> Dietrich Schwanke: Als Kindersoldat im Kampf um Berlin 1945

Dietrich Schwanke: Kampf um Berlin 1945

Dieser Beitrag stammt von Dietrich Schwanke (*1928) aus Auggen, September 2013

Schönes warmes Frühlingswetter tauchte die von Fliegerangriffen schon arg gebeutelte Reichshauptstadt in den Apriltagen von 1945 in eine seltsam unwahrscheinliche Atmosphäre. Die Berliner hörten zwar voller Sorge Tag und Nacht den Geschützdonner und nahmen auch das Wetterleuchten der Explosionen von der nahen Oderfront wahr, doch sie hofften auch, dass nun bald der Wahnsinn des Krieges ein Ende habe und sie ohne besondere persönliche Schrecken davonkommen würden. Anders sah jedoch die Wirklichkeit bei den jungen Burschen aus, die noch als Hitlerjungen zum Volkssturmeinsatz befohlen wurden. Sie sahen es in ihrer Verblendung, durch die Indoktrination der Nazis als ihre vaterländische Pflicht an, bis zu dem von Goebbels propagierten Endsieg zu kämpfen. Halbe Kinder und Greise sollten den Zusammenbruch des Regimes abwenden helfen; denn allein mit den immer wieder angekündigten geheimen Wunderwaffen, schien der Endsieg wohl doch nicht erreichbar. Schon bald sollten besonders die Hitlerjungen den Ernst des Krieges spüren und auch erkennen, wozu sie missbraucht wurden, auch wenn "Der Panzerbär", die "Endsieggazette für die Front", ein anderes Bild zeichnete. In knappen Worten soll hier von der erste Feinberührung eines solchen "letzten Aufgebotes" berichtet werden, wie sie bald nach Kriegsende niedergeschrieben wurde: Wir zogen mit der Stullenkiste zur Bahnbrücke an der Kantschule in Karlshorst. Dort besetzten alle Kriegseinsatzführer die Bahnunterführung zusammen mit einigen SS-Männern, Fallschirmjägern und Volkssturmmännern, die neben uns lagen. Im Vorfeld Richtung Friedrichsfelde waren noch einige Posten und die 8,8 cm Flugabwehrgeschütze des Reichsarbeitsdienstes in der Stellung am Sportplatz in der Treskowallee. Hinter uns an der Sperre standen mehrere Sturmgeschütze. Gerade als wir aßen, fuhren die letzten Fahrzeuge aus dem Vorfeld durch die Sperre. Wir schlossen diese dann mit einem Straßenbahnanhänger.

Ich steckte mir zwei bis drei Scheiben Dauerbrot in die Tasche, was mir später noch sehr gut bekam. Meine Bewaffnung bestand jetzt aus dem Gewehr 98 mit ungefähr 100 Schuss, der Panzerfaust, der Pistole 7,65 mit 3 Magazinen und einem Dolch. Ich blieb zur besonderen Verwendung bei unserem Einsatzgruppenführer. In der Nacht standen ab 23 Uhr auf dem Bahndamm immer 3 Mann Posten. Wir waren um 23 Uhr nur noch 1:10 stark; denn die beiden Brüder aus Köpenick waren getürmt und so sprang ich mit als Posten ein. Ich hatte zusammen mit noch 2 Kameraden die Wache am :23. April 1945 von 2 bis 5 Uhr, doch wurden wir aus ungeklärten Gründen erst um 5.30 Uhr abgelöst. Vor der Wache schliefen wir im Keller der Kantschule. Als ich die Wache antrat, war es ziemlich ruhig, nur vereinzeltes Störungsfeuer der Artillerie. Die Sicht war gut, doch war es kalt. Unsere linken Nachbarn wechselten fast stündlich. Erst SS, dann Volkssturm, dann Versprengteneinheiten und dann Fallschirmjäger. Gegen fünf Uhr setzte stärkeres Artilleriefeuer ein und von Friedrichsfelde vereinzeltes Gewehrfeuer sowie Motorgeräusch. Bald darauf schossen die Flugabwehrgeschütze des Reichsarbeitsdienstes mehrere Feuerüberfälle. Kurz vor 5.30 Uhr ging eine Kolonne Polizei und Volkssturm in das Vorfeld in Richtung Friedrichsfelde. Diese sahen wir nicht mehr wieder. Ich schaute, ob mein Vater bei der Kolonne war, fand ihn aber nicht. Um 5.30 Uhr wurden wir endlich nach langem hin und her abgelöst und gingen zur Kantschule. Kaum waren wir im Keller und hatten uns zurückgemeldet, da kam der Melder unseres Postens mit der Meldung, dass mehrere "Stalinpanzer" vor der Sperre stünden. Wir wollten raus aus dem Keller und nach vorn, doch der Volkssturm-Bataillonsführer des Abschnitts wollte uns als Reserve haben. Von der Tür aus sahen wir eines unserer Sturmgeschütze in die Luft fliegen. Starkes Maschinengewehr-, Artillerie- und Gewehrfeuer lag auf der Treskowallee. Die ersten Verwundeten kamen in den Keller, darunter Leutnant B. und einige Jungen; denn inzwischen war die Kampfgruppe eingetroffen.

