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Friedrich Gerlach: Meine Militärzeit beim Reiterzug Carinhall

Dieser Eintrag stammt von Friedrich Gerlach (geb. 3.10.1925 in Hermsdorf, Kreis Heiligenbeil, Ostpreußen) aus Eschweiler, 10.03.2003:

  1. Von der Schule bis Carinhall / Rekrutenausbildung
  2. Reiterausbildung in Carinhall
  3. Aufgaben des Reiterzugs
  4. Erntezeit, Dienstreise nach Ostpreußen, Versetzungen nehmen zu
  5. Die letzten Wochen in Carinhall; Göring verlässt Carinhall
  6. Rückzug von Carinhall
  7. Gefangenschaft

 

1. Von der Schule bis Carinhall / Rekrutenausbildung

Am 19. August 1942 erfolgte meine Musterung zum Militärdienst.

Nach erfolgreichem Abschluss der Mittelschule in Zinten am 25. März 1943, wurde ich am 19. Mai 1943 zum Reichsarbeitsdienst nach Erlenhagen an der Ost- Grenze von Ostpreußen einberufen. Am 28. Juni 1943 wurde unser Lager in die Elchniederung nach Pfeil verlegt (südlich vom Kurischen Haff). Am 13. August 1943 war die Entlassung aus dem Arbeitsdienst.

Nach der Entlassung aus dem Arbeitsdienst kam sofort der Gestellungsbefehl zum Militär. Da ich Förster werden wollte und schon als Forstlehrling gemeldet war, stand im Gestellungsbefehl, ich habe mich bei der Waffen SS, Division Großdeutschland, Division Hermann Göring usw. freiwillig zu melden. Wir hatten guten Kontakt zur Familie des Försters Dirksen, die lange unsere direkten Nachbarn in Hermsdorf waren. Herr Dirksen war dann nach Waldwinkel in die Elchniederung südlich des Kurischen Haffs versetzt worden. Hier habe ich ihn auch einmal vom dortigen Arbeitsdienstlager aus besucht.

Zu Herrn Dirksen kamen hohe Luftwaffen-Offiziere zur Jagd. Hierbei erfuhr Dirksen und damit auch wir, dass Hermann Göring oft zur Jagd ging. Dies veranlasste meinen Vater mir zu raten, mich zur Division H. Göring zu melden, er meinte, wer jetzt noch zur Jagd gehe, bei dessen Truppe kann es nicht so streng sein. Was ich dann auch tat. Obwohl diese Einstellung wohl auch nicht richtig war.
Am 23. August 1943 erfolgte die Einberufung zur Division H. Göring. Ich mußte mich in Braunsberg, Ostpreußen, melden.

Am 27. und 28. August ging es mit der Bahn in Viehwaggons bis nach Utrecht in Holland. Am 29. August war die Einkleidung, und dann ging es weiter nach Alkmar zur Rekrutenausbildung. Die Ausbildungskompanie umfasste rd. 1200 Mann.

Da wir nun alles junge Rekruten waren, bekamen wir natürlich viel Post von zu Hause. Die Postverteilung fand in der Aula einer Schule statt. Von jedem Zug, jeder Zug zählte ca. 40 Mann, wurde ein Mann abgestellt zum Empfang der Post für seinen Zug. Da aber der Postabholer alle Namen der Kameraden seines Zuges nicht kannte, wurde die Post so gut verteilt wie es eben ging. Ich bin einmal mitgegangen und habe gesehen wie dies von statten ging. Ein Mann stand erhöht auf einem Stuhl und rief die Namen der Empfänger auf. Meldete sich niemand gleich, flog der Brief auf den Boden. Nach Beendigung der Vorlesung lagen dann Mengen von Briefen auf dem Boden herum. Päckchen waren aufgerissen und halb bzw. ganz leer. Meine Mutter hatte mir u.a. einen warmen Pullover geschickt, ich habe diesen nie erhalten. Ich glaube ich habe in dieser Zeit nur einen Brief erhalten, obwohl von zu Hause mehr Briefe und auch einige Päckchen geschickt worden waren.

Am 25. September 1943 erfolgte die Aufteilung der ca. 1200 Mann starken Ausbildungskompanie zu anderen Truppeneinheiten. Ich blieb mit ca. 200 Mann in Alkmar als ZBV-Kompanie (Zur Besonderen Verwendung). Am 4. Oktober wurden die ersten 36 Mann des Alphabets dieser Kompanie nach Bergen, nicht weit weg von Alkmar, verlegt. Ich war auch dabei. Diese Kompanie war eine Panzergrenadier-Kompanie. Die Kompanie umfasste insgesamt 6 Züge mit je ca. 36 Mann. Wir Hinzugekommenen bildeten den 6. Zug. Diese Kompanie war nun rd. 210 Mann stark. Die Ausbildung fand hauptsächlich in den Dünen statt.

Am 19. Oktober 1943 wurden morgens beim Abpell 7 Mann zur Musikkapelle gesucht. Da ich Akkordeon spielen konnte, meldete ich mich auch. Ich kam wohl als letzter nach vorne und wurde nicht berücksichtigt.

Am nächsten Samstag, den 24. Oktober, wurden erneut Leute gesucht, und zwar diesmal neun Mann zum Reiterzug nach Carinhall. Ich trat sofort vor. Doch nun trat die halbe Kompanie vor. Der Stabsfeldwebel, ein älterer Herr, der an diesem Tag den Kompaniechef vertrat, meinte daraufhin, er brauche nur neun Leute und nicht die halbe Kompanie. Es sollten dann von diesen Leuten diejenigen hervortreten und sich in einer Linie aufstellen, die aus der Landwirtschaft kamen und schon mit Pferden zu tun gehabt hatten. Ich trat wieder vor und mit mir die Hälfte der schon Vorgetretenen. Ich drängte mich nach vorne und stand in der Linie als neunter. Der Stabsfeldwebel musterte jeden genau von oben bis unten. An den acht, die vor mir standen, war er bereits vorbeigegangen. Dann stand er vor mir, musterte mich ebenfalls von oben bis unten, fasste dann in mein Koppel und zog mich nach vorne. Ich dachte nun, ich war wieder nicht dabei. Doch gefehlt, ich war der erste von den neun Mann, die er auswählte. Noch am gleichen Tag ging es mit dem Zug um 14:43 Uhr ab nach Berlin, während die Zurückgebliebenen wieder in die Dünen zur Übung abmarschierten.

