In der Großindustrie war die Technisierung Basis für produktivitätssteigernde Rationalisierungen. Der Amerikaner Henry Ford richtete die Organisation des Herstellungsprozesses mit Hilfe des Fließbandes, der Massenproduktion und Akkordlöhnen neu ein. Fords Ideen erhielten sowohl bei Unternehmern wie Gewerkschaften großen Zuspruch. Die Maschine galt als Symbol der neuen Zeit - und zwar sowohl hinsichtlich utopischer Visionen, wie auch für die pessimistische Ablehnung der zukunftsorientierten Technikbegeisterung.

Die Ablehnung wurde in Oswald Spenglers Bestseller Der Untergang des Abendlandes (1920) deutlich. Das Abendland galt ihm als eine "Wirtschaftswelt der Maschinenindustrie", als Resultat einer "faustischen" Technik, die aus dem Streben des Menschen, gottgleich zu schaffen, entsteht. Die Technikeuphorie gipfelte in der Vorstellung, mit Hilfe der Technik alle Probleme lösen zu können: "Die Technik hat die Tore des Paradieses gesprengt" (Richard Nikolaus von Coudenhove-Kalergi). Industrie und Technik wurden zum Schlüssel eines neuen politischen Herrschaftsverständnisses. Aus dieser Sicht besaß die Welt der Technik eine neue ästhetische Qualität.

 

"Daß es aber einen ästhetischen Wert des technischen Werkes gibt, geht auch der Laienwelt von Tag zu Tag mehr auf. Dieser ästhetische Wert ist nicht daran geknüpft, daß der Beschauer selbst technische Einsicht hege. Man braucht eine moderne Schnellzuglokomotive nicht in ihrer Funktion zu verstehen, um doch von ihrem Anblick beglückt zu sein."

"Wenn der Sinn durch alle Formen hindurchrieselt, hindurchleuchtet, wenn der Stoff durchglüht, transparent ist von dem in ihn eingezogenen Geist, wenn dieser Geist Rhythmus der bewegten Glieder, Verteilung der Masse, Farbe, Gestalt ist, sodaß die Vielheit einer letzten Einheit sich fügt, dann erhält das technische Gerät die objektive Wurzel für das ästhetische Erlebnis."

(Friedrich Dessauer, Philosophie der Technik. Das Problem ihrer Rationalisierung, 1927)

 

 

 

 

 

 

 

Karl Völker (Halle/Saale 1889 - 1962 Weimar)
Arbeitermittagspause, 1923
Öl auf Pappe, 64,5 x 94
Berlin, Deutsches Historisches Museum, Inv. Kg 63/42

Völker hatte sich Anfang der 20er Jahre einem expressiv-religiös motivierten Kommunismus zugewandt. Als Mitglied der linken "Hallischen Künstlergruppe" war er an der Allgemeinen deutschen Kunstausstellung, die 1924/25 in Moskau, Saratow und Leningrad gezeigt wurde, mit der Arbeitermittagspause beteiligt.
Das Programmbild zeigt in der Typisierung der Menschen expressionistische Stilelemente der gleichzeitig entstandenen Holzschnitte Völkers. Die Fabrik erscheint symbolhaft als proletarischer Lebensraum. Die Arbeiter werden als geschlossene Gruppe gezeigt, die mit der Strenge und Funktionalität der modernen Architektur formal eine Symbiose eingehen. Die Familie im Vordergrund verkörpert die Hoffnung auf eine Zukunft, in der die Industrie bzw. die Fabrikarbeit die Grundlage einer neuen, von der Herrschaft des Proletariats bestimmten Gesellschaftsordnung sein wird. SB

Schulze 1974, S. 9.
Bibliographie

 

Gerd Arntz (Remscheid 1900 - 1988 Den Haag)
Kleine Fabrik, 1926
Öl auf Leinwand, 80 x 60
Reading, Otto and Marie Neurath Isotype Collection in the University of Reading

