Katrin Moeller

Es ist ein überaus gerechtes Gesetz, dass die Zauberinnen getötet werden"
Hexenverfolgung im protestantischen Norddeutschland

Im Morgengrauen eines trüben Februartages des Jahres 1623 glaubte der Bauernsohn Chim Stolten im mecklenburgischen Glasewitz (bei Güstrow) seinen Augen kaum zu trauen. Auf der Feldscheide zwischen dem eigenen und dem benachbarten Hof reckte sich im trüben Nebeldunst eine graue Gestalt über den Zaun, hob die Arme und schüttete den Inhalt eines Topfes auf das Stoltische Anwesen. Spätestens in diesem Moment dürfte der Mann schlagartig wach gewesen sein. Sofort rannte er aus dem Haus und rief der flüchtenden Gestalt hinterher. Über die Bedeutung dieses Vorgangs herrschten weder bei ihm noch bei den späteren Zeugen dieser Angelegenheit zu irgendeinem Zeitpunkt Zweifel. Eine Hexe war hier tätig geworden, eine Toewersche, wie sie im Niederdeutschen nach dem Topf, in dem sie ihre Schadensgifte braute, benannt wurde. Indem Zauberinnen angeblich solche Güsse über den nachbarlichen Türschwellen und Wegen ausschütteten oder sie darunter vergruben, verursachten sie Krankheit und Tod bei Mensch und Vieh, sobald diese sie überschritten. Dies galt im gesamten norddeutschen Raum als die übliche Form des Schadenzaubers, die zwischen 1550 und 1700 wohl jedes Kind kannte und fürchtete. Im Bund mit dem Teufel trieben vermeintliche Hexen darüber hinaus ihr Unwesen, indem sie mithilfe des Milchzaubers die Nachbarn um das kostbare Produkt der Kühe brachten, das Bier verdarben, den Teufel zum Diebstahl von Geld und Korn animierten oder - seltener - das zwischenmenschliche Miteinander störten. Der im Süden des Reiches dagegen so umfassend gefürchtete Unwetterzauber der Hexen, der sich vor allem gegen die empfindlichen Weinkulturen richtete, blieb in den Getreideanbaugebieten des Nordens nahezu unbekannt.

Als Mann der Tat zögerte Chim Stolte nicht lange, sondern rief einige der Dorfbewohner zusammen, um die im aufgetauten Erdreich gut erkennbaren Fußspuren zu verfolgen. Die Richtung, in die diese Fußspuren führten, war weder für Stolte noch für die hilfsbereiten Nachbarn verwunderlich. Sie wies geradewegs zum Hof der benachbarten Familie Sandmann. Alle Frauen des Haushaltes mussten ihre Füße und Schuhe vorzeigen und mit dem Abdruck vergleichen lassen. Eigentlich hätte es dieser Kontrolle jedoch gar nicht bedurft. Im Haus der Familie Sandmann wohnte die schon seit Jahren als Hexe berüchtigte und mehrfach von den Dorfbewohnern verklagte Altenteilerin Anna Polchow. Wohl kaum jemand im Dorf zweifelte daran, dass sie die Gestalt im Morgengrauen gewesen war. Statt dessen hoffte man wohl, endlich mit einem stichhaltigen Indiz über die Hexe triumphieren zu können. Denn bisher waren alle Bemühungen zur Beseitigung der Frau gescheitert, die zusammen mit ihrer Mutter und ihrer Schwester an nicht weniger als dem Tod zweier Menschen, der Erkrankung zweier weiterer Personen sowie der Verendung von 42 Pferden, zwei Fohlen, einem Ochsen, sieben Schweinen, einer Kuh, vier Kälbern und "etlichem anderen Kleinvieh" die Schuld tragen sollte. Angesichts dieses unermesslichen Unglücks lässt sich der Zorn und das Entsetzen der betroffenen Nachbarn darüber nachempfinden, dass seit 1615 bereits zwei Prozesse gegen die ‚Unholdinnen' einfach abgewiesen worden waren.

Die Juristenfakultät Rostock, die, wie andere Juristenfakultäten, nach Maßgabe der Carolina in Kriminalverfahren ihre Rechtssprüche erteilte, hatte auch im Glasewitzer Fall ihr Votum ausgesprochen. Dementsprechend war Anna Polchows Mutter zwar mit der Folter im ersten Grad bedroht worden, eine belastende Aussage hatte ihr das städtische Gericht jedoch nicht abringen können. Daraufhin ordneten die Juristen ihre Entlassung an. Auf ein peinliches Verhör der beiden Töchter wurde völlig verzichtet. Im zweiten Prozess gegen die drei Frauen wurden die Indizien von vornherein verworfen und die Fortsetzung des Prozesses verboten.
Dieser Umgang mit den drei Angeklagten stellte in der mecklenburgischen Rechtspflege keineswegs eine Ausnahme dar. Nur in der Hälfte aller Prozesse wurde im zweigeteilten Herzogtum tatsächlich die Folter gestattet und schließlich ein Todesurteil verhängt. Fast ein Drittel aller Betroffenen kehrte in die Freiheit zurück. Etwa zehn Prozent der Angeklagten entkamen dem Verfahren zwar mit dem Leben, wurden jedoch teilweise hart bestraft. Besonders die Landesausweisung hatte verheerende Folgen für die Betroffenen, da ihnen jede wirtschaftliche Lebensgrundlage und der Schutz des Familienverbandes genommen wurde.

Sehr ähnlich urteilten bis zum Dreißigjährigen Krieg weitgehend auch die Juristen in den mecklenburgischen Justizkanzleien in Güstrow beziehungsweise in Schwerin und mit einigen deutlichen Abstrichen auch an der pommerschen Universität Greifswald.

