> Werner Mork: Der 20. Juli 1944 in Italien erlebt

Werner Mork: Der 20. Juli 1944 - in Italien erlebt

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921) aus Kronach, Juni 2006:

Vom Attentat auf Hitler erfuhr ich als Wehrmachtssoldat in Italien. An diesem 20. Juli 1944 gab es für uns alle ein großes Entsetzen, verbunden mit einer furchtbaren Erschütterung. Das was an diesem Tage geschah, war für deutsches Empfinden nicht nur eine Unmöglichkeit, das war Verrat am eigenen Volk in seiner schwersten Zeit. Ein Attentat auf den Führer des Reiches und der Wehrmacht war für deutsche Menschen, die eine eigene Auffassung von Treue und Gehorsam hatten, etwas, was diesen Menschen den Atem stocken ließ. Es klang für uns Soldaten in Italien als völlig unglaublich, was wir (erst) am 21. Juli erfuhren, aber dann auch hörten, dass der Führer dieses "ruchlose" Attentat überlebt hatte. Dieses Geschehen löste trotz der eigenen Misere eine allgemeine Fassungslosigkeit und durchweg eine große Empörung aus, besonders darüber, dass dieses Verbrechen ausgeübt worden war von deutschen Offizieren, zum Teil hochdekorierte Männer der Wehrmacht, die aber anscheinend dem Heer angehörten.

Es gab keine Stimmen, die das Attentat für gut und richtig befunden hätten, es gab zwar schon mal seltsame Fragen, aber die wurden nur im allerkleinsten Kreis gestellt, unter größter Vorsicht. Es gab aber keine Empörung über das standrechtliche Umbringen der gefassten Beteiligten, warum auch? Schließlich war es doch jedem Soldaten bekannt, dass er standrechtlich belangt wird, wenn er Verrat und andere schlimme Dinge trieb. Das war doch überall so, gleich in welcher Armee und in welchem Staat. Warum also nicht hier die gleichen standrechtlichen Maßnahmen, ob nun Offizier oder nur normaler Landser. Für uns war das kein heimtückisches Morden, für uns war das der Vollzug einer Strafe, die doch wohl anzuwenden war. Tyrannenmord, gerecht oder ungerecht? Das war eine Tat, die, als sie schief gelaufen war, von den an der Macht gebliebenen Machthabern so gesühnt wurde, wie es zu allen Zeiten der Fall war, wenn ein Tyrannenmord geplant war, der aber nicht zum Erfolg führte. Dann wurden die umgebracht, die den Mord hatten durchführen wollen.

Aber dennoch kamen bei den Gesprächen im allerkleinsten Kreis doch auch andere Gedanken auf. Und auch ich meinte dann schon mal, dass es doch für solch eine Tat sehr schwerwiegende Gründe geben musste. Wie konnte es sonst möglich sein, dass nicht eine Clique von echten Verbrechern hier am Werke gewesen waren, sondern deutsche Offiziere, mit Orden und Ehren ausgezeichnet von dem Mann, den sie hatten umbringen wollen. Diese Offiziere und ihre Mitverschwörer aus dem Adel und dem Bürgertum waren doch ehrbare Menschen gewesen, keine ruchlosen Mörder. Was waren das nun für Gründe, die sie veranlasst hatten, "Königsmörder" oder vielmehr "Tyrannenmörder" zu werden? Noch dazu in dieser jetzt so schweren Zeit für das Vaterland, wo es im Westen sogar danach aussah, als ob die Alliierten möglicherweise durch Frankreich hindurch die deutschen Grenzen nicht nur erreichen, sondern sogar überschreiten könnten. In dieser Lage konnte doch nicht einfach Verrat geübt werden, oder waren die Schwierigkeiten so groß, dass nur noch ein solches Mittel verblieb, um noch größeres Unheil vom Vaterland abzuwenden, bevor es zu spät sein würde, noch einen guten Frieden zu erreichen? Wobei es aber doch wohl eine völlig offene Frage sein musste, ob die Alliierten zu einem Frieden überhaupt noch bereit sein würden. Warum hatten deutsche Offiziere ihren Eid gebrochen, den sie als Personeneid doch einmal freudig und aus Überzeugung geleistet hatten? Das waren Fragen, die wir uns schon mal so ganz unter uns stellten, auf die wir aber keine Antwort fanden. Wir wussten auch nichts von der möglichen Motivation, die als Ursache gelten konnte für diese Tat. So war es dann auch, dass wir doch dazu neigten, eher von Verbrechern zu reden, als von Patrioten. Damit war auch unsere Meinung begründet, dass diese Verbrecher zu bestrafen sind und das mit aller Strenge. In diesem schweren Schicksalskampf konnte die Zukunft nicht von Attentätern bestimmt werden. Da mussten wir doch alle fest zusammenstehen, bis zum Ende. Für uns war das Attentat ein Verrat, den wir nicht für gut befinden konnten.