Zusamen mit Heinrich Hoerle (Kat. Nr. 114) und Franz Seiwert gehörte der Marxist Arntz in den 20er Jahren zur Kölner "Gruppe progressiver Künstler", die revolutionäre, linke Positionen vertrat und ›proletarische‹ Kunst schaffen wollte. In seinen Werken kritisierte er die zeitgenössische kapitalistische Gesellschaftsstruktur. Mit Hilfe einer graphisch-flächigen Bildsprache, die konstruktive und realistische Formen verbindet, werden die Arbeiter, der Hut tragende Unternehmer, die Fabrikarchitektur und der auf Produktion verweisende Rauch in der Kleinen Fabrik zeichenhaft verwoben. Gebäude und Menschen sind zu Zeichen und Typen abstrahiert. Die wie gedruckt wirkende, entindividualisierte Signatur weist Arntz als Konstrukteur, als Ingenieur aus. Kunst und Leben nahmen mit dem Konstruktivismus eine dem Industriezeitalter angemessene künstlerische Form an, die auch mit dem Rückzug von der individuellen Handschrift des Künstlers einherging.

Die Kleine Fabrik ist eines der wenigen Gemälde von Arntz, der sich vorwiegend der Graphik widmete. Grundsätzlich verband die "Progressiven" die Ablehnung des Tafelbildes. Vielmehr strebten sie aus politischen Motiven die Ausführung von öffentlichen Wandbildern an. Viele ihrer Gemälde dürften denn auch in erster Linie Entwürfe für die gewünschte großformatige Übertragung in die Wandmalerei sein. Für Arntz war die Maschinenarbeit nicht die Ursache der in seinen Augen unbefriedigenden Situation des Arbeiters. Vielmehr war es das kapitalistische System, das dem Arbeiter keinen Spielraum für ein würdiges Leben einräumte. SB

Ausst. Kat. Den Haag 1976; Ausst. Kat. München 1980, S. 81f.; Ausst. Kat. Berlin 1977, S. 275f.
Bibliographie

 

Franciska Clausen (Aabenraa 1899 - 1986 Aabenraa)
Die Schraube (Skruen), 1926
Öl auf Leinwand, 75 x 53
Skive, Skive Art Museum, Inv. M 41

Stilistisch in der Nähe zu den Bildarchitekturen ihres Lehrers Fernand Léger, entwickelte die von 1924 bis 1932 in Paris lebende dänische Künstlerin Franciska Clausen eine Bildsprache, die sich motivisch an technischen Versatzstücken und bildnerisch an den Möglichkeiten der Montagetechnik orientierte. In dem Bild Die Schraube stellt sie eine Schraubenwindung eines "Fleischwolfs" (Frederiksen) in das Zentrum des Bildes. Die Form des Gewindes evoziert eine vertikale, spiralförmige Bewegung im Bild, die sich wie ein Perpetuum mobile unaufhörlich fortsetzt. Obwohl der Betrachter einzelne technische Formen erkennen kann, erklären sich die Gesetzmäßigkeiten dieser "Ewigkeitsmaschine" (Frederiksen) nicht. Die graphische Bildästhetik erinnert an technische Konstruktionszeichnungen, verweigert sich jedoch einer Erklärung und eindeutigen Funktionsbestimmung.
Die Schraube, das normierte Element par excellence, verbindet einzelne Teile oder dient zur Bewegungsübertragung. Als einfachste ›Maschine‹ bringt sie die Einheit von Form und Funktion augenfällig zum Ausdruck. Bei Clausen erinnert sie zum einen an das Urprinzip der archimedischen Schraube, die als Wasserpumpe eingesetzt wurde.

Zum anderen wird auf die Bearbeitung und Umsetzung von Werkstoffen hingewiesen.
Clausens intensive Auseinandersetzung mit den Funktionsprinzipien der Schraube, das Ausloten von materiell-statischer und dynamisch-energetischer Konstruktion, zeigt sich in einer Reihe von Bildern, in denen immer wieder der Schraubenkörper und seine vertikale Bewegung im Mittelpunkt stehen. Vor dem Hintergrund des verbreiteten Technikoptimismus, steht die Schraube bei Clausen in Bezug zu den Funktionsprinzipien Vereinfachung und Rationalisierung, den zwei Paradigmen, auf deren Ordnung hin sich die moderne Gesellschaft entwickelte. BS

Ausst. Kat. Paris 1982; Frederiksen 1987/88, Bd. 1, S. 80 (Zitat), 126 (Zitat), Bd. 2; Ausst. Kat. Trapholt 1996.
Bibliographie

 

Paul Kelpe (Minden 1902 - 1985 Austin, Texas)
Composition 188, 1930
Öl auf Leinwand, 46 x 31
Sammlung Hoh, Reg. No. 216

