Man kann sich der Folgerung kaum erwehren, daß die Empörung des Kaisers über Großbritanniens unzweideutiges Festhalten an einem Gleichgewicht der Kräfte in Europa die Welt dem Krieg einen merklichen Schritt näher brachte. Am 8. Dezember 1912 zitierte er seinen Generalstabschef und die drei obersten Admiräle herbei und informierte sie, daß England sich in einem Krieg der Mittelmächte gegen Frankreich und Rußland auf die Seite seiner Bündnispartner stellen werde. Er begrüßte diese Neuigkeit als eine "erwünschte Klärung der Situation" und meinte weiter, daß Österreich sich nun energisch der Serben annehmen solle. Falls Rußland die Serben unterstütze, "was es offenbar thue, ... wäre der Krieg auch für uns unvermeidlich". Aber Deutschland wäre dann frei, "den Krieg mit ganzer Wucht gegen Frankreich zu führen". Die Flotte solle sich auf einen Krieg gegen England vorbereiten, was einen "Unterseebootskrieg gegen englische Truppentransporte in der Schelde bzw. bei Dünkirchen" und "Minenkrieg in der Themse" einschloß. Doch Tirpitz plädierte für ein "Hinausschieben des großen Kampfes um 1½ Jahre" - bis zum Abschluß der Ausbauarbeiten am Kaiser-Wilhelm-Kanal, dem heutigen Nord-Ostsee-Kanal, im Sommer 1914!89

Eineinhalb Jahre später, am Ende der Julikrise, die die Welt in den Krieg stürzte, wurde unmißverständlich deutlich, daß Großbritannien tatsächlich nicht neutral bleiben würde, und die emotionale Verwirrung des Kaisers nahm immer pathologischere Formen an. In den wahnhaften Randnotizen, die er auf diplomatische Dokumente kritzelte, deklamierte er: "England, Russland u. Frankreich haben sich verabredet ... den Oesterreichisch-Ser. Konflikt zum Vorwand nehmend gegen uns den Vernichtungskrieg zu führen. ... Das ist in nuce die wahre nackte Situation, die langsam und sicher durch Edward VII. eingefädelt, fortgeführt, durch abgeleugnete Besprechungen Englands mit Paris und Petersburg, systematisch ausgebaut; schliesslich durch Georg V. zum Abschluss gebracht und ins Werk gesetzt wird. ... Das Netz ist uns plötzlich über den Kopf zugezogen und hohnlächelnd hat England den glänzendsten Erfolg seiner beharrlich durchgeführten puren antideutschen Weltpolitik, gegen die wir uns machtlos erwiesen haben. ... Eine grossartige Leistung, die Bewunderung erweckt, selbst bei dem, der durch sie zu Grunde geht! Edward VII. ist nach seinem Tode noch stärker als ich, der ich lebe!" Einmal mehr wetterte der Kaiser gegen "dieses verhasste, verlogene, gewissenlose Krämervolk" mit seiner "pharisäischen Friedensheuchelei" eines Kräftegleichgewichts in Europa, das nichts anderes bedeute als die "Ausspielung aller Europ. Staaten zu Englands Gunsten gegen uns!" Und er bekräftigte, "wenn wir uns verbluten sollen, dann soll England wenigstens Indien verlieren".90