> Werner Brähler: Die Bombardierung der Möhnetalsperre 1943

Werner Brähler: Die Bombardierung der Möhnetalsperre 1943

Dieser Eintrag stammt von Werner Brähler (*1925) aus Bendorf-Sayn, Februar 2010 (Homepage: www.ausmeinerzeit.de):

/lemo/bestand/objekt/braehler03 Seit April 1943 war ich beim Reichsarbeitsdienst in Lendringsen im Sauerland. Während meiner Arbeitsdienstzeit erlebte ich die Zerstörung der Möhnetalsperre in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943, wobei mehr als 1200 Zivilisten ums Leben kamen. Lancester-Bomber der Royal Air Force hatten vorher wochenlang trainiert, wie man die dicken Sperrmauern dieser großen Talseen effektiv zerstören kann. Wie erst später bekannt wurde, hatten die Engländer dafür spezielle Bomben (Rollminen) mit extrem hoher Sprengkraft entwickelt. Der Anflug und das Ausklinken der Bomben setzte präzise Genauigkeit voraus.

Unser Trupp hatte Wachdienst. Ich stand als Wachposten vor dem Schilderhäuschen am Haupteingang unserer Abteilung. Es war ein angenehmer Maibend, als in weiter Ferne die Bomben ihre Ziele erreichten. Die Möhnesee-Talsperre galt - und gilt heute noch - als Trinkwasserreservoir und hat eine Wasserflächengröße von 10 x 10,4 km mit einem maximalen Wasserinhalt von 135 Millionen m3. Als die Sperrmauer getroffen und schwer beschädigt war, floß das Wasser mit unvorstellbarer Kraft durch das tiefer gelegene Ruhrtal.

Ein paar Stunden später wurde wir alarmiert, und im Raume der Stadt Neheim-Hüsten zur Katastrophenhilfe eingesetzt. Allein in Neheim-Hüsten kamen 859 Menschen ums Leben, davon 147 Deutsche und 712 Fremdarbeiter bzw. Fremdarbeiterinnen. Die Stadtmauer, 10 Fabriken, Straßen, 14 Brücken und 25 Wasserwerke und Energiezentralen rissen die Fluten hinweg.

Die Flutwelle hatte eine Anfangshöhe von 12 m und riß in dem Ruhrtal alles mit, was nicht besonders fest verankert war. Viele Häuser wurden einfach fortgespült, Brücken zerstört, Menschen mitgerissen, das Vieh ebenso, das gesamte überflutete Ruhrtal mit einer unvorstellbaren Menge von Schlamm und Kieselsteinen belegt, die angrenzenden Äcker für die nächste Zeit unbebaubar gemacht. Wir bargen viele Leichen und eine Unmenge von Tierkadavern. Als Binnenlandbewohner hat man ja keinen Bezug, was Wasserkraft anrichten kann. Tagelang waren wir im harten Einsatz. Das alles hatte sich nach der Dammzerstörung in ein paar wenigen Stunden abgespielt, teils ohne Vorwarnung für die Bevölkerung, insbesondere aber für die Anwohner, die wegen ihrer unmittelbaren Wohnnähe am Flußbett der Ruhr, besonders gefährdet waren. Erst im Nachhinein wurde amtlicherseits festgestellt, daß die Talsperren nicht genügend gegen Fliegerangriffe geschützt waren. Auch hatte man von den Alliierten eine derartige, die Zivilbevölkerung besonders treffende Aktion, nicht erwartet. Ein solcher Angriff war in der Geschichte dieses Krieges bisher einmalig. Daher waren denn auch die Industrieanlagen durch Flakeinheiten (Flugabwehrkanonen) besser geschützt. Die großen Wasserreservoirs, die sich ja in dichten Waldgebieten befanden, hatte man offensichtlich vernachlässigt. Selbst in Witten, d.h. ca. 70 km von der Möhnetalsperre entfernt, entstanden allerlei Flutschäden. Fast sämtliche Bootshäuser an den Ufern der Ruhr waren zerstört oder schwer beschädigt. Dieser alliierte Bombenangriff hatte in der Bevölkerung eine beträchtliche Wirkung hinterlassen. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit war dahin. Die deutsche Luftwaffe war nicht mehr in der Lage, sich in ähnlicher Weise in England zu revanchieren. Außer großen Racheankündigungen seitens des Propagandaministeriums in Berlin, geschah nichts.

Für mich unvergessen sind die Eindrücke und Tage, wo man durchnäßt, verschmutzt, mißmutig und traurig die fatalen Folgen der Zerstörung der Möhnetalsperre und besonders den Umgang mit Leichen und Tierkadavern erstmalig erlebte. Weiteres großes Leid erlebte ich dann während meiner Militärzeit ab Juli 1943.

lo