> Michael Ströber: Kriegsbeschreibungen meines Großvaters aus den Jahren 1914-1915

Michael Ströber: "Kriegsbeschreibungen" meines Großvaters aus den Jahren 1914/1915

Dieser Eintrag stammt von Michael Ströber (mihestroeber@web.de) aus Tittmoning, Februar 2012:

Im Jahr 2014 jährt sich zum 100. Mal der Beginn des 1. Weltkriegs. Zeitzeugen leben kaum noch. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung an Ursachen, Verlauf und Folgen auch dieses unheilvollen Geschehens wachzuhalten. Die Kriegerdenkmäler in unseren Gemeinden geben ein beredtes Zeugnis davon, wie viel Leid es über die Familien und das Gemeinwesen insgesamt gebracht hat.

 

Im Nachlass meines Großvaters mütterlicherseits, Michael Kurz, fand sich ein schwarz eingebundenes Notizbüchlein im Hochformat 85 x 145 mm mit Kalender des Jahres 1914 auf den ersten drei Seiten nach dem Titelblatt, das in einem rechteckigen Rahmendekor auf vier Zeilen den Zweck des Büchleins beschreibt: "Notiz-Buch mit Kalender 1914/1915". Darunter ziert die Seite noch eine initialenartige Grafik, die in ein dreiblättriges Kleeblatt ausläuft.

 

Maria Kurz, die älteste von drei leiblichen Töchtern meines Großvaters und meine Tante, hatte das Büchlein in Verwahrung und empfand seinen Inhalt als überaus bedeutungsvoll zumindest für die nachfolgende Generation. Sie machte sich aber erst in den Jahren ihrer Pension daran, die darin in deutscher Schrift enthaltenen Aufzeichnungen mit der Schreibmaschine abzuschreiben und so auch vorrangig ihren Neffen und Nichten verfügbar zu machen, denen diese Schriftart ja kaum noch geläufig war. Auf die eigentliche Bestimmung des Notizheftchens verweisen bereits auf der Innenseite des Umschlags die mit Bleistift gefertigten handschriftlichen Eintragungen in gut leserlicher, jedoch gerade hier schon etwas verblasster deutscher Schrift. Der Besitzer weist sich dann auf der Titelseite gegenüber aus als "Michael Kurz Reserve-Mann beim 1. B.R.I.R., 11. K., 1. Division, 1. Armee-K."

 

 

 

 

 

 

 

Mein Großvater war also im 1. Bayerischen Reserve Infanterie Regiment, 11. Kompanie, 1. Division, 1. Armeekorps. Das Königlich Bayerische Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 1 wurde im Zuge der Mobilmachung der Bayerischen Armee zum Ersten Weltkrieg am 2. August 1914 in Dienst gestellt und blieb bis zum Ende des Krieges 1918 bestehen.

 

 

 

 

 

 

 

Michael Kurz, geboren am 21. August 1885, betrieb eine kleine Landwirtschaft in Kothaich, heute ein Ortsteil der Gemeinde Kirchanschöring im oberbayerischen Landkreis Traunstein. Auf der Umschlaginnenseite des Heftchens bekundet er seinen letzten Willen für den Fall, dass er im Feld zu Tode kommt:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Mein nächster, bester Kriegskamerad!

 

 

 

Sollte ich nach Gottes Willen im Feindesland sterben,

 

 

 

so sende dieses Büchlein, sowie den Ehering

 

 

 

und mein Geld an meine Geliebte Gattin, Maria Kurz,

 

 

 

Bäuerin in Kotaich, Post Petting, Oberbayern.

