> Jürgen Blunck: Kriegsende 1945

Jürgen Blunck: Kriegsende in Hamburg 1945

Dieser Eintrag stammt von Jürgen Blunck (juergen-blunck@t-online.de, *1936) aus Hamburg, März 2015:

In Volksdorf herrschte kurz vor dem Einmarsch der englischen Soldaten – von uns Tommys genannt – hektische Aktivität. Die Hitlerjugend brachte bis zum letzten Moment große Plakate an. Darauf war zu sehen , dass Landesverräter etc. etc. mit dem Tode bestraft werden. In vielen Gärten hob man ganz schnell noch Gruben aus um Wertsachen wie z.B. echte Teppiche, Gemälde oder Schmuck zu vergraben. Wir Kinder waren sehr aufgeregt und ich hatte überhaupt keine Angst.

Der erste Schub von Tommys bestand hauptsächlich aus Offizieren. Sie beschlagnahmten in Volksdorf Häuser von Nazis und hatten somit ein großes Angebot von schmucken Villen. Unser Haus blieb noch verschont, aber wir mussten ein weiteres Ehepaar – die Richters – aufnehmen. Jetzt waren wir 13 Personen. Sie bekamen das Esszimmer und die im Winter eiskalte Veranda. Uns blieben nur noch das Wohn- und Elternschlafzimmer. Bei 13 Personen stellte das einzige Badezimmer schon ein Problem dar. Meine Eltern erstellten einen genauen Zeitplan. Wie die Küchenbenutzung organisiert wurde, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich glaube, jede Familie hat in ihrem Zimmer gekocht.

Nach drei Monaten wurden die Elite-Soldaten abgezogen. Die Ex-Nazis durften wieder in ihre Häuser, und es kamen die Tommys der Truppe. Es wurden jetzt viel mehr Unterkünfte benötigt, und man fragte nicht mehr, ob jemand Nazi gewesen ist oder nicht. Als mein Bruder und ich aus der Schule kamen mussten wir mit ansehen, dass unser Haus besetzt wurde. Im Garten lagen einige Möbelstücke, Kleidung, Bettzeug etc. Meine Mutter rief aufgeregt: „Kinder, helft bitte! Alles was im Garten liegt dürfen wir mitnehmen. Schnell, schnell, schnell! Man gibt uns noch zwei Stunden.“ Unter der Bodentreppe gab es eine kleine Kammer. Die durften wir vollstopfen und abschließen. Ich erinnere mich deshalb, weil wir dort unsere geliebte Eisenbahn deponierten.

Jetzt standen wir und alle unsere zwangseinquartierten Mitbewohner auf der Straße. Was nun ? Wo sollen wir hin? Wer hilft uns? Wir wurden von dem Ehepaar Richter aufgenommen die wieder in ihr Haus zurück durften. Sie gaben uns ihr Schlafzimmer einschl. des angeschlossenen Bades. Im Schlafzimmer konnten wir die Ehebetten meiner Eltern, den Schreibtisch meines Vaters und einen Esstisch mit Stühlen unterbringen. Es war sehr eng aber wir waren froh untergekommen zu sein. Mein jüngerer Bruder Niels schlief bei den Eltern. Er war zu der Zeit 5 Jahre alt. Mein älterer Bruder Klaus und ich mussten nach dem Abendessen zu unseren jeweiligen Großeltern zum Schlafen gehen. Ich erinnere, dass ich mich eigentlich immer auf diese Abende gefreut habe. Meine Oma brachte mir Dame und Mühle bei, und ich lernte das große und kleine 1 x 1. Manchmal, wenn das Wetter besonders schlecht war, baute mir meine Mutter ein Bettchen in der Badewanne. So brauchte ich nicht zum Übernachten zu meiner Oma zu gehen.

Wenn ich mich recht erinnere, durften wir nach 2 Jahren wieder in unser Haus in der Holthusenstrasse zurück. Es war völlig verwohnt, aber wir waren glücklich. Die Zimmer wurden wieder mit den obdachlosen Familien belegt, und mein Bruder Klaus und ich zogen wieder auf den Boden. Es hat Jahre gebraucht, um die besetzten Wohnräume wieder zurück zu bekommen. Mein Vater musste qm für qm zurückkaufen. Der Angriff auf Hamburg, der Einzug der Tommys, der Hunger, die sehr knappe Kleidung, das primitive Wohnen usw. usw. Alle diese Dinge habe ich als Kind nicht als schlimm empfunden. Es war eher ein Abenteuer. Das Schlangestehen nach Brot, das Kartoffelbuddeln, das Hamstern in der Lüneburger Heide oder in Schleswigholstein. Die Hauptlast trug meine Mutter. Sie hat es mit Bravour gemeistert.

lo