> Manfred Müller: Internierung auf Java 1940-41

Manfred Müller: Internierung auf Java 1940/41

Dieser Eintrag stammt Manfred Müller (*1932) aus Berlin (sprmm@gmx.de) von Mai 2011 stammt aus dem: Biografie-Wettbewerb Was für ein Leben!

/lemo/bestand/objekt/mueller_020 Ich verbrachte meine Kindheit auf Java. Mit meinen Eltern und drei Geschwistern wuchs ich in Surabaja auf, wo mein Vater in holländischen Diensten arbeitete. Als im Mai 1940 der Krieg gegen die Niederlande begann, wurden wir Deutschen zu feindlichen Ausländern erklärt, wenige Wochen später kamen meine Mutter und wir Kinder in ein Internierungslager. Wir fanden uns am 21. August 1940 - die Frauen und deren Kinder (Knaben bis 12 Jahren), mein Vater war in einem anderen Lager für Männer - in "Banjoe Biroe" wieder. Er konnte erst 1949 zu seiner Familie zurückkehren.

Unser Lager war ein Straflager, so jedenfalls wurde es offiziell genannt. Zunächst drängte sich bald die Frage auf, weshalb sich so unterschiedslos alle Deutschen dort zusammenfanden, diejenigen, die sich mit einem Deutschtum und als Nazi lautstark hervorgetan hatten, auch diejenigen, die bei deutschen Firmen gearbeitet hatten, sowie auch diejenigen, die nicht politisch hervorgetreten oder bei holländischen Firmen beschäftigt waren. Es war ein Lager im klassischen Sinne. Ein großes Areal, von hohem Stacheldrahtzaun umgeben. An allen vier Ecken standen hohe Wachtürme, die besetzt waren mit eingeborenen Soldaten oder Polizisten. Sie trugen jedenfalls Gewehre, was auf uns Kinder - ich war gerade 8 Jahre alt - einen großen Eindruck machte. Außerdem trugen sie zu ihren Uniformen breitkrempige Hüte. Besonders gefiel mir, weshalb weiß ich selber nicht, dass an der linken Seite die Krempe hochgeklappt war. So ist es in Asien, Australien, Amerika und Kanada bei vielen Uniformierten üblich. Es fanden sich viele, sehr viele gleichaltrige Kinder zusammen, weit mehr, als wir bisher gewohnt waren. Nicht die Gemeinsamkeit als Deutsche verband uns. Die gemeinsame deutsche Sprache auch nicht, denn alle Kinder sprachen holländisch miteinander. Wir hatten Raum zum Toben, Spielkameraden den ganzen Tag lang und einstweilen keine Schule. Ich höre noch heute das gellende Rufen der Mütter, deren Kinder sich waschen oder Wäsche wechseln, sich nicht schmutzig machen, sich nicht auf die kalten Steine setzen sollten oder zum Essen kommen oder so. Ärgerliche Störungen!

Die Eingangsseite des Lagers wurde begrenzt durch eine feste und durchaus gut ausgestattete Gebäudezeile, in der der holländische Lagerkommandant - so hieß er offiziell - und die Lagerverwaltung, bestehend aus holländischen Kolonialoffizieren und deren Leute residierte. Für die "Betreuung" der Eingesperrten sorgten holländische Heilsarmee-Frauen, deren Leiterin "Sister Heemer" war, die ihre Aufgaben mit militärischer Strenge und - durch die Ereignisse sicherlich verständlichem - Deutschenhass versahen. Sie taten das mit allen Formen der feindseligen Erniedrigung. Unangenehm gaben sie sich und hartherzig.

Das Lager diente vormals eingeborenen Strafgefangenen, war angeblich wegen tropischer Seuchen seit einigen Jahren aufgegeben gewesen und war nun für die Deutschen wieder eingerichtet worden. Wie viele Personen im Lager untergebracht waren, alles nur deutsche Frauen und Kinder, weiß ich nicht.