Über allen strahlte jedoch die juristische Fakultät der in den Jahrzehnten um 1600 zu vollem Glanz erblühten Universität Rostock. Nicht nur in mecklenburgischen Hexenprozessen, sondern auch für Konsulenten der benachbarten Territorien - Schleswig, Holstein, Sachsen-Lauenburg, Brandenburg, Pommern und weit darüber hinaus - formulierten die hervorragenden Juristen Rechtsgutachten. In Rostock teilte man die Theorie über die Verschwörung der Hexen in Form einer Sekte, über Teufelsbuhlschaft und orgiastischen Sabbat nicht in der Weise, wie sie etwa im Hexenhammer und anderer dämonologischer Literatur entwickelt worden war. Grundlegend dafür war einerseits das protestantische Verständnis von Hexerei sowie andererseits das Beharren auf den regulären Vorgaben des zeitgenössischen Kriminalprozesses (Carolina). In der Praxis bedeutete dies eine Ablehnung des in Hexenprozessen oft angewandten Ausnahmeverfahrens (crimen exceptum). Nach dessen Maßgabe wurde meist die schnelle Anwendung der Folter auf der Grundlage von Bezichtigungen bereits verurteilter Personen (Besagung) und ohne vorherige Verteidigung gestattet.

Dabei waren protestantische Geistliche und Juristen keineswegs die besseren Christen, wie es die protestantischen Vertreter des Kulturkampfes im späten 19. Jahrhundert teilweise darzustellen versuchten. Die strikte Ablehnung der Hexenverfolgung lag ihnen - abgesehen von wenigen Ausnahmen auf beiden Seiten - ebenso fern wie den Glaubensgegnern. Der geistige Vater der neuen Konfession, Martin Luther († 1546), hatte im Einklang mit den katholischen Stimmen geurteilt: ... weil Zäuberei ein schändlicher, gräulicher Abfall ist, da sich einer von Gott, dem er gelobt und geschworen ist, zum Teufel, der Gottes Feind ist, begibt, so wird sie billig an Leib und Leben gestraft. Diese Worte einer Tischrede kennzeichnen deutlich die energische Forderung Luthers nach der Bestrafung von Zauberei und Hexerei. Beides kam für Luther dem willentlichen Bruch des Taufgelübdes, dem abscheulichen Verrat an Gott gleich und stellte für ihn eine Tat von höchster Strafwürdigkeit dar, die nur durch den Tod gesühnt werden konnte. In der Konsequenz forderte er damit die gleiche Strafe wie die eifrigsten Protagonisten der Hexenverfolgung. Allerdings verbargen sich dahinter gänzlich andere Vorstellungen, die ihn zur Forderung nach der Ausrottung von Hexerei geführt hatten. Zwar glaubte Martin Luther wie alle seine Zeitgenossen fest an die Möglichkeit und Wirksamkeit von Schadenzaubertaten, den Glauben an eine teuflische Sekte von Hexen und Hexern teilte er jedoch nicht in derselben Weise. Für Luther gab es die gleichberechtigte oder gar übermächtige dämonische Gegenwelt des Satans nicht. Hexen konnten nur im Rahmen des göttlichen Willens agieren. Daher spielten die Teufelsbuhlschaft, der Hexensabbat und die Bildung einer Hexensekte bei dem Wittenberger Theologen nur eine untergeordnete Rolle. Die Strafwürdigkeit ergab sich allein aus dem Willen der Hexen, sich dem Bösen dienstbar zu unterwerfen.

Luther forderte daher ein Ende von Magie, Zauberwerk und Aberglauben. Konsequent bereinigte er nicht nur die protestantische Liturgie von allen Formen anrüchiger Praktiken. In gleicher Weise wurden auf breiter Basis sämtliche volksmagischen Praktiken kriminalisiert und den Predigern eine strenge Aufsicht über die Gemeinden empfohlen. Luther, der selbst den Beginn der großen Hexenjagd nicht mehr erlebte, hinterließ kein geschlossenes Gedankensystem, sondern nur bruchstückhafte, sich teilweise sogar widersprechende Äußerungen zum Problem der Hexenverfolgung. Es verblieb seinen Nachfolgern, die ‚protestantische' Theorie des Hexenglaubens zu formulieren und den realpolitischen Umständen in jedem einzelnen Territorium anzupassen.

Im Norden des Deutschen Reiches führte diese protestantische Deutung zunächst zu einem eher gemäßigten Umgang mit der Hexenangst. Protestantische Gelehrte - wie etwa der Rostocker Jurist Johann Georg Goedelmann († 1611) in seinem schon bald übersetzten Traktat Von Zäuberern, Hexen und Unholden (Tractatus de magis, veneficis et lamiis, 1584) - verwarfen nicht den Hexenglauben an sich. Sie erschwerten jedoch die Zulassung der Tortur, indem sie hohe Anforderungen an die Stichhaltigkeit und Glaubwürdigkeit der belastenden Indizien und Zeugenaussagen stellten. Da sie die Vorwürfe der Teufelsbuhlschaft, des Hexenfluges, der Tierverwandlung und der Sabbatfeiern teilweise in das Reich der Phantasie der Angeklagten verlegten, sahen sie keine Notwendigkeit gegeben, die Hexen in einem außerordentlichen Gerichtsverfahren abzuurteilen. Im Norden blieben den angeklagten Menschen daher Folterungen erspart, wenn sie lediglich von anderen Hexen als Komplizen des Verbrechens besagt worden waren. Gleichfalls blieben die Möglichkeiten zur Einsicht in die Akten und zur gerichtlichen Verteidigung erhalten.