In Berlin angekommen, wurden wir nach Berlin-Reineckendorf weitergeleitet. Wir übernachteten in den Kasernen der hier stationierten Division Hermann Göring. Am nächsten Tag, am Spätnachmittag, kam uns ein LKW abholen. Es war ein regnerischer Tag. Nach einer ca. 50 bis 60 Kilometer langen Fahrt in nördlicher Richtung kamen wir um ca. 20 Uhr im Dunkeln in unserer Unterkunft in Carinhall an. Der LKW setzte rückwärts vor das große Stalltor, die Plane wurde hinten weggemacht und wir sprangen direkt auf die verlängerte Stallgasse des Pferdestalls. Dies war am 26. Oktober 1943.
Pferdestall und Unterkunft war eine Baracke. Sie beinhaltete einen Raum für den Wachmeister, einen für die Unteroffiziere, einen Mannschaftsraum, einen Pferdestall und eine Futterkammer mit Vorratsraum.
Der Reiterzug bestand mit uns neun hinzugekommenen Rekruten aus ca. 20 Reitern, einem Wachmeister, zwei Unteroffizieren, einem Futtermeister, einem Beschlagmeister, einem Schmied und etwa 25 Pferden. Weiter standen im Stall: ein Esel, ein Pony und ein Muli. Außerdem lief noch ein alter schwarzer kleiner Ziegenbock durch den Stall, der uns ständig ärgerte, da er die Abschluss-Strohrolle der Pferdestände beim Durchlaufen mit seinen steifen Hinterbeinen zerriss und die Stallgasse mit Strohalmen verunreinigte.

2. Reiterausbildung in Carinhall

Am 1. November ging es mit dem Schulreiten los. Unser Reitlehrer war ein Unteroffizier namens Schneider, ein staatlich geprüfter Reitlehrer.

Wir neun Rekruten mußten mit neun Pferden in die Reitbahn. Aufsitzen gab es nicht. Wir wurden durch die Reitbahn hin- und hergescheucht, die Pferde waren lose und liefen mit uns wild durcheinander. Nach ca. 2 Stunden war die erste Reitstunde zu Ende. Am nächsten Tag mußten wir dann auf den Pferden aufsitzen, jedoch ohne Sattel. Zum Ende der zwei Stunden wurde dann ein Hindernis aufgestellt mit zwei schräg zum Hindernis aufgestellten Begrenzungsgittern. Der Unteroffizier stand davor mit der Peitsche, und nun mußten wir nacheinander mit dem jeweiligen Pferd über das Hindernis springen. Man mußte das Käppi in die zwei Hände nehmen, hoch über den Kopf halten, dann auf das Hindernis zureiten. Das Pferd konnte wegen der zwei Absperrgitter nicht ausbrechen. Der Unteroffizier mit der Peitsche sorgte für den nötigen Schwung, und wenn dann das Pferd mit dem Reiter über das Hinderniss sprang, mußte man rufen "ich bin ein stolzer Reiter". Von den neun Mann fielen, ich glaube es waren fünf Mann, während des Sprungs vom Pferd. Ich blieb aber auf dem Pferd sitzen. So folgte dann jeden Tag eine Reitstunde nach der anderen. Auch hatten wir fast täglich theoretischen Reitunterricht.

Bei diesen täglichen Schulreiten, immer im Trab oder Galopp und ohne Sattel, hatten sich mehrere ihr Gesäß wund geritten. Abends sassen sie dann auf der Stallgasse auf einem mit Wasser gefüllten Eimer und kühlten sich hier ihren nackten, wunden Hintern. Ich habe dieses jedoch nie in Anspruch nehmen müssen, ich habe das Schulreiten ohne Wunden überstanden.

Am 26. November erfolgte eine Abnahme der bisherigen Reit-Erfolge. Anwesend waren hier Unteroffizier Schneider und Major Stauch.

Die Verleihung und Überreichung des Reiterabzeichens mit Urkunde erfolgte im Herbst 1944 bzw. im Januar 1945.

Am 9. November wurde die "Hubertusjagd" geritten, verbunden mit einem Hindernisspringen. Hierfür gab es eine extra ausgebaute Strecke im Wald bzw. am Waldrandgebiet. Abends fand dann eine feucht fröhliche Feier statt. Aber auch sonst wurden hier Jagden geritten.

Mit der Postbestellung bzw. mit dem Zusenden von Paketen ging es hier im Reiterzug sehr gut. Gleich neben der Baracke des Reiterzuges lag die Försterei Osterlow. Zu den Soldaten konnte man nur Feldpostpakete schicken. Diese Feldpostpakete durften ein bestimmtes Gewicht nicht überschreiten. Deshalb bekamen wir die Pakete von zu Hause über die Försterei Osterlow geschickt. Diese Pakete mit mehreren Pfund Gewicht gingen dann als Privatpost. Die Leute der Försterei haben dies gerne für uns getan. Und so bekamen wir dann von zu Hause immer größere Pakete mit Lebensmitteln und sonstigen Sachen zugeschickt.

Vom 4. bis 8. Dezember 1943 bekam ich den ersten Kurzurlaub mit der Order, mein Akkordeon zur Unterhaltung mitzubringen. Die nächsten Kurzurlaube bekam ich im Januar, März und Juni 1944.

Ich habe oft bei Kameradschaftsabenden, Unteroffiziersabenden und sonstigen Gelegenheiten spielen müssen. Vor Weihnachten 1944 fand im Waldhof ein Offiziersabend statt. Hier habe ich mit noch zwei oder drei weiteren Musikern zur Unterhaltung gespielt. Der Waldhof, so nannte man diese Räumlichkeiten, war neben dem oder im Wohngebäude von Hermann Göring. Hier waren die Offiziere untergebracht. Auch wurden hier Filme Ur aufgeführt, so z.B. einmal "Die große Freiheit Nr. 7".

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Im Frühjahr 1944 wurden bereits die ersten von unserem Reiterzug, und zwar die, die schon vor uns da waren, zu Fronteinheiten versetzt. Dafür kamen Leute von Fronteinheiten zu uns, hauptsächlich auskurierte Verwundete. Diese mußten nun auch erst das Reiten erlernen. Die Ausbildung ging aber nicht soweit, dass sie das Reiterabzeichen erhielten.


3. Aufgaben des Reiterzugs.


Hier im Reiterzug hatten wir sehr viel mit Wachdienst zu tun. Einmal war da der Streifenposten bei Tag und Nacht. Hierfür waren immer drei Mann abkommandiert. Die Wachstube für diese drei Mann lag drüben bei der Wachkompanie, die ca. 200 m von uns entfernt ihre Unterkunft hatte und direkt an der Straße lag, die nach Groß Schönebeck führte. Diese drei Posten lösten sich alle drei /lemo/bestand/objekt/kg_293_03 Stunden ab. Der Patroullienweg verlief von unserer Baracke aus bis zur Straße hin und wieder zurück.

