Ausstellungen

 

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PEI-Bau 1. + 2. OG, 18. Mai bis 27. August 2006

Verlängert bis 27. August 2006 !

 

Flucht, Vertreibung, Integration

Stiftung Haus der Geschichte, Bonn
im Deutschen Historischen Museum
Ansprechpartnerin: Ulrike Kretzschmar

 

Ausstellungsgliederung

Zeitzeugeninterviews und "Lebenswege"-Stationen

Die mit der Flucht und Vertreibung verbundenen Schicksale kommen in allgemeinen Beschreibungen und in der Angabe abstrakter Zahlen nur unzulänglich zum Ausdruck. Flucht und Vertreibung sind in erster Linie schlimme lebensgeschichtliche Erfahrungen, die die betroffenen Menschen durchzustehen haben und die sie, wenn sie überleben, in ihrem weiteren Leben zu bewältigen versuchen - mit unterschiedlichem Erfolg. Dazu wird in der Ausstellung ein Beitrag geleistet, indem ausgewählte Personen zu Wort kommen und aus ihrem Leben erzählen. 15 Zeitzeugen wurden vom Institut für Soziologie der Universität Erlangen-Nürnberg (Prof. Dr. Michael von Engelhardt, Veronika Stein) für "Flucht, Vertreibung, Integration" interviewt. Diese Interviews sind Teil der musealen Präsentation durch die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Die "Lebenswege"-Stationen bieten zusätzlich zu den Zeitzeugenstationen eine weitere biografische Linie. Beim Eintritt in die Wechselausstellung wird eine Chipkarte angeboten, mit der Sie an drei Computerterminals einzelne Lebensverläufe von Betroffenen abrufen können. Die Informationen zu den Einzelpersonen stellen einen Lebensweg dar, der in den jeweiligen Ausstellungszusammenhang eingebettet ist und so die allgemeine Situation konkretisiert.

Ausstellungsaspekte

Für das 20. Jahrhundert haben sich Bezeichnungen wie "Jahrhundert der Vertreibungen" oder "Jahrhundert der Flüchtlinge" etabliert. Zwischen 60 und 80 Millionen Menschen müssen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Heimat verlassen.

Kriege und der Zerfall von Vielvölkerstaaten lassen neue Nationalstaaten entstehen. Massive Vertreibungen und Umsiedlungen sollen Konflikte unter den Nationalitäten lösen und ethnisch einheitliche Staaten schaffen.

Die armenische Bevölkerung des Osmanischen Reichs wird im Ersten Weltkrieg gewaltsam aus ihren Heimatorten bis nach Syrien vertrieben. Hunderttausende sterben allein bei der Deportation.

Einen ethnisch begründeten "Bevölkerungsaustausch" regelt der Vertrag von Lausanne 1923, ein Jahr nach dem griechisch-türkischen Krieg.

Über 400.000 "Volksdeutsche" verlassen nach Abkommen zwischen Hitler und Stalin 1939/40 ihre Heimat im Südosten Europas und im Baltikum.

In der UdSSR lässt Stalin die Russlanddeutschen sowie andere Volksgruppen ab 1941 nach Sibirien und Kasachstan deportieren.

Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg muss Deutschland umfangreiche Gebiete abgeben. Neue Staaten mit neuen Grenzen entstehen. Vor allem in Polen und der Tschechoslowakei sind die Deutschen jetzt nationale Minderheiten: Die Nationalitätenkonflikte verschärfen sich.

Bild: Lausanne ©Library of the United Nations, Office at Geneva, Palais des Nations

Juli 1923: Der Vertrag von Lausanne regelt offiziell einen "Austausch" nationaler Minderheiten zwischen Griechenland und der Türkei.

Bild: Sudetendeutsche ©Sudetendeutsches Archiv, München

Sudetendeutsche demonstrieren gegen die Sprachverordnung von 1926, die das Tschechische zur Amtssprache erhebt. Dadurch fühlen sie sich als Minderheit noch stärker benachteiligt.


