> Gisela Richter: Kriegsende - mein Einsatz für Berlin

Gisela Richter: Kriegsende - mein Einsatz für Berlin

Dieser Eintrag stammt von Gisela Richter (1924* ) aus Bremen , Juni 2008 :

Seit Anfang März 1945 standen die Russen schon vor Berlin, aber es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie sich zum Sturm auf die Reichshauptstadt entschlossen. Inzwischen bombardierten uns die Engländer und Amerikaner gnadenlos. - Wir hatten immer noch die Hoffnung, dass die Amerikaner schneller sein und Berlin einnehmen würden. Wenn schon besiegt, dann bloß nicht von den Russen, das war unsere größte Sorge. - Wir wussten ja nicht, dass die Alliierten schon längst Absprachen getroffen, und sich Stalin die Eroberung Berlins ausbedungen hatte.

Doch dann, am 16.April 1945 begann das Inferno! - Irgendwie hörte mein Zeitgefühl auf. Es ging jetzt nur noch ums Überleben und manches aus diesen Tagen hat die Erinnerung u.ä. suchte. Ich packte meinen Brotbeutel mit Geld, Papieren, ein paar Butterbroten, hing das Kochgeschirr an, zog über Hose und Pullover meinen dunkelblauen Mantel (Parteiabzeichen am Revers), Wollschal zum Turban um den Kopf geschlungen, nahm noch Handschuhe mit und meldeteausgelöscht. Ich wollte den Russen nicht in die Hände fallen und ich wollte das tun, was ich für meine Pflicht hielt! Schließlich war ich Parteimitglied, hatte an die hehren Ziele des Nationalsozialismus geglaubt und dem Führer Treue gelobt. (Aus der Jugendarbeit hatte ich mich schon vor einiger Zeit verabschiedet).

So kam mir der Aufruf des Volkssturms gerade recht, der auch Frauen für Verpflegung u.ä. suchte. Ich packte meinen Brotbeutel mit Geld, Papieren, ein paar Butterbroten, hing das Kochgeschirr an, zog über Hose und Pullover meinen dunkelblauen Mantel (Parteiabzeichen am Revers), Wollschal zum Turban um den Kopf geschlungen, nahm noch Handschuhe mit und meldete mich bei der Einsatzstelle am Arnimplatz. Hier traf ich auf ein kleines Grüppchen alter Männer, hauptsächlich Parteigenossen, die ich z.T. vom Sehen kannte. Es war praktisch das letzte Aufgebot. Aber zu meiner großen Freude entdeckte ich auch Ruth Riemey, die ich vom BDM gut kannte und die auch von dem Gedanken beseelt war, noch etwas Nützliches tun zu wollen. - Wir waren beide froh, dass wir uns in dieser bedrohlichen Situation gefunden hatten und wollten auf jeden Fall zusammenbleiben.

Zuerst einmal führte man uns mit anderen kleinen Gruppen zusammen bis wir etwa 25 Personenwaren. Die Männer wurden einer Militäreinheit unterstellt und mit ihren Aufgaben vertraut gemacht: Straßensperren errichten und Verteidigung mit MG und Panzerfaust. Ruth und ich waren für die Verpflegung zuständig.

Berlin lag schon unter starkem Beschuss, sodass wir uns fast nur in Kellern aufhielten. - Wir bekamen Lebensmittel, schmierten endlos Brote oder kochten eine warme Mahlzeit. Die "Volksstürmer" kamen unregelmäßig, um zu essen oder sich etwas auszuruhen.

Die Luftangriffe hatten aufgehört, um die angreifenden Russen nicht zu gefährden. Dafür gab es andere bedrohliche Geräusche. In das Geknalle der Artillerie mischte sich das jaulende Heulen der "Stalinorgel". Wir konnten uns die Geräusche nicht erklären, denn gesehen haben wir die Geschütze erst sehr viel später in Filmen und Wochenschauen.

In diesen ersten Tagen gab es Ereignisse, die mich zutiefst schockierten! Das waren die ersten Toten, die an Laternenpfählen hingen mit einem umgehängten Pappschild: Ich bin ein Verräter" oder ähnliches. Das waren Soldaten aber auch Zivilisten. Am Prenzlauer Berg lag auf der Straße ein verwunderter Soldat, der vor Schmerzen jammerte und dem nicht geholfen werden durfte, weil er ein Deserteur war! Andere Soldaten hatten einen großen Kreis um den Verwundeten abgegrenzt, den niemand überschreiten durfte, "weil. es das Schwein nicht anders verdient hat!" - Den ganzen Tag lag der jammernde Soldat allein auf dem Straßenpflaster und erst gegen Abend gab ihm ein Offizier mit der Pistole den Fangschuss. Dieses Bild und die Laute des Verwundeten haben mich lange verfolgt.