Paul Kelpe studierte Kunstgeschichte und Architektur in Hannover, bevor er 1925 in die USA auswanderte. Bereits in seinen frühen Assemblagen, die in der Gestaltung an Kurt Schwitters Merz-Kunstwerke erinnern, erarbeitete Kelpe eine strenge, geometrische Ordnungsstruktur, die auch den Bildaufbau seiner Gemälde der 30er und 40er Jahre kennzeichnet. Auffällig sind dabei die Nähe zur Architektur bzw. zu architektonischen Formvorstellungen und die vielfältigen Technikbezüge. Kelpe löste die Objektwelt zwar in einfache geometrische Formen auf, ließ sie jedoch nicht zu reinen Farbflächen werden.
Das Gemälde Composition 188 erinnert einerseits an das Collageprinzip der Dadaisten, zeigt andererseits aber auch das Interesse an der Verbindung zwischen bildender Kunst und Architektur. Das Bild setzt sich aus geometrischen Formen zusammen, die sich zur Mitte hin zunehmend durch Überlagerung verdichten. Speichenrad, Ritzel, Scheibe und Walze evozieren einen mechanisierten Bewegungsprozess, der - einmal in Gang gesetzt - aus eigenem Antrieb heraus gleichbleibend fortläuft.

Darstellung und Titel nehmen Bezug auf automatische Produktion und serielle Normierung, die im Bild allerdings einen produktionsungebundenen Bewegungsmechanismus und rein fiktiven Normenwert darstellen. Ähnlich wie Willi Baumeister interessierte sich Kelpe nicht für die Abbildung einer Maschine oder einer technischen Konstruktion, sondern vielmehr für die Darstellung eines maschinellen bzw. technischen Prinzips, dessen Funktionalität und Form den ästhetischen Gehalt der Darstellung widerspiegelt. BS

Ausst. Kat. Pittsburgh 1983; Ausst. Kat. New York/Atlanta 1986; Ausst. Kat. Nürnberg 1998, Nr. 47.
Bibliographie

 

Hannah Höch (Gotha 1889 - 1978 Berlin)
Gewächse, 1928
Öl auf Leinwand, 100 x 120
Gelsenkirchen, Städtisches Museum Gelsenkirchen, Inv. I b 66/18

Hannah Höchs Œuvre umfasst neben den malerischen und zeichnerischen Arbeiten vor allem Collagen. Ohne sich einem programmatischen Formenkanon zu verschreiben, montierte Höch aus Zeitschriften, Prospekten und Fotografien durch Zusammensetzung räumlich und zeitlich unzusammenhängender Realitätsaspekte irritierend paradoxe Bildwelten, in denen sie verschlüsselt Kritik an den politischen Verhältnissen und den tradierten Geschlechterrollen formulierte. In ihren Ölbildern und Gouachen übernahm sie dieses dadaistische Prinzip der Fotomontage, an dessen Entwicklung sie zusammen mit Raoul Hausmann maßgeblich beteiligt war, als künstlerisches Gestaltungsmittel. Die in ihrem Gemälde Gewächse zu einem Gemenge vegetabiler Formen und Strukturen zusammengesetzten Maschinenteile führen ein wucherndes Eigenleben, das sich selbst überlassen - ohne die Kontrolle von Ingenieuren, Konstrukteuren und Werkmeistern - von der gesamten Bildfläche Besitz ergreift.

Die phantastische Darstellung technisch-biomorpher Metamorphosen erinnert an Henri Rousseaus gemalte Urwaldwelten aus der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts, deren materielle Präsenz den Betrachter in eine ungewohnte, absurde Welt versetzte. Der Aufstand der Dinge, der auf Höchs Bild geprobt wird, erscheint wie ein ironisierender Kommentar auf jene kulturkritische und kulturpessimistische Haltung, die die Mechanisierung für die nachhaltige Schädigung der Kulturentwicklung und den Wirklichkeitsverlust verantwortlich machte. BS

Ausst. Kat. Duisburg 1969, Abb. 160, S. 143; Ausst. Kat. Berlin 1989b, Abb. S. 168; Maurer 1995, Nr. 38.
Bibliographie

 

Carl Grossberg (Elberfeld 1894 - 1940 bei Laon)
Traumbild: Dampfkessel mit Fledermaus, 1928
Öl auf Holz, 55 x 66
Privatbesitz

