Wilhelm Marr 1819-1904

Schriftsteller, Publizist

  • 1819
    16. November: Friedrich Wilhelm Adolph Marr wird als einziger Sohn des Regisseurs und Schauspielers Heinrich Marr und dessen Frau Henriette Catharina (geb. Becherer) in Magdeburg geboren.
  • ab 1825
    Er besucht die Grundschule in Hannover und anschließend die Realschule in Braunschweig, bevor er in Hamburg und Bremen eine Kaufmannslehre absolviert.
  • 1839
    Nach Beendigung der Lehre zieht Marr zu seinem Vater, der am Burgtheater in Wien beschäftigt ist.
    Er ist als Handlungsgehilfe (Commis) nacheinander bei zwei jüdischen Firmen beschäftigt.
    Bereits in Wien gehört Marr einer republikanisch gesinnten politischen Gruppe an.
  • 1841
    Marr übersiedelt nach Zürich und ist wieder als Commis tätig. In dieser Zeit des "Vormärz" macht er die Bekanntschaft einiger deutscher republikanischer Oppositioneller, die dort im Exil leben. Zu ihnen gehören Julius Fröbel (1805-1893), der einer der späteren Gründer der Demokratischen Partei ist und 1848 Abgeordneter im Frankfurter Parlament wird, und der politische Dichter Georg Herwegh (1817-1875).
    Marr ist politisch aktiv und tritt für eine sozialistische Politik ein.
  • 1843
    Erscheinen des Gedichtbands "Freie Trabanten" und der liberaldemokratischen Kampfschrift "Gegenwart und Zukunft", in der er gesellschaftliche Missstände anprangert. Zahlreiche weitere Werke folgen in den nächsten Jahrzehnten.
    Mit Wilhelm Weitling (1808-1871) lernt Marr den ersten deutschen Theoretiker des Kommunismus kennen und wird selbst Kommunist. Nach einer sechswöchigen Agitationsreise durch die Schweiz wird er wegen seiner politischen Tätigkeit aus Zürich ausgewiesen.
    Übersiedlung nach Lausanne, wo er Kontakte zu den "Jungdeutschen" knüpft. Das Junge Deutschland ist eine literarische Oppositionsbewegung, die sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts für Demokratie, Verfassungsstaatlichkeit und Emanzipation einsetzt. Marr tritt in den jungdeutschen "Léman-Geheimbund" ein. Er instrumentalisiert den Bund für sein persönliches Geltungsbedürfnis.
  • 1844/45
    Nach seiner Hinwendung zum Anarchismus gründet Marr den geheimen "Schweizerischen Arbeiterbund" und gibt dessen Organ, die "Blätter der Gegenwart für soziales Leben", heraus.
  • 1845
    Er unternimmt eine mehrmonatige Deutschlandreise.
    Wieder in Lausanne, gründet Marr den "Verlag der deutschen Buchhandlung", der jedoch nur ein einziges Buch herausgibt, den "Katechismus eines Republikaners der Zukunft".
    Juli: Ausweisung aus Lausanne.
    In den folgenden Monaten versucht Marr, sich in zahlreichen deutschen Städten niederzulassen, wird jedoch aus allen ausgewiesen. Von seinem politischen Engagement wissen sie durch die 1819 eingerichtete Mainzer Central-Untersuchungs-Commission.
  • 1846
    Seine Propagandaschrift "Das junge Deutschland in der Schweiz" erscheint. Sie wird zu einem seiner erfolgreichsten Bücher und zeigt bereits seine antiliberale Grundeinstellung.
    Marr kann sich in Hamburg niederlassen und betätigt sich dort als politischer Journalist.
  • 1847
    Januar: Start des von ihm gegründeten und herausgegebenen Satireblatts "Mephistopheles", das sowohl Liberale als auch Konservative kritisiert. Es ist in Hamburg beliebt und wirtschaftlich erfolgreich.
    Mai: Nach Intervention der preußischen Zensur wird "Mephistopheles" verboten. Zum wiederholten Male wird Marr für kurze Zeit inhaftiert.
  • 1848
    2. April: Im Zuge der "Märzrevolution" wird die Zensur aufgehoben, "Mephistopheles" erscheint wieder.
    Herbst: Marr ist einer der drei Vorsitzenden der in Hamburg gebildeten Provisorischen Demokratischen Regierung.
    Oktober: Als extrem linkes Mitglied der radikal-demokratischen Partei wird Marr in die Hamburger Konstituante gewählt. In einer Revolution sieht er den einzigen Weg zur Schaffung eines republikanischen Staats. Da sich seine Hoffnungen auf eine demokratische Republik nicht erfüllen, plädiert er zunächst für einen Hamburger Partikularismus und wird dann zu einem Verfechter einer preußischen Hegemonie in einem geeinten deutschen Staat.
