> Werner Mork: Gedanken über den Krieg

Werner Mork: Gedanken über den Krieg

Dieser Eintrag stammt von Werner Mork (*1921 ) aus Kronach, Juli 2004:

Als junger Soldat erlebte ich den Zweiten Weltkrieg in Frankreich, Nordafrika, Italien und am Ende auch noch im deutschen Osten bzw. der Tschechoslowakei. Die Masse der Soldaten dachte nicht an die Politik der Herrschenden, sie wollten den Krieg überleben, um dann als Zivilist weiterleben zu können. Ein möglicherweise differenziertes Nachdenken über die politischen und militärischen Pläne des NS-Regimes, in Verbindung mit Gewaltherrschaft über Europa, lag ihnen wirklich nicht. Ein schlichtes und oftmals tumbes Denken war in den Köpfen der Mehrheit - und kein Herrenmenschenwesen. Es war das die gleiche Masse, wie sie im normalen Leben auch im Volk vorhanden war. Und was das Benehmen angeht, so muss ich auch aus meinem Erleben heraus sagen, dass das im großen und ganzen gut war, damals in Frankreich, wo ich zuerst stationiert war, sowie in Belgien und Holland. Natürlich gab es Schweinehunde und miese Typen, aber wo gibt es die nicht? Das hat mit "bösen Nazis" wirklich nichts zu tun, das ist das Wesen so mancher Menschen und nicht die Folge einer "menschenverachtenden Weltanschauung."

Und von möglichen Verfolgungen der Juden, von Lagern in denen sie zwangsweise untergebracht wurden, wussten wir noch weniger und von Mord und Totschlag schon gar nichts. Was uns bekannt geworden war, auch durch Landser, die in Polen gewesen waren, das waren die Gettos im Osten und Maßnahmen zur Zwangsarbeit. Und das erschien uns (damals) nicht als verbrecherisch, sondern als wohl notwendige Maßnahmen gegen die Juden, besonders gegen die im Osten.

Der heute als irreal erscheinende Wahn der Deutschen war keinesfalls eine nur deutsche Wahnvorstellung, kein jetzt vom bösen Nazi-Geist in die deutsche Welt gesetzter Wahn, geprägt von der Nazi-Ideologie. Allerdings äußerte sich der in diesem Krieg gewaltiger als im 1.Weltkrieg, und er wurde auch gewalttätiger, nicht nur durch die Maßnahmen der Führung, sondern auch durch das Verhalten der Soldaten, vom General bis zum gemeinen Mann, nicht nur bei der Waffen-SS.

Dass die jungen deutschen Soldaten den Krieg zunächst als eine Art von Abenteuer ansahen, kann man ihnen nicht zum Vorwurf machen. Diese Art von Abenteuer erschien ihnen nicht viel anders, als das was doch auch andere Soldaten anderer Nationen erlebten, die als Freiwillige oder Dienstpflichtige z. B. in die jeweiligen Kolonien gingen, in denen sie sich auch im Krieg befanden, oftmals in einem beständigen Krieg gegen "aufsässige" Einheimische. Das waren Soldaten der Nationen England, Holland, Belgien, Frankreich, Spanien, Portugal und auch die USA, die das als ein Abenteuer ansahen, auch wenn diese "kleinen Kriege" kein Weltkrieg waren, aber gemordet wurde auch in diesen Kriegen.

Und eine menschenfreundliche Angelegenheit waren sie wahrlich nicht, sie dienten doch nur den imperialistischen und wirtschaftlichen Interessen der jeweiligen Nation. Das waren doch keine Befreiungskriege, kein Krieg der Menschrechte wegen, das waren brutale Unterdrückungskriege zur Erhaltung und möglicher Ausweitung der kolonialen Machtgelüste, Unterdrückung der Eingeborenen in den Kolonien, die rücksichtslos für die eigenen Interessen ausgebeutet wurden und das mit dem Einsatz aller militärischen Machtmittel.

Das waren doch wahrlich keine gerechten Kriege, die von diesen christlichen Nationen mit ihren christlichen Soldaten "geführt" wurden. Auch die waren doch Verbrechen an unschuldigen Menschen - oder etwa nicht? Aber die christlichen Soldaten, die diese Kriege als Abenteuer ansahen, waren natürlich keine Verbrecher, schon gar nicht die Eliteeinheiten der betr. Nationen, wie z. B. die französischen Fremdenlegionäre oder die Marines der USA. Das alles waren Helden der jeweiligen Nation, die für die Größe "ihrer Nation" kämpften und mordeten. So ist sie, die Schizophrenie der gesamten Welt.

