> Richard Suchenwirth: Als Luftwaffenhelfer in Krailling April 1943-Mai 1944

Richard Suchenwirth: Als Luftwaffenhelfer in Krailling April 1943-Mai 1944

Dieser Eintrag stammt von Richard Suchenwirth (*1927) aus Herrsching, Mai 2011:

Wenige Wochen nach Beginn meiner Luftwaffenhelferzeit kam ich nach Krailling. Diese Flakstellung lag teilweise am Rande eines Waldes zum Teil in einer sehr breiten Mulde und hatte etwa im Zentrum am oberen Rand der Senke einen neu erbauten großen Bunker für den Batteriestab, das Kommandogerät 42, das FuMG, die Telefonisten und unsere Umwertung. 2 Batterien hatten je sechs 8,8-cm Geschütze, eine nachgebohrte russische 8,8-cm Geschütze. Anfangs war dort auch eine Stellung mit 3,7-cm Geschützen dabei, die aber bald abgezogen wurde. Vier große Hundertmann-Baracken lagen dabei in der rund 80 Meter breiten und mehrere hundert Meter langen Mulde, der Batteriechef wohnte in einem kleinen am Beginn dieser Senke liegendem Haus, das offenbar aus der Vorkriegszeit stammte und von den Eigentümern wohl requiriert worden war. Am Nordrand der Mulde, rund 30 m gegenüber den großen Baracken, waren die Latrinen und dahinter ein großer, aber nicht oder kaum mehr benutzter Müllplatz - früher eine Kiesgrube.

Wir Luftwaffenhelfer wurden jetzt teilweise an Geschützen, teilweise am FuMG, am Kommandogerät und in der Umwertung eingesetzt. Als Jüngster fand ich mich wieder der Umwertung zugewiesen. Wir von der Umwertung wohnten in der zweiten Hundert-Mannbaracke und zwar in einem Zehnerzimmer mit Doppelbetten, andere lagen zu viert in einem Zimmer. Vor unseren Zimmern war ein großer Gemeinschaftsraum. Nur die Luftwaffenhelfer, die der Geschützstaffel zugeordnet waren, wohnten in Geschütznähe in kleineren Baracken, aus denen man im Winter direkt ins Freie treten musste. Ihre Lage war also viel schlechter. Jedem Geschütz waren etwa 2 russische Kriegsgefangene zugeteilt, die Munition tragen und einfache Arbeiten verrichten mussten. Einige davon waren uns recht sympathisch. Da gab es auch einen, der gerade den großen Saal aufkehrte, in dem auch der Unterricht stattfand, als er unsere besten Mathematiker vor der Tafel über einer mathematischen Aufgabe grübeln sah. Der Russe sah kurz zu und als meine Klassenkameraden das Problem nicht lösen konnten ergriff er eine Kreide und löste es binnen Kurzem beispielhaft gut. Unser bester Mathematiker, Karl Keller, später gefallen, war von der Leistung sehr eingenommen, wir anderen auch, teilweise allerdings, wie ich ohne die Lösung zu verstehen. Ein anderer Russe räumte im Gespräch unter vier Augen ein, dass er ein Anhänger Stalins sei, der viel für Russland getan hätte. In ihrer Freizeit schnitzten sie kleine Gegenstände aus Holz oder sie stellten aus Geldstücken Ringe her, alles mit bemerkenswertem Geschick. Ein Bär und ein Mann, die auf einen Amboss einschlagen, aus Holz geschnitzt, habe ich heute noch. Man tauschte derartige Dinge gegen Brot ein. Am Sonntag hatten die Russen, begleitet von einem Oberschlesier Gelegenheit sich nachmittags im nahe gelegenen Wald mit Russinnen zu treffen, sie gingen dort, wie ich einmal sah, wohl in Sichtweite des Postens auf und ab. Im Übrigen hatten wir durchaus Respekt vor den Russen. Wir benutzten ja auch in einem Teil unserer Großbatterie 6 russische Flakgeschütze, die von 7, 9 cm auf 8, 8 cm nachgebohrt waren, was mir persönlich immer etwas unheimlich war, die sich aber gut bewährten.

