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Hermann Lohmann: Im Reichsarbeitsdienst

Dieser Eintrag stammt von Hermann Lohmann (1925-2016) aus Deutsch Evern, Februar 2010.

Mehr als 60 Jahre sind nun vergangen, seit ich als 19jähriger glücklich aus dem 2. Weltkrieg in meine Heimat zurückkehren konnte. Nach so langer Zeit ist es natürlich schwierig, einen realistischen Bericht zu schreiben, weil viele Erlebnisse einer gewissen Verklärung anheim gefallen sind. Meine Mutter hat meine Feldpostbriefe aufgehoben, die mir heute als "Tagebuch" dienen können. Somit habe ich auch heute nach mehr als 60 Jahren noch die Möglichkeit, meine Erlebnisse einigermaßen vollständig und ereignisgetreu zu erzählen.

Meine Jugendzeit habe ich vom 13. bis zum 19. Lebensjahr im 2. Weltkrieg erleben müssen. In diesem Lebensalter prägen sich außergewöhnliche Ereignisse wohl besonders in das Gedächtnis eines Menschen ein. Ich und viele andere meines Alters werden diese Erlebnisse deshalb auch wohl niemals ganz aus dem Gedächtnis verdrängen können.

Am 1.9.1939 begann der 2. Weltkrieg. Ich habe mir damals als 13jähriger nicht träumen lassen, dass auch ich noch in den Krieg ziehen müsste. Aber am 18. Mai 1943 wurde ich als 17-Jähriger zum Reichsarbeitsdienst (RAD) nach Friesoythe/Oldenburg einberufen. Meine Oberschulklasse im Johanneum zu Lüneburg wurde aufgelöst.

Diejenigen, die zum RAD einberufen wurden (bis Jahrgang 1925), erhielten am 16.5.1943 ein Abgangszeugnis mit der Berechtigung, nach der Entlassung aus der Wehrmacht an einem Sonderlehrgang für Kriegsteilnehmer zur Ablegung der Reifeprüfung teilzunehmen. Die übrigen Mitschüler wurden als Luftwaffenhelfer an Flakgeschützen zwecks Abwehr von Bombenflugzeugen eingesetzt. Sie erhielten sporadisch Unterricht an ihren Standorten. Sie waren aber meistens infolge der Nachteinsätze zu müde, um dem Unterricht zu folgen.

Ich will nun meine Erlebnisse in der Zeit vom 18. Mai 1943 bis zum 1. April 1945 (Ostersonntag) anhand meiner Feldpostbriefe schildern. Meinen letzten Feldpostbrief, der meine Eltern erreichte, habe ich am Karfreitag, den 30.3.1945 im Samland/Ostpreußen geschrieben. Wichtige Teile aus dem Originaltext der Feldpostbriefe will ich herausschreiben, um so am besten darstellen zu können, was ich im Kriege als 17- bis 19-Jähriger empfunden und gedacht habe. Hieraus ist auch zu erkennen, wie ich damals die außergewöhnlichen körperlichen und seelischen Belastungen ertragen habe.

Meine Erlebnisse in der Zeit vom 1.4.1945 bis zum 30.5.1945 beschreibe ich aus meinem Gedächtnis heraus, wobei mir noch vorhandene Karten und Adressen sowie oftmaliges Erzählen in den Jahren nach Kriegsende als Gedächtnisstütze dienen.

Vorab will ich einiges über die Arbeitsdienstorganisation und meine Arbeitsdienstzeit berichten, was aus meinen Briefauszügen nicht zu entnehmen ist. Der Arbeitsdienst wurde durch eine "Notverordnung vom 5. Juni 1931 im Interesse der Erwerbslosen-, Krisen- und Wohlfahrtsunterstützungsempfänger" von der damals demokratischen Reichsregierung gegründet, denn damals gab es in Deutschland mehr als 6 Millionen Arbeitslose.

Am 26.6.1935 wurde die allgemeine Arbeitsdienstpflicht für Männer eingeführt. Es ging damals der Slogan um:

"25 Pfennig ist der Reinverdienst
ein jeder muß zum Arbeitsdienst".