Brachte die protestantische Religion mit ihrer Säkularisierung des Glaubens also eine Rationalität mit sich, welche die schlimmsten Auswüchse der Hexenjagd verhindern konnte? Bis heute hält sich hartnäckig die Annahme, die Hexenverfolgung in den protestantischen Territorien sei wesentlich maßvoller abgelaufen als in katholischen Gebieten, die oft zu den Kernzonen der Verfolgung gehörten. Die Forschung in den klassischen protestantischen Regionen im Norden und Osten des Deutschen Reiches verfügt bis heute über mehr Fragen als Antworten. Nur in Ansätzen lässt sich deshalb bisher sagen, welche Rolle die Religionszugehörigkeit im Kontext der Hexenverfolgungen spielte. Für Territorien, in denen mittlerweile umfangreichere Untersuchungen vorliegen, sprechen die Prozesszahlen eindeutig dafür, dass der protestantische Norden eben nicht von einer Hexenverfolgung in größerem Umfang verschont geblieben ist.

Bedrückend wirken allen voran die Prozesszahlen im bevölkerungsarmen Mecklenburg. Bei annähernd 200.000 Einwohnern wurden, zwischen 1560 und 1700, nachweislich fast 4.000 Hexenprozesse geführt. Mindestens 2.000 Menschen fanden hier den Tod. Nicht umsonst war Mecklenburg schon bei den Zeitgenossen aufgrund der beängstigenden Auswüchse der Verfolgung verschrien. Weitab von den Kernzonen der Verfolgung im Südwesten des Reiches entwickelte sich in Mecklenburg isoliert eine Verfolgungsintensität, die sich deutlich von der Verfolgung in den benachbarten Territorien abhob. Mit solchen Opferzahlen gehörte Mecklenburg ganz sicher zu den Zentren der europäischen Hexenjagd.

Einen frühen Höhepunkt erlebte die Verfolgung um 1600. Das verheerende Pestjahr 1604 forderte die meisten Opfer; mindestens 111 Anklagen wurden in diesem Jahr erhoben. Danach ebbte die Hexenjagd allmählich wieder ab und wurde während der Schreckensjahre des Dreißigjährigen Krieges fast bedeutungslos. Im Gegensatz dazu wuchs die Furcht vor den Anschlägen der Teufelsbündnerinnen nach dem Krieg ins Unermessliche. Die Verfolgung schien tatsächlich die Form eines ‚Hexenwahns' anzunehmen, der zur Verfolgung jeder noch so unglaubwürdigen oder nichtigen Bezichtigung beziehungsweise Denunziation führte. Das Klima der Angst schlug sich nicht nur in einem erneuten Anstieg der Anklageforderungen nieder, sondern gleichzeitig wurden auch die rechtlichen Maßstäbe und landesherrlichen Intentionen deutlich zuungunsten der Angeklagten verschoben. Landesherrliche Machtträger entwickelten in beiden Landesteilen Handlungsstrategien, die eine wirksame Ausrottung der Hexerei bewirken sollten. Die verstärkten Repressionen gegen die Hexen begünstigten eine Eskalation der Hexenangst und schlugen sich zunehmend in Gestalt von umfangreichen Prozess-Serien nieder. Die Aussagen bereits verurteilter Hexen wurden zum Anlass immer neuer Untersuchungen und weiterer Prozesse. Nur bei erbittertem Widerstand der Betroffenen und ihrer Angehörigen konnte der unheilvolle Teufelskreis gestoppt werden.

Auch Schleswig, Holstein und Sachsen-Lauenburg zählten nach den neuesten Untersuchungen von Rolf Schulte nicht zu den prozessarmen Territorien. Obwohl die dänische Gesetzgebung (Jyske Lov), die im Herzogtum Schleswig Geltung besaß, keine Bestimmungen zur tödlichen Ahndung von Hexerei und Zauberei vorsah, kam es auch dort zu legalen Hexenverbrennungen. Für die beiden Landesteile Schleswig und Holstein konnten im Zeitraum zwischen 1530 bis 1735 etwa gleich viele Hexenprozesse ausgemacht werden - insgesamt mindestens 846. Ähnlich wie in Mecklenburg wurde von Seiten der Landesherrschaft besonders in den frühen Jahren der Hexenverfolgung auf eine Eindämmung der schlimmsten Auswüchse hingearbeitet. Allerdings blieben die Erfolge solcher Versuche von bescheidener, temporärer Wirkung. Schon zwischen 1610 und 1630 mussten zahlreiche Menschen den Scheiterhaufen besteigen. Zeitgleich dazu etablierte sich in Holstein, Schleswig und Sachsen-Lauenburg eine verschärfte landesherrliche Gesetzgebung, um das Hexenwerk wirksam auszurotten. Ungefähr 70 Prozent der Angeklagten mussten insgesamt den Scheiterhaufen besteigen, obwohl auch hier die Regelungen des ordentlichen Gerichtsverfahrens in Anlehnung an die Carolina weitgehend bestehen blieben.
Ähnlich stark wütete die Hexenverfolgung in Pommern-Wolgast (beziehungsweise ab 1648 Schwedisch-Pommern und Preußisch-Vorpommern), dem heutigen Vorpommern und dem nordöstlichen Streifen Brandenburgs zwischen Ueckermünde, Pasewalk und Gartz. Allein aus den Spruchakten der Universitäten Rostock und Greifswald lassen sich mindestens 567 Hexenprozesse zwischen 1574 und 1710 nachweisen. Die Zahl der Angeklagten dürfte wohl zwischen 1.000 und 2.000 Personen betragen haben. Ähnlich wie in Schleswig-Holstein kam es besonders im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts sowie in den 1660er Jahren zu heftigen Verfolgungswellen. Insgesamt fanden etwa 60 Prozent der Beschuldigten den Tod.