Dann war da noch die Stallwache, ebenfalls Tag und Nacht. Die Stallwache wurde alle zwei Stunden abgelöst. Es waren für die Stallwache ebenfalls drei Mann eingeteilt, das heißt, man hatte immer zwischen dem Wachdienst 4 Stunden Freizeit, am Tag natürlich Dienst. Um fünf Uhr in der Früh mußten alle drei Mann zur Fütterung der Pferde. Das Füttern ging meistens bis kurz vor sechs Uhr. Um 7 Uhr war wieder wecken.

Außerdem kam noch der tägliche Streifenritt durch die Schorfheide hinzu. Er dauerte ca. 2 Stunden und wurde von zwei Mann ausgeführt. Täglich gingen zwei Streifen, eine vormittags und eine nachmittags. Die Reitstrecke wurde von unserem Wachmeister vorgeschrieben. Sie führte immer andere Strecken weitläufig um den Wohnsitz von Hermann Göring.

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Das Streifereiten war immer sehr erholsam, besonders in den Sommermonaten. Einmal, es war wohl Ende Mai 1944 an einem Sonntag, bin ich morgens um 6 Uhr mit meinem Kamerad losgeritten. Es war ein wolkenloser, warmer Sonnentag. Nach ca. einer halben Stunde Ritt kamen wir an einen von Wald umgebenen See. Es war ein schmaler langgestreckter See. Die ersten Sonnenstrahlen fielen schon auf den See. Es herrschte eine Totenstille. Lediglich das Singen der Vögel war zu hören. Auf dem See schwammen Enten, Gänse und Schwäne. Fische kamen hier und dort an die Wasseroberfläche, die Frösche quakten mit den Vögeln um die Wette. Dieses Erwachen der Natur war ein wunderbares Erlebnis.

Die Wachkompanie, die direkt an der Landstraße lag, hatte einen Hauptposten an der Straße und zwei weitere bis zum Wohnsitz von H. Göring. Dann noch einen Posten direkt vor dem Wohnsitz. Der Wohnsitz lag ca.1 km von der Unterkunft der Kompanie entfernt mitten im Wald. Einmal, als nachts wieder die feindlichen Fliegerverbände auf Berlin zu flogen - von Carinhall aus konnte man dies gut beobachten - sei H.G. aus seinem Haus gekommen und habe zu dem Posten gemeint "na die fliegen sicher weiter nach Berlin".

Man hatte auch, so wurde erzählt, ein Schein-Carinhall aufgebaut. Dies habe aber weiter weg gestanden und soll wohl deutlich mit Tarnnetzen überspannt gewesen sein. Gesehen habe ich dieses Schein-Carinhall nicht. Man hat immer nur davon erzählt.

Sonntags sind wir schon mal mit zwei oder drei Kameraden zum Wohnsitz von Göring hochgegangen. Hier bin ich auch in der Gruft von der ersten Frau von H.G. gewesen. Die erste Frau von H.G. hieß Carin, sie war eine Schwedin. Man stieg zu dieser Gruft ca. 6 bis 8 Stufen hinunter. Der Raum war ca. 4 x 4 Meter groß. In der Mitte stand auf einem Sockel ein Sarg aus Bronze mit einem bronzenen Eichenkranz darauf. Diese Gruft lag dem Eingang zum Hof des Wohnsitzes von H.G. gegenüber auf der anderen Straßenseite.

Eine weitere Aufgabe unseres Reiterzuges war es, Hermann Göring bei der Jagd zu begleiten. Der Begleitschutz bestand immer aus drei Mann in voller Ausrüstung mit MP und scharfer Munition. Dieser Ausritt lief dann wie folgt ab:
Am Vormittag wurde bereits die beabsichtigte Jagdfahrt von H.G. angekündigt. Es wurden dann drei Mann zum Begleitschutz eingeteilt. Da H.G. immer nachmittags zur Jagd ausfuhr, mußten sich die Reiter um 13 Uhr bei der Kompanie melden. Dort war der Kutschwagen oder auch Jagdwagen stationiert. Diesen Wagen fuhr ein gewisser Wachmeister Banke; gezogen wurde dieser Jagdwagen von zwei Füchsen. Dieser Wachmeister holte mit den drei Begleitreitern vom Reiterzug Oberforstmeister Schade ab, der nicht weit weg von der Kompanie seinen Wohnsitz hatte, fuhr dann zum Waldhof hoch und holte hier H.G. zur Jagd ab. Das von H.G. erlegte Stück Wild mußten zwei Reiter holen, der dritte blieb bei den Pferden. Das Wild wurde auf eine eigens für diesen Zweck vorgesehene Abstellfläche am hinteren Wagen abgelegt. Dann ging es wieder nach Hause.

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Oft fuhr auch die kleine Tochter Edda von H.G. aus. Sie hatte einen eigenen kleinen Jagdwagen. Dieser wurde von zwei Shetland Ponnies gezogen. Einmal ist auch die ganze Familie Göring ausgefahren. H.G. natürlich alleine mit drei Reitern als Begleitschutz wie üblich, die kleine Tochter Edda mit den Shetland Ponnies und dann die näheren Anverwandten auf einem größeren Wagen.

Fahrer, Wagen und Pferde waren in der Kompanie stationiert.

Ich selbst habe keinen Begleitschutz ausführen müssen. Als ich Ende Juli 1944 zum ersten mal zum Begleitschutz eingeteilt wurde und wir von vormittags ca.11 Uhr bis nachmittags feldmarschmäßig auf Abruf warteten, wurde die Ausfahrt von H.G. abgesagt. Der Grund, so hieß es jedenfalls, soll folgender gewesen sein: Am 20. Juli 1944 war das Attentat auf Hitler. Man nahm an, dass Göring auch etwas damit zu tun hatte. Göring ist danach nicht mehr zur Jagd ausgefahren. Er mußte sich nunmehr auch jede Woche zweimal in Berlin melden. In den Wintertagen war es schon früh dunkel. Alle Autos hatten vor den Scheinwerfern eine Verdunkelungshaube, in der nur ein schmaler, waagerechter Schlitz eingearbeitet war. Hermann Göring fuhr dagegen, es waren immer drei Autos die ihn nach Berlin brachten, ohne verdunkelte Scheinwerfer, sie fuhren also immer mit Vollicht und waren daher von uns leicht zu erkennen. Ich bin auch Göring mit diesen drei Autos in der Kompanie begegnet, als ich einmal mittags das Essen holte. Diese Autokolonne mußte ja immer die Posten und damit auch das Kompaniegelände durchfahren.