Verhaftungen, Verschleppungen und Erschießungen kennzeichnen den nationalsozialistischen Terror. In Osteuropa hat Hitlers Eroberungskrieg auch zum Ziel, "Lebensraum" zu gewinnen und die slawische Bevölkerung zu dezimieren.

Bild: Öffentliche Hinrichtung ©Instytut Pamieci Narodowej, Warschau
Abschreckung: Die Hinrichtungen polnischer Zivilisten finden meist öffentlich statt.
Bild: Plakat Tode ©Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Michael Jensch, Wolfram Maginot, Axel Thünker
1939: Mit öffentlichen Aufrufen wollen die Besatzer einschüchtern und abschrecken.


Seit Winter 1944/45 fliehen Deutsche aus dem Osten zu Millionen vor der Roten Armee. Nach Kriegsende werden weitere Millionen brutal aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben. Die Bevölkerung der im Krieg besetzten Länder entlädt ihren Hass über die verbliebenen Deutschen. Sie werden verschleppt, in Lager gesperrt, getötet oder müssen schwerste Zwangsarbeit leisten. Hunderttausendfach werden Frauen und Mädchen vor allem von Soldaten der Roten Armee vergewaltigt.

Bis zu 14 Millionen Deutsche müssen ihre Heimat verlassen. Mehrere Hunderttausend Deutsche - Schätzungen gehen bis zu zwei Millionen - verlieren bei Flucht und Vertreibung ihr Leben.

Im August 1945 kommen Großbritannien, UdSSR und USA im Potsdamer Protokoll überein, die "Überführung" der Deutschen solle "ordnungsgemäß und human" erfolgen. Die Wirklichkeit der Vertreibung ist oft anders.

Bild: Gustloff ©Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Michael Jensch, Wolfram Maginot, Axel Thünker
Tausende Flüchtlinge wollen sich im Januar 1945 mit der "Wilhelm Gustloff" über die Ostsee retten. Ein sowjetisches U-Boot torpediert das Schiff. Die meisten Passagiere ertrinken im eisigen Wasser.
Fluchtgefährt: Mit solchen Rungenwagen transportieren deutsche Flüchtlinge ihr Hab und Gut. Was nicht darauf passt, muss zurückbleiben.
Bild: Truhe ©Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Michael Jensch, Wolfram Maginot, Axel Thünker
Diese Truhe dient zum Transport von Habseligkeiten bei der organisierten Vertreibung aus der Tschechoslowakei. Bis zu fünfzig Kilogramm Gepäck dürfen erwachsene Personen mitnehmen.


Millionen Flüchtlinge und Vertriebene suchen im kriegszerstörten Deutschland eine Bleibe. Die Besatzungsmächte bestimmen ihre Verteilung auf die jeweiligen Zonen. Lager und Baracken sind prägende Bilder der Zeit. Zum Alltag gehören Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen, Vertriebenen und Einheimischen.

Im Chaos von Flucht und Vertreibung verlieren viele Kinder ihre Eltern und zahllose Familien werden auseinandergerissen. Nach Kriegsende sucht jeder vierte Deutsche seine Angehörigen. Die Heimatortskarteien der Kirchen sind eine wichtige Hilfe bei der Suche. Sie spezialisieren sich auf vermisste Zivilpersonen.

