> Josepha von Koskull: Reichsparteitag der NSDAP 1938

Josepha von Koskull: Reichsparteitag der NSDAP 1938

Aufzeichnungen aus der Autobiographie von Josepha von Koskull (1898-1996) aus Berlin, (DHM-Bestand; Inv.-Nr.: Do2 98/501):


Anfang September 1938 fand der Parteitag in Nürnberg statt, zu dem aus allen Teilen des Deutschen Reiches die Begeisterten zusammenströmten. Es war eine sehr kriegerische Demonstration und die Proklamation Hitlers, die wir in der Bank mitanhören sollten, war entsprechend. Wir lasen sie am nächsten Tag in den Blättern, denn es geschah bei dieser Übertragung, daß durch irgendeinen technischen Fehler der Apparat nicht funktionierte.

Wir saßen im großen Sitzungssaal auf unseren Plätzen und hörten anderthalb Stunden lang nur unverständliches Gebrüll und Lärm aus dem Lautsprecher. Dazwischen einmal ein paar Wortfetzen aus dem Mund des großen Schreiers. Es war eine Nervenprobe. Unser Präsident, der Vizepräsident (Dr. Widmann-Lämmert, ehemaliger Adjutant Hitlers aus der Zeit vor der Machtübernahme und von ihm zum zweiten Leiter der Bank bestellt, ohne die geringsten Kenntnisse, dafür aber ein hundertfünfzigprozentiger Nazi!) und alle Direktoren saßen ebenso todernst vor diesem brüllenden Lautsprecher wie die dreihundert Beamten.

Ich stellte Überlegungen darüber an, wie weit die Versklavung bereits gediehen war. Ein jeder vernünftige Mensch hätte den Lautsprecher abgestellt und die Bankangestellten an ihre Arbeit oder nach Hause geschickt. Aber im Dritten Reich hieß es gehorchen und den Mund halten.

Der Elektromonteur der Bank konnte den Fehler nicht finden. Er stellte verschiedene Tonstärken an, aber es wurde nicht besser. Widmann-Lämmert sah aus, als ob er ihn fressen wollte. Die Lage war peinlich. Da plötzlich erlitt ein junger Buchhalter, dessen Nerven es nicht mehr aushielten, einen Lachkrampf. Es war schauerlich, das mitanzuhören. Er schrie vor Lachen, fiel zu Boden, stieß hilfreiche Hände von sich und wälzte sich buchstäblich vor Lachen auf dem Teppich. Man trug ihn in die Krankenstube. Ich war Sanitäterin, hatte die erste Hilfe zu leisten, mal einen Finger zu verbinden oder ein paar Kopfweh-Tabletten auszugeben. Der junge Mann flüsterte mir vertrauensvoll zu: "Wissen Sie, ich hielt es einfach nicht mehr aus!"

Die Gelegenheit war da, eine Kognakflasche zu öffnen, die für alle Fälle auch im Medizinschrank stand. Er bekam von mir mehrere Kognaks zu trinken. Ich mußte ihm etwas recht Gutes antun. Als er wieder bei sich und der Anfall überstanden war, kamen die Vorgesetzten, nach ihm zu sehen. Die "Lautsprecher-Übertragung" war beendet, ohne daß jemand in anderthalb Stunden auch nur einen zusammenhängenden Satz verstanden hätte. So etwas konnte wohl nur im Dritten Reich passieren! Derartigen Stumpfsinn nannte man aber "Disziplin"!

lo