> Werner Mork: Begegnung mit Partisanen in Italien 1944

Werner Mork: Begegnung mit Partisanen in Italien 1944

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921) aus Kronach, Juni 2006:

Bei Beginn des deutschen Rückzugs in Italien war ich als LKW-Fahrer im Einsatz mit der Aufgabe, Ari-Munition zu transportieren, die manchmal das vorgegebene Ziel nicht erreichte, weil die Stellungen schon aufgegeben waren. So waren mein Beifahrer und ich oftmals reichlich planlos unterwegs und das in den schon reichlich wirren Absetzbewegungen in den Nächten, weil am Tage nicht gefahren werden konnte, wegen der ständigen Luftangriffe. Dabei kamen wir einmal eine Straße, von der wir meinten, dass wir die fahren müssten, um nicht in einem nächtlichen Desaster mal wieder viel Zeit zu verlieren oder gar in allergrößte Gefahr zugeraten. An der Stelle, wo diese Straße abzweigte, standen deutsche Soldaten an einer Sperre, die uns erklärten, dass eine Weiterfahrt nicht zulässig sei. Der Grund sei der, dass diese Straße durch ein ausgesprochenes Partisanengebiet führe und nur noch im Konvoi befahren werden dürfe, nicht mehr mit einem Einzelfahrzeug. Das hieß für uns, wir müssten warten, bis sich genügend andere Fahrzeuge versammelt hätten, um dann weiterfahren zu dürfen. Nur kamen keine anderen Fahrzeuge. Es verging kostbare Zeit und die schützende Nacht verstrich. Die Landser an der Sperre meinten, ich müsse nun wohl eine andere Route fahren, was ich aber nicht wollte, würden wir doch wieder in den großen Strom kommen, was uns nicht passen würde. Ich erklärte den Kameraden, dass ich nun auf eigene Kappe diese Straße fahren wolle, so schlimm könne es ja nicht sein mit den Partisanen. Es gab ein heftiges hin und her, aber dann ließen sie uns doch passieren, nachdem wir ausdrücklich noch einmal erklärt hatten, wir würden auf eigene Gefahr diese Straße benutzen. Die WH-Nummer des LKW wurde von ihnen dann sogar notiert, für alle Fälle.

Nun rollten wir im Schutze der Dunkelheit mit unserem klapperigen SPA über die gesperrte Straße, auf der wir völlig allein unterwegs waren. Die Ruhe und das ungestörte Fahren waren direkt ein Genuss für uns. Wir meinten ab und zu etwas zu bemerken und stellten dabei auch fest, dass abseits der Straße an den Höhenzügen eine gewisse Unruhe sei, glaubten aber nicht, dass das von einer besonderen Bedeutung ist. Wir fuhren sehr froh und gelassen in den Morgen hinein, sahen dann ein größeres Anwesen abseits der Straße und meinten, es sei gut, dort unser gedachten, dort Quartier zu machen, bis zum kommenden Abend.

Als wir auf dem Hof ankamen, hatten wir den Eindruck, dass der so verlassen ist, wie die Mehrheit der Höfe, auf denen die Bewohner tagsüber nicht anwesend sind. Doch dann kamen einige weibliche Gestalten zum Vorschein. Ich kam mit denen ins Gespräch, erklärte ihnen, was wir gerne möchten, bat sie freundlich, uns für einen Tag den Aufenthalt auf ihrem Hof zu gewähren und den LKW geschützt unterstellen zu dürfen. Dafür und für eine Waschmöglichkeit und etwas Milch und Brot als Nahrung boten wir ihnen Bezahlung an in Lire.

Dass uns eine spürbare Scheu und Zurückhaltung entgegengebracht wurde, merkten wir zwar, aber wir waren darüber nicht verwundert, noch dazu in dieser Zeit. Und wir kamen ja auch nicht als Freunde oder geladene Gäste, wir waren denkbar ungebetene Gäste, die sich selber einladen wollten. Aber wir baten, wenn auch als nicht geladene Gäste, sehr freundlich uns die Gastfreundschaft für diesen einen Tag zu gewähren. Wir wollten ja auch alles bezahlen, wir hatten keine anderen Absichten, keine finsteren Gedanken, wir wollte nur etwas schlafen und gerne etwas essen, wenn es denn möglich sein würde. Die Frauen mit denen wir nett und freundlich gesprochen hatten, fassten Vertrauen zu uns, sie waren bereit, uns Gastfreundschaft zu gewähren.