4. Erntezeit, Dienstreise nach Ostpreußen, die Versetzungen nehmen zu.

Dann kam Erntezeit im Sommer 1944. Die Landwirte hatten überall zu wenig Hilfskräfte zum Einbringen der Getreideernte. Und so kam es, dass von unserem Reiterzug ungefähr die Hälfte der Leute zu den Bauern zum Ernteeinsatz abkommandiert wurden. Ich blieb beim Reiterzug. Es kam nun für uns Zurückgebliebenen nur noch der Wachdienst in Frage. Einen Ausbildungsdienst hatten wir während dieser Zeit nicht. Wer nicht zur Streife oder zur Stallwache zugeteilt war, hatte Zaumzeug- und Pferdepflege. Ich glaube den Wachdienst bis zur Straße hatten wir jetzt nicht. Da es ein warmer und trockener Sommer war, sassen wir im großen Sandkasten und putzten mit Wasser und Sand die Eisenteile des Pferdegeschirrs. Hier weiß ich, sassen wir dann im herrlichen Sonnenschein, bei absoluter Stille, umgeben von Wald, und haben uns mit etwas Sand und Wasser beschäftigt.

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Vom 25. Bis 30. August 1944 machte Oberwachmeister Schmok mit mir eine Dienstreise mit der Bahn zu dem zweiten Reiterzug in Ostpreußen in der Rominter Heide. Denn Hermann Göring hatte auch hier ein Jagdschloss. Als wir durch Königsberg kamen, sahen wir die Verwüstung der Stadt durch den Bombenangriff der Amerikaner bzw. Engländer. Dieser starke Luftangriff war gerade in den Tagen davor erfolgt. Als wir abends in der Rominter Heide ankamen, wurden wir vom Bahnhof von einem Pferdewagen des dortigen Reiterzuges abgeholt. Die Fahrt ging bei Dunkelheit, es war Vollmond, nur durch Waldgebiet. In der Rominter Heide war bereits starke Partisanentätigkeit. Außerdem überflog dieses Gebiet oft der eiserne Gustav der Russen, ein einfaches Propellerflugzeug, eine Art Fieseler Storch, und richtete überall dort, wo er etwas entdeckte, mit Bordwaffen und Granatenabwurf sein Unheil an. Auch uns überflog er bei dieser Fahrt zu dem Reiterzug. Der Kutscher kannte aber bereits solche Situationen. Er fuhr den Wagen ganz rechts an den Waldrand, so dass unser Gefährt im Schatten der Bäume stand. Als der eiserne Gustav dann über uns hinweg geflogen war, konnten wir die Fahrt fortsetzen. Wir kamen ohne Zwischenfall bei dem dortigen Reiterzug an. /lemo/bestand/objekt/kg_293_08

Am nächsten Tag ritt Oberwachmeister Schmok mit zwei weiteren Leuten des dortigen Reiterzuges zu den Außenposten in der Rominter Heide. Diese Außenposten hatte man wohl deshalb eingerichtet, weil die Streifenritte bereits von den Partisanen beschossen worden waren. Ein Reiter, so hieß es, hatte dabei einen Halsschuß erhalten. Ob jetzt hier die Streifenritte auch noch ausgeführt wurden, weiß ich nicht. Jedenfalls sagte Schmok zu mir, ich solle lieber nicht mit reiten, es sei zu gefährlich. Bei diesem Kontrollritt sind sie dann auch tatsächlich von den Partisanen beschossen worden. Sie haben dann nur noch den Pferden die Sporen gegeben und sind abgehauen.

Zurück in Carinhall bekam ich meinen 14-tägigen Einsatzurlaub. Er war vom 4 bis 20. September 1944. Als ich zu Hause mit dem Fahrrad auf den Hof fuhr, das Fahrrad hatte ich wie immer bei meinem Onkel in Zinten geliehen, trat gerade mein Vater aus der Haustür. Er war, so wusste ich, zum Schanzen an die Ostgrenze von Ostpreußen einberufen worden. Doch nun war er gerade am Abend vorher wieder nach Hause gekommen. So konnten wir uns noch wiedersehen. Am 10. September wurde mein Vater zu den Landesschützen einberufen, er mußte also gleich wieder fort.

Im Spätsommer 1944 wurden u.a. auch von den mit mir nach Carinhall gekommenen Rekruten die aus Ostpreußen waren, nach Ostpreußen versetzt, um ihre Heimat zu verteidigen. Ich aber konnte in Carinhall bleiben, denn der Oberwachmeister meinte, ich müsse noch hier bleiben und mit dem Akkordeon etwas zur Unterhaltung beitragen.

In dieser Zeit wurden auch Wachmeister Schneider und am 15. November 1944 Oberwachmeister Schmok versetzt. Anstelle von Oberwachmeister Schmok kam nun ein Oberwachmeister aus Berlin namens Schuldt. Er war schon Mitte der Fünfziger, hatte angeblich neun Kinder und war Jockeireiter gewesen. Er war ein sehr gemütlicher und ruhiger Vorgesetzter.

Nachdem Wachmeister Schneider versetzt worden war, ritt und pflegte ich das Pferd "Trakehnerin", ein Pferd mit einer eingebrannten doppelten Elchschaufel. Es war ein schwer zu reitendes Pferd, hatte Sattelzwang und mußte beim Satteln und Aufsitzen von einem zweiten Reiter gehalten werden. Dieses Pferd ritt sonst nur Wachmeister Schneider. Ich bin mit diesem Pferd bis in die Gefangenschaft geritten.

Frau Göring war eine geborene Sonnemann. Im Herbst 1944 mußten 6 Mann aus unserem Zug, ich war auch dabei, ich glaube nach Friedrichswalde. Hier bewohnte der Bruder von Frau Göring, ein Herr Sonnemann, ein 4- bis 5-geschoßiges dreiflügeliges Gebäude. Wir mußten im Erdgeschoß ein mit Möbeln vollstehendes verhältnismäßig großes Zimmer leer räumen. Wie uns Herr Sonnemann sagte, müsse er Flüchtlinge aufnehmen. Wir haben hier mit 6 Leuten einen ganzen Tag gebraucht, um diesen Raum leerzuräumen. Die Möbel wurden auf die Gästezimmer in den Obergeschossen der einzelnen Flügel verteilt.

Gefeiert wurde auch das Weihnachtfest 1944. Vom Reiterzug wurden hierzu einige Leute, so auch ich, als Ordonanz abgestellt.

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Am 1. Januar 1945 kam ein neuer Futtermeister, Oberwachmeister Mallon, zu uns.

Im Laufe des Januar 1945 wurden sämtliche alten Reiter, außer vier Leuten, zu Fronteinheiten versetzt, bzw. gegen Frontsoldaten ausgetauscht. Zurück blieben von den alten Reitern Scholz, Lemke, Golze und ich. Golze und Lemke waren schon vor uns beim Reiterzug. Ich glaube sie kamen beide aus der Landwirtschaft und hatten in der Nähe vom Reiterzug ihren Wohnsitz.