Nach wie vor unbefriedigend bleibt der Blick ins weiter südlich gelegene ostelbische Territorium. Für Sachsen-Anhalt, wo große Quellenverluste zu beklagen sind, lassen sich bisher nur annähernd 200 Prozesse nachweisen. Nachrichten von schwindelerregenden Massenhinrichtungen - wie etwa der Verbrennung von 133 Hexen in Quedlinburg im Jahre 1589 - erwiesen sich als falsch. In Quedlinburg selbst sind während der gesamten Hexenverfolgung nur 40 Opfer nachweisbar. Gegenwärtig kann ebenso wenig über die Hexenverfolgung in Brandenburg ausgesagt werden. Neuere Untersuchungen zeigen zwar auf, dass es auch hier partiell zu Verfolgungswellen kam; der größere Überblick bleibt jedoch versagt. Lediglich für Thüringen liegen mit einer bisher noch unveröffentlichten Arbeit neuere Zahlen zur Hexenverfolgung vor. Nach Untersuchungen von Ronald Füssel fanden dort zwischen 1.000 und 1.500 Prozesse statt.

Wie im Glasewitzer Fall wurde die Hexenverfolgung ursprünglich nicht von gelehrten Juristen, Theologen oder den Landesobrigkeiten, sondern von den Nachbarn der Verdächtigen vorangetrieben; denn Hexereibezichtigungen ergaben sich im Kontext nachbarlicher Streitigkeiten. Die Hofstelle des Ehepaars Claus Sandmann und Anna Polchow war kurz zuvor geteilt und die Hälfte an den jüngeren Bruder Heinrich Sandmann und seine Ehefrau vergeben worden. Neben den bereits zuvor virulenten wirtschaftlichen Streitigkeiten traten zwischen den beiden Frauen des Haushalts schon bald Konflikte offen zu Tage. Anna Polchow konnte sich durchaus nicht mit ihrer neuen, untergeordneten Rolle im Haushalt abfinden. Häufig versuchte sie nach wie vor zu reglementieren und in Wirtschaftsabläufe einzugreifen. Allerdings nahmen Knechte und Mägde ihre Rolle nicht mehr ernst, reagierten mit Spott oder gar mit Gewalt. Die alte Frau griff in solchen Situationen zur letzten Waffe, die ihr geblieben war - zur Drohung. Das solle ihm Gott gedenken oder sie solle verdorren wie ein Stock am Zaune lauteten etwa ihre heftigen Reaktionen. Trat kurze Zeit darauf tatsächlich ein Schadensfall ein, wurde fast zwangsläufig Hexerei vermutet. Ausschlaggebend für diese Unterstellung war der ihr bereits seit Jahren anhängende schlechte Ruf. Wie bei fast 30 Prozent aller Angeklagten im Norden waren Familienangehörige Anna Polchows bereits früher wegen Hexerei verdächtigt oder angeklagt worden. Ihre Mutter Ilse Vielhut war zuvor durch Segenssprüche - in Norddeutschland Böten genannt - und die Ausübung einfacher volksmagischer Heilpraktiken auffällig geworden. Außerdem war sie vor Jahren von einer Hexe besagt worden, ebenfalls der Hexensekte anzugehören. Solche Besagungen, besonders wenn sie von Hexen kurz vor ihrer Verurteilung geäußert wurden, waren ebenfalls in einer Vielzahl von Fällen Auslöser für eine Verdächtigung im Lebensumfeld. Unter diesen Umständen wurde gemutmaßt, die Mutter hätte die Zauberkunst an die Tochter weitergegeben, was der volkstümlichen Deutung des Sektengedankens entsprach.

Nachdem der Verdacht gegen die Frau im Dorf laut geworden war, fanden sich immer mehr Nachbarn, die ihr Verhalten überkritisch reflektierten und Streitigkeiten, schließlich selbst Banalitäten, als Anlässe für zauberische Schadensattacken interpretierten. In den Dörfern entzündeten sich solche Konflikte mehrheitlich an der Schädigungen des Besitzes. Die Vernichtung von Saat- und Erntegut, Grenz- und Ackerstreitigkeiten oder ausstehender Lohn beziehungsweise Schulden waren Anlässe für Hexereivorwürfe. Streitigkeiten ergaben sich ebenfalls im Umgang mit den Kindern der Hexen, die als Knechte und Mägde bei den Nachbarn tätig waren, beziehungsweise aus Gewaltanwendungen gegen die Hexen und ihre Angehörigen. Familienkonflikte wie Ehe-, Erbschafts- und Generationskonflikte bildeten dagegen nur höchst selten den Anstoß zu Hexereiverdächtigungen. Dies lag schon deshalb nahe, weil Hexereiprozesse in der Familie letztlich auf die gesamte Verwandtschaft zurückfallen konnten.

Auf welchen Konflikten die Hexereizumessung basierte, konnte in den unterschiedlichen Lebenswelten - also den größeren und kleineren Städten, adligen oder landesherrlichen Dörfern - ganz verschieden sein. In dieser Hinsicht blieb der Hexenprozess immer Spiegelbild der alltäglichen Verhältnisse unter bestimmten, spezifischen Lebensbedingungen. Weil die Hexereibeschuldigungen so flexibel auf immer neue Situationen ausgeweitet werden konnten, wurden sie attraktiv für die Lösung verschiedenster zwischenmenschlicher Konfliktlagen. Diese Flexibilität schuf immer neuen Nährboden für Hexereiverdächtigungen, die sich aus diesem Grund schnell großer Popularität erfreuten. Indem man die Schuld für einen Unglücksfall den Hexen zuschreiben konnte, brauchte man sie nicht als göttliche Rache für eigenes Fehlverhalten interpretieren.