Unter den auf diesem sehr großen Anwesen befindlichen Frauen befand sich ein hübsches, schwarzhaariges junges Mädel, das mich intensiv musterte und deren Blicken ich nicht ausweichen konnte. Dass sie Maria hieß, erfuhr ich alsbald. Dass Maria meine Lebensrettung werden sollte, das konnte ich nicht ahnen. Es funkte zwischen uns blitzschnell, trotzdem sie eine Italienerin war und ich ein deutscher Soldat, der in dieser Zeit nicht mehr als Freund, sondern als Feind angesehen wurde. Dass die Frauen insgesamt sehr zurückhaltend wirkten, verwunderte uns nicht, was aber mich etwas stutzig machte, war eine gewisse Ängstlichkeit, die ich mir nicht erklären konnte. Wir hatten uns doch so anständig aufgeführt, dass sie unseretwegen keine Ängste haben mussten. Der Grund dafür sollte mir aber sehr schnell klar werden. Wir hatten gerade den LKW untergebracht, da stand vor uns plötzlich ein älterer Mann, der mit einem Karabiner bewaffnet war. Und hinter ihm standen noch zwei oder drei weitere bewaffnete Männer. Als wir diese Männer sahen, schwante uns nichts Gutes mehr, wir hatten beide das ungute Gefühl, hier in eine Falle der Partisanen geraten zu sein. Und wir glaubten, die Frauen seien eine Art von Lockvögel. Sie hatten uns zwar freundlich begrüßt, aber das wohl nur in der Absicht, uns dann wehrlos den Partisanen auszuliefern.

Es war das eine äußerst angespannte Situation in der wir nicht wussten, wie es nun weitergehen solle. Zur Wehr setzen konnten wir uns nicht, denn unsere Karabiner befanden sich noch im LKW. Es wäre auch sinnlos gewesen, weil wir dabei sofort draufgegangen wären, wir waren hoffnungslos unterlegen, so oder so. Wir standen uns auf dem Hof gegenüber, und es geschah nichts Weiteres, als das ich versuchte, mit meiner Radebrecherei mit den Männern ins Gespräch zu kommen. Nach einigem Zögern gelang das auch und mein Versuch wurde sogar positiv aufgenommen. Das war der Erfolg davon, dass ich zumindest versuchte, mich auf italienisch zu unterhalten und mich nicht gebärdete, wie ein (für sie) wohl typischer Deutscher, sondern wie einer, der sich müht und willens ist, sich ihnen anzupassen. Ich schilderte nun dem älteren Mann, der als Boss zu erkennen war, unsere und meine eigene Situation. Ich nannte den Grund für unsere Anwesenheit und versuchte zu erklären, dass wir nichts anderes möchten, als nur ein Dach für einen Tag über uns zu haben, dass wir am Abend wieder verschwinden würden, so als ob nichts Besonderes geschehen sei. Und da ergab sich plötzlich ein Frage -und Antwortspiel zwischen uns, das dann zu einem längeren Gespräch führte, bei dem die Männer aber noch immer ihre Waffen in den Händen hielten, in auch sehr eindeutiger Weise.

In dem Gespräch erfuhren wir dann, dass wir uns auf dem Hof des Verwalters eines italienischen Adeligen befanden, der nur einige Kilometer entfernt sein großes Anwesen besitzt, derzeit aber nicht anwesend, weil er vor den Deutschen geflüchtet ist, da er nicht zu den Faschisten gehöre, schon zu Mussolinis Zeiten nicht. Nun erfuhren wir auch, dass wir uns hier wirklich im Gewahrsam von Partisanen befanden, die aus ihrem Bergversteck herausgekommen waren, jetzt am Tage sich auf dem Hof mal wieder umsehen wollten, wobei sie auf uns, die beiden Deutschen, gestoßen waren. Also waren die Frauen keine bösen Lockvögel, wie ich zuerst vermutet hatte. Der ältere Mann gab sich jetzt auch als der "Anführer" einer Partisanengruppe aus, die in diesem Gebiet tätig sei, gegen Faschisten und auch gegen Deutsche. Wobei die Deutschen keine so große Bedeutung mehr hatten, weil auf der Flucht und weil die Engländer in den nächsten Tagen schon da sein würden.