5. Die letzten Wochen in Carinhall; Göring verlässt Carinhall.

Ab Februar/März 1945 wurden die Streifenritte mit mehreren Leuten durchgeführt, ich glaube immer mit 4-6 Mann. Die Reitstrecke führte dann nicht mehr um den Wohnsitz von H.G, sondern die Streifengebiete waren in Sektoren nach dem Ziffernblatt einer Uhr aufgeteilt. Man hatte dann jedes mal einen anderen Sektor zu durchreiten. Diese Ritte dauerten m.E. immer 3 bis 5 Stunden.

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Es war wohl schon Februar/März 1945, als man unserem Reiterzug einen Oberleutnant namens Maneck vorsetzte. Er kam aus Elbing in Ostpreußen. Er schlief nicht bei uns und war auch nicht ständig hier im Reiterzug. Er war oben im Waldhof stationiert. Er sollte uns wohl auf den Fronteinsatz vorbereiten.

Im Wald wurde nun ein kurzer Schienenstrang verlegt und darauf fuhr eine Panzeratrappe aus Holz. Wir wurden nun an der Panzerfaust ausgebildet. Die Panzerfaust war natürlich nicht echt, sondern nur der Abschuss, das Geschoss selbst krepierte nicht. Auch hieß es dann, wir müßten demnächst entlang einer Straße in gewissen Abständen Einmannlöcher ausheben. In diese Löcher kam dann jeweils ein Mann mit einer Panzerfaust rein. Er sollte, wenn der feindliche Panzer nah genug dran war, diesen Panzer abschießen. Aber es ist nicht zu solch einem Einsatz gekommen, der Russe war schneller.

Am 5. März 1945 sollten wir drei, Golze, Scholz und ich auch an die Front verlegt werden. Wir hatten unsere Sachen gepackt und warteten auf den Marschbefehl. Wir brauchten keinen Dienst zu machen, sondern sassen tagsüber auf der Stube und spielten zum Zeitvertreib siebzehn und vier. Nach etwa einer Woche wurde dieser Befehl wieder aufgehoben. Am 17. April sollten wir nun wieder, dieses mal aber 5 Mann, zum Fronteinsatz versetzt werden. Der Russe war schon im Anmarsch auf Berlin und scheinbar wusste man nicht wohin mit uns und so wurde auch diese Versetzung wieder aufgehoben.

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Im März/April hatten wir eine Übung mit einer Übernachtung. Ich mußte mit zwei Pferden in einer Scheune übernachten. Am nächsten morgen hatte ich die Pferde fertig zu machen, Füttern, Satteln usw. Ich hatte mich dann mit den Pferden an einer bestimmten Stelle zu melden. Als ich morgens mit den Pferden aus der Scheune kam und hier die Pferde noch fertig zum Abreiten machte, kamen aus einer Nachbarscheune junge Infanterierekruten. Sie kamen gleich auf mich zu, umlagerten mich und wollten wissen wo ich stationiert bin und was ich hier mache. Diese Rekruten waren verhältnismäßig klein und jung, vielleicht bis 1,60 m groß, ca. 16 bis 17 Jahre alt. Ich dagegen war ja auch erst 19 1/2 aber 1,78 m groß. Sie kamen mir vor, wie die reinsten Kinder. Sie aber wurden hier auf ihren Einsatz vorbereitet.

Die Luftangriffe auf Berlin wurden immer häufiger und sie erfolgten auch schon am Tage. Anfang April 1945 wurde ein Amerikanischer Bomber bei einem Tagesangriff auf Berlin angeschossen und drehte mit rauchenden Motoren über der Schorfheide. Dann sahen wir, wie die Mannschaft aus dem Flugzeug sprang und vier Fallschirme zu Boden segelten. Die gelandete Besatzung wurde von Soldaten der Kompanie, auch ein Trupp von unserem Zug war zur Landestelle hingeritten, gefangen genommen. Der Major bzw. Kapitän dieses Flugzeugs war anschließend bei uns im Reiterzug und wurde von hier mit einem Kutschwagen nach Groß Schönebeck zum Bahnhof gefahren. Von dort weiter mit dem Zug. Wohin weiß ich nicht. Jedenfalls hat dieser Major schon zu den Begleitern gesagt, dass der Krieg in Kürze zu Ende sei.

Am 12. April erhielt ich von meiner Mutter und meiner Schwester die letzte Nachricht und zwar aus Pillau. Der Brief datierte vom 12. März. Den letzten Brief von zu Hause hatte ich am 17. Januar 1945 erhalten, datiert vom 13. Januar.

Am 19. April schossen einige unserer Leute im Wald noch schnell einen Hirsch. Anschließend fand dann ein großes Festessen auf der Stallgasse mit Oberleutnant Maneck statt. So hatten wir zum Schluß noch Hirschbraten als Verpflegung.

Am 20. April, einem Freitag, war Hitlers Geburtstag. Am nächsten Tag verließ Hermann Göring für immer Carinhall. Drüben in der Kompanie standen gegen Mittag, ich holte gerade Mittagessen, 9 geschlossene, gelbe Mannschaftswagen. Mit diesen Wagen, sicher als Begleitschutz, ist dann H.G. noch am gleichen Tag abgefahren und hatte damit Carinhall für immer verlassen.

Am Sonntag den 22. April wurde der Weinkeller von Görings Wohnsitz zum Abtransport der Flaschen freigegeben. Es fuhren hier ein LKW von der Kompanie, ebenso soll auch ein LKW von der Batterie gefahren sein. Von unserem Reiterzug fuhr ein mit Pferden bespannter Gefechtswagen mit zwei Mann. Diese Alkoholgetränke wurden in der Kompanie gesammelt. Der Kutscherbock unseres Gefechtswagens war praktisch eine hohle rechteckige Kiste. Auf der Rückfahrt, also vom Wohnsitz H.G. zur Kompanie, haben die zwei Mann diesen Hohlraum des Kutscherbocks mit Wein- und Schnapsflaschen vollgepackt. Nachdem sie den Gefechtswagen in der Kompanie entleert hatten, kamen sie anschließend bei uns vorbei, um den Kutscherbock zu entleeren. Dieses ging den ganzen Tag über so. Gegen 16 Uhr waren unsere Schränke schon reichlich mit Flaschen angefüllt. Plötzlich die Meldung, dass man bei H.G. im Schlafzimmer eingedrungen und dort Wäsche entwendet worden sei. Es wurden jetzt Spindkontrollen in der Kompanie und bei uns angeordnet. Nun aber mußten die Spinde von den Alkoholflaschen befreit werden. Wir haben dann die großen Woilachs, eine wollene Pferdedecke, die unter den Sattel gelegt wird, ausgebreitet, die Flaschen hier rein gelegt, ein Mann vorne und einer hinten und dann ging es damit ab in den Wald. Nach ca. einer Stunde war diese Arbeit getan. Als zwischen 19 und 20 Uhr diese Spindkontrolle aufgehoben wurde, wurden die Flaschen auf die gleiche Weise wieder zurücktransportiert. Nun aber, es war ja Sonntag, fing das Trinken an. Gegen 22 Uhr waren mehrere total betrunken, manche mehr manche weniger. Einige waren sogar so betrunken, dass sie mit ihren Gewehren gefährlich rumfuchtelten. Ich hatte nichts getrunken, aus reiner Vorsicht heraus. Und wie gut dies war.