Jeden Morgen gegen 7 Uhr wurden wir vom Unteroffizier vom Dienst ("U.v.D.") mit der Trillerpfeife geweckt; wir holten in großen Blechkannen Kornkaffee("Muckefuck"). Dann war Morgenapell für die ganze Batterie, meist vom Stabswachtmeister, dem "Spieß" abgehalten. An zwei kann ich mich noch erinnern. Der an sich wohl eher gutmütige Wachtmeister Königsmann, stammte aus Westfalen und fiel durch eine ebenso laute, wie undifferenzierte, manchmal etwas krakeelende Sprache auf, war aber wohl im Grunde ein gutmütiger Mensch. Ein anderer, der nur kurz bei uns war, der Unteroffizier Voigt, seines Zeichens, wie wir hörten, Altphilologe, der eher leise und sehr fein und differenziert sprach, aber vielleicht nicht ganz der richtige Mann für dieses Posten war. Möglicherweise war er der Verfasser einer lateinischen Grammatik oder von einem Lehrbuch, wovon wir allerdings im Dienst nichts merkten. Er blieb dann auch nur kurze Zeit bei uns. Der "Spieß" war zugleich Herr der Schreibstube, wo die sehr erwünschten Urlaubsscheine ausgestellt wurden. Im Übrigen war hier ein souveräner und intelligenter Mensch tätig, ein Obergefreiter Billen, von dem man sagte, er sei eigentlich Bankbeamter und habe es abgelehnt etwa Unteroffizier zu werden.

Eine andere Art Zentrum der Batterie war für uns die "Kammer", wo ein Unteroffizier Sutter und zwei Obergefreite Beck und Fuhrmann die Bekleidungsstücke verwalteten, austauschten und neu zuwiesen. Wir selbst hatten drei Uniformen. Eine in Art der Flieger -HJ mit blaugrauer, blusenartiger Jacke, Überfallhose und einer Kappe, sowie, aber nur anfangs, einer HJ-Armbinde, eine normale blaugraue Dienstuniform sichtlich schon von vielen getragen und eine Drillichkombination. Die Erstgenannte war die Ausgehuniform. Im Übrigen hatten wir Schnürstiefel und für Fahrten oder Reisen einen Rucksack.

Tagsüber trugen wir meist die erwähnten alten Soldatenuniformen, bei der es keine Bügelfalte oder ähnlichen Humbug gab. Gegen 8 Uhr war dann also vor der Hundertmannbaracke der Frühappell, bei dem eigentlich nur kleinere belanglose Dinge für den Tag mitgeteilt wurden. Offiziere, wir hatten außer dem Batteriechef Oberleutnant Hofbauer einem schweigsamen Altbayern.

Ein gefürchtetes Ereignis war der Vollzähligkeitsappell. Man hatte seine Habe auf einer Decke auf der Wiese zwischen den großen Baracken auszubreiten und dann wurde verlangt, das jeweils aufgerufene Ausrüstungsstück vorzuzeigen - ein Entziehen war kaum möglich -. Wäsche, Kleidung, Butterdose, Kochgeschirr die Gasmaske und einiges mehr. Mit Argusaugen wachten "Spieß" und Unteroffiziere ob alles seine Richtigkeit hatte. Wer Ausrüstungsstücke verloren hatte, wurde bestraft, wie weiß ich nicht mehr, am ehesten wohl durch Ausgangsentzug, aber dies kam nicht oft vor. Andere Bestrafungen habe ich überhaupt nicht erlebt, auch bei uns nichts davon gehört.

