> Helmut Blümchen: Kriegsende in der AEG Berlin die letzten Tage des Friedrich-Karl-Ufer (FKU)

Helmut Blümchen: Kriegsende in der AEG Berlin - Die letzten Tage des Friedrich-Karl-Ufer (FKU)

Dieser Eintrag stammt von Helmut Blümchen (*vor 1900) aus Berlin, Januar 2007:

Ab Aprilmitte 1945 traten große Veränderungen für die Allgemeine Elektricitätsgesellschaft (AEG) am Friedrich-Karl-Ufer (FKU) ein. Der gesamte Stadtverkehr in S-, U- und Straßenbahnverbindungen kam zum Erliegen. Die Belegschaft, spez. die weiter ab Wohnenden, konnten ihre Arbeitsstätte nicht mehr mit den Verkehrsmitteln erreichen. So kam der 20. April, und die AEG-FKU war fast wie ausgestorben.

An diesem Tage erhielt ich von Herrn Dr. v. Cosel, Herrn Dir. Wendel und Herrn Dir. Prael die Aufforderung, mich mit meinem Fahrrad der Firma zur Verfügung zu halten. Am 21.4.45 wurde ich als Verbindungsmann zwischen dem Oberkommando des Heeres (OKH) und der AEG zu den Deutschen Waffen & Munitions-Werken in Berlin Borsigwalde beordert. Der Aufenthalt hier war für 24 Stunden vorgesehen. Am 22.4. vormittags wurde ich durch einen anderen Verbindungsmann der AEG abgelöst. Während der Ablösung kam die Nachricht, dass der Russe schon an der Eisenbahnbrücke in Wittenau sei und es erging an uns durch einen Offizier die Aufforderung, dass sich alle Privatpersonen mit einer Panzerfaust zu bewaffnen hätten und uns zum Kampfeinsatz zu begeben hätten. Da wir uns aber zur Verfügung eines Majors bereithalten sollten und dessen Befehle abwarten mussten, war der Befehl an uns zur Bewaffnung und zum Kampfeinsatz wieder zurückgezogen worden. Am Montag, den 23.4. war ich wieder im FKU mit vorläufig festem Wohnsitz. Die Verbindungsstelle OKH-AEG Borsigwalde war seit Sonntag, den 24.4., zum Humboldt-Flakbunker am Bahnhof Gesundbrunnen rückverlegt worden und vom FKU aus wurde kein Verbindungsmann mehr gestellt.

Im FKU befanden sich 32 AEG Kameraden unter Leitung von Herrn Dir. H. Klemm, die für den Luftschutz-Löschdienst bzw. für die Verpflegung der ausländischen Arbeiter zu sorgen hatten. Es waren italienische, holländische und russische Fremdarbeiter, welche verpflegt werden mussten und uns auch teilweise bei den Brandwachen zur Verfügung standen. Die Baracke am Hafengelände, wo die Italiener untergebracht waren, und die Kellerräume der Russen am Alexander Ufer 6 mussten geräumt werden wegen der ungeschützten Lage. Die Fremdarbeiter wurden in den Kellerräumen des FKU untergebracht und die 5 Holländer siedelten zu uns in den Luftschutzbunker im Alexander Ufer über und beteiligten sich auch stets an den Brandwachen und den späteren Löschaktionen. Durch Inbetriebnahme eines Dieselaggregats war für eine Notbeleuchtung in den Kellerräumen gesorgt. Vom Fernmelde- und Apparatefabrik Oberspree (FAO) Oberschöneweide waren auch vier AEG Angehörige anwesend, welche Spezialisten auf diesem Gebiet waren und durch Ablösung ständig für Licht und telef. Verbindung im Hausanruf sorgten.