Endlich kamen wir raus. SS-Oberscharführer F. von der Kampfgruppe und ein Oberfähnrich nahmen je die Hälfte der Gruppe. Ich war bei F. eingeteilt. Wir sprangen über die Treskowallee und gingen hinter der Wartehalle bei einem Grundstück über den Zaun, durchquerten den Garten und erreichten den Gregoriusweg. Dort gingen wir durch den Garten, wo die Figuren vor dem Haus stehen, bis an den Bahndamm vor, die HKL(Hauptkampflinie). Auf der Höhe des Ausländerlagers bezogen wir Stellung. Wir waren ziemlich der rechte Flügel der Kampfgruppe und der Bahndamm war bei uns schon sehr flach. Im Lager hatten sich einige Scharfschützen festgesetzt. F. schoss einige Panzerfäuste in die Baracken und wir nahmen einzelne Schützen unter Feuer. Links neben mir lag ein flämischer SS-Junker und auf dem Weg hinter mir stand ein roter Möbelwagen. Gegen 9 Uhr gruben wir uns ein. Weiter rechts war vereinzelt MG-Feuer und mehrere Gestalten wechselten über den Bahnkörper. Die Scharfschützen belästigten uns dauernd und es gab viele Kopfverwundete. Es wurden für jeden von uns einige Kekse durchgereicht. In den Gärten hinter uns lagen noch einige SS-Männer und Fallschirmjäger.

Nach 10 Uhr setzte stärkeres Artilleriefeuer ein. Dieses kam aus Richtung Biesdorf-Biesdorf Süd. Die Stalinpanzer hatten sich zurückgezogen, doch war die Infanterie des Iwans stärker durch die Laubenkolonie herangerückt. Erst vereinzelt, dann auch stärker schoss die Stalinorgel fast aus unserem Rücken. Dann kamen Tiefflieger ohne zu schießen und warfen um 10.30 Uhr in unserem Abschnitt Rauchzeichen ab als Einbruchsmarkierung. Um 10.45 Uhr wurde durchgegeben, dass der Feind sich zum Angriff bereitstelle. Die Artillerie schoss stärker. Kurz vor 11 Uhr wurde auf Befehl des Abschnittskommandeurs, eines SS-Obersturmbannführers, unsere Kampfgruppe herausgezogen. Die verbleibenden Ausbilder und Soldaten erhielten den Befehl: "Bereithalten zum schnellen Absetzen". Die Treskowallee lag unter MG-Feuer, darum überquerten wir sie im Sprung und sammelten uns an der Kantschule. Von den Kriegseinsatzführern traf ich N. und Fritz Z. sowie einige Jungen aus Köpenick. Die Kampfgruppe sollte die Panzersicherung der Zufahrtsstraße zum Bunker übernehmen. Zu diesem gingen wir teils mit Fahrrad, teils ohne quer durch das Laubengelände. Am Bunker war ein tolles Durcheinander bei dem uns so langsam aufging, was die Stunde geschlagen hatte.

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