> Oskar Münsterberg: Spartakusaufstand

Oskar Münsterberg: Spartakusaufstand

Aufzeichnung aus dem Tagebuch des Unternehmers und Kunsthistorikers Oskar Münsterberg (1865-1920) aus Berlin (DHM-Bestand):

06. Januar 1919

Des Morgens sind nur die "Freiheit" und die "Tägliche Rundschau" erschienen, während die großen Druckereien von Scherl, Mosse und Ullstein sowie der "Vorwärts" von Spartakusleuten besetzt sind. Der "Vorwärts" ist als zweiseitiges Blatt erschienen mit dem Text der radikalsten Spartakusleute. Man telefoniert mir aus Moabit und aus der Wilhelmstraße, daß Tausende von Menschen in Demonstrationszügen für Ebert - Scheidemann durch die Straßen ziehen.

Gegen 12 Uhr fahre ich herab und begegne überall vorbeiziehenden Trupps und Arbeitern aus den stillgelegten Betrieben. Bürger, Offiziere und Soldaten, Frauen und Mädchen marschieren von allen Seiten nach der Wilhelmstraße. Extrablätter sollen verteilt worden sein, die eine Antispartakusdemonstration vor dem Reichskanzlerpalais gefordert haben. Der Potsdamer Platz ist schwarz von Menschen. Ich gehe mit bis zur Wilhelmstraße, wo sich alles staut. Es heißt, Scheidemann hat eine Rede gehalten, und jetzt seien wichtige Beratungen. Das Publikum soll warten bis zur Entscheidung.

Immer neue Züge treffen von allen Seiten ein. Alles staut sich. Zahlreiche Plakattafeln werden getragen, auf denen "Hoch Ebert - Scheidemann, Nieder mit Spartakus" steht. Endlich ein erlösendes Wort: die Soldaten sollen Waffen bekommen! Mit Hurrah und Begeisterung wird die Kunde aufgenommen. Dann heißt es: Soldaten in die Voßstraße, MG-Leute in besonderen Reihen aufgestellt. Tausende junger und alter Soldaten in den allermöglichsten Uniformen und Kostümen stürmen vergnügt und tatendurstig in die Voßstraße, sammeln sich, bilden Gruppen und warten auf die Waffen. Wenn ein Auto kommt, wird es mit Hurrah und Hoch begrüßt, aber stets ist es irgendein gleichgültiges Gefährt.

Die ersehnten Waffen bleiben aus. Die Soldatenmassen marschieren hin und her, sammeln sich und lösen sich auf, und so stand ich mit ihnen bis 3 Uhr, und keine Waffen kamen. Allmählich verkrümelten sich die Massen. Hunger und Kälte trieben sie von dannen. Eine große Enttäuschung bemächtigte sich aller, denn was können die Menschen mit ihrem besten Willen und ihrer ernsten Begeisterung tun, wenn sie keine Waffen haben. Gleichzeitig weiß man, daß Spartakus Tausende von Waffen besitzt und eine radikale Verzweiflungsstimmung, die zu allem entschlossen ist, seine Leute bewegt.

Plötzlich hört man Maschinengewehrfeuer. Es heißt, daß aus dem Kriegsministerium geschossen und vier Personen verwundet seien. Des Abends steht in der Zeitung, daß das Kriegsministerium besetzt sei. Die Mittagszeitung bringt die Besetzung der Reichsbank und des Telegraphenamts, aber abends wird es wieder bestritten. Jedenfalls haben die Spartakusleute die Leipzigerstraße von der Wilhelmstraße bis zum Potsdamer Platz abgesperrt. Die Kasernen sollen besetzt sein, damit die Soldaten nicht der Regierung zu Hilfe kommen können.

