> Werner Brähler: Meine Militärzeit in Jicin und Josefstadt 1943

Werner Brähler: Meine Militärzeit in Jicin und Josefstadt 1943

Dieser Eintrag stammt von Werner Brähler (*1925) aus Bendorf-Sayn, Februar 2010 (Homepage: www.ausmeinerzeit.de):

/lemo/bestand/objekt/braehler05 Der Einberufungsbefehl zur Wehrmacht erreichte mich 1943 ziemlich unvorbereitet. Dennoch war ich froh, daß es endlich so weit war. Der Abschied vom Reichsarbeitsdienst mußte sehr schnell erfolgen, kaum blieb mir ein Tag Urlaub bei meinen Eltern. Am 09. Juli 1943 fuhr mein Zug in Richtung Tschechoslowakei, bzw. ins Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, wie die Tschechei seit dem März 1939 nach der Besetzung durch deutsche Truppen genannt wurde.

Um tränenreiche Abschiedsszenen zu vermeiden, ließ ich mich nicht von meiner Mutter zum Hauptbahnhof Witten begleiten. Wie hatten uns zu Hause Adieu gesagt. Es war aber dennoch eine sehr beklemmende Stimmung zwischen uns. Im Krieg hat das Abschiednehmen eine tiefe, manchmal endgültige Bedeutung. Wenn man die Tageszeitung aufschlug, sah man in dieser Zeit täglich viele Todesanzeigen gefallener deutscher Soldaten. Welche Mutter hatte damals keine Angst, ihren Sohn zu verlieren?

Meine Ausbildung erhielt ich in Jicin, beim Gren. Ausb. Batl. 481. Vom ersten Tag meines Soldatenlebens war ich mit ca. 40 Offiziersbewerbern, sogenannten OB's, in einer Abteilung zusammengefaßt. Jeder von uns wollte Offizier beim Heer werden. Bis auf 2 Kameraden vom Jahrgang 1924 gehörten alle anderen dem Geburtsjahrgang 1925 an, waren teils Abiturienten, Real- oder Volksschüler. Der normale Bürger des Geburtsjahrganges 1925, der zu dieser Zeit zur Wehrmacht eingezogen wurde - ob freiwillig oder nicht - erhielt eine 3-monatige verkürzte Rekrutenausbildung und wurde dann zur Fronttruppe kommandiert. Wir Offiziersbewerber, mußten eine 6-monatige Rekrutenzeit absolvieren und anschließend weitere 6 Monate den Unteroffizierslehrgang durchlaufen. Erst dann war eine 3-monatige Frontbewährung vorgesehen, die sich jedoch verkürzte, wenn man durch gute Führungseigenschaften oder/und durch Verleihung eines Ordens - meistens das Eiserne Kreuz II. Klasse - sich bewährt hatte.

In allen Armeen der Welt wird der Offiziersnachwuchs einer besonders harten Ausbildungsmethode unterworfen. Von solchen Bewerbern verlangt man eine enorme Disziplin, eine totale Unterwerfung bei den Befehlen der Vorgesetzten, eine exakte Ausführung und bedingungslosen Gehorsam. Alle Soldaten, die hier geglaubt hatten, daß sie mit Laschheit, Gleichmut oder sogar Widerstand taktieren konnten, wurden innerhalb der längeren Ausbildungsphase, spätestens aber nach 6 Monaten eliminiert. Sie waren für den Beruf des Offiziers nicht geeignet. Vielleicht werden andere Zeitgenossen sagen, daß die Ausbildung des Offiziersnachwuchses in 1943 schon von geringerer Qualität gewesen sei als vor dem Kriege. Sicher haben die großen Menschenverluste an der Front auch erhebliche Lücken im Offizierkorps - besonders beim Heer - gerissen. Es entstand auch ein gewisser Zeitdruck, diese Verluste auszugleichen. Von einer Niveauabsenkung in der Ausbildung konnte aber keine Rede sein. Bis auf einige Ausnahmen durch Krankheiten, waren wir jungen Burschen alle körperlich gut austrainiert, und die geforderten Anstrengungen fielen uns relativ leicht. Aber ebenso wurden wir öfter bis an die Grenzen der Belastbarkeit geführt, für die wir manchmal auch kein, oder wenig Verständnis aufbrachten.