Erst nach dem Krieg solle man die sicher notwendigen Reformen und Veränderungen herbeiführen, aber nicht mit Mord und Verrat. Dazu würde auch gehören, dass die NS-Diktatur abgelöst wird durch eine parlamentarische Demokratie. Tja, so konnte auch gedacht werden, etwas krause Gedanken sicherlich und auch "etwas" an Verrat grenzend, aber nicht mit Gedanken, die mit Mord verbunden waren. Es war für uns Landser kaum möglich, zu dem Geschehen am 20. Juli 1944 solch eine gedankliche Verbindung herzustellen, die es uns ermöglicht hätte, dafür Verständnis aufzubringen. Das war für uns keine Lösung der Probleme, die auch wir als kritisch ansahen. Wir meinten, dass es jetzt darauf ankommen muss, den Krieg so zu beenden, dass Deutschland weiter bestehen kann. Da war doch solch ein Attentat keine Lösung, sondern eine Tat, die uns nur schaden könne, die uns nicht den Frieden gebracht hätte, den Deutschland braucht, um nicht unterzugehen.

Später habe ich dann meine sehr eigene Meinung zum 20.Juli 1944 zu Papier gebracht, dann als 50 Jahre vergangen waren. Es ist das eine sehr distanzierte Meinung, die nicht dem entspricht, was dann allgemeiner Sprachgebrauch geworden war. Ich sehe mehr den national-konservativen Geist vieler Männer dieser Verschwörung, die doch im Osten nicht nur weiterkämpfen lassen, sondern auch die eroberten Gebiete bei Deutschland belassen wollten. Diese "Verräter" waren in ihrer überwiegenden Mehrheit keine "Roten", es waren durchweg erzkonservative und reaktionäre Kräfte, die sich da zusammengefunden hatten. Die nationale Zielrichtung war gar nicht so viel anders, und ob sich dann alles zum Guten gewendet hätte, ist wohl in Frage zu stellen. Dieser Geist der Männer vom 20.Juli 1944 war nicht nur national-konservativ geprägt, er hatte auch Kriegsziele im Sinn, die, zumindest im Osten, identisch waren mit denen von 1916, die damals als offizielle Kriegsziele in Umlauf kamen.

In dem konservativen Denken hatte sich kaum etwas verändert, das war ziemlich gleich geblieben seit der Zeit. Dieses Denken hatte die konservativen Militärs und Bürger zu einem Teil schon vor 1933, und die Mehrheit von ihnen nach 1933, Parteigänger des Nationalsozialismus werden lassen, auch den Herrn Goerdeler. Was den Putsch angeht, so ist es sicher, dass bei einem Gelingen eine Militär-Diktatur die Folge gewesen wäre. Wobei es völlig offen war, ob die Alliierten mitgespielt hätten, die sich auf einem grandiosen Siegeszug befanden und keine Veranlassung gehabt hätten, sich nun plötzlich mit deutschen Militärs nicht nur zu einigen, sondern auch noch zu verbünden zu einer gemeinsamen Front gegen den Bolschewismus. Und eine echte Demokratie wäre nicht entstanden in dem neuen Staat, der dann wohl das Vierte Reich hätte heißen müssen, ob nun mit oder ohne Österreich. Irgendwie war das alles doch ziemlich wirr und nicht gerade glänzend geplant. Es muss auch davon ausgegangen werden, dass ein Bürgerkrieg hätte entstehen können.

Uns drängte sich manchmal auch die Frage auf, warum diese Offiziere und deren Mitverschwörer erst jetzt den Hitler aus der Welt schaffen wollten. Warum hatten sie sich nicht gegen Hitler schon weitaus früher gewandt, warum waren sie denn bis jetzt so treue Gefolgsmänner ihres Führers gewesen? Hatten sie nicht in diesem Krieg ihre Soldaten für den Führer in den Tod marschieren lassen, hatten sie sich nicht nur weiter befördern, sondern mit vielen Orden auszeichnen lassen? Für uns war das alles nicht zu verstehen, aber wir Landser durften nun weitermachen in dem Krieg, in dem die nicht mehr hatten weitermachen wollen.