25 Pfennig war damals der Tageslohn. Für die weibliche Jugend war der Arbeitsdienst zunächst freiwillig. Es gab ca. 10.000 "Arbeitsmaiden". Ab 1.4.1940 wurde die Anzahl auf 50.000 erhöht. Deren Aufgaben wurden wie folgt beschrieben: "Die weibliche Jugend im Arbeitsdienst ist dazu berufen, kinderreichen und hilfsbedürftigen Müttern, namentlich den schwer belasteten Bauern- und Siedlerfrauen zu helfen. Arbeitsdienst der weiblichen Jugend ist Mütterdienst."

Das klingt ja alles ganz vernünftig. Allerdings gab es natürlich im Dienstplan neben Sport auch politische Schulung, um die politische Meinung der Arbeitsmaiden einheitlich den Lehren der NSDAP entsprechend auszurichten. Auch im Haushalt meiner Eltern halfen Arbeitsmaiden aus dem Arbeitsmaidenlager in Bullendorf. Schon Anfang der dreißiger Jahre wurden in ganz Deutschland, so auch in Echem und später in Bullendorf, Holzbarackenlager gebaut, in denen immer ca. 200-250 Menschen untergebracht werden konnten.

Aufgaben des Reichsarbeitsdienstes waren vor allen Arbeiten der Landeskultur wie Gräben zwecks besserer Entwässerung räumen, Dränungen legen, Moorflächen entwässern, kultivieren und Wege anlegen. Auch in Flurbereinigungen und in der Forstwirtschaft wurde der Arbeitsdienst eingesetzt. Die zur Arbeit hinausmarschierenden Arbeitsmänner des Echemer RAD-Lagers habe ich von meinem achten Lebensjahr an erlebt. Morgens zogen sie Marschlieder singend hinaus in die Feldmark zur Grabenarbeit. Es wurden in Echem vorwiegend Wassergräben von Bewuchs und Schlamm befreit. In dem dortigen Tonboden war das eine schwere, schmutzige Arbeit. Mein Vater hat auf Anforderung auch Arbeitsmänner einsetzen dürfen, um Dränrohre zur Ackerentwässerung legen zu lassen. Im Krieg wurden die Arbeitsmänner zunehmend für kriegswichtige Arbeiten eingesetzt, wie ich auf dem Feldflugplatz Wittmundhafen.



Das Reichsarbeitsdienstlager Friesoythe

Ein aus Holzbaracken bestehendes Arbeitsdienstlager war auch das RAD-Lager Friesoythe, wo 235 Arbeitsmänner untergebracht waren. In meinen Briefen hört sich meine Arbeitsdienstzeit so harmlos und angenehm an. So schön war es im RAD zunächst überhaupt nicht.

 

 


Im so genannten "Erziehungs- und Ausbildungsdienst" wurden wir sehr hart heran genommen und oft auch schikaniert. Die sportlichen Übungen waren noch erträglich. Aber die Ordnungs- oder Exerzierübungen waren hart und oft schikanös. Wir Oberschüler hatten immer den Eindruck, dass gerade im Arbeitsdienst nicht besonders intelligente, verkrachte Existenzen die Ausbilder waren. Sie fühlten sich uns wohl geistig unterlegen und übten ihre Macht über uns besonders brutal aus. Mit ihrer extremen Schleiferei durch exerzieren, robben mit Spaten in Vorhalte möglichst durch Wasserpfützen etc. wurden wir fertig gemacht. Der Laufschritt war die normale Gangart. Nachdem wir uns in Drillichzeug buchstäblich "im Dreck gesuhlt" hatten, mussten wir manchmal eine halbe Stunde später in appellfähigem Drillichzeug antreten, was nur möglich war, wenn man es nach dem Waschen nass wieder anzog. Wer auffiel, musste die Latrinenbaracke schrubben oder Nachexerzieren etc.

 

Man brachte uns durch diese Schinderei bis zum "Kadavergehorsam", was bedeutet, dass man jeden Befehl ohne eigenes Denken ausführt. In den damaligen Richtlinien hieß es: "Jeder einzelne Mann hat jede befohlene Bewegung so einwandfrei wie möglich auszuführen. Er ist nicht mehr ein selbständiges "Ich", sondern nur noch ein Glied der Mannschaft. Die Übungen werden wiederholt, bis sie in Fleisch und Blut übergegangen sind. Die Ordnungsübungen erziehen zu Gehorsam, Selbstbeherrschung und Einfügung in die Gemeinschaft".

