> Alfred Försterling: Luftangriff auf Stettin am 17. August 1944

Alfred Försterling: Luftangriff auf Stettin am 17. August 1944

Dieser Eintrag stammt von Alfred Försterling (*1925) aus Hamburg, November 2007:

 

Anfang August 1944 legen wir wieder wohlbehalten im vertrauten Stettin an. Bald erhalten wir neue Ladung für Kotka am Finnischen Meerbusen. Wieder sind es verschiedene Chemikalien und andere für die Industrie bestimmte Güter. Harmlos also. Wir alle an Bord sind guten Mutes. Vielleicht schon am nächsten Tag soll es losgehen, als am späten Abend Fliegeralarm kommt. Es ist der 17. August 1944. "Starke feindliche Verbände sind über Norddeutschland im Anflug" so heisst es in den Rundfunkmeldungen. Welches Ziel haben sie? Berlin? Hannover?. Da heulen auch schon die Sirenen. Vorerst bleibt es ruhig. Aber bald setzt ein fürchterliches Abwehrfeuer von 8,8 Flakkanonen ein. Die ersten Bombenexplosionen sind zu hören. Was tun? Ich war während eines Fliegerangriffs noch nie in einem Bunker. Vielleicht 50m weiter steht zwischen den Lagerschuppen direkt am Kai einer der mächtigen Hochbunker mit mehreren Etagen. Nur zögernd nehme ich meine Aktentasche mit dem Allernotwendigsten, was man so braucht. Es kann ja nicht schaden, dort hinzugehen. Als jetzt die Einschläge näher kommen, laufe ich doch etwas schneller.

Im Bunker herrscht eine gespenstische Atmosphäre. Dick gepanzerte Eingangstüren und Schotten. Schmale Treppen und Gänge mit Bänken an beiden Seiten führen zu den Stockwerken mit geräumigen Aufenthaltsräumen. Eine grosse Menschenmenge drängt sich bereits im Bunker, als ich so ziemlich als letzter eintreffe. Die Schotten werden geschlossen. Dumpf dröhnt es von Bombeneinschlägen. Manchmal hört man es an der Bunkerwand hässlich entlang ratschen, ehe eine Detonation den Koloss leicht erzittern lässt. Das Licht flackert zuweilen verdächtig. So geht es fast 2 Stunden. Plötzlich totenstille. Der Angriff ist vorbei.

Schnell dränge ich gegen den Widerstand des Bunkerobmanns nach draussen. Ich muss nach meinem Schiff sehen. Es wütet ein höllischer Feuersturm. Unerträgliche Hitze entwickelt sich. Soweit ich blicken kann steht alles in Flammen. Die Lagerhäuser ringsum, die Kräne und was sonst noch alles brennbar ist. Nur mit Mühe erreiche ich unser Schiff und komme sogar noch an Bord, obwohl es auch in der Ladeluke heftig brennt. Mir bleibt buchstäblich die Spucke weg. Die Seitenwände meiner Kammer sind eingedrückt, ein Rettungsboot liegt zertrümmert in meiner Koje. Alles ist zerfetzt, an die Bergung meiner persönlichen Sachen ist nicht mehr zu denken. Über mir brennt einer der Kräne. Funken stieben, Feuer regnet es von oben herab. Ich muss schleunigst das Schiff verlassen. Der Brand in dem Laderaum hat sich durch den Feuersturm weiter ausgebreitet und auf andere Schiffsteile übergegriffen. Die Löschversuche der Mannschaft bleiben ergebnislos und werden eingestellt. Das Schiff ist nicht mehr zu retten.

Ich stehe am Kai mit meiner Aktentasche und den wenigen Habseligkeiten an geschützter Stelle. Langsam graut der Morgen. Der Feuersturm lässt nach. In einiger Entfernung am Rande des Hafens sehe ich einen anderen größeren Dampfer liegen. Der Funker dort nimmt mich teilnahmsvoll auf. Hier bekomme ich auch etwas zu essen und trinken und kann mich frisch machen . Dieser Dampfer hat den Angriff ohne Treffer überstanden. Seltsam!

Grosse Teile von Stettin sind verwüstet. Nach langem Fußmarsch erreiche ich die DEBEG, wo auch starke Beschädigungen entstanden sind. Nun stehe ich nach gut einem Monat hier und muss wiederum den Verlust meines Schiffes melden. Ich solle eine Bescheinigung von örtlichen Dienststellen einholen, dass ich "ausgebombt" sei, damit ich neue Sachen kaufen kann, und dann nach Hause fahren. Weitere Nachricht werde ich erhalten, sobald hier in Stettin wieder Normalität eingekehrt sei.

Die Nachricht lässt nicht lange auf sich warten. Die DEBEG stellt mich frei. Sie hat keine Verwendung mehr für mich. Soll ich darüber froh sein, weil immer mehr Schiffe durch Feindeinwirkung verloren gehen? Der Winter ist nicht mehr weit. Der Gedanke an ein Aussteigen auf See und im eiskalten Wasser zu treiben, ist nicht gerade verlockend. Aber was wird mir jetzt im Herbst 1944 sonst noch bevorstehen?

lo