> Nikolaus Streitner: Die letzten Feldpostbriefe von Nikolaus Streitner 1944/45

Nikolaus Streitner: Die letzten Feldpostbriefe von Nikolaus Streitner 1944/45

Dieser Eintrag stammt von Christian Kapeller (*1961) aus Innsbruck , Mai 2007 :

Obergefreiter Nikolaus Streitner, geb. am 27.08.1908 in Linz an der Donau, Konditormeister. Verheiratet mit Helene Streitner geb. Ivacic, Tochter Helga.
Eingerückt am 7.11.1942 in Garmisch 1.Geb.Jägerkomp.Batt.98.
Ab 28.12.1942 in Frankreich.
Ab 27.03.1944 Ostfront - Ukraine-Krivod Rosaiyes
Letzter Brief vom 21.03.1945 aus der Nordslowakei.
Gefallen/vermisst am 20.04.1945 Granatsplitter 13 km südost. Troppau (Tschechien).
Christian Kapeller ist der Enkel des Briefschreibers.



Satmerement (Satumare), 17.10.44
bei Debrezin

Liebe Helene!

Schnell wieder einige Zeilen da morgen geht wieder einmal eine Post weg. Momentan haben wir gerade einen Fliegerangriff hinter uns, ist aber alles gut abgegangen. Seit dem letzten Schreiben sind wir wieder ununterbrochen in Marsch gewesen und jetzt liegen wir im letzten Dorf das früher zu Rumänien gehört hat. Wir haben während dieser Zeit wieder 2 Kesseln durchlebt sind aber überall gut durchgekommen. Jetzt soll uns der Weg in die Slowakei führen. Ja Helene was werden wir noch alles erleben bis wir wieder beisammen sein können. Wie es momentan in der Welt aussieht wissen wir überhaupt nicht nur vermuten wir es. Ja was wird aus Ungarn mal werden, ist wirklich ein sehr schönes Land auch und die Leute kommen uns alle sehr freundlich entgegen obwohl sie vom Kriege nichts mehr wissen wollen. Unsere 3 Mann sind heute hier in dem Dorf beim Notar einquartiert, dieser war früher Österreichischer Offizier, kannst Dir denken wie ich mich mit dem gut unterhalten konnte. Morgen früh geht es wieder weiter, hoffentlich führt uns dann unserer Weg bald wieder zusammen. Hast Du schon was von Franzl gehört, bekommen...

Luca, wieder in Ungarn 12.1.45

Liebe Helene!