Nachdem endlich die Regierung sich aufgerafft hat, bewaffnete Soldaten zur Hilfe zu rufen, hoffe ich, daß uns morgen schon der Einmarsch geordneter Truppen verkündet wird, die sicher spielend leicht Ordnung schaffen werden gegen die paar hundert radikalen Elemente, die den Terror ausüben. Viele Gerüchte schwirren umher. Es heißt, daß Spartakustruppen zur Regierung übergegangen sind. Hoffentlich wird bald Besinnung in die Massen kommen, sobald sie sehen, daß ihnen ernster, tatkräftiger Wille entgegengesetzt wird.

Bisher ist die ganze Revolution so spielend leicht, fast ohne Blut vor sich gegangen. Wenn bald eine zielbewußte Gegenaktion einsetzt, werden viele abspringen, ihr Leben und ihre Einnahmen retten und das Spiel aufgeben. Liebknecht selbst dürfte zu klug sein, heute die Regierung übernehmen zu wollen, denn er weiß, daß Berlin nicht Deutschland ist und daß man mit Maschinengewehren wohl andere Leute totschießen, aber der Masse nicht Brot und Kartoffeln geben kann. Er weiß, daß das Land gegen den Wasserkopf Berlin Front machen und jede Lebensmittelzufuhr absperren wird. Deshalb war der Wunsch zur Nationalversammlung eine richtige politische Beurteilung der Situation, während der sinnlose, brutale Terror schnell sich totlaufen muß. Die nächsten Tage werden entscheiden, ob wir eine Regierung haben werden oder ob noch mehr Blut fließen muß, bis eine solche geschaffen ist.

7. Januar 1919

Die Morgenblätter berichten von Vergleichsverhandlungen, aber gleichzeitig gehen die Spartakusleute in der Besetzung von wichtigen Gebäuden immer weiter. Vierzehn Russen sollen in Deutschland sein, und sie geben offenbar auf Grund ihrer Erfahrungen in Rußland die Anweisungen, welche Behörden und Stellen am wichtigsten sind zur Besetzung. Es wird planmäßig vorgegangen. Zuerst werden die Zeitungen als Vermittler der Nachrichten im Volke besetzt, heute die Bahnhöfe, um die Zufuhr von Truppen und Munition abzuschneiden, dann die Reichsdruckerei, um Papiergeld nach dem Muster der berüchtigten Rubeldruckerei zu schaffen. Das Kriegsministerium ist im Vergleich Halbpart besetzt, so daß Spartakus eine Kontrolle ausüben kann, während im Polizeipräsidium Eichhorn regiert, obgleich er von allen vorgesetzten Behörden abgesetzt ist.

Er verteilt Zehntausende von Gewehren, Granaten, Munition an alle fanatischen Arbeiter und leider auch an alle möglichen zweifelhaften Elemente. Mehrere Plünderer und Räuber sind sogar von der eigenen Partei auf frischer Tat ertappt und eingesperrt worden. Selbst die Kasernen einiger regierungstreuer Regimenter müssen sich ergeben, als Kanonen aufgefahren werden.

Jetzt abends 10 Uhr sitze ich am traulichen Schreibtisch, Helen mit einer Handarbeit neben mir, und aus der Ferne vom Anhalter Bahnhof hören wir Schießen!

Wird die heutige Nacht das Eintreffen der um Berlin stehenden Truppen bringen? Werden sie kämpfen oder sich verbrüdern? Wer wird siegen? Jedenfalls muß in den nächsten Tagen die Entscheidung fallen. Eine zweite Revolution ist angebrochen, aber diesmal gegen die Sieger in der ersten. Mancher behauptet, daß die neue Bewegung nicht möglich gewesen wäre, wenn die russischen Bolschewisten zehn, andere sagen 20 Millionen Rubel nach Deutschland gebracht hätten und nicht so hohe Gehälter von 50 bis 70 Mark für den Tag an die Spartakusleute verteilen würden.