Um 24 Uhr kam Alarm. Das elektrische Licht ging weg, wir sassen im Dunkeln bzw. bei Kerzenlicht. Der Russe sei nördlich Berlin nach Westen durchgebrochen, so hieß es, und wir mußten nun alles feldmarschmäßig zum Abrücken herrichten. Dazu gehörte auch, dass mit den Gefechtswagen drüben von der Kompanie Verpflegung für die Mannschaft und auch Futter für die Pferde geholt werden mußten, und sonstiges Material was zu einer Pferdeeinheit gehört. Da die meisten so betrunken waren, dass sie nicht fahren konnten, bin ich mit einem zweiten Mann gefahren und habe das ganze Zeug geholt. Die Kompanie ist noch gegen Morgen abgerückt und nördlich Berlin zum Einsatz gekommen. Die Kompanie soll hier bereits die ersten Verluste zu beklagen gehabt haben.

6. Rückzug von Carinhall.

Für unseren Reiterzug kam am 25. April der Marschbefehl mit dem Ziel Richtung ODER, also nach Osten, obwohl der Russe schon zwischen Carinhall und Berlin Richtung Westen durchgestoßen war. Aber Befehl war Befehl. So zogen wir dann mit unseren Pferden auf der Straße Richtung Osten. Die Straße war aber jetzt schon voll von zurückflutendem Militär aller Waffengattungen, einschl. der Panzer. Die uns entgegenkommenden Militäreinheiten lachten uns regelrecht aus, was wir wohl mit unseren Pferden, zudem nur 20 bis 25 Mann, gegen den Russen machen wollten. Am Abend, es war so gegen 18 Uhr, kamen wir in ein Dorf. Hier sollten wir in einer Scheune übernachten.

Der Ort war voll von Militär und Zivillisten. Wir hatten noch nicht einmal unsere Pferde richtig entsattelt, da kam bereits Alarm, der Russe sei durchgebrochen und der Ort müsse sofort geräumt werden. Alles ging nun Hals über Kopf. Von weitem hörten wir Gewehrfeuer. Als wir dann den Rückmarsch angetreten hatten, es war noch Tageslicht, fehlte ein Gefechtswagen. Auf diesem Wagen war unser Gepäck. Der Oberwachmeister befahl mir nun zurückzureiten, um nachzusehen, wo der Wagen geblieben sei. Ich bin dann zurückgeritten. Weit bin ich nicht gekommen, ich hatte auch keine Lust dazu. Auf der Straße konnte ich nicht bleiben, da diese voll von Militärfahrzeugen war. So bin ich dann neben der Straße im hochstämmigen Kiefernwald geritten. Aber als dann eine kurze Zeit verstrichen war, bin ich wieder mit dem Strom zurückgeritten. Nun wurde es schon dunkel und wir mußten durch Waldgebiet. Es war so dunkel, dass man kaum die Hand vor den Augen sehen konnte. Ich hatte zudem auch noch die Trakehnerin, die sehr wild und zappelig war. Absteigen konnte ich nicht, dann hätte ich das Pferd nicht mehr unter Kontrolle gehabt, also blieb ich auf dem Pferd sitzen. Nun aber kam ich mit den Fußsoldaten in Konflikt. Da rempelte ich schon mal hier und da einen Soldaten an, denn die schmale Straße war voll von zu Fuß gehenden Soldaten, so dass ich immer entlang des Straßenrandes reiten mußte. Hier bekam ich dann auch drohende Zurufe, wie "komm von deinem Gaul runter oder ich schieß dich ab". Aber es ging alles gut.

Am nächsten Vormittag, am 26. April, kamen wir durch eine Ortschaft. Hier habe ich die Zivilleute, die an der Straße standen, gefragt, ob sie einen Reiterzug haben vorbeikommen sehen. Sie verneinten. Ich nahm nun an, dass der Reiterzug noch kommen müsse. Gegen Mittag kam dann auch der Zug. Ich meldete dem Oberwachmeister, dass ich den Befehl ausgeführt hätte, aber den Gefechtswagen hätte ich nicht gefunden.

Später stießen auch die beiden Fahrer dieses Gefechtswagens, und zwar Golze und Lemke, wieder zu dem Reiterzug hinzu. Sie erzählten, dass der Wagen in einem Hohlweg stecken geblieben sei, und das Sprengkommando habe den Wagen gesprengt. Sie selbst seien mit den Pferden weiter geritten. Unterwegs seien sie aber von der Feldgendarmerie aufgegriffen worden und diese habe sie mit anderen versprengten Soldaten zu einer Sammelstelle hingeführt. Doch auf dem Weg dorthin sei an einer Stelle eine günstige Gelegenheit gewesen um zu entkommen. Sie sind dann mit den Pferden im Galopp querfeldein dieser Auffanggruppe entkommen.

Jetzt ging es immer ohne Unterbrechung Richtung Westen, denn der Russe drohte uns durch den Vormarsch entlang der Ostsee und durch die Umklammerung von Berlin einzukesseln. Unterwegs sind wir noch einmal, ich glaube es war in Pritzwalk, von der dortigen Kommandantur aufgehalten worden. Man wollte uns wohl wieder einer Sondereinheit zutun und in Richtung Osten zum Einsatz bringen. Aber unser Oberwachmeister Schuldt hat sich wohl doch zum Weiterfahren durchringen können, und so konnten wir unseren Ritt Richtung Westen fortführen. Auf dem Rückmarsch trafen wir auch Oberwachmeister Schmok, der auch mit einer Pferdeinheit auf dem Rückmarsch war.