Das "Spatenexerzieren" wurde in unserem 1. Zug soweit getrieben, dass wir auf einem Kameradschaftsabend der Bevölkerung von Friesoythe auf der Dorfbühne perfekte Spatengriffe vorführen konnten. Hierfür mussten die Spaten natürlich spiegelblank sein. Deshalb habe ich meine Eltern in meinen Briefen auch immer wieder gebeten, mir Schmirgelpapier zu schicken. Es ist heute eigentlich unvorstellbar, dass wir Jungens damals unsere Exerzierspaten spiegelblank scheuern und polieren mussten, um beim Spatenappell nicht bei den Vorgesetzten aufzufallen. Das hätte Strafdienst auslösen können.

Nach der sehr harten Grundausbildungszeit wurde der Dienst im RAD für uns etwas angenehmer. Die Schikanen hörten weitgehend auf. Während der Einsatzzeit auf dem Flughafen Wittmundhafen wurden wir dann recht fair behandelt. Wir arbeiteten dort im Sommer mit freiem Oberkörper und Drillichhose. Der Truppführer passte genau auf, dass niemand der Arbeitsmänner einen Sonnenbrand bekam. Leider war ich wegen meiner sonnenempfindlichen Haut immer einer der ersten, die das Unterhemd anziehen mussten und ich schwitzte dementsprechend stärker.

Insgesamt gesehen habe ich die Arbeitsdienstzeit ohne körperliche Schäden überstanden. Die Kameradschaft, das Miteinander unter uns 17-jährigen Jungens war gut. Wir haben uns gegenseitig geholfen und so das Beste aus der RAD-Zeit gemacht.


Am 23.5.43 schrieb ich meinen ersten Brief aus dem Arbeitsdienst in Friesoythe:

"Ihr braucht keine Angst zu haben, weil ich das ganze Zivilzeug zurückschicke. Wir haben hier so viel, dass wir es kaum im Spind lassen können. Wir haben 2 Garnituren Tuchanzüge, 2 Garnituren Unterwäsche (Hemd u. Unterhose). Außerdem 3 Paar Schuhe. Auch Stahlhelm und Gasmaske haben wir schon bekommen.

Wir stehen morgens um 6.30 Uhr auf und gehen abends um 10.30 zu Bett. Mein Bett ist sehr gut. Fast so wie zu Hause. Wir haben nämlich Matratzen. Wir essen viermal. Morgens um 7.30 Uhr, um 10.00, um 12.30 und abends um 18.30 Uhr. Heute am Sonntag haben wir zu Mittag ein großes Stück Braten, Salzkartoffeln, Rote Beete, Soße und zum Nachtisch guten Pudding bekommen. Nur Kuchen gibt es hier nicht. Vielleicht schickt Mutter mir mal einen."

Am 1.6.43 schrieb ich:

"Ich will Euch kurz einmal einen Tag R.A.D. (Reichsarbeitsdienst) schildern. Morgens um 5.30 Uhr wird draußen geblasen und dann (Mutter staune) springe ich mit Hurra aus dem Bett. In einer Minute stehen wir draußen im Trainingsanzug und schon geht's zum Frühsport. Danach heißt es Betten bauen, waschen und anziehen. Um halb sieben trinken wir Kaffee, dann ist Morgenappell und dann kommt der Dienst. Zum Kaffee erhalten wir 20 gr. Butter, 10-13 Scheiben Brot und Marmelade. Außerdem natürlich Kaffee. Um 10 Uhr gibt es schon wieder Frühstück. Es gibt dann Roggensuppe. Bis Mittag haben wir dann gewöhnlich A.T. (arbeitstechnischer Unterricht). Mittags gibt es um 12.30 Uhr Essen und zwar sehr gutes. Mittags ist Bettruhe und wir müssen ins Bett. Nach dem Mittag haben wir meistens theoretischen Unterricht. Um 7 Uhr abends gibt es Abendbrot, da gibt es meistens Tee oder Milch (mit Mehl oder Gries) und 10 - 13 Scheiben Brot und sehr viel Wurst oder Käse (Schmelz-, Harzer- oder Schnittkäse). Um 9 Uhr ist Zapfenstreich und wir kriechen auf Kommando alle ins Bett. Wir liegen mit 17 Mann auf der Stube. Ich bin noch lange nicht der Größte - erst der 7. Es gibt hier wirklich gutes Essen, nur Kuchen können Sie nicht für uns backen, weil wir 235 Mann sind. Vielleicht schickst Du, liebe Mutter, mir einen zu Pfingsten."


