Zensur in Deutschland

Seit einigen Wochen diskutieren Presse und Öffentlichkeit über eine möglicherweise neue Form der Zensur in Deutschland. Auslöser ist das umstrittene „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“, das zum Jahreswechsel vollständig in Kraft trat. Das Gesetz enthält keine neuen Tatbestände, sondern soll eine effektivere Ahndung bereits zuvor strafbarer Äußerungen wie etwa Beleidigung und Volksverhetzung nun auch im Internet ermöglichen. Leider führte es dazu, dass die Betreiber einiger sozialer Netzwerke bereits am zweiten Geltungstag des Gesetzes viele völlig legale Meinungsäußerungen löschten. Während die Gelehrten debattieren, ob es sich dabei um eine staatliche Zensur oder eine unverhältnismäßige Selbstzensur der betroffenen Plattformen handele, blickt der Historiker und Medienwissenschaftler Benjamin Mortzfeld zurück auf die unstreitige historische Zensur.

Fake-News und schlüpfrige Bilder

In Deutschland herrschte zu den meisten Zeiten eine strenge Überwachung der Presse. Bereits im Jahr 1548 verpflichtete der Augsburger Reichstag die Obrigkeit im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation „nichts drucken zu lassen, was der katholischen Lehre widerwärtig sei oder Unruhe Anlass geben könnte. Solche Bücher, Schriften, Gemälde, Abgüsse und Geschnitztes oder Gemachtes sollen weggenommen und so viel möglich, unterdrückt werden.“[1] Zweihundertdreißig Jahre später hatte sich daran wenig geändert.

Zensuredikt für das Königreich Preußen, 19. Dezember 1788 © DHM

Zensuredikt für das Königreich Preußen, 19. Dezember 1788 © DHM

Im „Erneuerte[n] Zensur-Edict für die Preußischen Staaten exclusive Schlesien“ von 1788 begründete König Friedrich Wilhelm II. die neuen Maßnahmen damit, „was für schädliche Folgen eine gänzliche Ungebundenheit der Presse hervorbringe, und wie häufig dieselbe von unbesonnenen oder gar boshaften Schriftstellern, zur Verbreitung praktischer Irrthümer über die wichtigen Angelegenheiten der Menschen, zum Verderbniß der Sitten durch schlüpfrige Bilder und lockende Darstellungen des Lasters, zum hämischen Spott und boshaften Tadel öffentlicher Anstalten und Verfügungen“ genutzt werde. Der König benannte Probleme, die bis heute als Argumente für staatliche Eingriffe dienen: Die Medien seien voll von Falschnachrichten („Fake-News“), Pornografie und Regierungskritik und gefährdeten damit die gesellschaftliche Stabilität. Daher wachten die staatlichen Zensoren in Preußen über alle Veröffentlichungen und jedes Druckerzeugnis, egal ob Bild oder Text, musste vor der Publikation bei der „Vorzensur“ eingereicht und genehmigt werden. Während es für wissenschaftliche Werke Freiräume gab, waren kritische Äußerungen politischer und religiöser Art nicht erwünscht. Die politische Karikatur und Satire hatte daher in Deutschland über weite Zeiträume kaum eine Möglichkeit, sich zu entwickeln.

Die kurze Bilderfreiheit

Erst nach der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. im Jahr 1840 deuteten sich neue Handlungsspielräume an. Der Monarch verordnete am 28. Mai 1842 eine Bilder- und Karikaturenfreiheit: Die Vorzensur war abgeschafft und die Zeichner nutzten die Gunst der Stunde. Innerhalb weniger Monate erschienen um die achtzig politische Karikaturen, von denen einige die Zensur selbst thematisierten.

Der Eintritt der Censur in Deutschland, Johann Richard Seel, Julius Springer (Verleger), Berlin 1842 © DHM

Der Eintritt der Censur in Deutschland, Johann Richard Seel, Julius Springer (Verleger), Berlin 1842 © DHM

Während das Spottblatt „Der Eintritt der Zensur in Deutschland“ von Johann Richard Seel auf die repressiven Zensurmaßnahmen der „Karlsbader Beschlüsse“ von 1819 zurückblickte, feierte das Blatt „Der letzte Censor“ aus dem Berliner Verlag von Wilhelm Hermes den Sieg der bürgerlichen Druckerpresse über den Zensor.

"Der letzte Censor", Wilhelm Hermes (Verleger), Berlin 1842 © DHM

„Der letzte Censor“, Wilhelm Hermes (Verleger), Berlin 1842 © DHM

Bereits im Februar 1843 endete die kurze Pressefreiheit jedoch. Der König verfügte neue Zensurbestimmungen und ließ viele der frechen Karikaturen durch nachträgliche Zensur beschlagnahmen. Die abgebildeten Exemplare sind der Vernichtung entgangen und Teil der aktuellen Sonderausstellung „Gier nach neuen Bildern – Flugblatt, Bilderbogen, Comicstrip“ zur Frühgeschichte der Bildpresse, die viele weitere Beispiele aus den Bereichen der scharfen politischen Satire und Propaganda, der sensationellen Neuigkeiten und der Bildung und humorvollen Unterhaltung präsentiert.

Zensur damals, Zensur heute?

Mit dieser kurzen Episode der „Bilderfreiheit“ war ein Anfang gemacht, aber es dauerte noch lange, ehe sich die aufklärerischen Ideen der Presse- und Meinungsfreiheit in den deutschen Staaten endgültig durchsetzten. Vorreiter waren zunächst England, Frankreich und die neu gegründeten Vereinigten Staaten von Amerika. In Deutschland hat die Pressefreiheit erst mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik vom 24. Mai 1949 Verfassungsrang erhalten. Nicht vergessen werden sollte allerdings, dass selbst innerhalb des Grundgesetzes die „Nachzensur“ weiterhin möglich ist. Verstößt eine Veröffentlichung gegen geltende Gesetze, dann kann das Werk verboten und der Autor oder der Verleger gegebenenfalls juristisch belangt werden. Betroffen sind hauptsächlich verfassungsfeindliche, ehrverletzende sowie jugendgefährdende Inhalte. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verlagert jedoch die Entscheidung über die Strafbarkeit einer Äußerung im sozialen Netzwerk von einer staatlichen Stelle hin zu einem Mitarbeiter des Betreibers und unterwirft sie dessen wirtschaftlichen Interessen. Das ist aus meiner Sicht höchst problematisch und das Gesetz sollte zurückgenommen oder zumindest gründlich überarbeitet werden.

Verweis

[1] Zit. nach Kunze, Horst: Gefährlicher Bilderdruck. Zur Bilderzensur, besonders im 16. und 17. Jahrhundert. In: Jahrbuch der deutschen Bücherei, Jg. 19, Festgabe für Helmut Rötzsch zum 60. Geburtstag, Leipzig 1983, S. 78f.

Benjamin Mortzfeld

Benjamin Mortzfeld, geb. 1984, freier Autor, Historiker und Medienwissenschaftler, zuletzt Kurator der Ausstellung „Gier nach neuen Bildern – Flugblatt, Bilderbogen, Comictrip“ für das Deutsche Historische Museum.