 

 

 

Gott lohne es Dir mit Heimkehr."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vermutlich waren die nach dem Kalender 1914 beginnenden tagebuchartigen Notizen unter der Überschrift "Kriegsbeschreibung" in erster Linie für seine Frau und die nächsten Angehörigen bestimmt, damit sie sich ein Bild vom Kriegsgeschehen machen konnten, wie er es am eigenen Leib erlebt hatte - schlimmstenfalls bis zu seinem Tod oder bestenfalls bis zu seiner Heimkehr. Auf 39 säuberlich beschriebenen Seiten des Heftchens skizziert er knapp die Ereignisse von der Mobilmachung und seiner Einberufung bis zu seiner schweren Verwundung und der nach langen Lazarett- und Hospitalsaufenthalten erfolgten Entlassung. Damit war das Notizbüchlein allerdings noch nicht voll. Das Kalendarium von 1915 - ursprünglich wahrscheinlich auf den letzten drei Seiten des Bändchens befindlich - fehlt in dem Büchlein. 24 Blätter sind offensichtlich herausgerissen. Wie den verbliebenen Resten zweifelsfrei zu entnehmen ist, diente es dem Inhaber nach seiner Rückkehr aus dem Krieg dazu, betrieblich bedeutsame Vorgänge und Ereignisse aus seiner kleinen Landwirtschaft festzuhalten, wie etwa Lieferungen von Getreide an eine Mühle.

 

 

 

 

 

 

 

Im Folgenden gebe ich die Abschrift des Textes wieder, wie sie von meiner Tante angefertigt wurde. Abweichende Lesarten, Ergänzungen und Anmerkungen meinerseits füge ich in Klammern an. Satzzeichen und Absätze habe ich nach Gutdünken ergänzt und eingefügt, die Rechtschreibung allerdings nicht auf den heutigen Stand gebracht oder berichtigt, sondern in der ursprünglichen Schreibweise des Verfassers belassen. Im Interesse einer besseren Lesbarkeit und Orientierung habe ich den Text in Abschnitte gegliedert und mit Zwischenüberschriften versehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mobilmachung - der Krieg beginnt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Am 31.VII.1914 abends 8 Uhr wurde Mobil gemacht, was wir fast nicht glauben wollten, aber am 1. VIII. wurden wir der Wahrheit gewiß. Die Aufregung war allgemein groß. Nachdem aber die erste Aufregung vorüber war, wurden Bittämter und ein Wallfahrtsgang nach Maria Mühlberg veranstaltet. So gingen die ersten drei Tage vorüber. Am 4. Tag aber, als ich zur Fahne mußte, fiel es mir schon schwer, meine erst kürzlich geheiratete Gattin [die Hochzeit war im April 1914], meine Mutter und Geschwister, mein trautes Heim zu sen. Ich ging nach Lampoding, besuchte aber noch unsere liebe Frau in der Eichet-Kapelle und flehte noch um ihren Schutz. Von Lampoding aus fuhren wir mit einem Wagen nach Waging. Bei der Kappel zwischen Schnöbling und Tettenhausen stiegen wir Kameraden, 9 an der Zahl, ab, um noch zu beten. Als wir nach Tettenhausen kamen, gingen wir abermals zum Beten in die Kirche, wo uns der Vikar vorbetete, mit dem Ciborium den Segen gab."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abschied zwischen Schmerz und Kriegsbegeisterung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Als wir zum Wirt hinein kamen, stand ein Schüssel voll Suppe mit Leberknödel für uns bereit, soviel, daß wir sie nicht aufessen konnten. Bei der Einfahrt + bei der Ausfahrt, wie auf der ganzen Fahrt von Lampoding nach Waging sang alles Soldaten- und Kriegslieder. Zigarren und Hochrufe kammen von allen Seiten her, ebenso Bier. Um 12 Uhr bestiegen wir unter großer Begeisterung und Hurra-Rufen den Zug, welcher uns nach Traunstein beförderte. Als wir von Traunstein nach Rosenheim abfuhren, war es erschreckend, welche Schaaren dem Ruf des Königs folgend ihre Heimat verließen mit stürmischer Begeisterung. Um 1/2 8 Uhr kamen wir in Rosenheim an, wo wir acht Tage bleiben mußten, was wir nicht übel fanden."