Von Arbeit und Aufregungen sollten wir in den nächsten Tagen nicht verschont bleiben. Der Hotelbesitzer vom "Lehrter Hof" und einige Leute vom Landratsamt sowie die Friseurfrau vom Alexander Ufer 2 mit ihren italienischen Gesellen waren ständig im AEG Luftschutzkeller einquartiert. Unter diesen befand sich auch eine schwer kranke Frau. Als Betreuerin stand uns auch eine Krankenschwester zur Verfügung, welche die BDM Organisation im Lehrter Hof zu betreuen hatte. Lebensmittel standen uns verhältnismässig reichlich zur Verfügung, nur an Brot, Fleisch und Fett war nichts vorhanden. Lebensmittelkarten waren paketweise vorhanden, aber die Kaufleute der näheren Umgebung konnten uns wegen Ausverkauf der Waren nicht beliefern.

Als erstes musste für Brot gesorgt werden. Da die Strassen teilweise nicht mehr mit dem Elektrokarren befahrbar waren, machte sich eine Kolonne von 5 Mann auf die Suche nach Brot. Das Unternehmen war nicht ohne Lebensgefahr verbunden. Am Schiffbauerdamm lagen zwei Tote, welche nur mit Dachpappe bedeckt waren. An den Sachen derselben war ein Zettel angeheftet mit Namensangabe und Todestag versehen. Unverhoffte Granateinschläge hatten hier ihre Opfer gefunden. Die Weidendammer Brücke war durch große Panzersperren unpassierbar. Nachdem wir der militärischen Sperrenbesatzung unseren Auftrag klarlegten und unsere Ausweispapiere in Ordnung befunden wurden, konnten wir nach Überkletterung der Sperre unseren Weg fortsetzen. Unter der Bahnbrücke Bhf. Friedrichstrasse hingen an einem Schaufenstergitter zwei deutsche Soldaten erhängt. Ein Schild mit folgendem Vermerk besagte die Ursache. "Wir hängen hier, weil wir unsere Waffen nicht in Ordnung gehalten haben wie wir es unserem Führer geschworen haben". Bei Bäcker Heil in der Dorotheenstr. hatten wir Erfolg und bekamen Brot, was einige Tage reichen würde. Unsere nächste Aktion war die Beschaffung von Fleisch und Fett. Da nach dem Norden zu die Straßen noch befahrbar waren, fuhr ich mit dem Elektrokarren zu den Kühlhallen in der Scharnhorststr. Da wir in unserem Bunker schon zwei schwer verwundete Soldaten aufgenommen hatten, stellte ich dem Kühlhallenleiter die Sache so dar, dass wir in unserem Bunker ein Lazarett eingerichtet hätten und ich beauftragt wäre, für Verpflegung zu sorgen. Da hier auch der Name des Betriebsratsvertreters Elsner bekannt war, bekam ich gegen Quittung zwei halbe Schweine und ein Ctr. Butter. Gegen offizielle Bestellung könnte ich am anderen Tag noch mehr in Empfang nehmen. Dies wurde wahrgenommen und ich holte am 24.4. noch zwei Rinderviertel und ein Fass Butter.

Am 25.4. begannen für uns nun schwere Tage, es kam so, dass wir nicht mal richtig Zeit zum Essen hatten. Am 25. geriet der Kuppelbau des FKU durch Beschuss in Brand. Mit dem Elektrokarren wurde die Motorspritze unter die Admiral Scheer Brücke gebracht um hier in einigermaßen Deckung zu sein und eine ungehinderte Wasserzufuhr für die Löschaktion zu bekommen. Nachdem die Löschaktion ziemlich beendet war, bekamen wir unter der Brücke an der Motorspritze einen Artillerietreffer, so dass wir uns in Sicherheit bringen mussten. Die Spritze arbeitete weiter bis der Benzinvorrat aufgebracht war. Zwei Mann hatten leichte Sprengsplitterverletzungen erhalten. Am Kronprinzen Ufer wurde russisches Militär gesichtet. Den Elektrokarren und die Motorspritze musste ich im Stich lassen und Herr Dir. Klemm bestimmte, dass ich auch nachts den Karren nicht holen sollte, es sollte sich keiner deswegen in Lebensgefahr begeben. Eine Motorspritze stand uns noch außerdem zur Verfügung.