Das war also auch der Krieg!!! Ich war bis ins Innerste erschüttert und konnte die Geschehnisse nicht in mein politisches Verständnis einordnen. - Gewiss müssen Menschen, die dem deutschen Volk Schaden zufügen, bestraft werden. Aber das geschah doch immer weit weg in Gefängnissen oder Strafkompanien. Aber dass hier Menschen - deutsche Menschen - von anderen deutschen Menschen grausam getötet wurden, das verstand ich nicht! Und das passte auch nicht in mein Bild vom Nationalsozialismus! - Aber es blieb keine Zeit zu weiterem Nachdenken.

Die Straßenkämpfe hatten begonnen und das hieß, dass wir mehrmals unseren Unterschlupf wechseln mussten. Wir hielten uns in Seitenstraßen von der Schönhauser Allee auf, einer breiten Hauptverkehrsstraße, die natürlich sehr umkämpft wurde. Das hieß, in einer Nacht ein Stück zurück, weil die Russen vorangekommen waren. In der nächsten Nacht konnten wir wieder eine Straße weiter, die unsere Truppen freigekämpft hatte. Dies geschah immer nachts, sodass wir uns nie ein Bild von den Kampfhandlungen oder den Zerstörungen machen konnten.

Inzwischen gehörte uns ein großer Handwagen mit dem wir unsere Küchenutensilien und Lebensmittel transportieren konnten. Und dann kam die schicksalsträchtige Nacht, die nicht nur für mich am Anfang des absoluten Horrors stand!!!

Es kam der Befehl: "Schnell, alles raus, wir müssen weg!" Wir glaubten erst an das bekannte Vor-und-zurück-Spiel, doch es war alles irgendwie anders! Wir packten unseren Wagen mit den Küchensachen, den Vorräten, mehreren Broten, Wurst und obenauf ein großer Topf mit Erbsensuppe, die wir am Tag vorher gekocht hatten. Wir wurden zur Eile gemahnt und nun ging es direkt zur Schönhauser Allee. Das war ungewöhnlich, denn in den Nebenstraßen waren wir geschützter. Jetzt befanden wir uns in der Kampflinie! Es wurde von überall geschossen, Häuser brannten, Panzer standen verlassen da, tote Pferde lagen herum und in diesem Chaos eine große, bunt zusammengewürfelte Menschenmenge: Soldaten aller Waffengattungen (auch Angehörige der Marine), einige militärische Fahrzeuge, einige Lieferautos oder Pritschenwagen, Zivilisten, Angehörige des Volkssturms - und wir mittendrin mit unserem Handwagen und der Erbsensuppe. Alles strebte nach Norden. Jemand hatte uns zugerufen: "Wir machen einen Ausbruch in Richtung Pankow. Wir müssen durch die russischen Linien, denn im Norden, bei Oranienburg steht General Wenk mit seinen Truppen, um dann mit uns zusammen Berlin zu befreien. Haltet euch zusammen und lauft mit!"

Heute, nach 50 Jahren Frieden, kann man die Absurdität überhaupt nicht begreifen. Aber damals setzte der Verstand aus, es ging ums Überleben. Wohin sollten wir in diesem Chaos auch gehen? Die Angst war groß, einem Russen in die Arme zu laufen. Da fühlten wir uns unter den Volksstürmern doch besser. Und was das hier alles zu bedeuten hatte, erfasste ich nicht. Nachrichten hatten wir schon lange nicht mehr gehört, es gab keinen Strom und kein Gas mehr.

Es war noch dunkel. Wir schoben und zogen unseren Wagen so schnell es ging, als plötzlich von vorn das Kommando kam: "Volle Deckung". Man warf sich irgendwo hin und als es weitergehen sollte, war meine Ruth weg!! Alles Rufen half nichts. Ich versuchte noch, unseren Wagen allein weiterzuziehen als Roloff, einer unserer Volksstürmer, den ich vom Sehen kannte, sagte: "Mädchen, lass' den Karren stehen!" Es widerstrebte mir zwar, denn da waren doch Lebensmittel drauf. Aber ohne Karren konnte ich auch viel schneller vorankommen. Immer noch hielt ich nach Ruth Ausschau, aber sie blieb verschwunden.