Nun ist es wieder an der höchsten Zeit das ich Dir schreibe, aber wir sind ja schon wie das Zigeunervolk, in der Früh wenn es los geht wissen wir nicht wo wir abends stehen und so geht ein Tag nach dem anderen vorüber. Zu Weihnachten und Neujahr habe ich viel an Dich und Helgi gedacht aber leider konnte ich nicht bei euch sein, aber dafür habe ich noch etwas für Helgi besorgt und zwar ein paar Stoffschuhe, ich habe sie bereits weggeschickt, hoffentlich kommen sie auch an. Ich konnte diese im letzten Partisanennest wo wir zu Weihnachten lagen mit etwas Zucker erwerben. Ja Helene dort sind wir einige Tage gelegen und hatten endlich einige Tage Ruhe, das heißt was wir so Ruhe halt nennen. Ich habe halt 3 Tage und auch Nächte nur Weihnachtsstollen gebacken, aber was für eine, so schöne und gute habe ich zu Hause nicht einmal gemacht, ich hatte zum helfen einen Rußen und einen Rumänen. Jeder Kuchen hatte sicher 1 ½ kg und bei den einfachen Bauernhöfen in den Slowakischen Dörfern konnte ich nun 8 Stück auf einmal backen und 160 habe ich gemacht, ich wurde halt genau am Weihnachtsabend um 8 h fertig, aber gefreut hat es mich doch wieder einmal so im Teig wühlen zu können. Seit dieser Zeit bin ich wieder bis auf weiteres bei der Küche. Am 26. Dez. sind wir dann wieder herum gewandert bis zum 30. Dann sind wir an der Grenze zwischen Ungarn und Slowakei wieder einige Tage hängen geblieben und ich habe wieder mit meiner Bäckerei angefangen und jetzt hat uns der Russe wieder aus einem Dorf an die Luft gesetzt und mir gar noch die Küche kaput geschossen. Du lieber Himmel schaut die aus, wenn man eine Maus hineinlässt kommt sie bestimmt nicht mehr heraus, so viel Löcher sind, aber Menschenleben war wenigstens nicht zu beklagen, ich selbst war auch nicht dabei, ich bin jetzt vorläufig selbständiger Koch bei einem Troß sicher 8 km hinter der Front, aber morgen scheint es wieder weiter zu gehen. Hier koche ich aber a' la Dornbirn, weist Mehl und Zucker habe ich genug, haben jetzt noch 6 Stück schönstes weißes Mehl und alles wurde auf deutsche Art "zusammenbeigemischt". Ich denke Dir Helen in nächster Zeit soll ich gar Oberschnappser werden aber General möchte ich doch nicht mehr werden, bin auch so schon zufrieden wenn wenigstens heuer der Krieg ausgeht. Ich möchte dann zu den 2 Weiberln höchstens noch einen und zwar einen solchen wo ich mich hinlegen könnte und wieder einmal tüchtig schlafen. Vor einigen Tagen habe ich wieder an Dich RM 100,- abgeschickt bitte schreibe es mir doch auch wenn es eintrifft. Sind auch die anderen RM 220,- schon eingetroffen und wie schaut es mit den Paketen aus, kommen diese auch an? Ich weiß nicht was los ist Helene seit dem letzten Brief so um den 6. Dez. herum trifft von Dir keine Post mehr ein, sind in Innsbruck vielleicht größere Beschädigungen gewesen? Heute habe ich auch einen Brief vom Franzl zurückbekommen, hoffentlich ist ihm nichts ernsteres passiert, ich lege Dir diesen Brief bei, vielleicht kannst Du ihn früher weiter senden als ich. Ich lege auch wieder einige Briefmarken bei bitte hebe mir diese wieder auf, besonders die 2 Rpf Marke. Vielen Dank auch für die Briefe von Deiner Mutter ich wünsche ihnen auch alles Gute, der Brief ist gestempelt vom 14.12. Hat Olga schon was von Pep gehört? Warst Du zu Weihnachten bei Deiner Mutter? Momentan Helene haben wir kein Ungeziefer mehr, siehst also auch ein Kriegsfortschritt, die Wäsche wird in einer besonderen Lösung getaucht und dann ist sicher 2-3 Monate "Vögleinfrei" aber kannst Dir denken wie das angenehm für uns ist. Von Strohmeyer Willi habe ich eine Karte bekommen das es nun auch sicher an die Front abgeht. Hast Du von Prasemaser schon das Geld bekommen oder lässt er damit auf sich warten. Sag Helene weist du genaueres was da mit dem Schindler von der Etab los war. Wie hat sich Dir gegenüber die Etab zu Weihnachten benommen? Helene ich lege einige Karten auch bei bitte hebe mir diese auch noch auf. Nun Helene schreibe ich Dir Rückwärts noch auf wie viel Pakete ich an Dich abgesandt habe und Du jetzt noch bekommst wie viel eingetroffen sind gell! So Grüße ich Dich und Helgi wiedereinmal recht herzlich und viele viele Küsse noch und möge dieses noch ein gutes Jahr für uns Dreien werden.

Dein Nick.


6.3.45

Meine liebe Helgi!

Nun habe ich endlich auch das Bild von Dir bekommen. Mutti hat es mir nochmals in einem zweiten Brief geschickt. Ja du bist ja schon ein sauberes Mäderl geworden und ganz lustig schaust Du drein, wahrscheinlich war es auch bei dem fotografieren recht hetzig und eine nettes Kleiderl hast Du an, das hat bestimmt wieder Mutti für Dich besorgt. Jetzt trage ich Dein Bild immer bei mir und denke dabei immer daran was für ein kleines Putzi Du einmal warst und jetzt schon eine kleine Dame geworden bist. Aber weist wenn ich dann wieder heimkomme und der Krieg aus ist dann verschwinden wir zwei einmal auf ein paar Tage, gell! Aber sage der Mutti nichts davon und dann pflanzen wir beide sie echt an, was meinst Du dazu, oder sollen wir die Mutti mitnehmen? Ja noch was Helgi, denk Dir hier habe ich jetzt schon so viel Störche getroffen, aber solange der Krieg ist, ist mit den Störchen hier auch nicht zu reden, sind alle so feindlich gestimmt, jetzt müssen wir halt warten bis ich wieder daheim bin und dann werden wir beide schon schauen das ich wieder einen richtigen Storch erwische und der muß uns dann ein richtiges Putzele bringen, gell! Aber bis ich wieder daheim bin musst Du halt in der Schule wieder recht fleißig sein und auch der Mutti ein bischen folgen, weist ganz geht es ja doch nicht, ich kenn doch meine Helgi, einen springenden Hintern hat sie ja immer noch. Momentan bin ich auch hier beim Zahnarzt aber ich müsste weiter gehen als Du und noch dazu im tiefen, tiefen Schnee, aber das alles wird einmal vergessen sein wenn ich wieder bei Dir und Mutti bin gell! Und nun Helgi grüße ich Dich und Mutti recht herzlich und viele Bussi dazu und vergieß nicht das auch Du einmal schreibst.

Dein Papa Nick.


Nordslovakei, 21.3.45

Meine liebe Helgi!