Zunächst waren es häufig noch eher arme, alte, alleinstehende Frauen und Männer, die in das Visier der Verfolgung gerieten. Deutlich zeigt sich dieses Muster in den frühen Prozessen der großen Städte. In den bedeutenden Hansestädten wie Hamburg, Lübeck, Wismar, Rostock und Stralsund wurden gerade die Ärmsten hingerichtet, die sich tatsächlich mit magischen Praktiken ihren Lebensunterhalt verdienten. Häufig handelte es sich um landfahrende oder sesshafte Bettlerinnen, die ein breites Repertoire von Künsten des Wahrsagens und Heilens, des Liebeszaubers, Schatzgrabens und kleinerer Betrügereien beherrschten. Zudem gerieten in den Städten Personen in die Fänge der Justiz, weil sie tatsächlich kriminell waren und wegen Diebstahls, Mordes, aggressiver Bettelpraktiken oder anderer Straftaten auffielen. Die Verfolgung in den größten Städten war nicht so sehr von den Vorstellungen des Teufelspaktes und der Hexensekte geprägt, sondern orientierte sich weit mehr an den relativ konkreten Indizien des Zaubereiverdachts beziehungsweise eines generell auffälligen, unsozialen Lebenswandels. Die tatsächliche Ausübung einfacher volksmagischer Praktiken und deren betrügerische Nutzung sowie ein eklatant abweichendes Verhalten konnte auf diese Weise schnell in einen Hexenprozess münden.
Eine Ausweitung auf die etablierten Kreise der Stadtbürgerschaft wurde weitgehend verhindert. Die Ratseliten zeigten sich nicht an einer umfangreichen Verfolgung interessiert. Eine Ausdehnung der Verfolgung auf breite bürgerliche Schichten hätte unter Umständen nicht nur den sozialen Frieden der Städte belastet, sondern die wirtschaftliche wie rechtliche Balance der Städte gefährden können. Das Interesse der Städte an der Hexenjagd erlahmte daher schon bald nach den ersten Prozessen. In allen großen Städten blieb die Hexenverfolgung eher gering. In Hamburg sind bis heute etwa 50, in Lübeck 47, in Wismar 39, in Rostock (zwischen 1530 und 1707) 102 und in Stralsund bisher 31 Zauberei- und Hexenprozesse ermittelt worden. Allerdings kam es auch in diesen Städten immer wieder zu Anklageforderungen von Seiten der Bevölkerung. In Wismar, Lübeck und Kiel versuchte die aufgebrachte Masse sogar Hexen zu steinigen, weil man sich mit ihrer Freilassung nicht abfinden wollte.

Dennoch konnte die Bürgerschaft solche Forderungen nur selten gegen den Widerstand der Stadträte durchsetzen. In der Folter erpresste Beschuldigungen gegen andere vermeintliche Hexen versuchte man in den großen Städten weitgehend geheim zu halten, um eine hysterische Steigerung von Anschuldigungen zu verhindern. Als in Rostock nach einem Prozess gegen drei junge Männer das Gerücht aufkam, Söhne der Bürgermeister wären an den Zaubertaten beteiligt gewesen, ließ man kurzerhand die Diffamantin aus der Stadt weisen. Durchweg straften die größeren Städte ihre Delinquenten zudem sehr viel milder ab, als dies im umliegenden Territorium der Fall war. Beispielsweise entkamen über zwei Drittel der in Lübeck angeklagten Personen lebend einem Prozess. Relativ häufig wurde die Stadtverweisung angeordnet, ohne die Angeklagten zuvor gefoltert und so die Ausweitung des Prozesses riskiert zu haben.

Nicht nur in den größeren Städten wurde eine solche Ratsjustiz mit dem geflügelten Wort die armen in die asche, den Reichen in die tasche kritisiert. In den zahlreichen kleinen und kleinsten Landstädten und Flecken konnte sich die erregte, nach Verfolgung drängende Bürgerschaft sehr viel besser mit solchen Forderungen durchsetzen. In den meisten Landstädten kam es schnell zu einer Ausweitung der Hexenverfolgung auf alle sozialen Schichten der Gesellschaft. Dort machte die Hexenverfolgung vor niemandem Halt. Das Spektrum der Angeklagten reichte schon bald vom dreijährigen Kind bis zur hundertjährigen Greisin, vom Bettelweib bis hin zum Bürgermeister oder der adligen Stadtbewohnerin. Vor allem dort entfaltete sich die Hexenverfolgung in Gestalt einiger großer Kettenprozesse. Soziale Konflikte waren in solchen Prozessen schon bald nicht mehr Auslöser für die Anklageerhebung. Stattdessen wurden die Geständnisse der Hexen über die Komplizen an Sabbatfeiern und Schadenzaubertaten kritiklos zur Einleitung immer neuer Prozesse genutzt. Anders als in den größeren Städten schafften es die Stadträte nicht, die breite Bürgerschaft und konkurrierende Herrschaftsträger (etwa landesherrliche Beamte) von der Prozessführung auszuschließen. Oft fiel es ausschließlich den Angehörigen und Freunden der Angeklagten zu, Widerstand gegen die Hexenverfolgung zu leisten. Da in den Kleinstädten besonders viele Angehörige der reicheren Mittel- und Oberschichten angeklagt wurden, gab es hier zugleich die meisten Versuche, Angeklagte mit gerichtlichen Mitteln zu unterstützen. Gerade in diesen Familien distanzierte man sich nicht so schnell von den Beschuldigten, sondern hielt - teils aus tiefen emotionalen Gründen, teils aus sozialem und wirtschaftlichem Kalkül - an der Unschuld der Angeklagten fest. Etwa in jedem vierten kleinstädtischen Verfahren legten die Angehörigen Supplikationen bei der Landesherrschaft ein oder engagierten professionelle Anwälte zur Verteidigung. Zahlreiche Familien zogen vor die Appellationsinstanzen oder vor das Reichskammergericht, um ihr Recht einzufordern. In Mecklenburg lassen sich fast 150 solcher Verfahren nachweisen. Die Gesamtheit aller Bemühungen verbesserte die Chancen der Angeklagten auf eine Freilassung erheblich. In fast 60 Prozent der Fälle, in denen nur der geringste Versuch einer Verteidigung unternommen wurde, konnte man letztlich die Entlassung der Angeklagten durchsetzen. Wurde eine Verteidigung unterlassen, lag der Prozentsatz von Freilassungen und von Todesurteilen im umgekehrten Verhältnis zueinander.