Am 22.6.43 schrieb ich aus Friesoythe:

"Liebe Eltern! Vielen Dank für Brief und Päckchen. Habe das schöne Päckchen mit wunderbarem Schinken, 1 Waschlappen und Putzlappen am Sonnabend schon erhalten. Das Päckchen ist also nur 1 Tag unterwegs gewesen. Mit geht es hier ganz gut. Ich bin heute nur wieder einmal geimpft worden. Diese Spritze ist aber lange nicht so schlimm wie sonst (Wir wurden gegen alle möglichen ansteckenden Krankheiten schutzgeimpft). Es ist ja schade, dass Ihr kein Schmirgelpapier mehr bekommen könnt. Vielleicht sagt Ihr mal einem von denen, die nach Lüneburg zur Schule fahren Bescheid, dass sie etwas besorgen. Vielleicht bei Popken oder sonst irgend in einem Eisengeschäft. Mit ATA und Vim geht es nicht, weil richtig Stellen aus dem Spaten geschmirgelt werden müssen.

Am Montag war in Cloppenburg ein großer Aufmarsch zur Sonnenwendfeier. Wir hatten dort Ausgang. So hatte ich Gelegenheit, mir die Stadt anzusehen. Wir sind dort mit 2 Abteilungen gewesen. Unsere Abteilung war die beste. Unser Chef hat sich tüchtig gefreut, so dass ich hoffe, dass wir morgen Abend frei haben.

Sonntag haben wir uns hier die Gegend angesehen und dabei einen Bäckerladen gefunden, wo es ganz wunderbaren Kuchen gibt. Die Marken (Lebensmittelmarken der kriegsbedingten Lebensmittelrationierung) konnte ich alle gut gebrauchen (auch die Selbstversorgermarken). Vielleicht seid Ihr so gut und schickt mir ein paar. Dann kann ich Sonntag wieder Kuchen essen. Nun noch eine große Bitte. Schickt bitte Geld. Auf Postanweisung dürft Ihr nicht mehr als 10 M schicken. Aber im Brief geht es ja auch. Schickt bitte so schnell wie möglich eine Uhr. Es ist schlecht wenn man beim Ausgang nicht weiß wie viel die Uhr ist. Viele Grüße aus dem RAD Euer Hermann."


Im Juni 1943 erfolgte dann die Vereidigung im Lager Friesoythe

 


Am 26.6.43 schrieb ich dann an meine Eltern:

 

"Gestern hatten wir hier einen großen Luftkampf über dem Lager. Acht englische Flugzeuge sind nicht weit von hier abgeschossen worden. Letzte Woche haben wir am Kanal in Elisabethfehn Steine für ein Kinderheim abgeladen. Aber Mutter mache Dir keine Sorgen. Wir haben vorher Handschuhe empfangen und haben uns so nicht die Hände kaputt gescheuert."

Im Juli 1943 sind wir nach Wittmundhafen verlegt worden und wurden auf dem Rollfeld des Militärflugplatzes beim Bau von Beton-Start- und Landebahnen eingesetzt.

 

Ich bin dann am 12. August aus dem Arbeitsdienst in Wittmund entlassen worden und in der 1. Garnitur Arbeitsdienstuniform nach Hause (Echem) gefahren, weil die Zivilsachen nicht rechtzeitig eintrafen. Der Aufenthalt zu Hause hat nur 2 Wochen, bis zum 26. August 1943, gedauert

 

Am 26. August 1943 bin ich dann als Rekrut in Zivilzeug nach Utrecht/Holland zur "Panzer-Division Hermann Göring" gefahren, wo meine Ausbildung in der Wehrmacht begann.

lo