> Klaus Schmude: Kriegsjugend

Klaus Schmude: Kriegsjugend

Dieser Eintrag stammt von Klaus Schmude (*1928 ) aus Essen , November 2007 :

Als Flakhelfer in Nürnberg

Ende 1944 war ich im Gymnasium in der vorletzten Klasse und da wurden alle Angehörigen des Jahrganges 1927 aus meiner Klasse als Flakhelfer (offiziell: Luftwaffenhelfer) vorgemerkt. Ich habe mich ebenfalls gemeldet, denn ich wollte, obwohl Jahrgang 1928, nicht in der dann sehr kleinen Klasse zurückbleiben; ich wollte bei meinen Kumpels sein. So wurde ich mit eingezogen und kam in eine Flakbatterie mit Geschützen des Kalibers 12,8 mm; das Normale war 8,8 oder 10,5. Mit 12,8 konnte man sehr hoch schießen, gut gegen Bomberverbände außerhalb des Bereiches der 8,8 und 10,5 mm (Die 8,8 auf fahrbarer Lafette mit Schutzschild wurde gerne und sehr wirkungsvoll gegen Panzer eingesetzt). Gegen Verbände, die teils extrem hoch flogen, bis 10.000 m und mehr, bis 12.000 m, wurde dann die 12,8 eingesetzt. Dann aber wurde die Ziel- und Treffergenauigkeit auch der 12,8 doch recht ungenau.

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In unserer Batterie gab es vier Geschütze und einen Leitstand, mit einem großen Fernrohr. Wenn man damit die Bomberverbände anpeilte, gab das Gerät automatisch den Geschützen die richtige Richtung und den notwendigen Höhenwinkel an. Am Geschütz gab es zwei Sitze, vor denen sich eine Art Uhr befand, auf der zwei Zeiger waren, einer zeigte die Stellung des Geschützes, der andere kam vom Leitgerät und zeigte sozusagen das Soll. Die Kanoniere (Höhe und Seite, K1 und K2) sollten beide Zeiger zur Deckung bringen, man setzte entsprechende kleine Motore in Bewegung. Dann gab es noch einen Kanonier, der Laden musste, K3. Die Position der Kanoniere war mit K 1,2,3, usw. bezeichnet; ich war K2, Seitenrichtkanonier. /lemo/bestand/objekt/schmude_04

An einer Stelle wurden die Zünder eingestellt, die dann zu einer bestimmten Zeit das Geschoss explodieren ließen, wenn es sich theoretisch nahe dem Ziel befand.

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Wir schliefen bei der Batterie in Baracken, die Kantine diente für Schulunterricht, denn wir hatten weiter Schule und zwar von Lehrern, die Offiziere waren. Ich erinnere mich noch, wie wir uns freuten, wenn während des Unterrichtes plötzlich Alarm gegeben und der Unterricht abgebrochen wurde. Es gab eine Landkarte von Deutschland und Nachbarländern, die in nummerierte Planquadrate eingeteilt war. Dazu gab einen Sender im Radio, der laufend die Luftlage durchgab, z.B. feindliche Verbände in Planquadrat xy Kurs Ost. Dann war man informiert, was vielleicht auf einen zukam.

Der Leiter der Batterie war ein Luftwaffenleutnant, dann gab es noch eine Reihe Unteroffiziere, die uns tagsüber oft scheuchten, d.h. exerzierten und Geländeübungen mit uns machten. Beliebt war Gasmaske aufsetzen und dann das Kommando "Ein Lied". Sie kamen auch unerwartet in die Stuben zum inspizieren. Es wurde Wert auf größte Ordnung und Sauberkeit gelegt. War ein Bett nicht anständig "gebaut", d.h. gelegt, wurde es rausgeschmissen, sodass man es neu bauen musste. Auch die Spinde mussten geöffnet werden und wurden kontrolliert. Mein Bruder, der Offizier war, sagte mir mal, man muss auf Ordnung und Sauberkeit größten Wert legen, sonst würden solche Wohnbaracken verkommen und die Krankheitsgefahr zunehmen.

Ein beliebter Sport war, mit dem Fernrohr vom Leitgerät den nahe gelegenen Waldrand beobachten und Liebespärchen beim Sex zu beobachten. Ich erinnere mich, dass es hieß: "da ist die Alte schon wieder".