Aber anstatt uns nun in Gefangenschaft zu nehmen oder uns gar zu töten, ergab sich ein richtiges Gespräch zwischen uns, in dem ich meine Meinung über Krieg, Faschismus, Nationalsozialismus, über das Wesen einer Demokratie äußerte, und auch mein bisheriges Leben schilderte, so gut das mit meinen Sprachkenntnissen möglich war. Dabei entstand eine richtige Diskussion in der sich der Padrone als ein überzeugter Kommunist zu erkennen gab. Daraufhin erzählte ich ihm, dass ich als Junge viele Kommunisten und Sozialdemokraten gekannt habe. Dass ich selber Mitglied in der Sozialistischen Arbeiterjugend gewesen war und das ich Kommunisten wie auch alle Sozialisten nicht verteufle, nicht hasse, weil ich sie als Menschen kennen und achten gelernt hatte. Es war das schon eine sehr seltsame Situation hier an diesem Ort, wo deutsche Landser und italienische Partisanen sich in einer angeregten Diskussion befanden, so als gäbe es keinen Krieg in unmittelbarer Nähe von uns. Aber nicht nur das, wir tranken jetzt gemeinsam Wein, der von der Tochter des Anführers serviert wurde, von der Maria, wie ich nun vernehmen konnte. Dabei geschah noch etwas, eigentlich Ungewohntes in Italien, dass die Maria eine ganze Weile interessiert unserem Gespräch zuhörte, mich dabei wieder sehr intensiv anschaute, was mich direkt verlegen machte, besonders dann, als sie mir auch noch sehr herzlich zulächelte. Bei mir war es dann aber auch so, dass ich meinen Blick nicht mehr von ihr wenden konnte und in meinem Inneren diesen Scheißkrieg verfluchte, der uns am Abend wieder trennen würde, ohne das wir uns hätten näher kommen können. Hatten wir uns beim Wein zugetrunken, die anwesenden Partisanen und wir zwei Landser, so geschah nun auch noch, dass wir vom Padrone als seine Gäste eingeladen wurden zum gemeinsamen Mittagessen. Damit wurde der Wunsch verbunden, dass wir noch weiter miteinander sprechen sollten. Er meinte, dass er noch nie Gelegenheit gehabt habe, mit deutschen Soldaten zu sprechen, die seien für ihn samt und sonders nur Faschisten gewesen, zum Teil sicher noch schlimmer als die eigenen Faschisten. Jetzt bekomme er einen ganz anderen Eindruck von deutschen Soldaten, auch wenn es nur diese beiden seien, mit denen er jetzt reden könne. Maria strahlte mich an und gab zu erkennen, dass auch sie sich sehr freue, wenn wir nun mit ihnen gemeinsam Mittagessen würden. Dagegen hatten wir nun wirklich nichts einzuwenden, auch wenn mein tapferer Schwabe doch noch ziemliche Angst hatte, dass es uns noch schlecht ergehen könne. Ich war zwar vom Gegenteil nicht absolut überzeugt, glaubte aber, die Italiener doch so gut zu kennen, dass sie die auf dem Hofe angebotene Gastfreundschaft achten und ehren werden.

Doch dann kam eine neue Situation auf uns zu. Es waren jetzt noch einige bewaffnete Männer in Erscheinung getreten und bei deren Anblick wurde uns doch sehr mulmig zu Mute. Wir bemerkten eine heftige Auseinandersetzung zwischen dem Padrone und den neuen Männern, wobei ich heraushörte, dass sie vom Padrone verlangten, die beiden Deutschen gefangen zu nehmen und abführen zu lassen. Da bekam ich nun einen ganz schönen Bammel und glaubte, dass es uns doch noch an den Kragen gehen würde. Aber da erlebten wir einen sehr stolzen Padrone, der sich in Positur stellte und den anderen Männern klar und deutlich sagte, dass diese beiden deutschen Soldaten seine Gäste seien, dass auf seinem Hof Gastfreundschaft noch immer etwas Heiliges ist und eingehalten wird, auch in dieser Zeit. Solange die beiden Deutschen auf seinem Hof sind, stehen sie unter seinem Schutz. Sie gehörten zwar zu den Feinden des italienischen Volkes, aber auf seinem Grund und Boden gäbe es im Zeichen der Gastfreundschaft keine Feindschaft und keinen Mord! So wörtlich, und das war sehr deutlich!