So kamen wir, immer von kurzen Stopps unterbrochen, fast bis Pankow Breitestraße, als es nicht mehr weiterging. Wir waren mitten im Hexenkessel. Ich muss nicht nur einen, sondern ein ganzes Bataillon Schutzengel gehabt haben. Denn neben mir wurden Männer erschossen, andere blieben verwundet zurück. In meiner unmittelbaren Nähe riss eine Granate einen Trichter, in den gleich drei Männer hineinrutschten.

Inzwischen hatte ich einen Platz auf dem Trittbrett eines Lieferwagens ergattert. Neben mir noch zwei Männer, einer davon war Roloff. Wir hielten uns an Griffen fest und hatten durch den Kastenaufbau etwas Schutz vor Kugeln und Splittern. Denn es wurde von überall her, aus Kellern und von Dächern auf uns geschossen. Die Soldaten lieferten sich ein höllisches Gefecht. Wir aber konnten überhaupt nichts tun, nur stoisch abwarten: ..Trifft's oder trifft's nicht! -

Als die Kolonne so stand und wartete, dass es weitergehen würde, sahen wir in der Nähe einen toten Russen liegen, der noch seine MP im Arm hatte. Die Männer forderten mich auf, sie zu holen. Als ich mich weigern wollte, redeten sie mir gut zu und auch Roloff sagte: "Du bist unverdächtiger, geh' und hol' sie, wir brauchen die Waffe". Das war meine erste Berührung mit einem Russen.

Inzwischen war es hell geworden und als unsere Soldaten am Anfang des Zuges uns den Weg freigeschossen hatten, ging es endlich weiter. Auf einigen Pritschenwagen lagen etliche Verwundete die leise wimmerten, denn an eine medizinische Versorgung war nicht zu denken. Andererseits waren sie auch froh, dass sie überhaupt mitgenommen wurden. Denn viele mussten zurückgelassen werden, weil einfach nicht genügend Transportmittel vorhanden waren. - Noch sehr lange hatte ich die flehentlichen Bitten im Ohr: Nehmt mich mit, lasst mich doch hier nicht zurück!", denn das wäre ihr Todesurteil gewesen. - ich habe mich dabei miserabel gefühlt und konnte doch nichts tun. Wir waren auf unserem Weg nach Norden inzwischen schon wieder aus Pankow heraus. Hier waren die Häuser klein und lösten sich mit Feldern ab. Wir liefen und einige fuhren nun auf einer Landstraße, als zwei ganz einfache , einmotorige russische Aufklärungsflugzeuge am Himmel auftauchten. Sie flogen sehr niedrig, so daß wir den Piloten und den hinter ihm sitzenden MG Schützen sehen konnten. - Solche Flugzeuge hatte ich früher im Zeughaus gesehen als Relikte aus dem 1.Weltkrieg.

Jetzt tauchten die Russen damit auf und unser Kommandeur schrie: "Volle Deckung, alle in den Straßengraben!" - Wer konnte sprang kopfüber in den Graben, alle Fahrzeuge blieben einsam auf der Straße stehen, einschl. der Verwundeten. Einige Soldaten versuchten noch, mit dem Gewehr die Maschinen zu treffen, doch dafür flogen sie wohl nicht tief genug, obwohl es uns sehr niedrig erschien. Dieser Akt wiederholte sich noch ein paar Mal, denn wir wurden bestens beobachtet und verfolgt.

Bei einem dieser Manöver landete ich mal direkt zwischen zwei toten deutschen Soldaten. Aber das erschreckte mich schon nicht mehr. Ich wunderte mich höchstens, dass ich immer noch lebte!

Wir suchen General Wenk

Jetzt, als wir aus Berlin heraus waren, breitete sich eine wunderbare Ruhe aus. Hier gab es keinen Beschuss, kaum Zerstörungen und bis auf die Flugzeuge erinnerte nichts an den Krieg. - Verschiedene unserer Fahrzeuge waren liegen geblieben, teils zerschossen, teils aus Benzinmangel. So auch ,unser' Lieferwagen. Also wurde wieder gelaufen. Dabei kam man auch untereinander ins Gespräch. Viele wunderten sich, wie ich - als einziges weibliches Wesen - in diese Truppe kam. Ein Soldat der Waffen-SS schenkte mir eine Art Cola-Schokolade, die damals noch unbekannt war und sehr gut schmeckte. Sie gehörte wohl zur Eisernen Ration der Waffen--SS.