Anschließend folgte vormittags der Unterricht. Aus dem Theresiengmynasium kamen mehrere Professoren, so Dr. Schmidt und Herr Walter. An Einzelheiten des Unterrichts kann ich mich nicht erinnern. Latein, Deutsch, Mathematik, Geschichte, Erkunde und Biologie standen in meinen Zeugnissen. Die Hilfsmittel für den Unterricht waren äußerst begrenzt. Außer einer Wandtafel stand wohl nichts zur Verfügung. Ich weiß nur noch, dass Prof. Walter uns für Saint-Exupery erwärmte, wohl auch "Auf den Marmorklippen" von Ernst Jünger ansprach und auszugsweise mit uns las? Von Dr. Schmidt bekamen wir die Anregung bei jeder irgendwo gelesenen Zahl sich sofort zu bemühen sie mit einem historischen Ereignis in Zusammenhang zu bringen, was die meisten, ich nicht so, mit Kopfschütteln aufnahmen. Recht viel gelernt haben wir dabei sicher nicht mehr. Auch wurden kaum Hausarbeiten gemacht. Die Professoren hatten eine weite Anfahrt bis zum Bahnhof Planegg und einen Weg von mindestens 15 Minuten hinter sich, bevor sie durch den Schlagbaum die Flakstellung erreicht hatten. Zeitweise fand der Unterricht in einer etwa nach 10 Minuten Fußmarsch zu erreichenden Gastwirtschaft statt, wobei einige dann ein Glas Bier, andere wenigstens Limonade vor sich stehen hatten. Sehr ergiebig war dieser Unterricht schon nicht mehr.

Auch anderer Gründe dafür gab es genug. Die Unterrichtsstunden wurden gelegentlich durch die von Flaksoldaten von Baracke zu Baracke vermittelten Rufe "Edelweiß" (eine Art Voralarm) unterbrochen. Einige Schüler waren in Urlaub, Einzelne beim "Sani" im Revier oder beim Stabsarzt. Indessen war der Schulunterricht - zumindest für mich - eine Art Rest von erfreulichem Zivilleben mit geistiger Anregung. Dank den Lehrern, die den weiten Weg zur Flakbatterie jeden Morgen auf sich genommen hatten! Ich hielt auch einmal ein Referat über Radetzky nach einer kleinen eher für den Laien geschriebenen Monographie über den österreichischen General. Daran, dass wir ernsthaft "Hausaufgaben" gemacht hätten könnte ich mich nicht erinnern.

Das Essen war nach meiner Erinnerung für die damalige Zeit nicht schlecht, die Köche, der Tiroler Huber und der Berliner Bierwagen, taten einträchtig ihr Bestes im Rahmen der Möglichkeiten. Die heißen Kartoffeln, die man sich selbst schälen musste, legten viele zunächst in ihre Mützen. Gegessen wurde in einem großen Saal einer Hundert-Mann-Baracke. Fleisch gab es eher selten, aber hungern mussten wir nicht. Auf einer schwarzen Tafel wurde mit Kreide immer angekündigt, was es zum Essen gab. Die "Fleischpflanzerln" unseres Tiroler Kochs und die "Königsberger Klopse" des Berliners rivalisierten und sind mir in Erinnerung geblieben. Für den Abend und den nächsten Morgen wurden dann die Rationen an Brot, Margarine, Wurst oder Käse und Marmelade oder Rübenkraut ausgegeben. Man nahm das Abendessen, wie das Frühstück, in den Stuben ein, wobei abwechselnd einer "Kaffee" in großen Kannen aus der Küche holte.

In der Zwischenzeit - ab September - waren in Krailling dann auch gleichaltrige Schüler aus Kempten als Luftwaffenhelfer zu uns gestoßen. Sie waren aber meistens in der Geschützstaffel und uns, die wir in der Messstaffel waren, weniger vertraut. Wir sahen sie beim Morgenapell, bei den Mahlzeiten und beim Unterricht. Die Klassenkameraden in der Geschützstaffel hatten es sicher wesentlich schwieriger als wir. sie hatten einen weiteren Weg zurückzulegen, bei dem ihnen vor allem im Winter der Wind ins Gesicht blies. Hier gab es auch Geschütze zu pflegen und ähnliches mehr an Dreckarbeiten.

