> Helmut Becker-Floris: Mein Leben als Luftwaffenhelfer 1944-1945

Helmut Becker-Floris: Mein Leben als Luftwaffenhelfer 1944/1945

Dieser Eintrag stammt von Helmut Becker-Floris (*1928 ) aus Hamburg, November 2005:

Im Januar 1944 besuchte ich die Untersekunda-Klasse im Gymnasium in Montabaur/ Westerwald. Nach der Musterung wurde ich als "tauglich" eingestuft und wurde mit der Hälfte meiner Klasse zur Heimatflak als Luftwaffenhelfer (LwH) einberufen. Geringschätzig betrachteten wir die "hinterbliebenen" Mitschüler, so stolz waren wir! Ich war gerade 16 Jahre als geworden. Auf diesen Einsatz waren wir geistig und körperlich seit längerem vorbereitet worden: Zum Einen durch die sogenannten Kriegshilfsdienste: Räumarbeiten nach Bombenangriffen, Luftschutzmeldedienste, Geländespiele und Zeltlager in der HJ ab dem zehnten Lebensjahr, politischer Unterricht durch die HJ-Führer, später war ich selbst HJ-Führer.

Wir kamen zu den Opelwerken in Rüsselsheim bei Mainz. Zunächst wurde ich am Vierlings-MG ausgebildet gegen die Tiefflieger. Unser Einsatzort befand sich auf dem Dach der Opelwerke. Diese stellten kriegswichtige Geräte her. Da amerikanisches Kapital in diesem Unternehmen steckte, wurde es lange Zeit von den Bombern verschont. Das war mein Glück! Nach einigen Monaten wurde ich in eine Großkampfbatterie mit acht 8,8 cm-Geschützen verlegt. Diese Batterie lag in einem Geschützring außerhalb von Rüsselsheim um die Opelwerke herum. Anfang 1945 wurden die Werke aber angegriffen und die obersten Stockwerke der Gebäude zerstört.

Wir lebten in primitiven Unterkünften: Holzbaracken, dreistöckige Betten mit Strohmatratzen. Ich war in einer Acht-Zimmer-Wohnung aufgewachsen! Unsere Verpflegung war recht eintönig, aber ausreichend. Alles war sehr rustikal und natürlich auf Massenverpflegung ausgerichtet. Der Schulunterricht war eine Farce. Der Lehrer kam einige Tage in der Woche in unsere Batterie. Wir LwHs versammelten uns in einer unserer Wohn- und Schlafbaracken; da wir nicht genügend Holzhocker für alle hatten, mussten einige auf den Betten sitzen, die sich im hinteren Teil des Raumes befanden. Eine Sitzposition, die zum Einnicken einlud. Wann immer während des Unterrichts eine Sirene, auch in noch so großer Entfernung ertönte, sprangen wir auf mit dem Hinweis, wir müssten schnell an die Geschütze! Obwohl wir zu diesem Anlass eine spezielle Sirene auf dem Batteriegelände hatten. So musste der arme Lehrer warten bis wir nach einiger Zeit zurückkamen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir in diesen Monaten wirklich etwas gelernt hätten.

Wir haben damals erfahren, aus unangenehmen Situationen noch etwas Positives zu machen. Durch den Krieg waren wir körperlich und seelisch abgehärtet und waren geübt in Belastbarkeit und Eigenschaften, die mein späteres Leben prägten. Wir lernten bestimmte Verhaltensweisen: Beispielsweise Anpassungsfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, die Erkenntnis, dass man beim Leben in einer Gemeinschaft einige Freiheiten zurückstecken muss, weil man gegenüber anderen auch Pflichten hat. Im Herbst 1944 wurde ich zum "Oberhelfer" befördert, kurze Zeit danach wurde ich Geschützführer und hatte das Kommando über acht bis zehn Personen, einige LwHs, einige Volkssturm-Männer und einige ausländische Gefangene. Nach Abschuss mehrerer Flugzeuge durch Geschütze unserer Batterie erhielten wir jeder das "Flakkampfabzeichen".

Einige waffentechnische Details: Eine Großkampfbatterie bestand aus zwei mal sechs Geschützen, diese sollte gleichzeitig als "Gruppenfeuer" schießen. Der enorme Krach, der bei jedem Abschuss der schweren Geschütze entstand, machte uns Freude, denn so konnten wir aktiv am Krieg teilnehmen. Die für uns zuständigen Messgeräte befanden sich weit entfernt von unseren Geschützen. Die LwH, die sie bedienten, saßen in sicheren Bunkern - es waren die schwächeren LwH! Durch akustische Übertragung gaben sie uns die Werte zur Einstellung des Geschützes durch: Seite und Höhe des Rohres sowie die Werte für die Einstellung des Zünders an der Granante. Wir mussten diese Werte trotz des Lärms am Geschütz durch Kopfhörer empfangen.

Bei nächtlichen Angriffen warfen die ersten Flugverbände magnesiumleuchtende Flugkörper ab, die an Fallschirmen hingen und taghell die Landschaft beleuchteten. Dadurch konnten wir erkennen, was das Angriffsziel sein sollte. Mit unseren 8,8-Kanonen konnten wir bis zur Höhe von 11.000 m schießen. Die Bedienungsmannschaft eines Geschützes bestand aus acht Personen: Ein Geschützführer, je ein Mann für die Einstellung der Seite, der Höhe und des Zünders, ein Ladekanonier und mehrere "Hiwis" - ältere Flakwehrmänner und russische Gefangene -, die Munition herbeischaffen mussten. Denn die Reservemunition lag in großen Stapeln außerhalb unserer eingegrabenen Geschützstellung.

Nach einem Angriff unserer Batterie wurden unter anderem diese Reservemunition zerstört. Die Granaten explodierten nicht, da der Zünder noch nicht eingestellt war, aber das Zündpulver, das in Form von Stangen in den Kartuschen war, flog brennend in unsere Geschützstellungen. Damit konnten wir aber fertig werden. Trotz allem fühlten wir uns bei Fliegerangriffen in unserer Batterie sicherer, als wenn wir beim Heimaturlaub bei Fliegeralarm in einen Bunker gehen mussten.

Als ich gerade Anfang 1945 entlassen war, wurde die Batterie an die Ostfront verlegt zum Einsatz für den Beschuss von Panzern - ein Höllenkommando! Rückblickend stelle ich fest, dass wir damals in einer völlig anderen Welt gelebt haben, von der ich manchmal denke, dass ich die gar nicht selber erlebt habe.

lo