Wir hatten relativ oft Alarm und ich erlebte nachts mehrere Angriffe auf Nürnberg, aber nie auf uns, die Flak. Die Nachtangriffe wurden von englischen Bombern, Typen Halifax oder Lancaster geflogen. Diese Bomber hatten Maschinengewehr-Kanzeln, mit denen sie sich gegen Angriffe von Nachtjägern verteidigten. Wir hörten es nur in Nürnberg wummern und sahen Feuerschein auflodern. Es war ein unheimliches Gefühl, die Explosionen zu hören, da man ja nie wusste, ob da nicht gerade die eigene Familie umkam. Unter jedem Haus war ein Luftschutzkeller mit Versteifungen durch Holzbalken und Durchbrüchen zum Nachbarhaus, falls das eigene Haus einstürzte. Das hat manches Menschenleben gerettet.

Unsere Geschütze standen in Erdwällen, es war also eine gewisse Sicherheit gegen fliegende Angriffe vorhanden, denn es kam vor, dass ein Bomber im Tiefflug Flakstellungen angriff. Bei diesen Nachtangriffen schossen wir zwar oft, was das Zeug hielt (Sperrfeuer) und waren hinterher taub, schossen aber höchst selten eine Maschine ab. Wir sollten die Bomber am gezielten Werfen hindern bzw. stören. War unsere Batterie an einem Abschluss beteiligt, gab es Punkte für das sog. Flak-Kampfabzeichen. Es war immer schwierig, festzustellen, welche Batterie eine Maschine beschossen hatte, die dann abstürzte, da fast immer mehrere Batterien eine bestimmte Ziel-Area beschossen.

Ich erinnere mich, was für ein Gefühl es war, wenn ein britischer Bomber von einem Scheinwerferstrahl erfasst wurde. Er versuchte dann, durch Sturzflug oder plötzliches Drehen zu entkommen, weil er ja so besonders leicht für die Beschießung durch Flak und auch Nachtjäger anzupeilen war.

Für die Unteroffiziere war wichtig, laut zu brüllen. Ich war in einer Gruppe, die Glück hatte: unser Unteroffizier markierte den wilden Mann, z.B. bei Übungen im Gelände brüllte er "im Laufschritt marsch, marsch", wir rannten in einen Wald, dort hieß es: "Tarnen" , und wenn wir alle lagen und getarnt waren, sagte der Unteroffizier: "so, nun gebt mal eine Zigarette", er ging dann langsam aus dem Wald und "prüfte" die Tarnung. Er sagte aber auch: "Jungs, wehe Euch, wenn Ihr mal unangenehm auffallt, dann mache ich Euch die Hölle heiß". So verging das Jahr 1944.

Wir wurden dann verlegt und zwar nach Oberschlesien, zum Schutz eines Hydrierwerkes, in dem aus Kohle Benzin gemacht wurde, was für die Wehrmacht und die Bevölkerung ja lebenswichtig war. Wenn ich heute überlege, dass ich so mit 15 Jahren Soldat wurde und mit 16 nach Oberschlesien und dort zum Fronteinsatz kam, ist das eigentlich unverantwortlich, ich war im Grunde noch ein Jugendlicher. Als ich mich später in Spalt bei Nürnberg bei den Amerikanern meldete (Jeder ehemalige oder aktuelle Soldat sollte sich auf der Kommandantur melden) und ging unbedacht und weil es schön warm war, in kurzen Hosen hin, sagte der Amerikaner dort, ich solle wieder nach Hause gehen, denn "wir führen keinen Krieg mit Kindern". Ich war einerseits froh, andererseits beleidigt.

Konzentrationslager in Oberschlesien

Das Hydrierwerk, zu dessen Schutz Flak in Massen zusammengezogen wurde, hieß nach dem nächsten Ort "Heydebreck". Es lag am Rande des bekannten oberschlesischen Industriegebietes, in dem Kohle in Massen wie im Ruhrgebiet gefördert wurde. Viele Bergleute im Ruhrgebiet stammten aus Oberschlesien, viele waren von Geburt Polen.

 