Dürftig und für heutige Zeitgenossen kaum vorstellbar waren die hygienischen Verhältnisse. In unserer Hundert-Mann-Baracke hatten wir ja fließendes, aber natürlich nur kaltes Wasser. Wenn wir warmes Wasser wollten mussten wir es auf unseren, in jedem Raum befindlichen Ofen, aufwärmen. An eine Dusche, gar Badewanne war gar nicht zu denken, was der Körperpflege nicht eben gut tat. Unsere Klassenkameraden in der Geschützstaffel, die ja in kleinen Baracken wohnten, ging es auch diesbezüglich sicher wesentlich schlechter. Sie mussten bei jedem Wind und Wetter das Wasser von außen holen. Unsere "Toilette", also die Latrine, bestand aus kleinen Holzhüttchen, die etwa 50 Meter von der großen Baracke entfernt standen. Da wanderte man dann also täglich mehrfach mit alten Zeitungen hinaus, ganz gleich ob es regnete oder ein Sturm blies. Da unsere Baracke, wie gesagt in einer großen Mulde lag, ging es uns aber auch diesbezüglich verhältnismäßig gut. Jedenfalls waren wir den Stürmen viel weniger ausgesetzt, als die Kameraden der Geschützstaffel. Diese lag mit ihren Baracken offen auf einem weiten Feld oder Acker in ihren kleinen Baracken, die etwa 8 Menschen aufnehmen mussten. Vor allem der Winter dürfte dort recht anstrengend gewesen sein. Ich muss gestehen, dass ich wohl nie in eine solche Baracke meinen Fuß gesetzt hatte. Im Übrigen hatten auch unsere Russen völlig gleichartige Lebensverhältnisse in entsprechenden Baracken am Hang der großen Mulde.

War die Dienstbelastung insgesamt gering, so gab es einige Zeiten, in denen mehr gefordert wurden. So schon in der ersten Zeit, als die Geschützstellungen ausgehoben werden mussten. Diese Schaufelarbeiten mussten sehr schnell gemacht werden, weil die Luftangriffe häufiger wurden und man um Schutz in den Stellungen bei etwaigen Bombenabwürfen besorgt war. Einige Tage wurde auch nachts umschichtig mit Hacke und Schaufel gearbeitet.

Es gab für uns Luftwaffenhelfer auch Wehrsold. Gedacht war an eine Mark für einen Tag. Jedoch erhielten wir nur 50 Pfennig davon ausgezahlt, offenbar damit wir nicht zu übermütig wurden und das Geld nicht verprassten. Der Rest wurde uns gut geschrieben und bei Entlassung aus dem Dienst als Luftwaffenhelfer auch tatsächlich überwiesen. (Hier war die Wehrmacht, und also auch die Luftwaffe, ganz korrekt.) Mit dem Geld konnten wir in unserer Kantine Kleinigkeiten einkaufen, einen "Tschietsch" trinken, oder Schreibpapier und ähnliches besorgen. Groß war das Warensortiment jedenfalls nicht.

Am Nachmittag mussten die Luftwaffenhelfer Geschütze putzen, die Geräte warten, oder kleine Übungen machen. Wir von der Umwertung führten allerdings ein höchst geruhsames Leben, da wir Luftwaffenhelfer dabei unter uns waren. Der Führer der Umwertung war erst Herbert Vornehm, später, als die älteren Luftwaffenhelfer weg kamen und jüngere nachrückten auch ich. Bei uns gab es nichts zu Putzen und wenig zu Üben. Das von uns bediente "Malsigerät" wurde nur gelegentlich beim Batterieexerzieren im Ganzen benutzt. Ich saß manchmal während die anderen übten oder putzten heimlich mit meinem Klassenkameraden Heinz hinter einem Busch oberhalb der Flakstellung und wir "philosophierten", wenn man das so nennen durfte. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich damals zum ersten Mal von einer Mathilde Ludendorff als einer Art Religionsstifterin erfuhr, was mich aber recht skeptisch machte. Andere Mußestunden verbrachte man auch bei ersten Sonnenstrahlen an der Wand der Baracke windgeschützt sitzend ein wenig plaudernd mit Blick auf die vorbeiziehenden Wolken am blauen Himmel.