Von Moabit her kam jetzt der Volkssturm und auch militärische Einheiten zu uns. Die SS in Stärke von ungefähr 200 Mann bezogen ihr Quartier in den Kellerräumen des FKU. Der Volkssturm ließ sich im Alexander Ufer häuslich nieder. Es kamen immer mehr Anwohner der näheren Umgebung zur AEG, um in unserem Luftschutzbunker sicheren Aufenthalt zu finden. Auch einige Kameraden der Maschinenfabrik (MF) in Berlin Wedding Brunnenstr. kamen zu uns, um hier bleiben zu können. Da die Räumlichkeiten aber nicht recht ausreichten, verließen sie uns wieder. Durch Fliegerangriffe und sonstigen Beschuss entstanden ringsum in der Stadt Brände. Jeder von uns musste damit rechnen, dass nun in der Zeit die Angehörigen zu Schaden kommen konnten oder die Wohnung den jetzigen Bränden zum Opfer fallen würde. Jetzt stellte sich der Wassermangel ein. Die Wasserleitungen versiegten gänzlich. Für die vielen Menschen wurde aber unbedingt Wasser für die Essenküche gebraucht. Aus den Heizungsanlagen wurde das Kondenswasser abgelassen, bis später auch dieses versiegte. Die nächste Wasserstelle war ein Brunnen im Garten der Charité. Mit einem zweiten Elektrokarren und mit großen Essenkübeln musste nun die beschwerliche Fahrt am Tage unternommen werden. Die Bürgersteige und Dämme waren mit Mauersteinen und Haustrümmern besät, aber alle Fahrten haben wir glücklich und ohne Verluste überstanden. Die italienischen Fremdarbeiter versuchten einen Tiefbrunnen im Keller des FKU anzulegen, aber der Erfolg war nur sehr dürftig.

Jetzt mussten wir auch feststellen, dass systematische Plünderungen im Hause stattfanden. In den Büros waren Schreibtische und Schränke gewaltsam erbrochen und ausgeplündert. Fast die gesamten Räume des FKU waren davon betroffen und die Täter konnten nie überrascht werden. Diese Plünderungsaktion ging nach unserer Meinung nur von den Italienern aus, die in dem FKU-Keller untergebracht waren. Trotz Ermahnungen wurden die Plünderungen fortgesetzt. Herr Dir. Klemm ließ nunmehr sämtliche Italiener mit ihrem Gepäck auf dem Hof antreten und eröffnete diesen Leuten, dass er sie dem Militär wegen Plünderung übergeben würde. Es war ja nur ein Schreckschuss, der aber ins schwarze traf. Sie versprachen, dass keine Plünderungen mehr vorkommen würden was nun auch tatsächlich nicht mehr der Fall war. Um den kostbaren Bestand an Schreib- und Buchungsmaschinen zu sichern, wurden sämtliche Maschinenbestände des Hauses in den Kellerräumen untergestellt.

Der Volkssturm hatte am Portal AU 4 eine Doppelwache gestellt. Genau über den Eingang ging ein Artillerievolltreffer und brachte die Hauswand zum Einsturz und verschüttete beide Volkssturmleute. Beide waren verletzt und konnten sich bemerkbar machen. Wegräumen der Trümmer war nicht möglich wegen nachstürzender Mauerteile. Zwei italienische Maurer machten sich dabei und stemmten vom Keller aus die Decke durch um so die Verschütteten zu befreien. Nach stundenlanger Arbeit wurden beide befreit. Ein Mann aber war seinen Verletzungen erlegen und konnte nur tot geborgen werden.

Am 27.4. geriet das Landratsamt in Brand und das Feuer fraß sich über das Hotel Lehrter Hof zur AEG Alexander Ufer 3 weiter. Hierdurch brannte der rechte Seitenflügel Alexander Ufer 3 fast gänzlich aus. Das Feuer fraß sich immer weiter trotz Löschversuche und griff zum Alexander Ufer 4 über.