Unsere Batterie wurde auf Nürnberger Eisenbahngelände auf einen Zug verladen, wir Soldaten mussten in Viehwaggons auf Stroh schlafen, die Geschütze standen auf flachen Waggons. Wir fuhren nach Osten durch die Tschechei und dann nach Norden durch das Erzgebirge, das ich als wunderschönes Gebirge in Erinnerung habe. So waren wir mehrere Tage unterwegs. Wir kamen am Ziel an, einem riesigen Gelände voller Eisenbahngleise, auf dem auch noch andere Züge mit Flak standen. Ich hatte ein merkwürdiges Gefühl, denn meine Mutter war in Ratibor, einem Ort in der Nähe geboren. Ihr Vater war dort Richter. (Sie erzählte mir, dass es damals noch üblich war, dass die Dienstmädchen Ihrer Mutter den Rocksaum küssten.) Was uns auffiel, waren lange Kolonnen mit tausenden von Menschen in einer merkwürdig gestreiften lumpigen Kleidung, mit Bewachern. Ich hörte, das seien KZler. Ich wusste, wie wohl alle Menschen damals, dass es KZs - Konzentrationslager - gab und dass dort ungute Sachen passierten. Mein Vater sagte mir, dort würden Menschen, die faul wären oder Alkoholiker, umerzogen, sie würden auch geprügelt und hätten anschließend solche Angst, dass sie nichts davon erzählten. Aber es gab auch Witze über Seife, die aus KZlern (Leichen) gemacht würde. Die detaillierte volle Wahrheit war in der Bevölkerung sicher nur teilweise bekannt. Ich habe einmal an der Donau in der Nähe von Linz gehört, dass dort ein KZ war und die ganze Bevölkerung wusste, wenn es im KZ-Gelände qualmte, wurden da oben Leichen verbrannt. Ich habe mir das angesehen. Es wurde dort ein Steinbruch betrieben, in dem KZler umkamen oder auch umgebracht wurden.

 

Die KZler auf dem Bahngelände bei Heydebreck waren aus Auschwitz, bildeten ein Nebenlager, waren aber für uns Jungens im Moment uninteressant. Wir wurden in einem Dorf bei Privatleuten einquartiert, ich kam mit paar Kameraden in die Schule zu dem dort wohnenden Lehrerehepaar. Es gab zwei hübsche Töchter, an die wir natürlich versuchten, heranzukommen. aber vergeblich. Als die Batterie dann fertig eingerichtet war (es war Herbst 1944 und warm), zogen wir um in Holzbaracken. Diese wurden durch kleine Kanonenöfen geheizt und wir mussten abwechselnd Stubendienst machen, z.B. fegen, aber auch den Ofen befeuern. Gelegentlich wurden wir zu unseren früheren Wirtsleuten zum Essen eingeladen, ich denke heute noch voll Genuss an die rohen Kartoffelklöße mit Braten, die dort ein Traditionsessen waren.

Etwas war merkwürdig: Vier Wochen, nachdem wir betriebsbereit waren, kamen die ersten Fliegerangriffe und zwar kamen ganze Bomberströme amerikanischer Maschinen (Fortress und Liberator, beide mit MG-Kanzeln zur Abwehr von Jagdflugzeugen) am helllichten Tag aus Italien, das damals schon von den Alliierten besetzt war. Das Dröhnen der Motoren dieser Bomber war unheimlich. Man fühlte sich eigentlich hilflos. Da kamen 1.200 bis 2.500 Maschinen und wir konnten aus den Lagemeldungen genau verfolgen, wie sie über den Platensee/Ungarn nach Norden flogen; dann wussten wir, die kommen zu uns und machten uns schon bereit. Diese Pulks, deren Kondensstreifen wir schon weit sahen wurden von einzelnen Langstreckenjagdflugzeugen (Mosquitos, Doppelrumpfflugzeuge und Lightning, sie sollten die Bomber vor Angriffen von Jagdflugzeugen schützen) begleitet, die aber gelegentlich auch im Tiefflug Flakstellungen angriffen. Ich habe nur einen solchen Angriff erlebt, bei dem eigentlich nichts passierte, außer dass wir uns sehr erschreckten.

Es war immer dasselbe: die Amerikaner griffen an, das Werk lag zwei bis drei Wochen still, aber da alle wesentlichen Teile unterirdisch und in Bunkern waren, kam es schnell wieder in Gang und dann kam der nächste Angriff. Ab und zu hörten wir einen lauten Knall, wenn ein Blindgänger zur Explosion gebracht wurde oder durch einen Zeitzünder explodierte, wobei es, wie wir hörten, oft Tote gab. Zu den Arbeiten dieser Art wurden die KZler eingesetzt.

Wir bekamen sonst nicht viel mit, was da so im Werk passierte, wir wussten, dass eine ganz ungewöhnliche Menge an Flakbatterien um das Werk postiert war. Benzin war halt für das Reich überlebenswichtig. Dafür hatte man Städte von Flak entblößt. Diese Bomberströme waren, wie schon gesagt, furchteinflößend, da man ziemlich hilflos war, unser Sperrfeuer störte die Maschinen höchstens etwas, dasselbe Gefühl lernte ich schon in Nürnberg kennen, nur sah man nachts die Maschinen nicht, man hörte lediglich das Motorengeräusch, ein unheimliches Dröhnen.