In Krailling war dann später noch eine Klasse von gleichaltrigen dann auch etwas jüngeren Gymnasiasten aus Kempten zu uns gestoßen. Nur wenige Namen sind mir noch geläufig. Etwa gleichzeitig kam auch noch eine Klasse tiefer aus dem Theresiengymnasium zu uns, ich erinnere mich noch bei den Kemptenern an einen Toni, einen Günther, einen Hans ("Giovanni") sowie einen Otto. Man sah immer neue Gesichter. Andere Mitschüler (Rupp, Oskar, Pit, Weidenbach, Thoma, Plesch) verschwanden meist ohne Abschied, wir wussten oft nicht wohin.

Am Tag gab es auch häufiger Alarm, nachts, wenn die englischen Flugzeuge kamen sehr oft. Unsere Batterien kamen relativ oft zum Schießen, ob wir damit etwas erreicht haben steht in den Sternen. Insgesamt waren wir diesbezüglich eher skeptisch. Ein Witz, dem Münchener Komiker Weiß-Ferdel zugeschrieben, machte die Runde. Er sei wegen staatsfeindlicher Äußerungen zum Tode verurteilt worden, habe jedoch die Gnade erhalten sich die Todesart auszusuchen. Da habe er listig gesagt, er wolle von der Flak abgeschossen werden.

Die Unteroffiziere, wie auch die Mannschaften, waren fast durchwegs ältere ruhige Männer, oft Familienväter, die uns kaum zusetzten und mit denen wir manches gemütliches Stündchen plauderten. Der einzig etwas abstoßend wirkende war ein laut und lästig auftretender Obergefreiter, den man aber dann mit ein oder zwei Zigaretten stets sehr freundlich stimmen konnte. Ich erinnere mich auch noch an einen untersetzten gutmütig-behäbigen, etwas korpulenten Münsterländer Möhring, der eine große Ruhe ausstrahlte, einen Oldenburger Bauernsohn Cordes, einen Franken Dengel, und den stets fröhlichen Unteroffizier Heimerl ,einem Friseur aus München. Mit einigen, vor allem den jüngeren Unteroffizieren, konnte man angeregt diskutieren, es wäre wiederum eine Idylle mit kleinen Waldspaziergängen gewesen, wenn nicht dann doch von Monat zu Monat, fast von Woche zu Woche der Krieg, allerdings weit um uns herum, wie wir vor allem aus Gesprächen wussten, insgesamt immer heftiger geworden wäre. Wir hatten zwar keine Zeitung, bekamen aber die täglichen Nachrichten in unseren Zimmern übermittelt, jedes hatte einen "Volksempfänger"), wobei natürlich der tägliche Wehrmachtsbericht besonders interessierte. Der eine oder andere Mitschüler berichtete nun doch auch von einer Zerstörung der elterlichen Wohnung, dass man "ausgebombt" war.

Von Zeit zu Zeit hatten wir am Wochenende frei und konnten dann eine Nacht zu Hause verbringen. Der Klassenkamerad Simnacher erzählte stolz, dass seine Familie im Garten einen Bunker bis 5 m Tiefe .selbst ausgegraben, erstellt habe. Meine Familie hatte sich sogar am Ammersee mit Hilfe und nach Planung von französischen Kriegsgefangenen, die bei Bauern arbeiteten, einen Unterstand gegraben, der mit etwa 1 Meter Erde überdeckt war.

