Des Kaisers Glaube, die Großmutter habe ihn besonders gern, war jedoch nichts als ein frommer Wunsch. In Wahrheit war die seit jeher unbeständige und emotionsgeladene persönliche Beziehung zwischen ihr und ihrem deutschen Enkel schon Jahre vor ihrem Tod einer wachsenden Belastung ausgesetzt, weil sich, nicht zuletzt auf Grund von Wilhelms antibritischen Zielen, die politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern verschlechterten. Als er 1896 von Jamesons Einfall in die Burenrepublik erfuhr, verlangte Wilhelm, daß man deutsche Truppen zur Verteidigung entsende, und als der Kanzler einwandte, dies bedeute Krieg mit England, erwiderte der Kaiser: "Ja, aber nur zu Land."30 Das nachfolgende Glückwunschtelegramm an den siegreichen Präsidenten der Südafrikanischen Republik, Krüger, trug mehr zur Anheizung antideutscher Haßgefühle in der englischen Bevölkerung bei als jedes andere Ereignis vor 1914.31 Dem Kaiser brachte es eine Rüge der Königin ein, in der sie ihren "Schmerz" und ihre "Verwunderung" ob seines Verhaltens zum Ausdruck brachte - "Ich habe ihm, was sein entsetzliches Telegramm anbelangt, meine Meinung gesagt", notierte sie in ihr Tagebuch.32 Wilhelm erwiderte pharisäerhaft, sein Zorn habe sich nicht gegen England gerichtet, sondern gegen den "Mob von Goldgräbern", der gegen die Königin rebellierte. "Rebellen gegen den Willen Ihrer Gnädigsten Majestät der Königin sind für mich die abscheulichsten Kreaturen in der Welt & die Vorstellung, daß Ihre Befehle mißachtet wurden, hat mich so erregt ..., daß ich es für notwendig hielt, dies öffentlich kundzutun! ... Ich setzte mich für ... den Gehorsam gegen einen Souverän ein, den ich verehre & bewundere & dem zu gehorchen ich für die oberste Pflicht seiner Untertanen halte. ... Es ist einfach Unsinn, daß zwei große Nationen, die durch Verwandtschaftsbande & Religion eng verbunden sind, einander scheel ansehen ..., mit dem restlichen Europa als Zuschauer; was hätten der Herzog von Wellington und Blücher gesagt, wenn sie das gesehen hätten?"33

Wenn die Briten in solchen Beteuerungen kaum mehr sahen als den heimtückischen Versuch, sie in Sicherheit zu wiegen, so lag dies an dem Flottenaufrüstungsprogramm, das sich seit Anfang 1895 zu einer der Hauptobsessionen des Kaisers entwickelte.34 Im Oktober 1896 informierte Wilhelms Mutter die Königin voller Sorge über seine Pläne, durch den Bau einer "Kriegsflotte, welche die Engländer besiegen wird", die britische Hegemonialstellung an sich zu reißen. "Wilhelm bewundert England sehr und mag Dich sehr gern - & genießt es außerordentlich, in England zu sein", schrieb sie, "aber er ist nicht beständig & besonnen und weitsichtig genug zu sehen, daß es einfach unsinnig ist, jeden Nerv Deutschlands anzuspannen, um England zu übertreffen - & ihm seine Vorherrschaft in der Welt zu entringen!"35 Die einzige Hoffnung, kommendes Unglück abzuwenden, lag für sie in einem deutsch-englischen Bündnis.