Auch auf eine andere Weise wirkte Alice in ihrer Wohltätigkeit auf ihren Sohn ein. Ihr Kunstempfinden und Zeichentalent imponierten ihm. Alice habe aber auch um die materiellen Sorgen junger Künstler gewußt und ihnen geholfen; genauso wie der Großherzog ihnen später helfen sollte. Die weit über Darmstadt hinaus bekannte Künstlerkolonie Mathildenhöhe wird noch lange daran erinnern. Er habe zwar weniger das Talent seiner Mutter geerbt, behauptete Ernst Ludwig von sich, dafür aber ihr Kunstempfinden, insbesondere die Freude an den Schönheiten der Natur.28 Die Sommer im Jagdschloß Kranichstein hatten ihre besonderen Reize für die Kinderschar. Hier gab es während ihrer Streifzüge und Ausritte durch das angrenzende Waldrevier bei jedem Wetter viel Neues zu entdecken.29 Unterstützung aus EnglandAuch ihrer zweiten Tochter stand Queen Victoria mit Rat und Tat zur Seite. Fast jedes Jahr ging Alice mit ihren Kindern nach England, wobei sie die Zeit dort sehr genossen haben, und Queen Victoria kam so oft wie möglich nach Darmstadt.30 Selbst über Alices frühen Tod hinaus - Ernst Ludwig war gerade zehn Jahre alt - sollte diese intensive Verbindung bestehen bleiben. In ihrem Testament vom Juli 1877 hatte sie verfügt, daß ihre Kinder mindestens alle zwei Jahre nach England reisen sollten, um das enge Verhältnis zu ihren Verwandten und die Liebe für ihr Vaterland zu bewahren.31 Alices Wunsch sollte sich erfüllen, denn Ernst Ludwig bekannte später einmal, seine englischen Verwandten seien ihm die nächsten. Daß dieses Vertrauen erwidert wurde, zeigt allein die Tatsache, daß ihm von seinem Cousin Georg V. bereits zwei Tage nach dem Waffenstillstand am 11. November 1918 die Wiederaufnahme ihrer Beziehungen angetragen wurde, mit der Begründung, daß man ihm nichts nachtrage.32 Bei den zahlreichen Aufenthalten des Prinzen in England ging es darüber hinaus auch um Bildungsreisen. Ernst Ludwig konnte sich in London, Windsor Castle, Osborne und Balmoral mit den Prinzipien der konstitutionellen Monarchie vertraut machen. Einige Resultate dieser politischen Gespräche mit seinen englischen Verwandten flossen in sein politisches Manifest Grundideen eines konstitutionellen Fürsten ein, das der Großherzog zwischen 1907 und 1919 verfaßte.33 Nach Alices Tod im Dezember 1878 versuchte Queen Victoria von England aus, einen Teil der Mutterpflichten zu übernehmen. Die englische Königin fühlte sich in ihrem tiefen Schmerz über den Verlust ihrer Tochter so sehr mit ihren Darmstädter Enkeln verbunden, daß sie ihre Briefe sogar manchmal mit "Ever your devoted Mama" unterschrieb.34 Queen Victoria bot sich Ernie nicht nur wiederholt als Vertrauensperson an, sondern ließ sich auch von seinem Erzieher monatlich über die Fortschritte unterrichten: "Ich kann das Gefühl noch genau beschreiben, wenn Herr Muther mir sagte: 'Übermorgen schreibe ich an die Königin.' Was habe ich dann versucht recht gut zu sein."
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