Mit dem Widerstand der Betroffenen und ihrer Angehörigen verschärfte sich gleichzeitig die Auseinandersetzung zwischen den Streitparteien beziehungsweise zwischen Gericht und Angeklagten. Da die Beschuldigten die Unterstützung der Landesherrschaft durch Beschwerden über die Parteilichkeit und Rechtswidrigkeit der Gerichte einklagten, mussten diese bei einem entsprechenden Nachweis Rügen und Bestrafungen befürchten. Zugleich nutzten die Landesherren solche Möglichkeiten gern, um ihren Einfluss auf die innerstädtische Gerichtsbarkeit auszuweiten und sie enger in das Netz des landesherrlichen Verwaltungsapparates einzubinden.

In einigen Kleinstädten kam es - wie etwa 1694 im mecklenburgischen Wittenburg - aufgrund solcher Umstände zu fast tumultartigen Zuständen. Der Amtsschreiber Georg Havemann beschrieb die Verhältnisse in der Stadt als Ausnahmezustand: Die Stadttore waren geschlossen worden. Einige Bürger hatten sich in der Stadt verbarrikadiert und mit Büchsen bewaffnet. Innerhalb der Bürgerschaft brodelte eine heftige Auseinandersetzung zwischen den Akteuren der Anklage und denen der Verteidigung, die längst nicht mehr nur mit prozessualen Mitteln ausgetragen wurde. Die Stadträte bemühten sich, durch weitere Prozesse belastende Indizien zu ‚produzieren', indem die ursprünglichen, jedoch nicht überführten Angeklagten von immer neuen Hexen besagt wurden. Das Wach- und Gerichtspersonal steuerte zu diesem Zweck haarsträubende Berichte über die im Gefängnis auftretenden Geister der Inhaftierten bei. Vertreter der Bürgerschaft hingegen, die nun ebenfalls in die Anklagen verstrickt wurden, weigerten sich, ein solches Vorgehen länger zu tolerieren und riefen zum Widerstand auf. Diese Ereignisse führten dazu, dass weite Teile der Bürgerschaft nicht nur das Interesse an der Hexenverfolgung verloren, sondern einige Bürger offen dagegen auftraten. Die Hexenverfolgung hatte längst ihren Charakter als Ventil sozialer Konflikte verloren und war stattdessen selbst zum Streitpotential angewachsen. Der Zerfall der zuvor geschlossenen Verfolgungsallianz führte schließlich zur Beendigung der Prozesswelle.

Ähnlich verlief die Entwicklung in vielen anderen Kleinstädten. Gemessen am Umfang der kleinstädtischen Einwohnerzahlen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung tobte die Hexenverfolgung gerade in den kleinen Ackerbürgersiedlungen des gesamten Nordens am heftigsten.

In den norddeutschen Dörfern hingegen unter adliger Jurisdiktion zeichnet sich ein wesentlich anderes Bild ab. Mecklenburg und Pommern sind in die Geschichte als Synonyme für die Entwicklung von Gutsherrschaftsgesellschaften eingegangen. Bemerkenswerter Weise verliefen beide Entwicklungsprozesse zeitlich parallel. Die Konsolidierungsphase adliger Gutsherrschaften entfaltete sich in Mecklenburg, Vorpommern und Holstein während des ersten Höhepunkts der Hexenverfolgung. Die Abhängigkeit der Bauern erwuchs letztlich aus der Nutzung von Rechtskompetenzen der Adligen. Den Gerichtsrechten kam somit eine wichtige Funktion bei der Etablierung der Leibeigenschaft zu. Tatsächlich lässt sich in diesem Stadium eine auffällige Häufung von Hexenprozessen unter adligen Gerichten konstatieren. Fast 40 Prozent aller Hexenprozesse in Mecklenburg wurden vor 1640 unter adliger Jurisdiktion geführt.

Wie in den landesherrlichen Dörfern wurde der Schadenzaubervorwurf nach Konflikten zwischen den Streitparteien zum eigentlichen Anlass der Hexereibezichtigung. Bildeten unter den landesherrlichen Gerichten jedoch sozial gleichberechtigte Nachbarn die Streitparteien, so waren es unter den adligen Gerichten überdurchschnittlich häufig - nämlich in fast 60 Prozent aller Prozesse - Herr und Untertan, die sich im Gericht gegenüberstanden. Dabei drehten sich die Konflikte vor allem um die alltäglichen Auseinandersetzungen, um Arbeitsleistungen und -dienste, finanzielle Belastungen und Gewaltanwendungen. Die Durchsetzung der gutsherrlichen Forderungen nahmen die Betroffenen in der alltäglichen Praxis durchaus nicht widerstandslos hin. In den Hexenprozessen spiegeln sich solche Auseinandersetzungen lebhaft wider. Diese Konflikte verführten adlige Gerichtsherren dazu, hinter wirtschaftlichen Misserfolgen und Krankheiten Hexerei zu mutmaßen. Diese Konstellation war höchst gefährlich für die Angeklagten, da die Ankläger nun zugleich die Gerichtsherren waren. So kam es ebenso wie unter den kleinstädtischen Gerichten häufig zu Vorverurteilungen. Adlige Junker setzten sich über den landesherrlichen Willen nach Mäßigung hinweg und proklamierten eigenwillig ihre eigenen Auffassungen von Recht und Ordnung. Im gesamten norddeutschen Raum wurde unter den adligen Gerichten die härteste Urteilspraxis ausgeübt. Je nach landesherrlicher Durchsetzungskraft gelang es den Regenten nur mühevoll, solche Auswüchse adliger Macht zu beschneiden.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts veränderten sich die Vorzeichen adliger Gerichtsausübung allerdings erheblich. Ausgedehnte, kostenintensive Gerichtshandlungen empfanden viele Adlige zunehmend als störend für den reibungslosen Ablauf der gutsherrlichen Wirtschaft. Man bemühte sich, Streitigkeiten zwischen den Untertanen gütlich zu schlichten oder wies die vermeintlichen Straftäterinnen auch ohne Gerichtsprozess einfach aus dem Rechtsbezirk aus. Zunehmend gerieten adlige Gerichtsherren damit in Widerspruch zum Willen der Landesherrschaft. Nach dem Dreißigjährigen Krieg hatte sich in Mecklenburg eine massive Hexenangst ausgebreitet, die zur Verschärfung des Rechtsprozesses und zu einer landesherrlich forcierten Ausrottungskampagne der Hexerei führte.