Zuweilen wurden wir Kinder ausgeführt: Vier bewaffnete malaiische Soldaten, auch sie in schmucken und sauberen Uniformen mit Hüten, deren breite Krempen an einer Seite hochgesteckt waren, markierten die vier Ecken eines Karrees und umspannten die Gruppe der Kinder mit einem langen Seil. So gesichert, mit zusätzlichen bewaffneten Posten und einer Zahl von uniformierten holländischen Heilsarmee-Soldatinnen (oh, wie wörtlich nahmen sie ihre Rolle!) zogen wir durch die Gegend, an Reisfeldern, an Bauernhäusern vorbei, auf Straßen und Wegen, durch das normale Leben der Eingeborenen. Und kamen so bewacht im Lager wieder an.

Unsere Mutter begann rasch eine Führungsrolle unter den Internierten - Gefangene nannte man uns nicht - zu übernehmen. Häufig war sie im Verwaltungstrakt, sei es gerufen, sei es eine Angelegenheit regelnd. Sie nahm sich weniger ihrer eigenen Anliegen an, wenn dann um ihre Kinder, sondern meistens derer, die sich zu wehren nicht trauten oder es nicht vermochten. Sie verachtete aber jene, die sich überall mit einer "großen Klappe" hervortaten, sich aber vor einer Obrigkeit nicht trauten.

Grund für gerufene Vorstellungen bei der Lagerleitung waren auch wiederholt irgendwelche Verstöße gegen die Zensurbestimmungen bei den Postkarten an unseren Vater. Es war reguliert, in welchen Zeitabständen geschrieben werden durfte und wie viele Wörter erlaubt wurden, was mitgeteilt werden durfte und was zu berichten nicht erlaubt war. Grundsätzlich nur offene Postkarten. Umgekehrt waren die Postkarten unseres Vaters stellenweise geschwärzt, Zensur wurde als normal empfunden. Die Demütigungen wurden in der Art und Weise ihrer Ausübung ausgedrückt. Wir Kinder bekamen aber genau mit, wieviel Informationen die erwachsenen Frauen mit Häme und Listigkeit aus den zensierten Kurznachrichten herauslesen konnten. Und wieviel sie verschlüsselten. Unsere Mutter - wie wohl die eine oder andere auch - wurde gelegentlich in die Verwaltung gerufen und sollte erklären, was sie wohl mit dieser oder jener Formulierung auf ihrer Postkarte gemeint habe. Ein klassischer Kampf zwischen Macht und List. Hauptsache aber, dass Lebenszeichen überhaupt hin und her wechselten. Wohl sind uns alle Postkarten meines Vaters erhalten geblieben, während Nachrichten meiner Mutter nur dann in unserem Archiv sind, wenn sie nicht zugestellt wurden.

Vor den Mahlzeiten mussten wir mit militärischer Disziplin vor unseren Baracken antreten und auf Pfiff mit der Trillerpfeife einer "Soldatin" geschlossen in den Speisesaal marschieren, uns hinter unserem Sitzplatz vor der Holzbank aufstellen und auf Pfiff setzen. Vor dem Essen wurden die zensierten Postkarten laut vorgelesen und ausgeteilt.

Im März 1941 wurde dieses Lager aufgelöst und wir wechselten in das "Schutzlager" (beschermingskamp) über. Warum zuvor Straflager, warum und wie veranlasst plötzlich Schutzlager, ich habe das auch durch nachträgliche Recherchen niemals herausgefunden. Möglicherweise war es das Internationale Rote Kreuz oder möglicherweise das Schweizerische Konsulat oder es griff die Genfer Konvention (über die Behandlung von Zivilinternierten)?

