Harald Schlanstedt: Einzug der Amerikaner in Wimmelburg am 13. April 1945

    Dieser Eintrag stammt von Harald Schlanstedt (*1930) aus Lutherstadt Eisleben, April 2011:

    /lemo/bestand/objekt/schlanstedt_2 Am 10. oder 11. April wurde Panzeralarm gegeben ( 5 Min. Dauerton der Sirene auf der alten Schule). Weitgehend unbemerkt waren im Bereich der "Birkenschäferei" vor Blankenheim 8,8 Flak-Geschütze in Stellung gebracht worden. Es handelte sich um eine RAD-Abteilung (Reichsarbeitsdienst, im Alter von 16-18 Jahren). Die Geschütze waren gut getarnt, denn das ständig in niedriger Höhe fliegende amerikanische Aufklärungsflugzeug hatte diese Stellungen nicht erkannt, so dass die auf der B 80 in Kolonne anrückenden amerikanischen Panzer gute Ziele für die 8,8 Kanonen waren.

    Diese Kämpfe erfolgten am 12. April, wobei am Abend die Scheune der Birkenschäferei in Flammen aufging. Die amerikanische Panzerspitze zog sich daraufhin zurück und fuhr einen Umweg über Beyernaumburg, Liedersdorf, Holdenstedt, Bornstedt, Schmalzerode, Wolferode, Mühlberg - Kunstberg nach Wimmelburg, wo sie am 13. April gegen 11.00 Uhr weiter in Richtung Eisleben fuhr. Die Kreuzung zur B 80 wurde durch mehrere Panzer in Richtung Blankenheim abgesichert. Erst gegen 15.00 Uhr kamen Truppenverbände aus Richtung Blankenheim und bogen in die Ortslage Wimmelburg ein und fuhren in Richtung Grundörfer oder Helbra über die Diebeskammer.

    Wolferode geriet unter Artilleriebeschuss, weil eine zuvor auf dem Kirchturm gehisste weiße Fahne auf Veranlassung des NSDAP-Ortgruppenleiters wieder eingeholt worden war. Die 15 cm Feldhaubitzen waren zwischen Liedersdorf und Holdenstedt linksseitig der Straße aufgestellt. Noch Wochen später markierten viele leere Kartuschen diese Stellung. In den Gärten am Süd-West-Rand von Schmalzerode waren ebenfalls zwei 8,8 Flak postiert, wo es noch zu einem kurzen Gefecht kam. 1 oder 3 Panzer wurden dabei abgeschossen. Als Rückzugsraum für die deutschen Verteidiger, RAD und Volkssturm hätte eigentlich Wimmelburg beschossen werden müssen und die Frage: Warum nicht? Ist schnell beantwortet. Anfang April waren einige 100 englische Kriegsgefangene (nach Angaben von Alan und Peter Green sollen es über 400 gewesen sein, dazu Bilder von Lee Hill, Neuseeland) von irgendwo her, zwischen Kuh- und dem neuen Schafstall der Domäne, unter freiem Himmel festgesetzt worden. Das hofähnliche Areal war zur B 80 durch eine ca. 2-2,5 m hohe Mauer abgeschlossen. Auf ihr saßen die deutschen Wachposten. Diese duldeten den Kontakt und Tauschhandel mit den Ortsansässigen, vorwiegend von Schokolade und Seife gegen frische Hühnereier, Wurst, Speck u.ä.

    Das nahe Kriegsende vor Augen, nahm das Wachpersonal den Dienst nicht mehr so genau; denn aus Wächtern selbst Gefangene zu werden, stand kurz bevor. So hatten die Gefangenen Engländer die Gelegenheit, aus Bettlaken ein großes "PW" - prisoner of war - Kriegsgefangene - anzufertigen und es am 11. oder 12. April im Bereich der jetzigen Neubauern-Siedlung auszulegen. Die "Krähe", wie wir das gepanzerte Aufklärungsflugzeug nannten, verstand dieses Signal und andere Aktivitäten sehr wohl. So ist zu erklären, dass Wimmelburg nicht beschossen wurde und von Kampfeinwirkungen verschont blieb. Im jetzigen Gemeindeamt hatte die RAD-Abteilung ein Verpflegungsdepot eingerichtet, was am 12. April der Bevölkerung frei gegeben wurde.