Genau den lebensweltlichen Besonderheiten und sozialen Rahmenbedingungen entsprachen die Zielgruppen, die der Hexenverfolgung zum Opfer fielen. Waren es in den größten Städten eher unterprivilegierte Witwen, Bettlerinnen und Vaganten, so kamen die Angeklagten in den Kleinstädten eher aus den Schichten der wohlsituierten Bürgerschaft. Während in Schleswig-Holstein (bei schmaler Vergleichsbasis) eher die arme, alte alleinstehende Frau zum Opfer der Verfolgung wurde, entstammten die Angeklagten in Mecklenburg und Vorpommern der Mitte der Gesellschaft. Überwiegend waren die Opfer Angehörige der Unter- und Mittelschichten und entsprachen in ihrer sozialen Herkunft wohl dem Durchschnitt der Bevölkerung. In beiden Territorien waren fast 80 Prozent der Angeklagten verheiratet. Witwen waren nur in etwa zehn Prozent der Verfahren betroffen. Eine gehäufte Anklage von Witwen blieb immer eine Sonderentwicklung der größeren Städte, in denen ohnehin relativ viele verwitwete Frauen lebten. Die restlichen Anklagen entfielen auf Kinderhexenprozesse, die - wie im gesamten Reich - zu einem besonderen Phänomen der Spätphase der Hexenverfolgung wurden.

Hexerei wurde, wie andere Kriminalstraftaten auch, geschlechtsspezifisch wahrgenommen. In dieser Hinsicht unterschieden sich die norddeutschen Territorien nur graduell. Über 85 Prozent der Angeklagten waren Frauen (Mecklenburg 85, Schleswig-Holstein 88,1, Vorpommern 88,7 Prozent). Die lange Tradition latenter Frauenfeindlichkeit - besonders unter geisteswissenschaftlichen Gelehrten - und die geschlechtsspezifische Zumessung von schädigenden Zauberpraktiken fanden in Norddeutschland ihr Echo. Die Reformation brachte zwar einerseits durch die Aufwertung der Rolle der Ehefrau eine größere Anerkennung des weiblichen Geschlechts, beschränkte aber andererseits den weiblichen Wirkungsradius auf den Haushalt und unterstellte ihn der hausväterlichen Autorität. Generell kann für die protestantischen Territorien eine Fokussierung der Verfolgung auf Frauen ausgemacht werden. Wurden Männer in Hexenprozessen angeklagt, so zeichneten sie sich oft durch einen besonders auffälligen Charakter aus oder waren tatsächlich kriminell vorbelastet. Eine größere Gruppe von Männern geriet im Kontext mit Anklagen anderer Familienangehöriger in das Visier der Justiz. Zudem waren es überwiegend Knaben und männliche Jugendliche, die in den Kinderhexenprozessen angeklagt wurden.

Gerade dieses Phänomen darf wohl als ein deutliches Zeichen für die zunehmende Dysfunktionalität der Hexenjagd gewertet werden, wie sie in der Spätphase der Verfolgung offensichtlich wurde. In ähnlicher Weise lassen sich die größeren Kettenprozesse in der Haupt- und Spätphase der Hexenverfolgung einschätzen. Die Verfolgung lief nicht langsam aus, ihrer Beendigung gingen oft massive Prozesswellen voraus.

Einzelnen Persönlichkeiten, die sich aufgrund religiöser, rechtlicher und individueller Motive als Hexenjäger berufen fühlten, kam eine entscheidende Rolle bei der Entstehung solcher Verfolgungsspitzen zu. Allein im Jahr 1626 ließ der im holsteinischen Fehmarn tätige ‚Hexenkommissar' Berend 24 Menschen vor Gericht stellen. Nur wenige Jahre später folgten nochmals mehr als ein Dutzend Anklagen. Im pommerschen Klempenow füllte diese Rolle der Amthauptmann Alexander von Walsleben aus. Er leitete zwischen 1619 und 1623 mindestens 31 Anklagen ein, die häufig mit dem Tod der Unglücklichen endeten.

Über alle Landes- und Jurisdiktionsgrenzen hinweg kam es bei einem besonderen Engagement Einzelner zu Massenverfolgungen. Frühe Versuche in beiden Territorien, die Hexenverfolgung einzudämmen oder gar ganz zu unterbinden, ließen sich in der alltäglichen Gerichtspraxis offensichtlich nicht durchsetzen. Obwohl beispielsweise die schwedische Königin Christina († 1689) bereits 1649 verfügte, dass alle fernere Inquisition und Prozess in diesem Hexen Wesen eingestellt werden sollte, fand die pommersche Verfolgung dennoch ihre Fortsetzung. Schnell in Vergessenheit geriet auch die Verfügung des Dänenkönigs Friedrich II. († 1588) von 1576, alle Todesurteile in Hexenverfahren durch das königliche Obergericht überprüfen zu lassen.