Heimaturlaub

Wir Jungens bekamen alle zwei Monate etwa eine Woche Heimaturlaub, konnten mit einem Wehrmachtsfahrschein nach Hause fahren, in unserem Falle Nürnberg. Die beste Verbindung war über Breslau. Ich erinnere mich, dass unser Koch, der sog. "Küchenbulle", mir etwas Gutes tun wollte und mir Brote machte, die er dick mit Speck belegte. Nun habe ich von Kindheit an Speck nicht gemocht und zum Ärger meiner Mutter immer aus jedem Essen herausgepult. Jetzt hatte ich auf der langen Zufahrt nach Nürnberg Hunger und stellte fest, dass der Speck ganz gut schmeckte, seitdem esse ich Speck. Weiter erinnere ich mich, dass in der Wehrmacht Soda ins Essen getan wurde, das den Sexualtrieb dämpfen sollte, denn so viele Männer zusammen ohne Frauen, das war nicht gut, die Gespräche kreisten häufig um das Thema Sex. Dann gab es noch Flakhelferinnen, denen sicher oft nachgestellt wurde. Diese wurden aber an Leitständen und Nachrichtenzentren/Telefonistinnen eingesetzt, nicht an Geschützen.

Unsere Batterie lag auf einem Hügel, von dem ein Hohlweg ins Dorf hinunter führte. Kam durch diesen ein Auto z.B. mit irgendwelchen Vorgesetzten, so tauchten diese oft ganz überraschend in der Batterie auf. Ich erinnere mich, dass ich in dieser Zeit in einem Urlaub zu Hause konfirmiert wurde. Der Unterricht, der eigentlich viele Wochen dauern sollte, wurde auf zwei Stunden zusammengequetscht und ich wurde in Uniform konfirmiert. Der Winter 1944/45 kam, es wurde kalt, in Oberschlesien ist man doch schon soweit östlich, dass es richtig Winter wird, mit Schnee, Eis und Temperaturen tief unter Null. Während dieser ganzen Zeit wurden die deutschen Truppen immer weiter zurück nach Westen gedrängt, bis an die Weichsel. Dort stoppte das Ganze, die Russen mussten sich erst wieder neu organisieren.

Die sowjetische Winteroffensive Anfang 1945

Dann geschah etwas, was sich auf den Krieg erheblich auswirken sollte: die Offensive von Baranov Anfang 1945, einem russischen Brückenkopf über die Weichsel. Baranov, eine hübsche, alte Stadt liegt bei Sandomierce, etwa in der Mitte des Weichselbogens. Die Russen durchbrachen die deutsche Front und strömten nach Westen, ihr Hauptziel war Berlin, aber sie drängten auch in breiter Front auf unserer Höhe nach Westen, Richtung Oder und zur Eroberung des Industriegebietes.

Wir saßen also festgenagelt in unseren Batterien und mussten darauf warten, dass die Russen kamen. Wir hatten genügend Schauergeschichten gehört, wie die Russen mit Gefangenen umspringen. Nach dem Krieg habe ich gehört, dass ein bekannter Russe und Propagandist täglich sprach und schrieb an die russischen Soldaten: "Tötet die faschistischen Bestien und vergewaltigt ihre Frauen." Wir hörten eines Tages in der Ferne das Donnern von Geschützen und wussten, die Front kommt näher. Und dann kam ein kleines Häuflein deutscher Soldaten zu Fuß in der dicken Winter-Tarnkleidung an unserer Batterie vorbei und sagte: "Nach uns kommt niemand mehr, wir sind die letzten, wir sind die Front". Das zu erleben war entmutigend.

Wir hörten in der Nähe Schüsse, wie Infanteriefeuer und schickten einen Spähtrupp hin. Der kam zurück und meldete: da werden KZler nach Westen getrieben und wer nicht mehr kann, wird erschossen. Unser Leutnant stellte eine kleine Truppe von Leuten zusammen, die nicht unbedingt notwendig waren und schickte diese Richtung Oder los; ich war dabei. Am nächsten Tag trafen wir uns mit dem Rest. Die erzählten, nachdem wir weg waren, fuhr ein russischer Panzer, ein T34, durch den Hohlweg auf die Bergkuppe und mitten in die Batterie, so dass wir gar nicht mit den Geschützen schießen konnten. Der drehte seinen Turm und schoss mit dem MG ununterbrochen, worauf alles türmte, sich unterhalb der Stellung sammelte. Man hatte die Schlösser der Geschütze vorher unbrauchbar gemacht. Nun vereinigten sich die beiden Gruppen und wir marschierten gen Westen, gen Oder, Richtung nächste Stadt mit Brücke.

