Als Zwischenergebnis können wir schon jetzt sagen: Das Kronprinzenpaar sieht sich als ein gelungenes Gemisch aus deutschen, genauer gesagt preußischen und englischen Elementen. Dem vorgegebenen preußischen, hier und da ein wenig provinziell wirkenden Kunstwollen wird die als veredelnd angesehene Fortschrittlichkeit des englischen Nationalcharakters hinzugetan. Der Spruch "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen" wäre zu jener Zeit sicherlich in "Am englischen Wesen soll die Welt genesen" abzuwandeln und so auch von allen Kreisen anerkannt worden, in vorderer Linie von der Kronprinzessin und Kaiserin Victoria.

Die Hoffnung der liberalen und kunstinteressierten Kreise im Deutschen Reich ruhen auf einem unprätentiösen, für Kunst und Kultur aufgeschlossenen Kronprinzenpaar, dessen Kaisertum - nach den Indizien zu urteilen - zu einer "goldenen" Zeit werden wird. Die lange, zermürbende Wartezeit auf der einen Seite, dann der Tod des Kaisers nach nur 99 Tagen Regierung machen die schönen Vorstellungen zunichte. Für die Kaiserin ist die Tatsache, daß ihr bislang so gesunder und starker Mann sterbenskrank ist, niederschmetternd und kaum zu ertragen. Dem Tod des Kaisers folgt Schlag auf Schlag ihre Ausschaltung aus allen repräsentativen Funktionen durch ihren Sohn Wilhelm. Noch im Todesjahr muß sie unter skandalösen Umständen das kurz vorher noch zum Schloß Friedrichskron umbenannte Neue Palais verlassen. Das Kronprinzenpalais, schon immer die Winterresidenz des Kronprinzenpaares, wird ihr und ihren Töchtern als Stadtresidenz zur Verfügung gestellt. Zudem darf sie die Bad Homburger und Wiesbadener Schlösser nutzen und, nach ausdrücklicher Erlaubnis, auch das Schloß Charlottenhof. Diese als für eine Kaiserinwitwe unangemessen angesehene Wohnsituation läßt Victoria nach einer Möglichkeit suchen, in einiger Entfernung von der Kaiserresidenz ein Schloß mit Sommerresidenzcharakter zu erwerben oder auch neu zu bauen; Neubaupläne hatte sie schon mit ihrem Mann in früheren Jahren entwickelt. Allerdings sind nach dem Tode des Kaisers die finanziellen Verhältnisse alles andere als gut. Doch dann wendet sich die Lage sehr rasch zum Guten: Victoria beerbt eine langjährige Freundin aus Paris, die Herzogin von Galliera, und hat plötzlich eine zum Neubau eines Schlosses ausreichende Summe zur Verfügung. Sofort setzt die Suche nach einem Grundstück in passender Lage ein. Ihr Hofmarschall, Freiherr von Reischach, wird auf die Suche geschickt und kann bereits im September 1888 die Villa des Bankiers Reiß in Kronberg am Taunus kaufen, die sie umgehend abreißen läßt, um dort nach ihren eigenen Vorstellungen ein neues Schloß zu errichten. Ihr kunstsachverständiger Berater ist der Oberhofmarschall des verstorbenen Kaisers, Graf Seckendorff. Gedacht ist eher an ein großgeführtes Landschloß in der Art eines englischen "country house" mit einem Turm, wie sie es vom elterlichen Balmoral oder Osborne kennt.