In den Straßen waren Neugierige zu Tausenden von früh bis abends versammelt. Die Geschäfte waren straßenweise geschlossen, Ruhe nach dem Sturm! Des Abends ging ich mit Helen an den Potsdamer Platz, wo im Halbdunkel kleine Gruppen von diskutierenden Leuten herumstanden, wie sie auch den ganzen Tag über die Linden und andere Plätze füllten. Meistens nur 2 - 3 debattierende Sprecher mit sanfter Stimme und freundlichem Ausdruck - russische Art - die scheinbar harmlos plaudern und doch manch zündendes Wort in die passiv herumstehende Zuhörerschaft werfen. Kein Schreien, Schimpfen, keine Redner mit lauter Stimme, sondern gemütliche und daher mehr eindringliche Plauderdiskussionen.

Die Umstehenden, etwa 10-20 Menschen, hören interessiert zu und erhalten durch die Persönlichkeit des Sprechers, meistens Soldaten oder hagere Arbeiter mit verwitterten Gesichtern, einen viel stärkeren Eindruck, als wenn sie in der Zeitung lesen würden. [...]

9. Januar 1919

In der Nacht hörten wir einzelne Schüsse, doch morgens war alles ruhig. In der Nähe unserer Wohnung, beim Reichsmarineamt, wurde auch geschossen. Ein Passant in der Lützowstraße ist verwundet, und in unseren stillen Square, gegenüber von unseren Fenstern, bei Frl. Marelle, hat sich eine Gewehrkugel auf den Balkon verirrt!

Über Nacht haben zwar vereinzelte Angriffe stattgefunden, aber im ganzen hat die Massenbewegung in der Stadt nachgelassen. Stellungskrieg, wie es im Felde war! Die von Spartakus besetzten Druckereien und sonstigen Gebäude sind besetzt, während die Regierung die Wilhelmstraße nahe dem Reichskanzlerpalais durch Soldaten heute abgesperrt hat. Heute sind keine Demonstrationen und auch wenig Neugierige in den Straßen, da die Angestellten der Elektrischen streiken. Sylvester haben die Kellner gestreikt, aber geradeso wie die Angestellten der Elektrischen nur wegen Lohnforderungen, nicht aus politischen Gründen. Beide Klassen waren bisher gut bezahlt, aber sie wollten die Gelegenheit wahrnehmen, um einen Druck zu wucherischen Mehrverdiensten auszuüben.

An den Straßenecken sieht man jetzt überall in Uniform und Zivil die frischbewaffneten Regierungstruppen, meist blutjunge Menschen mit umgehängten Gewehren, Handgranaten im Gürtel, Patronenstreifen über der Schulter. Das Brandenburger Tor, die Linden, die Wilhelmstraße sind abgesperrt, und das Stehenbleiben und Gruppenbilden ist überall verboten. Sonst geht alles seinen Geschäften nach, und in den Nebenstraßen merkt man überhaupt nicht, daß Revolution ist, wenn man nicht von Zeit zu Zeit Schüsse hören würde.

Ich gehe zu Fuß durch den Tiergarten und am Reichstag herum über den Karlsplatz nach meinem Geschäft. Das Brandenburger Tor und der Reichstag sind von Soldaten mit Maschinengewehren besetzt, wie im Kriege bei feindlichen Angriffen. Und dazwischen hängen noch die grünen, rot bebänderten Kränze vom Einzug der Truppen. In der Mitte des Brandenburger Tors steht groß auf der Fahne geschrieben:"Friede und Freiheit". Das Merkwürdige ist, daß bei dem freien Straßenverkehr Freund und Feind friedlich nebeneinander einhergehen. Nur so ist es möglich, daß das offenbar nicht vollkommen abgesperrte spartakistische Polizeipräsidium durch Autos und Radfahrer überall Verkehr aufrechterhält und immer neue Arbeitertrupps bewaffnen kann.