Sehr ähnlich gestalteten sich die Verhältnisse in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in Mecklenburg-Schwerin. Dort etablierte sich an der Landesspitze ein Rechtsgremium, das die erbarmungslose Verfolgung von Hexerei zur Leitlinie seines Handelns erhoben hatte. Der in Frankreich weilende Herzog Christian Louis I. († 1692) konnte sich - trotz der persönlichen Ablehnung von Todesurteilen in Hexenprozessen - 1669 nicht gegen diese Verfolgungsallianz durchsetzen. Eine wirksame Kontrolle der Gerichte entfiel in dieser Phase mecklenburgischer Rechtsprechung völlig. In vielen Orten Mecklenburg-Schwerins kam es daher zu heftigen Verfolgungswellen.

Unter der Fahne der protestantischen Konfessionalisierung führte auch die Landesherrschaft in Mecklenburg-Güstrow den Kampf gegen jede Form magischen Volksglaubens. Ins Visier der Hexenjagd gerieten die vermeintlichen Hexen ebenso wie Wunderheiler, Schatzgräber, Wahrsager und Zukunftsdeuter. Anders als in katholischen Territorien, für die nachgewiesen werden konnte, dass gerade die Berufsgruppen, die traditionell mit volksmagischen Heilpraktiken zu tun hatten, der Verfolgung entgingen, kannte man im protestantischen Mecklenburg-Güstrow keinerlei Schonung. In Güstrow wurden weitreichende Untersuchungen unter den berüchtigten Berufsgruppen der Quacksalber und Bader, Schmiede, Scharfrichter, Hebammen und Schäfer durchgeführt. Der zutiefst religiöse Herzog Gustav Adolf († 1695) ließ magisch verdächtige Bäume (zum Beispiel so genannte Krupeichen) fällen und an den herzoglichen Hof schaffen, um ihre Vernichtung sicher zu stellen. Alle Pastoren wurden zur regelmäßigen Abfassung von Berichten über Aberglauben und Magie in der Gemeinde verpflichtet. Eine landesherrliche Kommission, die in Fragen von Magie und Aberglauben geheim ermitteln sollte, bereiste in Abständen das Land. Soweit dies durchgesetzt werden konnte, mussten alle Angeklagten zur Prozessführung nach Güstrow gebracht werden. Geplant war sogar die Rekrutierung von so genannten Rügemännern, die verdächtige Praktiken bei der Landesherrschaft beziehungsweise bei der dörflichen Geistlichkeit denunzieren sollten.

Allerdings reagierte die Bevölkerung auf diese Eingriffe in das gemeindliche Leben nicht wie erwünscht. Weder Pastoren noch Untertanen fanden sich bereit, tradierte alltägliche volksmagische Praktiken als Hexerei zu denunzieren. In Mecklenburg-Güstrow nahm die Denunziationsbereitschaft innerhalb der Bevölkerung stark ab. Die übersteigerte Inquisition von Seiten der Obrigkeit ließ die Popularität der Hexereibeschuldigung offenbar sehr rasch schwinden.

Kritik am Hexenprozess wurde jedoch auch von anderer Seite laut. Durch die neuen Formen der Indiziensuche wurden geistliche und juristische Gelehrte nun auch mit der praktischen Seite der Hexenverfolgung bekannt. Nicht mehr aus der Abgeschiedenheit ihrer Gelehrtenstube, sondern in der alltäglichen, unmittelbaren Praxis agierend, erlebten sie plötzlich das persönliche Elend der Betroffenen. Gerade in der Gruppe der kirchlichen Vertreter, denen zudem die seelsorgerische Betreuung der Angeklagten bis hin zur Begleitung auf den Scheiterhaufen zufiel, regten sich bald ablehnende Stimmen.

Besonders der Güstrower Superintendent Hermann Schuckmann († 1686) übte massive Kritik an der Besagung und Anwendung der Folter und beanstandete die "Kaltsinnigkeit" der Juristen. Er konnte sich mit seiner Stimme offensichtlich Gehör beim mecklenburgischen Herzog Gustav Adolf verschaffen. Ab 1680 wurden hier die Hexenprozesse nach und nach eingestellt. Ganz im Sinne Luthers urteilten die Gelehrten 1683 schließlich: Aussagen nachzugehen, die auf den Einflüsterungen des Teufels beruhten, etwa die Teilnahme am Hexensabbat, bedeute nichts anderes als ob man magiam per magiam erforsche. Die umfassende Aberglaubenskritik führte zur Erkenntnis, dass auch der Glaube an Hexen letztlich ein ‚Aberglauben' sein musste.

Das Herzogtum Güstrow übernahm damit in Norddeutschland die Vorreiterrolle bei der Beendigung der Verfolgung. Erst 20 Jahre und viele Opfer später wurden die Verbrennungen auch in den anderen Territorien eingestellt. Dies bedeutete anders als in Mecklenburg-Güstrow jedoch nicht die Abkehr vom Hexenglauben und von der Möglichkeit, Hexen gerichtlich zu verfolgen. Lediglich die prozessualen Grundlagen wurden verbessert. Man durchleuchtete nun die erhobenen Vorwürfe genauer, forschte auch nach natürlichen Ursachen von Krankheiten und außergewöhnlichen Erscheinungen. Nur äußerst selten gestatteten die Juristen von nun an die Anwendung der Folter. Ohne die physischen Qualen konnten die vermeintlichen Hexen auch nicht mehr zum Geständnis ihrer angeblichen skandalösen Untaten getrieben werden und mussten daher als unschuldig gelten. Außerdem gerieten auf diese Weise keine weiteren Personen mehr in den fatalen Teufelskreis von Besagung und Prozess. Dem Hexenprozess wurde damit die prozessrechtliche Basis entzogen und den nachbarlichen Klägern teilweise sogar mit Strafen gedroht. Es wurde unattraktiv, soziale Konflikte in Form von Hexereibezichtigungen vor Gericht auszutragen.