In den ersten Wochen unserer Rekrutenausbildung war die Freizeit außerordentlich knapp bemessen. Im Vordergrund stand zuerst der harte Dienst mit seinen enormen körperlichen Anforderungen. Wie soll man auch als 18 jähriger Rekrut in der tschechischen Provinz irgendwelchen Vergnügungen nachgehen? Es gab keine gemeinsamen deutsch - tschechischen Veranstaltungen. Zuerst kamen wir nur an den Wochenenden zu festgelegten Freizeiten aus der Kaserne heraus. Wir nutzten meistens diese Zeit, um uns in irgendeinem tschechischen Restaurant oder Hotel, mit einem "Stammgericht" satt zu essen. Ohne Lebensmittelmarken versteht sich. Meistens gab es "Gänseklein" oder irgendeine Art Käse mit Brot, das wurde akzeptiert, man war ja nicht wählerisch. Wir hatten zu Hause in Deutschland ja schon einige Kriegsjahre verbracht, und waren erstaunt, daß in der Tschechoslowakei die Speisenauswahl in den Hotels noch relativ gut war, besser jedenfalls als in Deutschland. Alkohol trank kaum einer von uns, aber es gab dort einen ganz passablen Glühwein, den wir beim Käsebrot zu uns nahmen.

/lemo/bestand/objekt/braehler06 Die meisten Tschechinnen, die in diesen Lokalen saßen, ignorierten uns, und sprachen oft auch kein deutsch. Andererseits konnten wir kein tschechisch. Selten, aber es gab dennoch auch persönliche Kontakte, die zu einer Liaison führten. Wir fühlten uns dennoch in den Restaurants sehr wohl. In den Hotels servierten die Ober im Frack. Mit ihnen konnte man sich auch sprachlich verständigen. Niemals kam es dort zu Anfeindungen oder Pöbeleien zwischen Tschechen und Deutschen.

Im Zentrum von Jicin lag die Standortkommandantur, bei der wir hin und wieder auch den Wachdienst übernahmen, besonders an irgendwelchen Gedenk- oder Feiertagen. Das Aufziehen der Wache erfolgte streng nach traditionellem soldatischen Reglement. Hier nahmen wir auch schon mal als abkommandierte Gäste - meistens 2-3 Leute - am Mittagessen im Offizierskasino teil. Die traditionellen Tischgewohnheiten hier, kamen mir immer ein wenig kabarettistisch vor, wie, als wenn der alte UFA-Star Hubert von Meyerinck, Regie geführt hätte. Das meistens unverbindliche Geplauder der Herren Offiziere war fast immer auf den dabei anwesenden höchsten Dienstgradinhaber fixiert. Wenn der Betreffende einen Toast auf - wen auch immer - einforderte, dann knickten alle Anwesenden mit einer leichten Oberkörperbewegung ein, hoben ihr Glas bis in Höhe des 3. Knopfes der Uniform - oben vom Kinn ausgesehen - wendeten ihr Gesicht dem Chef zu, warteten dann bis dieser trank, und setzten dann gleichzeitig mit diesem ihr Glas auf den Tisch zurück. Sobald der Chef, bzw. Kommandeur gegessen hatte und sich erhob, standen alle Teilnehmer auf, grüßten wieder mit einer leichten Verbeugung. Damit war die Tafel eigentlich aufgehoben. Diese Modalitäten waren im Grunde eingeübt, steif und oberflächlich, aber hatten Tradition, wie ich sie später auch immer wieder erlebte.