Zur Unterhaltung und Anregung führten wir Luftwaffenhelfer das Theaterstück "Die kleinen Verwandten" von Ludwig Thoma auf, wobei ich nicht ungern eine Rolle (die der wohlhabenden "feinen" Mutter). übernehmen musste, obwohl mir diese Frauenrolle an sich nicht passte. Bei anderen Gelegenheiten führten wir kleine Sketche auf. Es wurde nicht ganz wenig gesungen, meist alte Soldatenlieder, Partei- oder HJ-Lieder nicht. Es gab einen ordentlichen Tischtennistisch, der fast ständig umlagert war. Ein altes Klavier wurde allerdings meist gemieden, Musik gab es fast nur aus dem Radio. Dabei musste einem auffallen, dass der Sender München außerordentlich oft "Heinzelmännchens Wachparade" und "Ein Student geht vorbei" spielte. Einige hatten eine Mundharmonika, gespielt wurde darauf aber doch eher selten, Hermann Lichtenstern spielte auch auf einer Ziehharmonika. In Erinnerung blieb mir das Lied von der "lieben kleinen Schaffnerin", das er oft wiederholte. Zum Baden kamen wir auch im Hochsommer fast (?) gar nicht. Das Schwimmbad war wohl zu weit von der Flakstellung entfernt. Duschmöglichkeiten bestanden wie gesagt in Krailling meines Wissens nach überhaupt nicht.

Gelegentlich fanden, wenn auch selten, sogenannte Batteriefeste statt. Unser Kantinenwirt stammte aus der Pfalz. Wir tranken gelegentlich bei ihm den "Tschietsch", ein säuerliches, gelbliches Getränk unklarer Zusammensetzung. Er verstand es zu Batterieabenden einige Fässer Wein aus der Pfalz herbeizuschaffen. Unvergesslich bleibt mir das Batteriefest im Winter. In den stark geheizten Räumen, in denen wir zusammen saßen und auch mit Sketchen und ähnlichem unterhalten wurden, war es sehr heiß. Man trank viel, Rotwein gab es genug. Als Gefäß zum Holen des Rotweins wurden Kochgeschirre (1 1/2 I) verwandt. An ein anderes Getränk kann ich mich an solchen Abenden nicht erinnern. So verlor man schnell ein vernünftiges Maß. Die darauffolgende Nacht war fürchterlich. Glücklich die, die sich noch auf die Latrine, die immerhin rund 50m von unserer Baracke entfernt lag, schleppen konnten, bevor sich alle Leibespforten öffneten. Bis zum nächsten Mittag gab es dann auch keinen einsatzfähigen Luftwaffenhelfer. Unser aus München angereister Professor Walter musste, mit einigen wenigen blassgesichtigen Luftwaffenhelfern konfrontiert, sichtlich betreten, ohne Unterricht zu geben, wieder zurückfahren. (Seitdem kann ich kaum mehr Rotwein vertragen, der Geruch allein stößt mich ab).

Mein Vater, besuchte mich des Öfteren und wir konnten uns, beim Umhergehen in der Stellung oder am Waldrand über vieles, auch über das erschreckende Fortschreiten der Flamme des Krieges unterhalten. Natürlich wusste er viel mehr darüber, als uns zugänglich war. Voller Entsetzen hatte mir mein Vater schon einige Zeit vorher - zu Beginn der Flakzeit - auch von den Vorfällen an der Universität berichtet, die er fast direkt miterlebt hatte. Dem Auftreten und der brutalen Niederschlagung der studentischen Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Wir selbst eben zur Flak eingezogen standen so viel Neuem gegenüber dass wir dies kaum gemerkt und auch später nicht besprochen haben.