    Daraufhin setzte ein unkontrolliertes Plündern ein. Konservendosen (Kartoffeln, weiße Bohnen, Schweinefleisch), "eiserne Rationen" (eine Art Hartkeks) und die persönlichen Sachen der Arbeitsdienstler kamen unter die Leute. Es waren vorwiegend Flüchtlingsfrauen und einige ältere Jugendliche, die sich bedienten.

    Beim Einmarsch der Amerikaner standen die nun befreiten Engländer unter der englischen Fahne versammelt unter der alten Linde der Domäne. Die Fahne konnte auch nur, lange vorher, unter Duldung des Wachpersonals, aus einer alten Segeltuchplane und roter und blauer Farbe angefertigt worden sein. Die Amerikaner, deren unendlich langen Fahrzeugkolonnen vorbeifuhren, warfen immer wieder Verpflegungskartons ihren befreiten Verbündeten zu.

    Die Volksturmeinheiten, die sowohl den Turm der Ruine Bornstedt sprengen bzw. vor der Bahnlinie am Blankenheimer Berg die amerikanischen Panzerspitzen aufhalten sollten, wurden von altgedienten Offizieren noch vor einer Feindberührung nach Hause geschickt. Kurz zuvor wurden sie noch in "Afrika-Uniformen" eingekleidet. Bei der Unterweisung dieser Männer im Umgang mit Panzerabwehrwaffen war in dem Klassenraum der "neuen Schule", den jetzt die Volksolidarität nutzt, die Treibladung einer Panzerfaust los gegangen. Der Rückstrahl hatte für Panik gesorgt und die Wände des Raumes total geschwärzt.

    Der Gasthof "zum Hirsch" war als Reservelazarett eingerichtet. Die dort untergebrachten Verwundeten deutschen Soldaten hatten den Krieg überstanden und gingen in amerikanische Gefangenschaft. Am 14. April mussten Waffen, Radio- und Fotoapparate abgeliefert werden. Vor der "Alten Schule", wo sonst alljährlich der Maibaum, stand, türmte sich ein beachtlicher Berg der abgegebenen Waffen und Geräte. Die besten Exemplare wurden von den amerikanischen Soldaten gleich dort als persönliche Kriegsbeute requiriert.

    Die nun ebenfalls befreiten ehemaligen Fremdarbeiter, Niederländer, Polen und Franzosen, lebten jetzt auch auf ihre Art die wieder gewonnene Freiheit aus. Besonders die Polen der Domäne gingen auf "Uhrensuche". Manche hatten beide Unterarme mit Armbanduhren bedeckt. Wir Deutschen waren in den ersten Tagen nach dem Kriege völlig rechtlos. Am 13. April abends verkündete der Ortsbote mit seiner Klingel: "wenn noch ein Schuss fällt, werden 10 Nazis erschossen!" Das hat sich in meinem Gedächtnis bis heute eingeprägt.

    /lemo/bestand/objekt/schlanstedt_1 Einige Tage später wurde eine Ortsverwaltung eingesetzt. Es war schon erstaunlich, wer da so alles vorher gegen den Faschismus gekämpft hatte!? Vermutlich rechnete sich jeder "Feindsenderhörer" nun zum antifaschistischen Widerstandskämpfer. In Wimmelburg wurde Willi Schröder vom Landrat Catsche als Bürgermeister eingesetzt. Er war als Kommunist bekannt und war während der NS-Zeit auch inhaftiert. Schröder war auf Grund seiner politischen Einstellung den "Amis" nicht genehm und wurde von ihnen abgesetzt. Er machte Willi Gleißner, einem SPD-Mann Platz.

    Am 2. Juli zogen die Amerikaner ab und es kamen die Soldaten der Roten Armee. Sie zogen mit Panjewagen, die meisten zu Fuß, auch Vieh trieben sie mit, gen Westen. Der eingesetzte Ortkommandant kehrte die Ortsverwaltung wieder um. Mit der Machtübernahme durch die Sowjets begann sich das Leben im Ort wieder langsam zu normalisieren.

lo