Bild: Baracke (Furth) ©Norbert Schmitt, Lahnstein
2,5 Quadratmeter Wohnraum pro Person: Diese Baracke dient von 1945 bis in die späten 1950er Jahre im Durchgangslager Furth im Wald als Unterkunft. Während der großen Ausweisungsaktionen der Jahre 1946 bis 1948 durchlaufen Hunderttausende das Lager.
Bild: Bescheid ©Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Michael Jensch, Wolfram Maginot, Axel Thünker
Zuweisung: Nachdem die Alliierten das Wohnungsgesetz erlassen haben, werden Wohnungskommissionen gebildet, die den vorhandenen Wohnraum überprüfen und Zwangseinweisungen durchführen.
Bild: Fastnachtsumzug ©Museum im Ritterhaus, Archiv, Offenburg
Fastnachtsumzug: Ende der 1940er Jahre polemisieren Einheimische im badischen Lahr gegen die zugezogenen Flüchtlinge. In Nord- und Süddeutschland gleichermaßen kursieren oft in Gebetsform gehaltene Schmähverse, in denen unmissverständlich - "Herrgott, mach uns von dem Gesindel frei" - eindeutige Konsequenzen gefordert werden.


Flüchtlinge und Vertriebene stellen in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und DDR 1949 mit 4,1 Millionen Menschen insgesamt 24,1 Prozent der Nachkriegsbevölkerung - in Mecklenburg-Vorpommern sogar 43,3 Prozent. Sowjetische Militäradministration (SMAD), KPD sowie SED ordnen die Eingliederung von Flüchtlingen der gesellschaftlichen Umwandlung unter. Sie sollen innerhalb der neuen sozialistischen Gesellschaft keine eigenständige Gruppe bilden. Ein Betroffener heißt seit 1945 offiziell "Umsiedler", seit 1950 "ehemaliger Umsiedler" oder "Neubürger" und selbst diese Begriffe werden von der SED bald vermieden. 1948 signalisiert die SED-Führung, das "Umsiedlerproblem" sei für sie beendet. Sie löst 1950 die "Verwaltung für Umsiedler" auf. Treffen von Vertriebenen werden untersagt oder bespitzelt. Literatur und Theater nehmen jedoch Erlebnisse von Flucht und Vertreibung auf.

Bild: Neubauernhof ©Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Michael Jensch, Wolfram Maginot, Axel Thünker
Modell eines Neubauernhofs: Auf Befehl 209 der SMAD sollen zwischen September 1947 und September 1948 37.000 Neubauernhöfe gebaut werden. Insgesamt 210.000 bis 1952 gegründete Neubauernhöfe verschwinden allerdings bis 1960 wieder in den (Zwangs-) Kollektiven der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG).
Bild: Fernschreiben ©Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Berlin
Anordnung per Fernschreiben: Die Volkspolizei ersucht die "K5" genannte Abteilung 5 der Kriminalpolizei, ein "Umsiedlertreffen" in Fürstenwalde zu überwachen.


1950 befinden sich nach einer Volkszählung rund acht Millionen Flüchtlinge und Vertriebene in der Bundesrepublik Deutschland. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt 16,5 Prozent, in den agrarisch geprägten Hauptaufnahmeländern sogar zwischen 33 Prozent (Schleswig-Holstein) und 21 Prozent (Bayern). Wohnungen für Heimatvertriebene zu schaffen, ist eine vordringliche Aufgabe der Nachkriegszeit. Staatliche Umsiedlungsprogramme auf freiwilliger Basis und individuell organisierte Umzüge tragen dazu bei, neue Existenzen aufzubauen. Förderung aus den Mitteln des Marshallplans, des so genannten Soforthilfegesetzes, des Lastenausgleichs und sozialen Wohnungsbaus helfen zusammen mit hohen Eigenleistungen, neue Wohnungen und Häuser zu schaffen.

Heimatvertriebene strömen auf den Arbeitsmarkt. Als Unternehmer, Selbstständige und Arbeiter leisten sie einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau der Bundesrepublik. Sie gründen Unternehmen entsprechend ihren vorhandenen Fachkenntnissen vor allem für Schmuck, Glas, Textilien und Musikinstrumente. Trotz ihrer Mobilität, Motivation und Ausbildung ist es für sie aber oft schwierig, Arbeit zu finden.