Es kam zum gemeinsamen Mittagessen mit der ganzen Familie, und im weiteren Verlauf des Tages saßen wir zwei deutschen Landser mit vielen Italienern in einer gemeinsamen Runde beisammen und machten in Völkerverständigung. Unglaublich aber wirklich wahr, wie auch das, was nun weiter geschah. Im Verlaufe unserer Diskussion über Krieg und Nachkriegszeit hatte ich auch erwähnt, wo ich in Deutschland zu Hause bin. Und mein größter Wunsch sei es, den Krieg so gut zu überstehen, dass ich heile und gesund wieder in meiner Heimat leben könne, um dann eines Tages das von mir so geliebte Italien als Zivilist besuchen zu können. In Ruhe und im Frieden und wenn möglich, auch die liebenswerten Menschen in Italien zu besuchen, die ich kennen und schätzen gelernt hätte in dieser Zeit, die leider vom Wahn des Krieges geprägt ist. Daraufhin meinte der Padrone, dann solle ich doch lieber gleich bei ihnen bleiben! Die Stadt Bremen sie doch sowieso schon kaputt, wie er aus englischen Radiosendungen gehört habe und da gäbe es doch keine gute, gesicherte Zukunft mehr. Er würde für meine Sicherheit sich verbürgen, mir würde nichts geschehen. Da ich doch schon ganz gut italienisch sprechen könne, meinte er, könne ich auch ganz gut in Italien leben. Wenn in wenigen Tagen die Engländer kommen, dann würde, er der Padrone mich eine Weile verstecken, um eine Gefangenschaft zu verhindern und dann, ja dann würde man weitersehen. Das alles aber auch, weil seine Tochter die hübsche Maria, sich sehr freuen würde, wenn ich hier bleiben würde, wobei er noch sagte, dass Maria von ihm verlangt habe, dass mir wirklich kein Haar gekrümmt würde, sie wolle, dass mir nichts geschehe dürfe und ihr Vater habe dafür zu sorgen, dass auch nichts geschehen wird. Der Herr Papa meinte dazu, dass die Maria sich wohl restlos in mich verliebt habe. Auch ich war auch hingerissen von dieser hübschen Italienerin. So geschah, mitten im Partisanengebiet das Unglaubliche, dass ich dort bleiben konnte ohne Schaden zu nehmen, und dass ich auch noch Familienmitglied hätte werden können. Nur musste ich dem Padrone und auch der lieben Maria klarmachen, dass das nicht möglich sein kann, weil ich schon verheiratet bin und Frau und Heimat doch nicht im Stich gelassen werden können. Es gab ein langes und trauriges Palaver, aber auch Maria musste das dann einsehen und sich mit einem Abschied abfinden, der sehr schmerzlich war.

Es ging nun dem Abend entgegen und da wollten die noch anwesenden Partisanen mich dazu überreden, dass ich den LKW samt Ladung einfach stehen lassen sollte, zumindest aber die Muni-Ladung abzuladen, um damit zu verhindern, dass den Deutschen diese Munition noch von Nutzen sein könne. Ich machte ihnen aber klar, das sei völlig unmöglich, weil wir ohne Fahrzeug doch überhaupt nicht weiter kommen würden und wir nicht die Ladung verlieren dürften, dass die für uns beide wirklich eine Art von Lebensversicherung ist, weil wir sonst als Fahnenflüchtige gelten, die sofort standrechtlich erschossen werden könnten.

Das alles geschah nur wenige Tage vor der Invasion der Alliierten an der französischen Küste, inmitten eines Partisanengebietes in Italien im Jahre 1944. Und am Abend dieses so seltsamen Tages geschah das große Wunder, dass wir unter dem Schutz dieser Partisanen und dabei gut abgesichert mit unserem LKW weiter gen Norden fahren konnten, mit einer großen Dankbarkeit in unseren Herzen diesen so prächtigen Menschen gegenüber. Sie hatten wahre Menschlichkeit denen gegenüber bewiesen, die doch ihre Feinde waren. Ich hätte diese liebenswerten Menschen nach dem Krieg gerne besucht, aber leider sind mir meine Unterlagen, d.h. die Straßenkarte verloren gegangen, so dass ich nichts mehr zur Verfügung hatte. Auf der Karte ist von mir Ort und Stelle vermerkt worden, um die einmal wiederfinden zu können - leider hat es nicht geklappt, und das genaue Gebiet habe ich nicht mehr finden können. Die Partisanen begleiteten uns bis an einen Punkt, wo sie nicht weiter konnten, und dann kam noch einmal der Padrone zu mir, um sich zu verabschieden und uns zu wünschen, dass wir den Frieden noch erleben möchten. Wir fuhren nun ohne "Begleitschutz" weiter und kamen an die Stelle, wo sich wieder deutsche Posten befanden, die uns anstaunten und es kaum fassen konnten, dass da ein einzelner LKW mutterseelenallein mitten durch das Partisanengebiet gefahren war, das dem nichts geschehen war. Das war so unglaublich für die Kameraden, dass wir uns erst einmal sehr gründlich ausweisen mussten und auch kritisch geprüft wurden.

Ich denke noch heute an diese Menschen, die doch mein Leben in ihrer Hand hatten, es mir aber nicht genommen haben. Sie haben nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, als Partisanen das zu tun, was (leider) sonst getan wurde, nämlich den Feind zu eliminieren. Ich kann nur hoffen, dass die Männer und die Frauen, besonders die liebe Maria, nicht noch Opfer der italienischen Faschisten oder gar der Deutschen geworden sind.

lo