Nach Königin Victorias Bestattung im Jahre 1901 kam er auf diese Idee zurück und unterbreitete dem britischen König folgenden Vorschlag: "Wir sollten eine deutsch-englische Allianz bilden, Du um über die Meere zu wachen, während wir für das Land verantwortlich wären; mit solch einer Allianz würde keine Maus in Europa sich ohne unsere Erlaubnis zu rühren wagen."65 In der Praxis lief der Vorschlag darauf hinaus, daß Großbritannien die deutsche Vorherrschaft auf dem Kontinent akzeptierte, und widersprach somit dem wichtigsten Grundsatz britischer Außenpolitik: der Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts der Kräfte. Wie Bülow 1900 in einem Brief an den Kaiser schrieb: "Wie wahr ist es, daß in Eurer Majestät Regierung die Briten dieselbe Rolle spielen, wie unter dem Großen Kurfürsten die Franzosen und unter dem Großen König die Oesterreicher. Die Behandlung der Engländer ist unendlich mühsam, unendlich schwierig, erfordert unendlich viel Geduld und Geschicklichkeit. Aber wie der Hohenzollern-Aar den zweiköpfigen oesterreichischen Adler aus dem Felde geschlagen und dem gallischen Hahn die Flügel gestutzt hat, so soll er mit Gottes Hülfe und durch Eurer Majestät Kraft und Weisheit auch noch mit dem englischen Leoparden fertig werden."66Sobald man verstanden hat, daß es dem Kaiser zuerst und zuvorderst um die Herstellung einer deutschen Hegemonie in Europa ging, hält man auch den Schlüssel zum Verständnis vieler, scheinbar widersprüchlicher Elemente seiner Englandpolitik in der Hand: Die Tirpitz-Flotte fungierte als eine Art "machtpolitischer Hebel", mit dem Großbritannien aus seiner Rolle als Garant eines kontinentalen Kräftegleichgewichts hinausgedrängt werden sollte; bis zur Fertigstellung der Schlachtflotte mußten die Königsfamilie, die Regierung und die öffentliche Meinung in Großbritannien in dem falschen Glauben gewiegt werden, daß keinerlei Machtprobe beabsichtigt sei; Deutschlands koloniale Forderungen - in Afrika, Südamerika, dem Nahen Osten und Asien - sollten bis zum Erreichen der kontinentalen Hegemonie zurückgestellt werden, zu welchem Zeitpunkt Großbritannien ihnen nichts mehr entgegenzusetzen hätte. Es war niemand anderer als der künftige Kanzler von Bethmann Hollweg, der die langfristigen Ziele der scheinbar schwankenden Politik des Kaisers offenbarte, als er 1903 feststellte: "Seine [Wilhelms] erste und Grundidee sei, Englands Weltstellung zugunsten von Deutschland zu brechen; dafür bedarf er einer Flotte, um diese zu haben, vielen Geldes, und da nur ein reiches Land dies geben kann, soll Deutschland reich werden."67
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