Die besetzten Gebäude müssen wie Festungen völlig umzingelt werden, sodaß Hunger und Munitionsmangel zur blutlosen Übergabe zwingen. Aber hierzu sind Soldatenmassen nötig, die vorläufig offenbar noch nicht der Regierung zur Verfügung stehen. Nur das Reichskanzlerpalais und die Ministerien sind in dieser Weise erfolgreich geschützt.

Auch will man offenbar vermeiden, unnütz die Nachbarhäuser mit ihren Einwohnern und die Passanten der Straßen zu gefährden. Sonst wäre ein Zusammenschießen mit Kanonen oder mit Fliegerbomben schnell durchgeführt. Schließlich ist es doch nur eine Frage der Zeit, denn wie kann ein einzelnes Gebäude sich auf die Dauer gegen die täglich zunehmenden Regierungstruppen halten? [...]

10. Januar 1919

Immer neue Truppen von auswärts werden herangezogen, immer neue Scharen melden sich zur Bürgerwehr, und es ist kaum zu verstehen, daß noch immer die wenig Hundert Spartakisten in ihren verbarrikadierten Gebäuden auf einen Erfolg hoffen. Aus der Provinz kommen ebenfalls Nachrichten über radikale Putsche, aber andererseits ist die Sicherheitswache zur Regierung übergetreten, die Marinedivision hat sich neutral erklärt und den früher spartakistischen Führer im Marstall abgesetzt. Die Regierungstruppen bleiben treu, so daß die Machtmittel der Regierung täglich wachsen und der Sieg nur eine Frage von Tagen ist.

Als ich mittags in die Stadt gehe, fahren wieder die Elektrischen, nachdem die Lohnforderungen bewilligt sind und ein Fahrer heute das Einkommen eines besseren Büroangestellten und eines Staatsanwalts hat. Allerdings ist die Bewilligung daran geknüpft, daß die Regierung einer Erhöhung des Fahrpreises zustimmt. Mit anderen Worten, die Angestellten haben ihren Mehrlohn nicht auf Kosten der Kapitalisten, sondern auf Kosten der anderen Arbeiter, die so viel mehr zahlen müssen. Das ist sicher nicht sozialistisch, und dafür wäre die Revolution nicht nötig gewesen. Aber es zeigt, daß im Grunde genommen die wenigsten die politische Seite der Revolution verstehen und nur mitlaufen, um ihre persönlichen wirtschaftlichen Interessen zu fördern. Die große Masse sieht in der Revolution nur eine Lohnforderung.

Es begegnet mir ein Demonstrationszug von vielleicht 50.000 Arbeitern, Männern und Frauen, aus den führenden Betrieben, die bisher die Gefolgschaft der radikalen Führer waren. Auf ihren Schildern steht "Nieder mit den Waffen", "Wir wollen kein Blutvergießen", "Einigkeit mit oder gegen die Führer". Dieselben Männer, die noch vor wenigen Tagen den radikalsten Forderungen gedankenlos zugestimmt haben, erkennen jetzt, daß nur nicht kein Erfolg auf diese Weise erzielt werden kann, sondern befürchten Arbeitslosigkeit und dadurch Verlust des bisher Erreichten.

Die Generale haben keine Truppen mehr! Das Erkennen erwacht in der Masse, aber jetzt darf es keinen Vergleich mehr geben, jetzt muß die Autorität der Regierung fest begründet werden, sonst ist alles verloren.

Während diese friedlichen Massen an mir vorbeiziehen zum Abgeordnetenhaus, ertönen Schüsse von verschiedenen Seiten. Als ich zum Anhalter Bahnhof komme, wird die Straße gesäubert. Als neue Schüsse fallen, stürzen alle Menschen in die Seitenstraßen. Eine merkwürdige Mischung von Geschäftsbetrieb, friedlicher Demonstration und Kriegführen! [...]

