> Karl-August Scholtz: Brückenkopf Kirischi November-Dezember 1942

Karl-August Scholtz: Brückenkopf Kirischi (November/Dezember 1942)

Dieser Eintrag stammt von Karl-August Scholtz (*1920) aus Hamburg , Juli 2003 :

Am 12. November 1942 kehrte ich mit einem Kamerad aus dem Urlaub zurück. Schon auf der Bahn erfuhren wir, daß unsere Einheit jetzt am Wolchow eingesetzt war. Auf dem Weg dorthin lasen wir das berühmte aus Zeitungen und der Wochenschau bekannte Schild von der "Kerbe vom Arsch der Welt". Das war die leider wirklich zutreffende Bezeichnung der "Landser" für den Brückenkopf, auf den wir am 28. November gelangten. 12 Kilometer gingen wir entlang einem Bahndamm, bis wir die zerstörte, etwa 400 Meter lange Eisenbahnbrücke über den Wolchow überschreiten konnten.

Diese Brücke überquerte ich in den nächsten 14 Nächten noch oft mit Angst und Herzklopfen zum Verpflegungsempfang. Die Brücke stand ständig unter Feindeinsicht und Beschuß, denn der Brückenkopf war ja nur 3 x 4 km groß. Die Brücke durfte nur nachts betreten werden (Verpflegung und Munition holen) und so mancher stürzte durch Ausrutscher oder von einem Geschoß getroffen in den Fluß.

Gleich am nächsten Tag nach meiner Einquartierung begann die körperlich schwere Arbeit in der Reservegruppe. In mehreren Touren mußten etliche Balken in die Stellungen unserer Kompanien gebracht werden, jedes Mal ein Weg von 3 km hin und 3 km wieder zurück, sehr beschwerlich durch hohen Schnee und viele, viele überschneite Granattrichter. Auch hier konnten wir uns wegen der Feindeinsicht nur nachts bewegen. Von der Stadt stand nur noch ein Haus, außerdem gab es ein oder zwei Ruinen. Sonst war die Stadt verschwunden, nur die weite Schneelandschaft mit den Schützengräben und überschneiten Bunkern. Zum Leidwesen beider Seiten gab es auch keine richtige Frontlinie, sondern die Gräben gingen ineinander über. Wehe, man verlief sich mal!

Die Arbeit unseres Reservezuges sollte eigentlich die Aufgabe der dort eingesetzten Strafkompanien sein. Die aber waren weitgehend aufgerieben, weshalb zurückkehrende Urlauber mit eingesetzt wurden. Am zweiten Abend bauten wir Bunker bei der 5. Kompanie, nachdem wir vorher etliches Holz herangeschafft hatten. Ein feindlicher Panzerzug, der mit seinen Waffen das Gelände abstrich, ließ uns zweimal volle Deckung nehmen. Es beruhigte sich erst nach tüchtigen Feuerüberfällen unserer Artillerie.

Die zweite Woche unserer 14 Tage in Kirischi war die Schlimmste. Wir bauten Stellungen bei Hauptmann Dulier von der 7. Kompanie. Hierfür holten wir um 10 Uhr Munition für die MG-Stände sowie Sandsäcke, Stacheldraht und "Igel" (Stacheldrahthindernisse) vom Hafen zu unserem Reservebunker. Gleich bei Einbruch der Dunkelheit schleppten wir dann diese Sachen zur Kompanie. Nachts stellten wir zusammen mit den Pionieren vor der Stellung die Igel auf, gruben Schneewälle, füllten Sandsäcke, bauten MG-Stände und dergleichen mehr. Obgleich der Ordonnanzoffizier 24 Uhr als spätesten Arbeitsschluß befohlen hatte, ließ der Hauptmann Dulier regelmäßig bis kurz vor Sonnenaufgang arbeiten.

Obgleich wir Sonderverpflegung erhielten, hatten wir dauernd Hunger. Die beiden einzigen Arbeitspausen bestanden aus dem Verpflegungsempfang um 17 Uhr, und dann hatten wir noch einmal 20 Minuten Pause gegen 24 Uhr.

Die Strafkompanien hatten ähnlichen oder wohl auch den gleichen Dienst wie wir, aber unter strenger Bewachung und streng von uns anderen Soldaten getrennt. So konnten wir ihnen nur selten mal ein Stück Brot heimlich zustecken, denn sogar das Sprechen mit ihnen war nicht gestattet und ihre Verpflegung war knapp und schlecht.

Der MG- und Gewehrbeschuss, aber auch der von anderen Waffen, war im Brückenkopf überdurchschnittlich stark. Der Reservezug hatte hierdurch etliche Ausfälle, besonders auch vom Granatwerferfeuer. Erwähnt werden sollte, dass durch die unmittelbare Nähe der Deutschen und Russen lebhafte Lautsprechertätigkeit herrschte. Vor allem die Russen drohten uns die totale Vernichtung an und empfahlen deshalb, sich freiwillig zur Roten Armee in Gefangenschaft zu begeben. Sogenannte Passierscheine wurden ständig zu uns herübergeschossen.

Ganz plötzlich kam unsere Ablösung in der Nacht vom 11. auf den 12. Dezember 1942. Stark dezimiert verließ unsere 217. Division den Brückenkopf Kirischi, um Irrsa herum Ruhelager zu beziehen. Hier verlebten wir Weihnachten und Silvester, hatten Kino und Front-Varieté. Wir erhielten Skiausbildung und hatten eine größere Skieinsatzübung mit Übernachtung im Zelt im Schnee.

Alle vier Wochen wurde eine Division nach Kirischi zum Einsatz geschickt. Aufgerieben nach dieser zeit kam die Ablösung durch die nächste Division. So ist es auch unserer 217. Division ergangen. Aber über unserer Nachrichtenstaffel schwebte in diesen Tagen wohl ein Schutzengel!

lo