnen und erst dann zur Mitteltafel und den Flügeln fortschreiten. Dann ergäben sich die folgenden Interpretationsmöglichkeiten:
Die Soldaten ruhen, bevor sie am Morgen in die Schlacht ziehen; dort werden fast alle Männer getötet, und nur einzelne können ihr Leben retten. Dieser "Lesvorgang" endete am rechten Flügel. Wir können uns fragen, ob Dix die einem Zyklus entsprechende Lesart überhaupt beabsichtigt hatte. Gehen wir von Momentaufnahmen aus, können diese auch einzeln, für sich, stehen und in der Gesamtschau zentrale Eindrücke aus dem militärischen Kampf des Ersten Weltkrieges wiedergeben.

Wir wiesen darauf hin, daß des Künstlers Anliegen nicht die Aufdeckung der Ursachen und die Benennung der Verantwortlichen war. Das Triptychon erzählt nicht von einem gesellschaftlichen, einem politischen und ökonomischen Phänomen, sondern von einer "Urkatastrophe", die zur existenziellen Bewährungsprobe des Menschen wird, von "einem Schicksal, das unter gegebenen Umständen an den Menschen herantritt und in dem er sich bewähren muß".63