Flüchtlinge und Vertriebene integrieren sich in das politische System der Bundesrepublik. Eigene Verbände vertreten ihre Interessen und Ziele, stärken ihren Zusammenhalt sowie ihre Identität. Die Erinnerung an Heimat, Flucht, Vertreibung und Integration beeinflusst das Leben in der neuen Umgebung. Private wie staatliche Initiativen versuchen, Kultur und Geschichte der Vertreibungsgebiete für kommende Generationen zu bewahren.

Bild: Volke ©Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Michael Jensch, Wolfram Maginot, Axel Thünker
Warnung: Die britische Besatzungsmacht gibt 1949 diese deutschsprachige Broschüre heraus. Sie weist darauf hin, dass Flüchtlinge und Vertriebene sich zu einem "Fremdkörper, der den Explosivstoff der Verzweiflung in sich trägt", entwickeln können und rät, sie möglichst schnell zu "assimilieren".
Bild: Messkelch ©Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Michael Jensch, Wolfram Maginot, Axel Thünker
Päpstliches Geschenk: Vier Messkelche von Papst Pius XII. erhält 1947 die Erzdiözese Breslau für die seelsorgerische Betreuung der katholischen Heimatvertriebenen.
Bild: Grün ist die Heide ©Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Michael Jensch, Wolfram Maginot, Axel Thünker
Der Publikumserfolg der 1950er Jahre ist der Film: "Grün ist die Heide". Heimatfilme zeigen das Schicksal von Flüchtlingen und Vertriebenen in einer idealisierten Darstellung und verdrängen dabei die Schilderung der problembeladenen Realität.


An "Flucht und Vertreibung" entzünden sich Kontroversen in Deutschland, Polen und Tschechien. Diese Konflikte überlagern in der Öffentlichkeit die Vielzahl von Kooperationsprojekten. Das Vorhaben des Bundes der Vertriebenen (BdV), ein " Zentrum gegen Vertreibungen" zu gründen, führt zu innen- und außenpolitischen Spannungen. Die Idee eines europäischen Netzwerks ist eine weitere Konzeption, jedoch mit internationalem Ansatz .

Staatsoberhäupter und Regierungen bemühen sich, die Konflikte um die Entschädigungsforderungen privater Initiativen einzugrenzen. Trotz hitziger Diskussionen bewähren sich nach wie vor in Deutschland, Polen und Tschechien zahlreiche kulturelle Kooperationsprojekte auf privater und öffentlicher Ebene.

Flucht und Vertreibung deutscher Bevölkerung am Ende des Zweiten Weltkriegs entwickeln sich seit Ende der 1980er Jahre zu einem Thema der politischen und kulturellen Diskussion. Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Filme und CDs widmen sich in vielfältiger Form den Ereignissen von Flucht und Vertreibung. Dies rückt die Rolle der Deutschen auch als Opfer zunehmend in das öffentliche Interesse.

Bilder und Berichte vom Flüchtlingselend aus dem zerfallenden Jugoslawien sensibilisieren die deutsche Öffentlichkeit für das millionenfache Schicksal von Flüchtlingen und Vertriebenen in der ganzen Welt.

Bild: Karikatur ©Walter Hanel, Bergisch-Gladbach
Der deutsche Karikaturist Walter Hanel befürchtet im September 2003, dass die Idee eines "Zentrums gegen Vertreibungen" das deutsch-polnische Verhältnis belastet.
Bild: Unterzeichnung ©Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg
Unterzeichnung: Am 2. Februar 2005 erklären die für Kultur zuständigen Regierungsvertreter Polens, Deutschlands, der Slowakei und Ungarns (v.l.n.r.) im Warschauer Schloss, ein "Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität" gründen zu wollen.
Bild: Flüchtlinge/Frauen ©Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - Michael Jensch, Wolfram Maginot, Axel Thünker

Das Plakat des UNHCR aus dem Jahr 2000 weist darauf hin, dass vor allem Frauen und Kinder Opfer von Flucht und Vertreibung werden, Mädchen besonderen Härten ausgesetzt und besonders schutzlos sind.