Dieses Schutzlager lag in "Salatiga" und gab uns das Gefühl eines zivilisierten Lebens wieder. Es lag nicht weit entfernt von Banjoe Biroe. Eine Bewachung schien nun nicht mehr nötig - oder sie blieb im Hintergrund, alles war offen. Pompöse, malerisch verspielt gebaute, palastartige Gebäude standen nun den deutschen Frauen und Kindern zur Verfügung, eingebettet in einem riesengroßen gepflegten Gartenpark. Es sei mal der Besitz eines steinreichen Chinesen gewesen. Weiß gekalkte Häuser, mit Arkaden und Tür- und Fensterbögen. Die Familien erhielten wieder abgeschlossene Zimmer zum Leben. Keinerlei Merkmale einer Gefangenschaft und einer Unfreiheit sind in meinen inneren Bildern mit Salatiga verbunden. Aber es war halt ein Lager. Trotz der annehmbareren Lage gab es irgendeinen Anlass für meine Mutter, uns Kinder dauernd daran zu erinnern, untereinander Deutsch und nicht mehr Holländisch zu sprechen. Schließlich seien wir ja als Deutsche in Unfreiheit. Einer Lagerverwaltung und Auseinandersetzungen unserer Mutter mit irgendeiner Obrigkeit erinnere ich nicht. Wer das verwaltet hat, wer bewirtschaftet, ich weiß es nicht. Auch verbinde ich mit Salatiga keine Aggressionen von uns Kindern gegen die Holländer. Wir streiften durch die Gegend, ohne Eingrenzungen. Wieweit unsere Mütter Freiheiten hatten, weiß ich nicht mehr. Auf Photos erscheint Mutter als sehr ernste, ja verbitterte Frau. Wohl auch kein Wunder, war sie doch zu der Zeit gerade 37 Jahre alt, ohne Mann, mit 4 Kindern im Alter von 10, 9, 8, und 5 Jahren in fremder Umgebung und mit allen Entbehrungen einer ungewissen Lage, wirtschaftlich in ganz unklarer Weise abhängig und einer überhaupt nicht vorhersehbaren Zukunft.

Diese Zeit ging im Frühsommer 1941 zu Ende. Ich sehe uns alle in der Sonne im großen Garten sitzen und irgend jemandem Offiziellen zuhören. Er teilte uns wohl die Tatsache und den Termin unserer Abreise mit. Von da an folgte also eine neue abenteuerliche Reise. Im November 1940 hatte das Schweizerische Konsulat ein "Zirkular" herausgegeben, in dem in aller Genauigkeit die Modalitäten der Ausreise, der Passage und des Weiteren in Japan geregelt waren. Wie wir zum Hafen hingelangten, mit Auto, Autobus oder Eisenbahn, in großen oder kleinen Gruppen, mit welchem Gepäck, bei Tag oder nachts, das hatte wohl nichts Aufregendes in mir hinterlassen. Nur der Hafen - es war Tandjungpriok bei Batavia - mit einem unwahrscheinlich großen Passagierdampfer fing meine Aufmerksamkeit wieder.

Eine haushohe schwarze Bordwand mit mehreren Reihen unzähliger runder Bullaugen. Hoch in den Himmel ragten über den weißen Aufbauten zwei mächtige Schornsteine, schwarz mit weiß-roten Ringen, Das weiß ich heute noch genau, wie wir dort über eine Gangway an Bord gingen, in dem Schiff vor einer Rezeption Schlange standen, dann an der Reihe waren und unsere Kammern zugeteilt bekamen. Alles war sehr sauber und gepflegt und überall schön erleuchtet. Die Kammer selber, mit wem ich sie teilte, wo sie lag und wie sie eingerichtet war, das traf nicht meine Interessen, das war für mich nicht wichtig. Das habe ich ganz und gar vergessen.

/lemo/bestand/objekt/mueller_007 Wir waren auf dem luxuriösen japanischen Fahrgastschiff "Asama Maru" und es sollte uns nach Japan bringen. Die Überfahrt wurde sehr stürmisch. Wir lernten, dass man den gewaltigen Sturm dort Taifun nannte. Der Wind blies so heftig, dass wir uns auf dem freien Deck sehr schräge gegen ihn anlehnen konnten. Nach meiner Erinnerung sahen wir Jungens in uns echte Helden. Während viele (alle?) mit ihrer Seekrankheit zu kämpfen hatten, saßen wir unbeeindruckt, überlegen, nicht unterzukriegen im großen Speisesaal (ganz alleine?) und ließen uns bedienen und labten uns an allem Guten. Und wir waren richtige Kerle - ich mit meinen 9 Jahren!

An Bord gewannen wir Bekanntschaften mit der japanischen Besatzung und lernten von denen die ersten Brocken Japanisch, Es waren Flüche und Kraftausdrücke. Sie klingen in allen Sprachen schon rein phonetisch kräftig und markig, so recht was für uns! Erst später lernten wir, dass das eine schlechte Sprache sei.

Wo wir anlandeten und wann, ich weiß so etwas nicht mehr, jedenfalls in Japan, wahrscheinlich in Kobe. Unser Vater und die anderen deutschen Männer waren derweil irgendwo auf Java in der Internierung geblieben.

lo