Mir ist nicht bekannt, dass auch bei uns nur einmal eine politische Instruktion stattfand. Wer hätte sie auch geben können? In einer der wenigen Instruktionsstunden, an die ich mich erinnern kann, berichtete ein von außen kommender kundiger Unteroffizier über die Flugzeugtypen der Engländer und Amerikaner - wobei man nebenher von der grässlichen Wirkung der Phosphorbrandbomben in Kassel erfuhr. (Der spätere Landtagsabgeordnete von Heusinger war noch Jahrzehnte später erschüttert, als er mir im Gespräch seinen Weg in einer dieser Nächte als Schüler vom Friedrichsgymnasium in Kassel zur Fulda schilderte). Der Batteriechef zeigte sich eigentlich fast nur, wenn die Batterie Alarm hatte. Besondere Vorkommnisse gab es sonst kaum.

Im Frühsommer 1944 musste die Batterie zu einer Übung zum Scharfschießen an den Bodensee. Dort bei Friedrichshafen in Seemoos waren wir etwa 10 Tage in einer Kaserne untergebracht. Hier hatte der Krieg der Flak furchtbar zugesetzt als die Dornierwerke heftig angegriffen und weitgehend zerstört worden waren. Ein späterer Kollege der Ophthalmologe Wollensak erzählte mir, dass bei einem Angriff auf seine in der Nähe gelegenen Stellung Schnetzenhausen mehr als die Hälfte der Luftwaffenhelfer seiner Klasse, alles Schüler zwischen 15 und allenfalls 17 Jahren, in einer Nacht gefallen waren. Er war bei dem Angriff in der Stellung und hatte mit furchtbaren Eindrücken überlebt. Die Stadt Friedrichshafen selbst war durch die Fliegerangriffe stark angeschlagen.

Von Seemoos aus fuhr ich an einem Pfingstmorgen über den See nach Bregenz und stieg alleine auf den Pfänder. Da ich die mir vorab verabfolgte Essensration bereits am Vortag aufgegessen hatte, hatte ich an diesem Tag nichts zu essen, habe dies aber gar nicht vermisst. Am Berg kam ich ins Gespräch mit einem älteren Soldaten, vielleicht einem Studienrat, der mir spontan und eher zu meiner Verlegenheit zu essen anbot. Schön war die Heimfahrt in einem Motorschiff über den See. Bei rötlich leuchtend untergehender Sonne hörte ich einige hübsche Mädchen singen. "In meiner Heimat da blühen die Rosen, ein jedes Häuslein ist umrahmt von wildem Wein". Die klaren Mädchenstimmen, das leise Brummen der Schiffsmotoren, die untergehende rote, aber noch wärmende Sonne mit bezaubernden Widerschein auf dem See vor der Säntisgruppe sowie das Wissen tagsüber etwas Ordentliches geleistet zu haben erweckten in mir ein besonderes Glücksgefühl. Es wehte eine leichte Brise Noch heute erinnere ich mich gerne erinnere. Im Bodensee haben wir übrigens fast täglich gebadet, wobei man immer wieder gegen Bombenblindgänger, Phosphorkanister und Stabbrandbomben stieß, was uns merkwürdigerweise wenig ausmachte.

Die Ablösung des Duce Mussolini 1943 traf uns überraschend, den Abfall Italiens als Bundesgenosse und manches andere mehr nahm man aber insgesamt gelassen hin. Das ständige Wiederholen des Liedes "Giovinezza" in den Rundfunksendungen ist mir heute noch in den Ohren. Die kleinen Ereignisse am Ort waren wichtiger. Beim Aufhacken eines Grabens für eine Stromleitung stießen wir auf ein Rattennest. Es war erschreckend und abscheulich zugleich, wie wir mit unseren Spaten auf die Ratten schlugen und sie zumeist töteten, ein Bild das mich noch lange verfolgte. Es gab sehr viele Ratten in der Stellung. Auf dem daneben liegenden Müllplatz kochte ich mir gelegentlich mit Abfallholz irgendeine Kleinigkeit in meinem Kochgeschirr zum Essen, etwa eine Suppe oder einen Pudding. Da konnte man ringsherum Ratten aus den Löchern herauskommen sehen, auf die man dann mit Steinen warf, ohne sie wohl zu treffen.