Denk Dir so etwas, jetzt ist gar noch Dein Weihnachtsbrief angekommen und gerade noch bevor ich einige Tage ins Lazarett abgegangen bin. Dein Brief und einer von Onkel Franz die beiden haben so lange gebraucht bis sie mich gefunden haben, aber dafür habe ich auch jetzt noch eine große Freude damit noch dazu wo ich jetzt sogar gleich 2 Bilder hab von Dir. Ja Läuse Helgi habe ich auch aber nicht auf dem Kopf sondern in den Kleidern und da sind diese Biester nicht recht angenehm. So da musst Du viele Strafaufgaben machen, aber das ist nicht ganz richtig, musst halt doch ein bisschen ruhiger sein. Ich bin schon sehr auf Dein Zeugnis neugierig. Liebe Helgi musst Du jetzt der Mutti ein bisschen folgen, weißt jetzt wird eine sehr schlechte Zeit kommen und da wird Mutti manches nicht mehr zum Essen kaufen können. Aber ich weis ja das wird die Helgi auch verstehen und der Mutti helfen gell! Nun Helgi so grüße ich Dich wieder einmal aus weiter Ferne und auch Mutti Dein Papa Nick.

München 42, den 12.11.1948 an Frau Fanni Streitner, Linz Goethestr.6

v.d.Pfortenplatz 6

Werte Frau Streitner

Ihre Zeilen vom 27.10. habe ich erhalten. Ihrem Wunsch gemäss möchte ich Ihnen nun von Ihrem lieben Sohn Nikolaus, den ich als guten Kameraden kennen und schätzen gelernt habe, erzählen.

Daß ich Ihnen nicht früher von den leider Gefallenen berichten konnte, rührt daher, dass ich erst im Januar diese Jahres aus russischer Gefangenschaft nach München zurückgekommen bin. Ich habe mich dann mit seiner Witwe, Frau Helene Streitner, in Verbindung gesetzt, aber auf meine Briefe keine Antwort erhalten. Daraufhin habe ich mich ans Bayrische Rote Kreuz gewandt, die meine Angaben dann weitergegeben hat.

Ihr Sohn und ich haben uns kennen gelernt als wir im März 1944 an die Ostfront kamen. Wir hatten uns näher aneinander geschlossen, da wir fast gleichaltrig waren. Nikolaus war ein tadelloser Kerl und vor allem mit seinem unverwüstlichen Humor hat er uns über manche stille Stunde hinweggeholfen. Wir zwei waren auch in derselben Gruppe beim M.G. und waren in manchem Loch, bei Dreck und Regen zusammen beieinander gehockt. Beim Rückzug am Dnjester, als ich dann nach 5 Tagen Vermisstsein zurückkam, war er dann als Koch bei der Kompanie. Da ging es ihm nicht schlecht. Bis in die Slovakei war er dort und ich kann mich genau erinnern, hat uns so manches Schmankerl, z.B. Krapfen, Gulasch, Kuchen bereitet und er hatte beim Hauptfeldwebel eine grosse Nummer. Und dann wie die Männer immer weniger wurden, musste so ziemlich alles nach vorne, wenn der Russe wieder mal in die Linie eingebrochen war. Und so war Nikolaus wieder einmal bei einer Gefechtsstaffel eingesetzt, die auf Mulis Munition transportierte. Es war am Rande eines Dorfes in der Tschechei, ich weiss den Namen nicht mehr, als die Staffel mit ihren Mulis lagerte, als ganz plötzlich ein Artilleriegeschoss einschlug, und ehe die Leute Deckung fanden, ein paar Kameraden tödlich traf. Und unser Nikolaus war auch dabei, er war sofort tot. Die Toten wurden gleich am Dorfrand begraben. Eine Mitteilung an die Angehörigen konnte nicht gemacht werden, da am 20.04. die Postverbindung bereits unterbrochen war. Ich war dazumal in der Schreibstube und übernahm auch den Nachlass, es waren Briefe, Fotos, Karten usw. das alles den Russen in die Hände fiel. Und die Überlebenden kamen in die russische Gefangenschaft, in der wir oft so schreckliches durchmachen mussten, so daß ich oft diejenigen beneidet habe, die still unter der Erde, von allen Elend befreit ausruhen durften. Es war für mich eine heilige Pflicht, einmal in der Heimat angekommen, die lieben Angehörigen vom Nikolaus zu verständigen.

Liebe Frau Streitner, ich hätte Ihnen lieber eine freudigerer Nachricht gegeben, doch das Schicksal wollte es anders. Seien sie versichert, dass Sie mit Ihrem Schmerz um den Tod des lieben, guten Nikolaus nicht allein sind. Ich werde ihm immer ein ehrendes Andenken bewahren.

Es grüßt Sie bestens

Karl Völkel

Orthografie und Interpunktion sind originalgetreu den Vorlagen entnommen.

lo