Am 30. April hat sich Hitler erschossen. Ab nun, so hieß es, galt nicht mehr der Eid, den wir auf den "Führer" geleistet hatten. Am Spätnachmittag des 2. Mai näherten wir uns der Stadt Grabow in Mecklenburg. Entlang der Straße lagen im Straßengraben schon viele weggeworfene Gewehre. Auch wir warfen nun unsere Gewehre weg, ob dies gut war, weiß ich nicht. Jedenfalls kamen wir danach in ein Dorf, ca.1 Kilometer vor Grabow. Scheinbar ging der Strom nun wieder in östlicher Richtung. Aber von Osten her näherte sich der Russe dem Dorf. Aus einigen Fenstern hingen schon weiße Tücher. Dieser Ort war so vollgestopft von Flüchtlingswagen, Militärfahrzeugen und Fußvolk, dass ein Umkehren unseres noch übrig gebliebenen einen Gefechtswagens nicht möglich war. Da es nun weder vor noch zurück ging, sollten zwei Reiter schon nach Grabow reiten, um dort ein Quartier für die Nacht zu suchen. Ich war auch dabei. Wir ritten querfeldein Richtung Grabow. In Grabow war auch alles zugestopft mit Fahrzeugen und Menschen.

Am Anfang des Ortes fanden wir einen Bauernhof, auf dem wir mit unseren Pferden übernachten konnten. Am späten Abend traf dann auch unser Zug ein. In dieser Nacht haben wir nicht geschlafen. Wir wurden in dieser Nacht von den Quartierleuten in der Küche dieser Leute gut verpflegt. Hier erfuhren wir auch, dass die Stadt Grabow schon an die Amerikaner übergeben worden sei. Von den Amerikanern war aber nichts zu sehen.

Am nächsten Vormittag, also am 3. Mai, war auch hier ein Weiterkommen mit dem Gefechtswagen nicht möglich. Obergefreiter Golze machte dem Oberwachmeister den Vorschlag, dass wir schon mal mit unseren Pferden vorreiten sollten, um die Lage zu erkunden. So ritten wir dann mit neun Mann los. Durch die Stadt ging es nur im Gänsemarsch vorwärts. Als wir aus der Stadt kamen, die Straße führte in Richtung Ludwigslust, stand hier, ich glaube ein General, umgeben von hohen Offizieren, breitbeinig neben der Straße und blickte in Richtung Ludwigslust. Auf der Straße bewegten sich drei Marschkolonnen nach Ludwigslust, die Flüchtlingswagen, dann in der Mitte das Fußvolk, hierzu gehörten auch wir neun Reiter, und am anderen Straßenrand die Militärfahrzeuge aller Art. Als wir ca. 200 Meter hinter Grabow waren, stand plötzlich ein Ami neben uns auf der Straße und sammelte von den Soldaten die noch übrig gebliebenen Waffen ein. Wir sassen auf den Pferden und reichten dem Ami die Koppel mit Patronentaschen hinunter. Sonst hatten wir nichts mehr. Ein Zurück war nun nicht mehr möglich. Die hohen Offiziere am Ausgang von Grabow warteten wohl auf eine Abordnung der Amerikaner zur Übergabe der Stadt.

Zwischen Grabow und Ludwigslust war auf der linken Seite ein Bauernhof. Hier warteten wir auf den Rest des Reiterzuges. Aber wir warteten vergebens. Inzwischen tauchten hier auch schon die ersten zivilen Ausländer aus einem Gefangenenlager auf und nahmen uns die Armbanduhren ab. Ich hatte keine, sondern nur eine Taschenuhr. Nun aber gewarnt, nahm ich meine Taschenuhr von der Kette ab und steckte sie in die Gesäßtasche. Die Kette ließ ich vorne sichtbar hängen. Wir ritten dann weiter mit dem Strom nach Ludwigslust rein. Am Anfang der Stadt hatten die Amerikaner dicht nebeneinander mehrere trichterförmige Kontrollen aufgebaut. Hier mußte nun jeder einzeln hindurch. Durch den einen Trichter gingen wir vier, durch einen anderen Trichter die anderen fünf Mann. Doch als wir hindurch waren, war von den anderen 5 Mann und der Pferde nichts mehr zu sehen. Wir haben nie wieder etwas von ihnen gehört, ebenso von dem Rest des Reiterzuges, der in Grabow zurückgeblieben war.

Wir vier hatten noch unsere Pferde. Beim Durchgang durch die Kontrolle suchte man auch bei mir nach einer Uhr. Ich zeigte dem Ami die bloße Uhrkette und sagte "schon geklaut". Ich konnte dann weitergehen. So habe ich meine Uhr behalten können. Durch Ludwigslust sind wir weiter zu Fuß gegangen. Hier wurden uns bereits zwei Pferde abgenommen, ich behielt noch meine Trakehnerin, und ich glaube es war Lemke, die Tippmamsel. Als wir aus der Stadt kamen, kamen zwei amerikanische Soldaten auf uns zu und nahmen uns die zwei letzten Pferde ab. Da diese Amis aber nicht wussten, welche Pferde sie da bekamen, machten wir uns schnell aus dem Staub. Wir sahen sie nur noch auf einem Hohlweg hinter einer Hecke davon galoppieren. Beide Pferde hatten die Köpfe fast senkrecht nach oben, was daraufhin deutete, dass die Pferde mit den Amis durchgingen, sie konnten sie nicht mehr halten. Beide Pferde waren dafür bekannt.

7. Gefangenschaft.

Wir vier wurden kurze Zeit später von einem LKW der Amis aufgesammelt und kamen in ein großes Feldlager bei Dellien in der Nähe von Neuhaus, nicht weit von der Elbe. Hier lagen wir mit ca. 5000 Mann in Erdlöchern, die wir notdürftig mit Brettern und Balken und mit Erde abgedeckt hatten. Das Holz hatten wir aus einer unbewohnten Baracke in der Nähe geholt. Ich lag mit einem zweiten Mann in einem Loch. Wenn es geregnet hat, sickerte das Wasser langsam durch, aus dem Erdloch wurde eine Tropfhöhle. Das Wasser haben wir dann mit allerhand Konservendosen, Kochgeschirren einschließlich der Deckel aufgefangen. Mittags gab es eine warme magere Gulaschsuppe, sonst kleine amerikanische Menükartons, in denen alles drin war, Kekse, Schokolade, Toilettenpapier usw. Als ich einmal Mittag holen ging, wurde gerade ein Pferd von einem Ami erschossen. Nun wusste ich, was auch mit unseren Pferden geschehen war.

Gewaschen haben wir uns in einem am Lager vorbeiführenden Fluss. Wo wir unsere Notdurft verrichtet haben, weiß ich nicht mehr. Das Lager war von Wachtürmen der Amis umstellt. Ich konnte auch einmal ein paar Tage zu Waldarbeiten mit, ich hatte mich hierzu freiwillig gemeldet. Zum einen kam man tagsüber aus dem Lager und zum anderen war auch die Verpflegung besser.