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unterwegs zum Fronteinsatz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"Am 12. VIII. ging es dann morgens 6 Uhr mit der Bahn weiter über München, Pfaffenhofen nach Ingolstadt, wo wir das Mittagessen bekammen um 2 Uhr nachmittags. Nachher ging es über Neuburg, Donauwörth nach Nördlingen, wo wir das Abendessen bekammen. Um 8 Uhr abends verließen wir Nördlingen und somit die bayerische Grenze. Nun ging es über Türkheim das ganze Baden Würdenberg hindurch nach Bruchsal, wo wir am 13. VIII. 1/2 8 Uhr morgens ankammen. Das Schlafen in dieser Nacht war sehr wenig, und die ganze Fahrt war begleitet von stürmischen Hurra und Hoch-Rufen. Um 8 Uhr verließen wir Bruchsal, in dessen Bahnhof täglich 50 - 60 Militärzüge mit 40 - 50 Waggons verkehrten, und betraten die Grenze Badens, welche wir um 4 Uhr abends bei Landau wieder verließen. Auch in ganz Baden herrschte größte Begeisterung. Nun ging es durch die schöne Rheinpfalz mit seinen reizenden Weinbergen, wo wir um 1/2 6 Uhr abends den Rhein überschritten. In der Pfalz wie in Baden, Würdenberg und Bayern erhielten wir auf den Bahnhöfen, wo der Zug anhielt, Stärkung mit Kaffee, Tee, Brod, Zigarren, Süßigkeiten im Zug vom Rotenkreuz-Verein.

 

 

 

 

 

 

 

In Elsaß, dessen Grenze wir um 6 Uhr abends betratten, ging es mit Ausnahme der Station Hagenau sparsam her. Wir mußten noch bis 12 Uhr nachts fahren, bis wir bei Stat. Parschweiler die Eisenbahn verließen und nach 2-stündigem Marsch in Oberhorst am 14. VIII. 2 Uhr morgens einquartiert wurden. Um 1/2 10 Uhr aber mußten wir schon wieder zum Exerzieren ausrücken, was uns bei der großen Hitze nach 2 schlaflosen Nächten nicht recht gefiel. um 12 Uhr rückten wir wieder in unser armes Quartier, wo es nichts zu kaufen gab, ein. Selbst das Wasser war fast nicht zum trinken. Um 4 Uhr abends hatten wir noch einen Übungsmarsch, wo wir ebenfalls infolge der großen Hitze und dem schweren Gepäck Schweiß gebadet um 1/2 8 Uhr heimkammen. Die Wäsche konnten wir woll nachmittags troknen, aber abends ging das nicht mehr, und so mußten wir mit voll Schweiß durchnässter Leibwäsche unser Nachtlager nach spärlichem Essen aufsuchen. Aber schon um 1 Uhr nachts wurden wir wieder geweckt und (15.) mußten über Saaralben nach Grundweiler, wo wir mit 1maliger Mahlzeit um 3 Uhr ankammen. Wir mußten uns vor einem Flieger, welcher angemeldet war, flüchten, um nicht gesehen zu werden, und saßen deßhalb in ein Wirtschaft, aber leider - ohne Bier, welches wir seit Rosenheim nicht mehr bekammen. Um 9 Uhr suchte ich mein Nachtlager in einer Hütte auf, in welcher ungefähr 75 Mann lagen. Von 10 bis 1 Uhr mußte ich Posten stehen, und schon um 1/2 5 Uhr wurden wir wieder geweckt, und um 1/2 6 Uhr morgens am 16. VIII. ging es nach Bärendorf wo wir um 1/2 9 Uhr morgens ankammen. Hier mußten wir uns verschanzen, was an dem Regenwetter, wie wir es hatten, nichts erbauliches ist. Abends 8 Uhr kamen wir ins Quartier, jedoch ohne Kost bekommen zu haben am Abend."

 

 

 

 

 

 

 

Es folgen nun Aufzeichnungen über die ersten Gefechte im Elsaß und die Verlegung ins belgische Wallonien und nach Nordfrankreich.

 

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