Rückzug

Wir marschierten nachts, um Flugzeugen zu entgehen. Es war ein beinharter Winter, nachts mondhell, etwa 25 Grad unter Null, es lag Schnee und in diesem lagen alle paar hundert Meter erschossene KZler, die nicht mehr konnten und liquidiert wurden, denn deren Kolonne wurde auch nach Westen getrieben. Diese Atmosphäre werde ich, ein 16jähriger, mein Leben lang nicht vergessen: Das Mondlicht, der schneidende Frost, das stumpfsinnige Marschieren, der knirschende Schnee, Wolken vor dem Nachthimmel, die Unsicherheit und Angst, dazu die gefrorenen Leichen am Wegesrand. Morgens machten wir in einem x-beliebigen Ort Pause, gingen meist in eine Schule und schliefen dort irgendwie. Wie und was wir zu essen bekamen, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich, dass wir gelegentlich das Dröhnen russischer Panzerkolonnen parallel zu unserem Kurs hörten und durch Orte kamen, in denen die Russen schon gewesen waren.

So kamen wir an die Oderbrücke, (bei Gleiwitz, wenn ich mich recht erinnere) auf der wir als Erstes Fliegerbomben mit Zündschnüren sahen. Wir marschierten über die Brücke und waren erst mal sicher. Dann bekamen wir Flakhelfer jeder einen Wehrmachtsfahrschein und die Order, nach Hause zu fahren und uns beim Wehrbezirkskommando zu melden, bei uns in Nürnberg. Militärisch war das eigentlich völlig unsinnig, aber ich glaube, unser Leutnant wollte uns erst mal aus dem Schlamassel hier herausbringen. (In Nürnberg stellte ich fest, dass das Wehrbezirkskommando abgebrannt und alle Akten vernichtet waren. Dann kam ein Aufruf, Jahrgänge 1927 und 1928 sollten sich in einer bestimmten Kaserne melden, als Volkssturm. Ich wollte da auch hin, aber meine Mutter sagte nur: Du kriegst eine geklebt, Du bist ja blöd, bleibe gefälligst hier, der Krieg ist in Kürze zu Ende.)

Ich stieg im Bahnhof an der Oderbrücke in einen offenen Bahnwaggon, der schon voller Menschen war, ein Zug, der nach Süden, nach Prag fuhr. Es wimmelte von Menschen, die unsicher, was zu tun, durcheinander strömten. Die meisten Menschen versuchten, nach Norden, nach Breslau zu fahren, aber ich tat etwas, was ich später im Leben oft tat: genau das Gegenteil dessen, was die Masse tat. Später hörte ich, dass ich richtig gehandelt hatte, denn kurz danach waren die russischen Panzerspitzen in Breslau und der Bahnverkehr nach Westen unterbrochen. Man musste zu Fuß um Breslau herumlaufen, bis man an einen Bahnhof kam, der noch Verbindung nach Westen hatte.

In dem offenen Waggon war es natürlich erbärmlich kalt, ich setzte mich zwischen die geöffneten Beine einer jungen Frau mit Mantel und da blieb ich erst mal sitzen, denn da gab es eine gewisse Wärme. So fuhren wir Richtung Prag. Ab und zu brachte uns jemand auf einem Bahnhof, wo wir hielten, etwas zu trinken und zu essen, bis wir nach Prag kamen - eine andere Welt, keine Front in der Nähe. Dafür gab es Fliegeralarm und Angriffe von Flugzeugen auf fahrende Züge. Ich kam in einen Verwundetentransport nach Nürnberg, in dem ich eigentlich nichts zu suchen hatte, aber die Soldaten versteckten mich unter Mänteln, wenn Kontrollen kamen. So kam ich nach Nürnberg. Wir wohnten damals südlich von Nürnberg in Spalt, einem Dörfchen, wo mein Vater einen alten Brauereikeller als Wochenendhaus gekauft hatte, in dem sich die ganze Familie nach Kriegsende traf.

Mein Bruder, Hauptmann, am Arm verwundet, Ritterkreuzträger, mein Schwager, Bulgare, kam mit einem bulgarischen Boxer aus seinem Heimatland zu uns, wo er seine Frau, meine ältere Schwester, traf. Ich selbst, dann mein Vater, der in einem Nachbarstädtchen (Gunzenhausen) einen Rüstungsbetrieb geleitetet hatte. Nur die jüngere meiner beiden älteren Schwestern - ich war ein Nachkömmling - blieb in Heidelberg, so sie studierte. So fuhr ich mit dem Fahrrad dorthin, um zu sehen, wie sie das Kriegsende überstanden hatte: Gott sei dank gut. Die Nachricht brachte ich dann meinen Eltern nach Spalt. Das war sozusagen das Ende des Krieges für mich.

lo