Im Unterschied zu den meisten Malern der Neuen Sachlichkeit thematisierte Grossberg auch industrielle Interieurs und Maschinen. Der Dampfkessel mit Fledermaus gehört zu der Werkgruppe der so genannten Traumbilder, die zwischen 1923 und 1931 entstanden. Das technische Gerät ist aus seiner ursprünglichen Funktion herausgelöst und skulptural wie ein Kunstwerk inszeniert. Der Dampfkessel erscheint als Ikone der Industrialisierung. Er wird in surrealer Beziehungslosigkeit - ohne technischen Funktionszusammenhang - mit dem Leben in Gestalt von Tieren in einem perspektivisch verfremdeten Raum kombiniert.
Über das Traumbild: Maschinensaal äußerte Grossberg, der ansonsten wenig Auskunft über seine Arbeit gab: "Es ist ein Traumbild wie alle meine Kompositionen, d. h. ich wachte eines Morgens mit der fast fertigen Komposition auf.

Schon immer hatte ich [mich] mit den Fortschritten der Technik beschäftigt, fühlte aber, wie manche wesentlichen Dinge durch diese Entwicklung entglitten." Die menschliche Psyche und die Rationalität der Technik sind für Grossberg nicht immer in Übereinstimmung in ein einheitliches Weltbild zu bringen. Der empfundene Zwiespalt wird künstlerisch in industriellen Bildwelten eingelöst, die Bildfindung bzw. der künstlerische Schöpfungsprozess selbst als unbewusster, nicht rationaler Prozess stilisiert. SB

Güssow 1980 (Zitat S. 59); Fehlemann 1994, S. 71.
Bibliographie

 

Carl Grossberg (Elberfeld 1894 - 1940 bei Laon)
Weiße Röhren, 1933
Öl auf Holz, 70 x 90
Privatsammlung

1933/34 begann Grossberg die Arbeit an seinem so genannten Industrieplan, einem Zyklus von 20-25 Gemälden. Mit diesen Darstellungen wollte er "einen Querschnitt durch die wichtigsten Industrien Deutschlands ... schaffen". Die Weißen Röhren gehören in diesen Zusammenhang. Das verzweigte Röhrensystem, teilweise mit weißem Isoliermaterial umhüllt, wird nüchtern-sachlich verzeichnet und trotz aller Detailtreue nicht in seiner Funktionalität bzw. Nützlichkeit wiedergegeben, sondern als ästhetisches Objekt von Eigenwertigkeit stilisiert.
Die Bilder sollten, wie Grossberg plante, "nach ihrer Fertigstellung in allen größeren Städten Deutschlands gezeigt werden und damit einem größeren Kreis die Erschließung der Formenwelt der Technik für die Malerei zugänglich" machen. Allerdings scheiterte der Plan mangels Unterstützung.

Grossbergs Absicht war keineswegs politisch, sondern ausschließlich künstlerisch, getragen von Technikbegeisterung. So kritisierte er diejenigen, die "ihre grundsätzliche Abneigung gegen jede Technik auch auf meine Malerei übertragen". Sie seien rückwärtsgewandt und bemerkten nicht, dass die Technik auch die Themen der Kunst verändert hätte. Seine Faszination für die technische Formenwelt gründete auf einem Selbstverständnis, das künstlerische Zeitgemäßheit als thematischen wie formalen Zugang verstand. Für ihn stand das Industriethema für die "symbolische Bildwerdung der Welt in der wir leben". SB

Güssow 1980; Fehlemann 1994, S. 71, 75 (Zitate), 126ff.; Ausst. Kat. München 2001, S. 171, 174.
Bibliographie

 

 

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DIE ZWEITE SCHÖPFUNG-
Bilder der industriellen Welt vom
18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Eine Ausstellung des
Deutschen Historischen Museums


31. Juli bis 21 Oktober 2002
im Martin-Gropius-Bau

Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Tel.: 030/ 25486-0
Stadtplan-Link (www.berlin.de)


Öffnungszeiten

täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr

Verkehrsverbindungen
S- und U-Bahn Potsdamer Platz und Anhalter Bahnhof
Bus 200, 248, 348 Haltestelle Potsdamer Platz
Bus 129 Haltestelle Anhalter Bahnhof

Eintritt
6 ,- € incl. Audioführung, ermäßigt: 4,-€