Aber wir, die jungen deutschen Soldaten, waren keine guten Menschen, wenn sie den Krieg als ein mögliches Abenteuer betrachteten, sie mussten doch wissen, dass sie nur den verbrecherischen Welteroberungsplänen des größenwahnsinnigen Nazis Hitler dienten. Bis wir dann den Krieg als ein Verbrechen aller begriffen, bis wir nach sehr schmerzlichen Erkenntnissen eines anderen belehrt wurden, da war es für viele dieser Jugend zu spät, aber auch für viele der Jugend aus den anderen Nationen. Die so fatale Abenteuerversion war aber nicht zuletzt auch immer wieder genährt worden von den idiotischen Ansichten und Vorstellungen von der tollen französischen Fremdenlegion, in der ja nicht etwa nur Kriminelle waren, wie es so oft hieß, sondern eben viele aus vielen Nationen, die nur das Abenteuer suchten und dabei Kriege führten und die Feinde töteten. Und was den Begriff Moral anbetrifft, so war die sogenannte Moral der Soldaten in aller Welt gleich miserabel. Es gibt nicht, auf der einen Seite nur lauter Gutmenschen und auf der anderen Seite nur Bösewichte, die sogar als Verbrecher gelten. Es sind das überall nur Menschen mit all ihren unguten, und manchmal auch guten Seiten. Wobei die unguten Seiten gerade im Krieg überwiegen, trotz der angeblich so strengen Disziplin beim Kommiss in aller Welt. Wobei ich bei uns Deutschen auch an die eingezogenen Reservisten denke, die vielfach auch Angehörige der schon älteren Generation waren. Für die meisten von ihnen war der Krieg auch ein Abenteuer, aber mehr deswegen, weil sie sich fern von Zuhause austoben konnten, vor allem hinsichtlich der sexuellen Gelüste. Aber auch darin haben sie sich nicht unterschieden von allen Soldaten in aller Welt.

Und wie ist es heute, in der großen weiten Welt und in Deutschland? Heute ist wieder die Rede vom erforderlichen Patriotismus, der besonders den Deutschen weitgehend abhanden gekommen war, damals nach 1945. Und seit geraumer Zeit wird der große, starke NATO-Verbündete, die USA, als das glänzende Beispiel für einen hervorragenden vaterländischen Patriotismus hingestellt. Alle Medien quellen förmlich über mit Meldungen und Bildern von diesem Patriotismus. Begeisterung ist zu verspüren über kriegerische Maßnahmen der USA, und im Fernsehen werden die "Erfolge" gezeigt, die mit den Waffen und den Bomben erzielt werden. Ist das die richtige Art der Befriedigung der Welt und der Herstellung der Menschenrechte in aller Welt?

Und ist das Drama in Palästina nicht ein Verbrechen, das doch vorrangig auf Israel zu beziehen ist? Was hat sich denn eigentlich geändert nach dem Krieg gegen den Menschenfeind Faschismus? Wo ist die Welt denn friedlicher und menschlicher geworden? Für mich ist das alles ein Beweis für meine Meinung, dass die Menschen, gleich unter welcher Ideologie und unter welchem Regime, immer wieder in die Unmenschlichkeit verfallen, dass sie nicht in der Lage sind, sich als Schwestern und Brüder zu verstehen, dass Mord und Totschlag unverändert auf dieser Welt vorhanden sind. Es kommt immer nur darauf an, den im Menschen vorhandenen Drang zur Unmenschlichkeit durch das jeweilige Regime zu "wecken", Hass zu erzeugen und dabei den Anschein zu erwecken, dass es um Freiheit und Menschenrechte geht, dann ist immer wieder ein neuer Kreuzzug möglich und durchführbar. Überzeugende Feindbilder werden immer wieder neu geschaffen, auch wenn es keine bösen Nazis und keine bösen Kommunisten mehr gibt, jedenfalls nicht als verbrecherische Staaten, die mit ihren Waffen die Welt und den Weltfrieden bedrohen.

Aber um nun solche Möglichkeiten grundsätzlich zu verhindern, haben wir nun einen Weltpolizisten, der mit seinen Waffen und Atombomben den Frieden garantiert und das auf seine sehr subtile Art und Weise - oder nicht? Tja, liebe Menschen und Zeitgenossen, auch ihr, die ihr als 68er einmal die Welt verändern wolltet, so waren und so sind die Zeiten, die sich heroisch darstellen mal unter dem einen Geist und Banner, und mal unter dem anderen Geist und Banner, nur besser sind sie in keinem Fall geworden, auch nicht unter anderen Ismen und Ideologien. Und Soldaten, sind noch immer, auch schon wieder in Deutschland Helden, wie es eben so ist bei den Patrioten in allen Ländern und Nationen.