11. Januar 1919

Heute war ein blutiger Revolutionstag. Der erste wirkliche Barrikadensturm. Kanonenschießen und Maschinengewehrfeuer auf der Straße, von den Dächern herab! Es herrscht wieder eine Regierung mit starker Faust! Jetzt wird bald Ruhe kommen.

Die ganze Nacht hindurch hörten wir Schüsse fallen. Mittags fahre ich zur Stadt und konnte ungefährdet zur Friedrichstr. gelangen, um von dort zu Fuß nach der Marienstraße in die Fabrik zu gehen. Die Linden waren der Länge nach abgesperrt, aber durften durchquert werden. Ich höre, daß das Komödienhaus am Schiffbauerdamm von Spartakusleuten besetzt sei und vormittags in der Luisenstraße eine Schießerei stattfand. Selbst in der sonst so stillen Marienstraße war gestern ein Maschinengewehr aufgestellt.

Überall sieht man Soldaten mit ihren Sturmhauben, die malerisch wie die antiken Bronzehelme der Griechen wirken. Jedenfalls sind sie viel künstlerischer als die alten Pickelhauben mit ihrem unmotivierten Dorn auf dem Kopfe. Die Sturmhaube ist ein Symbol des wirklichen Schutzes, dagegen der mit dem Adler verzierte alte Lackhelm mit der Spitze ein elegantes Dekorationsstück ohne viel praktischen Wert.

Als ich gegen 3 nach Hause gehen will, stehen die Straßenbahnwagen in der Französischenstraße in endloser Reihe. Aller Verkehr stockt. Leipzigerstraße und Potsdamer Platz sind gesperrt. Die Mittagsblätter berichten, daß der "Vorwärts" gestürmt sei, desgleichen die Druckerei von Büxenstein. Endlich ein Erfolg. Jetzt wird um die Mossedruckerei gekämpft. Ich höre, daß das Polizeipräsidium und das Hauptquartier in die Bötzow-Brauerei verlegt seien.

Noch immer soll die Spartakusbesatzung Zuzug erhalten. Ich hatte die Macht weit unterschätzt. Genaue Angaben sind nicht zu erhalten, und ich glaubte immer nur, daß es sich um einige hundert fanatische Kämpfer handelt, aber jetzt müssen Tausende bewaffnet sein, denn jedes besetzte Gebäude ist als Festung ausgebaut und von mehreren hundert Mann besetzt.

Immer neue Überfälle aus den verschiedensten Teilen der Stadt werden gemeldet. Im Westen auf dem Winterfeldplatz ist eine Baracke gestürmt, im Tiergarten soll ein Schützengraben gebaut sein, am Anhalter Bahnhof werden beständig Überfälle versucht.

Was denken sich die Menschen? Woran glauben diese kampfbereiten Massen? Wie kann man ernsthaft annehmen, daß es möglich sei, mitten in einer Fünfmillionenstadt ein einzelnes Haus zu besetzen und zu halten, wenn nicht die Masse das Volkes mitgerissen wird und zur Unterstützung herbeieilt? Ist es die freigewordene Rache der aufgespeicherten Unzufriedenheit? Ist es Abenteuerlust der Rotte nach Gewinn und hoher Löhnung oder die Hoffnung auf Plündern? Ich glaube, daß diese letzten Motive den größten Teil der Spartakusleute beseelt, die nur von ganz wenig utopistischen Menschheitsidealisten geführt und verleitet werden! Sicher meinen es viele ganz ehrlich, und sicher glauben viele der Mitläufer an das, was die spartakistischen Führer ihnen erzählen. Massensuggestion!

Jedenfalls lügen die Flugblätter, die nur von Räubern und Gesindel sprechen. Denn solche Todesmut gegen eine überwältigende Übermacht, die dem gesunden Menschen als sinnlos erscheint, muß von einem starken Idealgefühl getragen werden. Das plündernde und raubende Gesindel sind nur die Mitläufer, die in einer Großstadt stets zahlreich vorhanden sind. Interessant wäre es, festzustellen, wie viele wirklich fanatisch überzeugte Anhänger und Gläubige des Bolschewismus nach Abzug der schlechten Elemente und der radaulustigen Mitläufer übrigbleiben.