Es war schon wieder Nachmittag und wir liefen mit leerem Magen. Inzwischen hielt ich mich immer in der Nähe von Roloff auf, denn wir beide waren die Letzten unserer Volkssturmgruppe. Wir hatten uns versprochen, dass wir auf jeden Fall zusammenbleiben wollten. Damit, wenn nur einer wieder nach Haus käme, er den Angehörigen des anderen Nachricht geben konnte. Er sorgte sich um seine Frau. Roloff war ein alter, weißhaariger Herr, der etwas anderes verdient gehabt hätte. Er wollte wohl auch seine "Pflicht" tun. Für mich war er ein väterlicher Freund, in seiner Nähe fühlte ich mich wohl.

Ob zu dieser Zeit noch alle an die Existenz von General Wenk glaubten, weiß ich nicht. In den Gesprächen untereinander klang immer wieder an, dass man sich evtl. zur Elbe durchschlagen wolle um, wenn schon Gefangenschaft, dann zu den Amerikanern, bloß nicht zu den Russen! Das war wohl der Wunsch aller, denn die Russen waren nicht auszurechnen. Doch jetzt war unser Ziel erst mal Oranienburg und General Wenk mit seinen Truppen.

So liefen wir in den nächsten Abend hinein und erreichten ein größeres Waldgebiet. Ich hatte keine Ahnung wo wir uns befanden und den anderen ging es ebenso. Ich denke mal, dass wir in der Nähe von Birkenwerder waren, also nicht mehr sehr weit von Oranienburg entfernt. - Wir konnten unterwegs unseren Standort nicht bestimmen, weil Orts- und Hinweisschilder abmontiert waren, um den feindlichen Truppen die Orientierung zu erschweren. Aber wir hatten ja unseren Kommandeur, der uns schon richtig führen würde. - Und dann kam der Hammer!!!

Es war schon dunkel, als wir mitten im Wald zusammengerufen wurden und unser Kommandeur in etwa folgende Weisung ausgab: Unsere Fahrzeuge haben keinen Sprit mehr und müssten zurückgelassen werden, ebenso die Verwundeten. Wir müssten uns in kleinen Gruppen weiter nach Norden durchschlagen. Etwa in zwei Stunden ginge der Mond auf, an dem könnten wir uns orientieren und bis dahin sollten wir uns etwas ausruhen. Um Mitternacht würden die Fahrzeuge gesprengt und da müssten wir weg sein, weil dann natürlich die Russen aufmerksam würden.

Wir waren erst mal konsterniert und für mich brach eine Welt zusammen! Sollte dies das Ende sein? Fern von Berlin und ohne Orientierung was Ort und Personen anging? Und wie ich mich umsehe, gab es nur noch Zivilisten! Die Soldaten hatten schon private Sachen dabei.
Da stand ich dann, verzweifelt und mit Wut im Bauch, dass uns diese Auflösung hier zugemutet wurde. Neben mir stand Roloff, dem es auch nicht anders erging. Am härtesten aber war es für die Verwundeten, die hier einfach ihrem ungewissen Schicksal überlassen wurden!!! -

Nach einem Augenblick des Nachdenkens beschlossen Roloff und ich erst mal, uns aus diesem Kreis zu lösen, um es allein zu versuchen. Denn die tatsächlichen Zivilisten waren ein ungeordneter Haufen ohne Führung. So suchten wir beide erst mal ein ruhiges Plätzchen in einer Tannenschonung, um uns etwas auszuruhen. Wir waren ja seit 24 Stunden ununterbrochen auf den Beinen und hatten uns durch die russische Kampflinie durchgeschlagen. Das vielstimmige Flüstern ebbte ab, es knackte noch hier und da und wir fielen in einen tiefen Schlaf.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war als mich Roloff zum Weitergehen aufforderte. Zuerst bat er mich, mein Parteiabzeichen abzunehmen und fragte auch nach Ausweisen. Wir legten beide unsere verdächtigen Relikte aus der NS-Zeit zusammen und vergruben sie im Wald. - Für mich hatte diese Aktion etwas von Verrat an sich aber Roloff überzeugte mich, dass sie notwendig war. Der Mond schien nun zwar und wir konnten auch ganz gut sehen, aber in welcher Richtung sollten wir gehen? Wo war Norden? Wir wussten es beide nicht und nahmen vorsichtig, Geräusche vermeidend, eine vielversprechende Richtung.