Wir befanden uns in einer sehr kritischen Lage. Das Feuer griff immer weiter um sich und Wasser zum Löschen stand uns nicht zur Verfügung. Um dem Feuer Einhalt zu gebieten und ein Weiterdringen zum Zwischenbau und zum Luftschutzkeller zu verhindern, rissen wir in verschiedenen Büros die Rabitzwände ein und füllten mit diesen gewonnenen Rabitzplatten die Türdurchlässe in den Brandmauern aus. Diese Arbeit wurde von den Parterreräumen bis zu den obersten Stockwerken durchgeführt und schien sich zu bewähren. Aber das Feuer drang in den Kellerräumen durch die erste Brandmauer durch und hatte so das von uns errichtete Bollwerk überwunden. Jetzt musste der gleiche Versuch an der nächsten und letzten Brandmauer vor dem Zwischenbau und Luftschutzkeller unternommen werden. Diesmal hatten wir besseren Erfolg und brachten das Feuer in dieser Richtung zum Stehen. Alexander Ufer 5-7 wurde aber vom Feuer erreicht und fiel diesem zum Opfer.

So kam der 1. Mai heran und die Lage spitzte sich für und immer mehr zu. Einige verwundete Soldaten wurden noch in unserem Luftschutzkeller untergebracht und aus den anliegenden Wohnhäusern kamen ganze Familien mit ihren Kindern zu uns und fanden auch Aufnahme. An ein Verlassen der Räume war praktisch nicht zu denken, da der Beschuss immer stärker wurde. Es mussten Notaborte im Keller aufgestellt werden. Der Volkssturm sowie der größte Teil des Militärs hatte das AEG Gebäude verlassen. Nur im FKU hatten sich im ersten Stock ca. 8 hohe SS-Offiziere zur endgültigen Verteidigung vorbereitet. Dies sollte die völlige Vernichtung des FKU Gebäudes bedeuten.

Da unter den AEG Lagerbeständen viel neue Anzüge und Stiefel aufgefunden wurden, welche an die Fremdarbeiter zur Verteilung gelangten, lagen in den Kellerräumen alte Zivilsachen umher. Diese eigneten sich die Soldaten an und entledigten sich ihrer Uniformen um sich so besser einen harmlosen Anstrich geben zu können.

Die Nacht vom 1. zum 2. Mai wurde immer unruhiger. Die Luftschutzräume waren überfüllt. Es waren wohl über 300 Personen im Luftschutzkeller untergebracht. Die Stimmung war auf dem Siedepunkt angelangt. Frauen und Kinder mussten ihr Lager auf der Erde herrichten.

Am 2. Mai gegen Mittag kam ein russischer Parlamentär, der sich an unserer verrammelten Bunkertür bemerkbar machte. Mit lächelndem Gesicht teilte er uns mit, dass Waffenstillstand wäre und fragte nur, ob wir im Besitz von Waffen wären oder ob sich Militär im Luftschutzbunker aufhielt. Beides war aber nicht der Fall. Da im FKU aber die wenigen SS Offiziere sich aufhielten, ging der Russe zu diesen hinüber, um sie zur Kapitulation aufzufordern. Herr Dir. Klemm, der den Parlamentär hinüber begleitete, um den Weg zu weisen, wurde von der SS sehr kriegerisch empfangen, da sie in seiner Handlungsweise einen Verrat sahen und ihm mit erschießen drohten.

In der Nacht vom 2. zum 3. Mai erschienen einige Russen, die unseren Luftschutzkeller revidierten. In einen Raum, der dunkel war und auf unsere Versicherung hin sich keiner mehr aufhielt, wurde trotzdem eine Handgranate geworfen, da sie unseren Angaben nicht glaubten. In den Gartenanlagen der Charité war die russische Artillerie aufgefahren und nahm FKU unter Beschuss, um so das Widerstandsnest der SS auszuräuchern.

Am 3. Mai vormittags mussten sämtliche Personen den Luftschutzraum verlassen. Über die Höfe des FKU, welche mit Trümmern und Mauerresten durch den nächtlichen Beschuss übersät waren, mussten wir unseren Weg am Lessingtheater vorbei uns zur Unterbaumstr. begeben. Hier lagen auf dem Bürgersteig die letzte SS-Besatzung des FKU und teilweise durch Beschuss verstümmelt. Sämtliche männliche Personen mussten gesondert antreten und nun begann für uns der Leidensweg in die Gefangenschaft, welche Monate, teilweise auch jahrelang dauern sollte.

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