Am 31. Mai 1945 wurden wir vom Lager bei Dellien nach Bergfeld Nähe Eutin, Schleswig Holstein, verlegt, und zwar hier unter englischer Aufsicht. Allerdings haben wir hier keinen Engländer zu Gesicht bekommen. Der Transport dorthin ging in einem Güterzug. Auf dem Fußweg von unserem Feldlager zu dem weiter entfernt liegenden Bahnhof haben wir am Straßenrand noch Kreuze von gefallenen Soldaten gesehen, die noch Mitte Mai bis Ende Mai gefallen waren, obwohl bereits am 8. Mai der Waffenstillstand geschlossen wurde und der dann am 9. Mai um 1 Uhr nachts in Kraft trat.

Hier in Bergfeld lagen wir zunächst in einer Scheune. Am 6. Juni sind wir dann in ein Waldlager umgezogen. In diesem Waldlager hatten wir auch provisorische Unterkünfte in den Hang eingebaut und dann mit Holz und Tannen abgedeckt. Auch hier ging unterhalb dieses Hanges ein Fluss vorbei. Dahinter kam eine Wiese, die voll von Brennnesseln stand. Da das Essen wenig und schlecht war, war die Brennnesselwiese in kürzester Zeit von uns leergegessen, denn wir kochten nun jeden Tag Brennnesselsuppe. Gewürze gab es nicht, auch kein Salz. Es war ein fader Geschmack.

Tagsüber gingen wir an den Feldwegen entlang und sammelten in den am Weg entlang stehenden Sträuchern angeblich Weinbergschnecken. Sie wurden gebrüht, der Gleitschuh abgeschnitten und dieser auf dem Feuer im Kochgeschirrdeckel gebraten, ohne Fett, ohne Salz oder sonstige Zutaten. Es war wohl mehr Kaugummi als ein Essen. Außerdem schmeckte es auch äußerst schlecht. Ich glaube, ich habe es nur ein- oder zweimal gemacht.

Abends gingen wir oft zu einem in der Nähe gelegenen Dorf Radio hören. Einige Bauern stellten das Radio ins Fenster, so dass wir die Nachrichten hören konnten. Hier erfuhr ich auch, dass wir aus den Ostgebieten nicht mehr nach Hause konnten. Bei einem Bauer, es war Sonnabend abend, roch es nach frisch gebackenem Streuselkuchen, das Riechen war aber auch alles. Wir sahen auch wie dem Hund im Hof eine Schüssel Milchsuppe zum Fressen hingestellt wurde. So manch einer von uns wäre wohl gerne hingegangen und hätte dem Hund die Milchsuppe abgenommen, aber so etwas ging ja nicht.

Am 30. Juni wurde das Waldlager aufgelöst. 30 Mann von diesem Waldlager kamen nach Freudenholm. Ich war auch dabei. Hier lagen wir in einer Scheune. Ich war mit einem Berliner zusammen. Von den anderen drei Reitern aus unserem Reiterzug war ich nun endgültig getrennt. Einer namens Völker, er kam aus Danzig, wurde im Waldlager krank und war von hier in ein Lazarett oder in ein Krankenhaus gekommen. Die anderen zwei, ich glaube Lemke und Sprezney, habe ich in Freudenholm nicht mehr gesehen. Vielleicht waren sie weiter weg untergebracht oder sie haben sich einfach als Landwirte gemeldet und sind sofort entlassen worden.

Am 11. Juli 1945 ging ich am Abend zu der uns betreuenden "Schreibstube" in Freudenholm. Ich glaube es ging um die Aufnahme von Suchmeldungen von Angehörigen. Ich wusste ja nichts von meiner Familie. Hier auf der Schreibstube erwähnte ich meinen Beruf, nämlich Forstanwärter. Daraufhin sagte man mir, dieser Beruf zähle auch zur Landwirtschaft und ich könne nun als letzter Landwirt sofort entlassen werden. Man sagte mir, ich werde in Zone A entlassen. Den Ort wisse man aber nicht.

Am nächsten Morgen um 6 Uhr mußte ich mich in der Schreibstube melden, erhielt hier einen Begleitschein oder so etwas ähnliches und mußte mich dann im Nachbarort bei der dortigen Dienststelle melden. Von hier aus ging es dann weiter zu einer Sammelstelle, in einem weiter entfernt liegenden größeren Ort. Diese Strecke von Freudenholm über den Nachbarort bis zur Sammelstelle legte ich zu Fuß zurück. Es waren nur Feldwege. Es war ein herrlicher, warmer, wolkenloser Sommertag. Ich bin während des ganzen Fußwegs niemandem begegnet. Es war totenstille. Obwohl ich nun die Freiheit genoss, wurde dieses Freiheitsgefühl von der ungewissen Zukunft überschattet.

Gegen Mittag traf ich an der Sammelstelle ein, von wo aus wir mit einem LKW nach Eutin gebracht wurden. Hier lagen wir vom 13. bis 15. Juli im Entlassungslager. Wir wurden entlaust, erhielten den Entlassungsschein und wurden mit einem LKW weiter transportiert, wohin ich nun kam, wusste ich noch nicht. Es waren aber auch zahlreiche Landser dabei, die jetzt in ihre Heimat in den Westen konnten. Hier in Eutin mußten wir alles abgeben, was an die Soldatenzeit erinnert hätte, auch Fotografien. Ich habe die Hälfte der Fotos abgegeben, die andere Hälfte hatte ich versteckt und habe sie so behalten können.

Mit einem Sammeltransport ging es dann im offenen Lkw über Hamburg nach Lüneburg. Weiter ging es dann per Bahn über Hildesheim bis Northeim. Mein Zielort lautete Duderstadt. Ich hatte mich beim dortigen Arbeitsamt zu melden. Übernachtet haben wir in Lüneburg, Hildesheim und Nordheim. Um 5 Uhr Weiterfahrt nach Wulften. Von Wulften zu Fuß bzw. per Anhalter nach Duderstadt. Unterwegs wurden immer wieder Leute nach hause entlassen..

Am 18. Juli 1945 um 10 Uhr bin ich dann in Duderstadt (siehe Stempel auf dem Entlassungsschein) mit einigen Landsern, die hier beheimatet waren, angekommen. Ich war der einzige, der aus den Ostgebieten kam.

Nachfolgend habe ich das aufgeführt, was ich nun noch hatte:

Eine Pferde-Packtasche mit einer kleinen Anhängetasche aus Carinhall. Diese Packtasche habe ich damals als Rucksack getragen und die nachfolgend aufgeführten wenigen Utensilien darin aufbewahrt.

Außerdem: eine Drillichjacke, Kochgeschirr mit Löffel, Küchenmesser, Rasierapparat, Taschenuhr, das große Reiterabzeichen, die kleine Anstecknadel, sowie die Reiterurkunde und meine gemachten Aufzeichnungen

Sonst hatte ich nur noch die Sommerbekleidung, die ich an hatte und zwar mit Reithose und Reitstiefel.

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