Zu unserem inneren Durcheinander und dem Nichtverstehen dessen, was geschehen war, kam bei uns in Italien dann noch eine sehr kritische Situation, und die entstand an der Front. Über Nacht hatten plötzlich Einheiten der Waffen-SS im Rücken der kämpfenden Front Stellungen bezogen, die eindeutig gegen die Wehrmacht gerichtet waren. Es hätte zu einem schlimmen Blutbad kommen können, auch weil die Stimmung gegenseitig schon seit einiger Zeit aufgeheizt war. Verständnis für das Verhalten der Waffen-SS gab es bei der Wehrmacht nicht. Es geschah nichts, aber jetzt wurde die Waffen-SS von keinem mehr mit kameradschaftlichen Gefühlen betrachtet, auch wenn es dann hieß, das sei nur die Vorbereitung einer notwendigen Auffangstellung gewesen.

Aber irgendwie war alles, was sich nun ergab, eine schon seltsame Angelegenheit. Zwar stand die Mehrheit der Soldaten und der Offiziere bis in die höchsten Stellen gegen die Attentäter, was auch bewiesen wurde durch die entsprechenden Tagesbefehle. Dass aber nun der militärische Gruß abgeschafft und durch den "deutschen Gruß" ersetzt wurde, das erschien als seltsam. War denn nun die Wehrmacht eine Organisation der Partei geworden? Seltsam war dabei auch, dass dieser "deutsche Gruß" so völlig problemlos sofort angewandt wurde, auch von allen Offizieren: sie alle reckten nur noch den rechten Arm, und das militärische Uralt-Zeremoniell war nicht mehr existent. Das erweckte den Eindruck, dass als Folge des Putsches nun die Partei gesiegt habe.

Sehr schnell wurde aber wieder alles "normal", der Krieg ging weiter und somit auch die "erfolgreichen Rückzüge" im Osten, im Westen, im Süden und auf dem Balkan. Das sinnlose Sterben ging weiter, und unsinnige Befehle wurden auch weiterhin erteilt. Es war so, als ob der 20. Juli 1944 die NS-Macht im Reich und in der Wehrmacht eher gestärkt als geschwächt hatte. Und die Verräter wurden eliminiert, ohne dass die hohen Kameraden sich dagegen aufgelehnt hätten. Dieses "unrühmliche" Kapitel in der Deutschen Wehrmacht sollte ausgelöscht werden. So ging nun alles wieder seinen "normalen Gang", der totale Krieg wurde fortgesetzt, das Sterben durfte weitergehen. Der Führer war gerettet, die "gütige Vorsehung" hatte ihn dem deutschen Volk erhalten. Dieser Vorsehung wurde aus vollem Herzen gedankt, auch von den Pfaffen und Pastoren der christlichen Kirchen im Reich. Die Verräter bekamen ihre gerechten Strafen, dass dabei die Köpfe rollten, erschreckte kaum einen und regte auch kaum einen auf. Schließlich hatte das Volk ja auch andere Sorgen. Es ging nur noch um das eigene Überleben, mehr war nicht mehr drin im persönlichen Empfinden.

Eines war jedoch schon auffällig, es drehte sich im gesamten Geschehen anscheinend alles nur noch um den Führer, von der Partei war nicht mehr viel die Rede, trotz des unseligen Reichsleiters Bormann – und von der SA war kaum noch etwas zu vernehmen. Nur die Hitler-Jugend, die stand noch ganz vorne im Interesse vor allem bei denen, die sich dieser Jugend mit Vorliebe "bedienten" als guten soldatischen Nachschub. Ganz groß herausgekommen war die SS, vor allem die Waffen-SS. Der Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, trat immer und überall in Erscheinung, er machte fast schon mehr Aufsehen als sein Führer. Aber um Hitler drehte sich alles, er war die Gegenwart als großer Feldherr, und er war die Zukunft für den Neuaufbau nach dem Krieg. Der Führer galt noch immer als eine fast sakrosankte Figur, die alles überragte, auch die Bonzen der Partei. Und die Militärs, die im Hauptquartier wie die Kommandeure an den Fronten, standen nach wie vor zu "ihrem Führer" und folgten seinen Befehlen unverdrossen. Und das Volk folgte ihm auch nach wie vor, trotz des Elends an den Fronten und in der Heimat. Er war nach wie vor, oder jetzt noch mehr als zuvor, der GRÖFAZ und der Führer, der sein Volk liebte und nur das Beste wollte, auch wenn im immer größer werdenden Bombenhagel immer mehr Menschen zugrunde gingen.

Es war schon sehr seltsam, dass der Führer so gesehen wurde. Wir, das Volk, waren nicht nur willige Helfer, wir waren auch willige Idioten! Auch wenn so ein Satz unsere guten deutschen Historiker auf die nationale Palme oder vielmehr Fahnenstange bringt. Aber so war es doch wirklich.

lo