/lemo/bestand/objekt/braehler09 Nach unsere Vereidigung, die mit allem militärischen Pomp, mit einer SMG-Lafette (Schwerem Maschinengewehr), mit Fahnen, Musikcorps und einem Vorbeimarsch beim Standortkommandanten im Stechschritt erfolgte, begann ein neuer Abschnitt für uns, als unsere Abteilung nach Josefstadt versetzt wurde. Die Tschechoslowakei war damals vom Kriege und von den Zerstörungen der Städte weitgehend verschont geblieben. Kein Land in Europa lebte im Vergleich zu anderen Ländern so relativ normal wie die Tschechen, wenngleich auch sie große materielle Opfer für Deutschland erbringen und Repressalien erleiden mussten, die auf die Tschechoslowaken eine abschreckende Wirkung hatten. Sie lebten - mit der "Faust in der Tasche" - an uns vorbei ihr Eigenleben. Sie waren ja ungewollt in diese Zeitumstände hineingestellt worden, wie viele Millionen andere Menschen in Europa auch.

In 1943 boten die Geschäfte in der Tschechoslowakei noch Waren an, die im Reichsgebiet für Normalbürger nicht mehr zu bekommen waren. In Prag, am Wenzelsplatz, gab es riesengroße Fußgängerpassagen, in denen Lebensmittelautomaten installiert und täglich neu befüllt wurden. Vergleichbares hatte ich im Reichsgebiet noch nie gesehen. Besonders ins Auge fiel auch die Vielfalt und gute Qualität von Anzugstoffen, Schuhen, Back- und Konditorwaren, Friseure und Schuhmacher, Sattler und Musikinstrumentenbauer hatten einen sehr guten Ruf. Die Uniformen der tschechischen Soldaten und der Miliz waren sowohl in der Farbgebung, Stoffqualität und im Schnitt weitaus besser, als unsere Uniformen. Nur wenige Tschechen habe ich in meiner Freizeit kennengelernt, aber die wenigen vermittelten einen guten Eindruck, ich schätzte sie. Nicht verstanden habe ich - aus der Ferne und im Nachhinein - ihre Unmenschlichkeit und Aggressivität, ja Brutalität bei der Vertreibung von ca. 3 Millionen Deutschen und die dann vollzogenen Grausamkeiten an Soldaten, alten Menschen, Frauen und Kinder im April/Mai/Juni 1945. Hier sei nur an den "Todesmarsch von Brünn" erinnert, der ca. 65.000 Deutschen das Leben gekostet hat. Sie wurden erschossen, erschlagen, vergewaltigt, beraubt, gequält und vertrieben. Das war sicher die Quittung für die jahrelange falsche Besatzungspolitik, für Rassenwahn, Herrentum und Slawenhaß, für die Ausbeutung der tschechischen Wirtschaft und der Bevölkerung für deutsche Eigeninteressen.

Die 6-monatige Rekrutenzeit näherte sich ihrem Ende zu, nun wurden wir zum Unteroffizierslehrgang nach Saarlautern (heute Saarlouis) kommandiert. Ohne Heimaturlaub gehabt zu haben, wurden die Ausbildungszüge direkt per Eisenbahn ins Saargebiet gebracht. Erst Ende Februar/Anfang März 1944 gab es einen 10-tägigen Urlaub. Endlich, nach 3/4 Jahr, mal ein Wiedersehen mit meinen Eltern, meiner Schwester und Verwandten. Solche Tage genießt man. Ehemalige Freunde gleichen Alters traf man ohnehin nicht an. Sie waren ja auch längst bei der Wehrmacht, vielleicht sogar an der Front in Rußland, oder längst gefallen. Einige jüngere Schulkollegen aus Witten waren bei der Heimatflak eingezogen und im Raume Bochum eingesetzt.

Nach dem Unteroffizierslehrgang und einem mehrwöchigen Einsatz als Ausbilder in Jicin erfolgte dann 1944 die Frontbewährung in Russland.

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