    Er polemisiert gegen Liberale und das Paulskirchenparlament als zu gemäßigt. Erstmals attackiert er auch die Judenemanzipation. Als einziges Motiv für seine Judenfeindlichkeit nennt er seine Abneigung gegen den Liberalismus. Er erhebt zudem den Vorwurf, die Juden hätten die Revolution von 1848 nur für ihre eigenen Zwecke missbraucht.
  • 1852
    Politisch enttäuscht, übersiedelt Marr nach Costa Rica und ist dort ohne Erfolg als Kaufmann tätig.
    Damit endet auch die Herausgabe des "Mephistopheles".
  • 1854
    Marr heiratet Georgine Johanna Bertha Callenbach, deren Vater sich vom Judentum abgewandt hat.
  • 1859
    Rückkehr nach Hamburg, wo er als Journalist arbeitet.
  • 1861
    Als Radikaldemokrat wird Marr in die Hamburger Bürgerschaft gewählt. Ferner ist er Vorsitzender des "Demokratischen Vereins".
  • 1862
    13. Juni: Ein judenfeindlicher Artikel Marrs in einer Bremer Zeitung, in dem er indirekt auch den liberalen Juden Gabriel Riesser (1806-1863), den amtierenden Präsidenten der Hamburger Bürgerschaft und Vorkämpfer einer rechtlichen Emanzipation der Juden, attackiert, löst im liberalen Hamburg eine Kontroverse aus.
    Marr verliert sein Bürgerschaftsmandat und den Vorsitz des "Demokratischen Vereins".
    22. Juni: Seine antisemitische Schrift "Der Judenspiegel" erscheint.
  • ab 1862
    Marr ist nun ausschließlich Journalist und Publizist. In den nächsten Jahren arbeitet er bei verschiedenen Zeitungen u. a. in Hamburg, Berlin, Weimar und Leipzig. Anfangs gibt er selbst Zeitungen heraus, die alle wirtschaftliche Misserfolge sind.
  • 1863
    Sein Buch "Reise nach Central-Amerika" erscheint und offenbart seinen Rassismus.
  • nach 1867
    Er gibt keine Zeitungen mehr selbst heraus. Seine Artikel erscheinen in der antijüdischen Presse.
  • 1873
    Die Scheidung von seiner ersten Frau bringt ihn in finanzielle Schwierigkeiten.
  • 1874
    Hochzeit mit der Jüdin Helene Sophia Emma Maria Behrend. Die harmonische Beziehung endet durch den Tod der Frau im selben Jahr.
  • 1875
    Marr heiratet die Schriftstellerin Jenny Therese Kornick, geschiedene Zschimmer, die einen jüdischen Elternteil hat. Aus der von Anfang an unglücklichen Ehe geht ein Sohn hervor.
  • 1877
    Die Ehe wird geschieden.
  • 1879
    Seine Schrift "Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum. Vom nicht-confessionellen Standpunkt aus betrachtet" erscheint. Mit diesem Buch hat Marr nach langer Zeit noch einmal kurzzeitig Erfolg; noch im selben Jahr hat es zwölf Auflagen. In dieser Schrift kommt nicht nur Marrs rassistisch motivierter Antisemitismus voll zum Ausdruck, sondern auch sein Kulturpessimismus: Die letzten Worte lauten "Finis Germaniae!" (Das Ende Germaniens).
    Er gründet die "Antisemitenliga", mit der Marr den Begriff "Antisemitismus" in das politische Vokabular einführt.
    Er plädiert für eine Ausweisung aller Juden nach Palästina.
    Marr heiratet Clara Maria Kelch, die aus einer Hamburger Arbeiterfamilie stammt.
  • 1879/80
    Für kurze Zeit wird er als Herausgeber des Organs der Antisemitenliga "Die neue deutsche Wacht" zu einem der Wortführer des Antisemitismus. Trotz seines publizistischen Erfolgs gelingt ihm keine erneute politische Karriere.
  • 1890
    Beruflich und politisch endgültig gescheitert und davon persönlich sehr getroffen, zieht der jetzt 71-jährige sich ins Privatleben zurück. Auch sein schlechter Gesundheitszustand trägt zu dieser Entscheidung bei.
    Vermutlich weitgehend aufgrund persönlicher Neidgefühle beginnt ein Streit zwischen Marr und Theodor Fritsch, seinem ehemaligen Schüler und einem der antisemitischen Wortführer. Neben Fritsch wirft Marr auch anderen erfolgreicheren Agitatoren "Geschäftsantisemitismus" und die Instrumentalisierung der Idee des Antisemitismus für finanzielle Zwecke vor.
  • 1893
    Endgültiger Bruch mit den Antisemiten um Fritsch.
  • 1904
    17. Juli: Wilhelm Marr stirbt in Hamburg.
Claudia Prinz
14. September 2014

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