Einen Vorteil der Flakzeit möchte ich doch erwähnen. Wir lernten, einfach zur Selbstversorgung, ein wenig mit Nadel und Faden umzugehen, uns einfache Gerichte zu bereiten und mit einem recht kleinen Spind auszukommen. Ich habe als Fernsprecher auch gesehen, wie man Leitungen zieht, anschließt und Masten aufstellt. So verlernte ich die Scheu vor der Elektrizität. Die Ausgehhose wurde dadurch gebügelt, dass man sie vorsichtig unter das Bettlaken und auf die Matratze legte, was nicht immer gelang. Dies konnte Erwin Käufer am besten.

Eher selten wurde auch Sport betrieben. Die jungen Unteroffiziere beaufsichtigten dies. Noch heute ist mir erinnerlich, wie sehr mich und sogar mit ein bisschen Erfolg ein Unteroffizier Klappstein anspornte, weiter zu springen. Zeitweilig waren drei Fahnenjunkerunteroffiziere bei uns, die kaum älter waren als wir. An einen "Trott zu Stolz" kann ich mich noch ein wenig erinnern. Zumindest einer der drei fiel durch sehr lange Haare auf und auch dadurch, dass er gerne Schlagzeug spielte. Ab und an weilten auch Offiziere nur für einige Wochen in der Stellung, ein kaum mehr als 19- jähriger Leutnant Schmidt war uns besonders zugetan, ein Oberleutnant Clifford (?) überraschte uns einmal kurz durch hervorragende Klaviermusik. Er soll ein bedeutender Pianist gewesen sein.

Einmal mussten wir nachts eine Übung mitmachen, bei der sogar Waffen verteilt wurden. Wir bekamen für kurze Zeit alte dänische Gewehre in die Hand gedrückt, die offenbar wohl um 1900 hergestellt waren. Sie waren so lang, dass man sie, ohne aufzulegen kaum hatte bedienen können. Wir hatten es auch nie ernsthaft geübt, bekamen keine Munition und die Gewehre verschwanden so schnell wieder, wie sie aufgetaucht waren. (Fast in der ganzen Flakzeit habe ich im Übrigen praktisch keine Waffe gesehen, auch nie eine in der Hand gehabt, nicht einmal etwa ein Bajonett. Erst in den letzten Monaten änderte sich das). Geübt werden sollte die Abwehr eines Angriffs auf die Flakstellung. Die Übung geriet insgesamt mehr zu einer großen abendlichen Gaudi und wurde nicht wiederholt. Nur das wohl einzige Maschinengewehr, bedient unter anderem von Detlev Demmel, durfte mit Platzpatronen ein wenig feuern, besser gesagt Lärm zu machen.

An der 8.8-cm Kanone stand ich selbst nur einmal. Tagsüber war die eine Batterie wegen Personalmangels nicht zu besetzen und so wurden wir aus unserem Bunker herausgeschickt ein Geschütz zu bedienen. Ich war damals als schon älterer Luftwaffenhelfer Geschützführer (ohne Einweisung), die anderen als K 1, K 2 und K 6 tätig, wer als K 3 (=Ladekanonier) lud, das war die schwerste Arbeit, weiß ich nicht mehr. Wir gaben tatsächlich auf den Befehl 'Gruppenfeuer, Gruppe - Abschuss" einzelne Schüsse ab. Ich meine aber, dass - so viel konnte ich noch sehen - die Geschütze unseres Batterieteils in die verschiedensten Richtungen feuerten. Viel ausgerichtet dürften wir damit nicht haben. Im März 1944 hatten uns dann die meisten Klassenkameraden des Jahrgangs 1926 verlassen, sie wurden bald danach zum Arbeitsdienst, oder gleich zum Militär eingezogen. Manche haben wir nie wiedergesehen.

lo