Nach einiger Zeit stießen wir auf eine Gruppe unserer Zivilisten. Sie waren im Kreis gegangen, weil sie sich nicht auf eine Fährte einigen konnten. Sie wollten sich nun uns anschließen. Vielleicht meinten sie, dass wir es besser könnten. Diesen Wunsch konnten wir ihnen schlecht abschlagen, obwohl wir lieber allein geblieben wären. Nach einiger Zeit fanden wir einen breiten Waldweg, an dem Telefonleitungen gezogen waren. Einer der Männer schnitt sie in einer heroischen Anwandlung durch und machte damit nur die Russen auf uns aufmerksam.

Wir mieden die Wege und gingen lieber quer durch den Wald, als wir auf eine Ortschaft stießen. Inzwischen war es wieder hell geworden. Wir beobachteten den Ort, ob wir Anzeichen von deutschen Truppen fänden. Aber alles war ruhig und wirkte wie ausgestorben. Nur auf der Straße stand ein einzelner Zivilist mit einer weißen Armbinde. Von dem konnten wir Informationen bekommen, aber wer sollte sie holen? Natürlich war ich wieder dran, weil eine Frau unverdächtiger war. Der Mann sah mich ziemlich verdutzt an als ich fragte, wer hier das Kommando hätte. Die Deutschen oder die Russen? - Natürlich die Russen!!! Und General Wenk wäre mal vor 10 Tagen in der Nähe gewesen. Aber dann hatten die Russen das Gebiet besetzt und seit dieser Zeit sei hier kein deutscher Soldat mehr gesehen worden. Im Übrigen hieße der Ort Lehnitz, er wäre Milizionär und wir sollten machen, dass wir weg kämen. Er zeigte mir noch die Richtung nach Oranienburg und mit dieser Information kam ich zu den Männern zurück.

Unsere Stimmung war ziemlich mies als wir weiter nach Oranienburg trabten. Wir waren ca. 10- 15 Leute, die jetzt alle lieber zu Haus gewesen wären. Das Lamentieren hörte nicht auf. Aber irgendwie musste das hier zu Ende gebracht werden. Und dann standen wir plötzlich vor einer richtigen Straße, über die wir hinweg mussten. Aber auf dieser Straße war reges Treiben von russischen Truppen. Was sollten wir tun? Erst mal aus der Deckung heraus das ganze beobachten: Russische Soldaten zu Fuß, zu Pferde und in Fahrzeugen. Der Nachschub rollte und zwar in dichter Folge. Aber hinüber mussten wir!

Wieder sollte ich gehen und winken wenn die Luft rein war und alle rüber konnten. Wir warteten noch ein Weilchen bis es ruhiger wurde. Dann ließ ich meinen Brotbeutel zurück und ging zur Straße. Aber welcher Schreck: Es kam eine große Kolonne russischer Soldaten in geordneter Formation! Der Abstand zwischen ihnen und mir war so kurz, dass sie mich schon gesehen hatten und ich nicht mehr zurück zu den Männern konnte. Also Ruhe bewahren und eine Täuschung versuchen! Ich setzte mich an den Straßenrand und schüttelte mir den Sand aus den Schuhen.

Die ersten der Kolonne sahen mich schon verwundert an und als sie auf meiner Höhe waren, setzte in meinem Rücken eine Schießerei ein. Von der Kolonne vor mir kamen ein paar Soldaten auf mich zu und nahmen mich energisch und wortreich fest. Rückblickend konnte ich gerade noch sehen, wie meine Gruppe ebenfalls festgenommen wurde. Später gesellten sich noch andere aus unserem Durchbruchsversuch dazu, sodass wir schon ein größerer Gefangentrupp waren. Jedoch wurde ich - als einzige Frau - immer streng getrennt gehalten, durfte mit den Männern nicht reden, weil man mir immer die "Spionin" anhängen wollte.
Und das sah für mich ganz schön schlimm aus.

Was ich unbedingt vermeiden wollte, war nun eingetreten: Ich war in der Gewalt der Russen!!!

lo