> Josepha von Koskull: Stalingrad

Josepha von Koskull: Stalingrad

Aufzeichnungen aus der Autobiographie von Josepha von Koskull (1898-1996) aus Berlin, (DHM-Bestand; Inv.-Nr.: Do2 98/501):


Es war der Winter 1942/43, in dem die Situation in Rußland bedenklich wurde, als die Nachrichten über die hoffnungslose Lage von Stalingrad auch denen unter den Deutschen bekannt wurde, die nicht wie ich und meine Freunde den englischen Sender und Moskau hörten.

Die Luftangriffe auf Berlin kamen nun schon öfter vor, die Ernährung war immer noch ausreichend, aber doch schon recht einfach geworden. Die Stimmung sank von Tag zu Tag und die Reden und Aufrufe von Goebbels hatten schon nicht mehr die Wirkung wie früher. Als dann im Januar der Fall von Stalingrad von der Regierung nicht bekanntgegeben wurde, um nicht die Feier der zehnjährigen Wiederkehr des Jahrestages der Machtübernahme zu stören, da wußten die Aufgeklärten unter den Deutschen, was die Glocke geschlagen hatte. Aber die breite Masse ließ sich nur gar zu gern weiter führen, in das Verderben.

Am dreißigsten Januar 1943 war um elf eine Rede von Göring angesetzt, die wir wie alle solche Ansprachen in der Dienststelle mitanhören sollten. Wir wurden dann alle zusammen in den riesigen "Marmorsaal" kommandiert und trugen unsere Stühle mit uns, denn wir konnten ja schließlich nicht stundenlang stehen. An diesem Tag mußten wir eine ganze Stunde warten. Göring begann erst um zwölf Uhr seine Rede, weil Fliegerwarnung war. Es fiel aber kein Schuß, die feindlichen Flieger waren lediglich in der Umgebung von Berlin. Göring hatte sich immerhin lieber in seinen bombensicheren Unterstand zurückgezogen, als an das Mikrophon zu treten. Darüber wurde vielfach gespöttelt. Die Rede schilderte dann die Kämpfe von Stalingrad und Göring verglich die sich opfernden unglücklichen Soldaten mit den Helden der Thermopyläen, ein völlig schiefer Vergleich.

Als am dritten Februar nachmittags durch Rundfunk die Kapitulation von Stalingrad bekanntgegeben wurde, da weinte die alte Frau Schramm bittere Tränen um die vielen gefallenen deutschen Soldaten und wollte es nicht verstehen, daß der wahre Anlaß zum Weinen darin lag, daß sie alle ganz sinnlos geopfert worden waren, nur aus Ehrgeiz und Eitelkeit. "So etwa tut der Führer nicht!" sagte sie. "Er liebt doch das deutsche Volk!" Das war die Meinung vieler gutgläubiger und durch die Nazi-Propaganda verdummter Deutscher.

Mir fällt hierbei auch noch ein, wie es mich beeindruckte, folgende Notiz auf einem kleinen grünen Zettel an der Tür des Staatstheaters in der Nürnberger Straße zu lesen: "Die Vorstellung fällt aus. Als Würdigung (!) des Falles von Stalingrad". Ich dachte: Ungeschickter hätte man diese Anzeige wohl nicht formulieren können! Wer weiß, welcher Bühnenportier das da angeschrieben hatte. Auf Goebbels Anordnung schlossen alle Theater und Kinos für drei Tage.

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