Die Abendblätter bringen ausführliche Beschreibungen des Kampfes, der an den Kolonnaden des Belleallianceplatzes begann, dann gegen die auf den Dächern der Häuser verborgenen Schützen vordrang bis zur stark verbarrikadierten Fabrik des "Vorwärts" mit seinen hintereinander gelegenen Höfen. Schwerste Bomben und Flammenwerfer waren in Tätigkeit, mit Handgranaten wurden die Tore gesprengt, und erst den vordringenden Sturmtruppen ergaben sich die Verteidiger. 300 Gefangene wurden gemacht und 100 Maschinengewehre erbeutet.

Der gleiche Kampfesgeist, der Schulter an Schulter Arbeiter und Soldaten durch die Kriegsjahre vor dem Feinde standhalten ließ, wurde von beiden Parteien auch im Bruderkampf bewährt. Wie traurig, daß diese trotzigen Kräfte, verführt durch den fanatischen Führer, sich gegenseitig vernichten müssen, nachdem sie gemeinsam gegen eine Welt von Feinden siegreich gekämpft hatten.

Aber es muß Ordnung herrschen. Es muß eine Regierung auch die Kraft ihrer Selbstbehauptung besitzen. Hoffentlich fällt jetzt eine Festung der Spartakusleute nach der anderen, und leider darf es mit Verführten kein Mitleid geben, damit nicht fortdauernd der anarchistische Gedanke das ganze Land verseucht.

Vormittags sind Tausende treuer Regierungstruppen aus der Umgegend einmarschiert und sollen hier bleiben zum Schutze der Nationalversammlung. Immer neue Truppen werden erwartet. In meiner Fabrik sind alle Arbeiter pünktlich wie immer zur Stelle. Die Künstler malen ihre Blümchen, die Lithographen machen ihre Punkte auf den Stein, die Maschinenmeister drucken und schimpfen, und wenn Differenzen entstehen, so handelt es sich um Lohnerhöhung und verkürzte Arbeitszeit - keine Aufregung, kein politisches Fühlen. An die Schießerei haben sich alle gewöhnt und hören kaum mehr hin. [...]

12. Januar 1919

Die besetzten Druckereien sind alle erobert oder geräumt. Die Verteidiger entflohen teilweise über die Dächer oder sind gefangen. Der "Vorwärts" ist eine Ruine wie in der ganzen Kriegszeit kein Feind ein Haus in Deutschland zugerichtet hat. Eine Bombe ist vom Dach durch alle Stockwerke bis zum Keller gegangen.

Das Polizeipräsidium mußte noch beschossen und gestürmt werden. Eine richtige Artillerieschlacht! Die Mittagszeitung bringt die Berichte über den Schlußkampf. Eichhorn ist entflohen, ebenso Liebknecht und Rosa Luxemburg. Man atmet auf! Der Terror ist beseitigt, Ordnung herrscht wieder, man ist des Lebens und des Besitzes sicher. Noch sind Spartakusnester am Schlesischen Bahnhof und hier und da vorhanden, aber es ist nur eine Frage von Stunden, bis auch diese letzten Zufluchtstätten erledigt sind.

Kleine Banden, freches Gesindel, plündern Läden in den verschiedensten Gegenden der Stadt und Villen im Grunewald. In wenigen Tagen wird hoffentlich alles vorüber sein. Wir haben wieder ein Heer, wenn auch nur klein, aber es bildet einen einheitlich organisierten Körper fest in Führers Hand. Polizei und Sicherheitsdienst werden neu geordnet und bewaffnet. Das Gesindel wird wieder lernen, Respekt zu empfinden vor dem Begriff "Staat".

lo