So ist sie, die Welt, in der wir leben, die doch so ganz anders werden sollte, nach der Ausrottung des Faschismus und der Zerschlagung des deutschen Militarismus, wobei das deutsche Militär dann wieder "salonfähig" wurde und als zuverlässiger Verbündeter gilt, für die Militärs der - angeblich - freien Welt. Nun sind sie, die Kameraden der Militärs, die uns, die Deutschen vom Nazismus befreit haben.

Wie darf man eigentlich unter diesen Umständen die damalige Zeit betrachten, in der wir, aus der Sicht aller Gegner, doch schlechte Menschen waren, wenn nicht sogar Verbrecher. Waren wir etwa nur von den bösen Nazis missbrauchte Soldaten, oder waren wir nicht doch überzeugte Kämpfer für die Nazi-Ideologie? Darüber könnte man viel und lange diskutieren mit vielem Pro und Kontra. Nur ist es aber die noch immer viel verbreitete Meinung von Meinungsmachern und sehr speziellen Historikern, die Zeit, die auch ich erlebt habe, nur negativ darzustellen, in der die Gegner, gleich welcher Art, die Bewunderten sind. Aber das ist ja alles nun Vergangenheit, ob bewältigt oder nicht bewältigt. Eine Vergangenheit, die heutzutage wohl die Mehrheit der Deutschen nicht mehr sonderlich interessiert - leider! Und, die sich selber zu Gutmenschen gemachten Meinungsmacher, betrachten die Beschäftigung mit dieser Vergangenheit als ein gutes Geschäft, welches mit erhobenem Zeigefinger betrieben wird, besonders im Fernsehen aber auch in sonstigen Medien.

Ich kann im Rückblick auf den Krieg von mir nur sagen, dass nicht nur ich, sondern die Mehrheit der deutschen Soldaten, nur meine/ihre Pflicht als Soldat getan habe(n), wie es bei allen Soldaten in allen Armeen der Fall ist. Ich habe keine Verbrechen begangen, ich habe keinen Menschen getötet, ich muss kein schlechtes Gewissen haben, ich war kein Verbrecher, aber ich wurde ein sehr kritischer Mensch in der Betrachtung von Krieg, den ich aus meiner Sicht als ein Verbrechen ansehe in der gesamten Menschheit, in allen Ländern und Nationen, auf der ganzen Welt. Ich wurde durch mein Erleben in dem Krieg sehr gründlich "befreit" von meinem Patriotismus, von meinem Nationalismus, von meinem Glauben an eine gute Führung der Untertanen in allen Staaten.

Ich wurde ein überzeugter Pazifist, und bin ein solcher bis heute geblieben. Ich verdamme jeden Krieg, für mich gibt es keine gerechten Kriege. Für mich gibt es nur ungerechte Kriege, die in jedem Falle ein Verbrechen sind, damals wie heute. Was ich über mein Erleben in den Kriegsjahren von 1939 bis 1945 schildere, ist keine Verherrlichung von Militär und Krieg, das ist eine wahrheitsgemäße Schilderung des Krieges, wie ich ihn erlebt habe mit allen schlechten, aber auch einigen guten Seiten. Meine nationale Euphorie wurde in der Zeit ins totale Gegenteil verändert, der Krieg wurde für mich zu einem Verbrechen, ausgeübt von allen Beteiligten, hüben wie drüben. Meine Schilderung ist eine Darstellung meines Kriegserlebens und meiner Folgerungen aus diesem Wahnsinn. Eine Schilderung in aller Offenheit und Ehrlichkeit. Aus dem überzeugten Kriegsfreiwilligen wurde ein überzeugter Pazifist. Das waren meine Anmerkungen, die ich machen wollte, um aus der Sicht eines Betroffenen zumindest den Versuch zu machen, etwas von dem zu vermitteln, was damals unsere Welt war. Auch ein gewisses Begreifen und Verstehen zu wecken bei denen, die noch immer nichts verstehen können, oder vielleicht ja auch gar nicht wollen. Wenn man mich dabei in eine Schublade stecken will, die solchen Leuten als passend erscheint, dann sollen sie es tun. Ich habe es jedenfalls so geschildert, wie ich es erlebt und empfunden habe, dieses Leben in der "großen Zeit."

lo