> Werner Viehs: Untergang der Cap Arcona und Kriegsende 1945

Werner Viehs: Untergang der "Cap Arcona" und Kriegsende 1945

Dieser Eintrag von Werner Viehs (*1924) aus Bad Homburg (werner@viehs.de) von März 2011 stammt aus dem: Biografie-Wettbewerb Was für ein Leben! Der Text ist ein Auszug aus dem Buch: "Mein Jahrhundert"

Als Schwerverwundeter bin ich von Ostpreußen auf einem Schiff über die Ostsee nach Stralsund gebracht worden. Hier kamen wir am 18. April 1945 an. In einem Lazarettzug geht es auf die Insel Rügen, die wir nach 2-3 Tagen in Richtung Westen verlassen. Ziel des Lazarettzuges ist Hamburg. Hitler und seine "Durchhalte-Männer" gibt es noch, aber sie sind still geworden. Einige besonnene Militärs, hierzu gehört an erster Stelle Großadmiral Dönitz mit seiner Marine, haben nur noch das Ziel, möglichst viele Menschen vor der russischen Gefangenschaft und dem damit verbundenen sicheren Tod zu retten. Dazu gehöre auch ich!

Wir fahren nach Westen. Mein Abteil ist mit 4 Schwer- und 2 Leicht-Verwundeten belegt. Die Leicht-Verwundeten, 2 Oldenburger Feldwebel, sind 'auf Zack'. Wenn der Zug steht, wird organisiert. Von Rügen ging es zurück über Stralsund, weiter westwärts nach Rostock, Wismar, Lübeck, den westlichen Alliierten entgegen. Auf dem Hamburger Bahnhof steht neben uns ein Zug mit jungem neuen Fronteinsatz. Kleine Jungen, .... "Geht nach Hause". Ich tausche meine Pistole gegen Schokakola und Zigaretten.

Eine Stunde später fahren englische Panzer auf den Bahnhof. Es kann nicht wahr sein! ...... unser Zug haut ab! Jetzt hätten wir es hinter uns haben können! Der Lazarettzug fährt nach Schleswig-Holstein, das soll F-Gebiet (Internierungs-Gebiet) der westlichen Alliierten werden. Im Nachgang denke ich: "Unser Lok-Führer hat Nägel mit Köpfen gemacht und uns (Ostler) in dieses Gebiet gefahren." Die Lokomotive wird mehrmals durch Flieger getroffen und wieder flott gemacht. Der Zug bewegt sich von Hamburg kommend, erstmal nach Osten, um vor Lübeck nördlich nach Holstein einzuschwenken. Die Fahrt geht längs der Lübecker- und Neustädter-Bucht. Trotzdem wir als Lazarettzug gekennzeichnet waren, wurde unsere Lokomotive durch Flieger immer wieder angegriffen und beschädigt. Wir standen wieder mit kaputter Lok an der Neustädter Bucht.

Seit Tagen strömten hier Truppenteile und Flüchtlinge durch. Die geräumten Schulhäuser in Neustadt sind mit Verwundeten belegt. Mehrere Lazarett-Eisenbahn-Transporte stehen auf dem Rangier-Bahnhof "Am Holm" und am Stich-Bahnhof. Schwere Fälle sind in den Krankenhäusern und den Sanitätsstellen untergebracht. Militärische und zivile Stellen lösen sich auf. SS-Bewacher der "Häftlings-Flotte" setzen sich ab. Die letzten etwa 10.000 im KZ Neuengamme verbliebenen Häftlinge waren Mitte April 1945 in Richtung Lübeck transportiert und auf drei Schiffe verladen worden, die in der Lübecker Bucht ankerten. Am 3. Mai 1945 wurden die Schiffe von britischen Kampfflugzeugen bombardiert, die sie für Truppentransporter hielten. Die "Cap Arcona" und die "Thielbek" brannten aus und gingen unter. Rund 7.000 Häftlinge kamen dabei ums Leben. Ich war Augenzeuge des Angriffs und des Untergangs der unmittelbar vor mir liegenden "Deutschland" und der entfernt zwischen Neustadt und Pelzerhaken liegenden "Cap Arcona" und "Thielbek"

/lemo/bestand/objekt/arcona Mein Lazarettzug stand an diesem 3. Mai nördlich Sierksdorf, wenige hundert Meter vom Strand entfernt. Um ca.12.oo Uhr stellte ich englische "Aufklärer" fest. Die Staffel 263, (263 Squadron) R.A.F. flog einen Schein- Angriff auf die "Deutschland". Sie lag unmittelbar vor mir in der Bucht ca. zwei Seemeilen östlich von Sierksdorf / Haffkrug auf Reede. Ich konnte von hier nicht den rechts liegenden Strand sehen, der direkt vor Sierksdorf verläuft. Dorthin ruderte die ausgebootete Besatzung der "Deutschland" anschließend an Land.

Der Angriff britischer Flugzeuge lief seit 14.3o Uhr. Fünf Maschinen lösten im Tiefflug ihre neuzeitlichen Raketen als Salve auf die "Cap Arcona" aus. 40 Volltreffer verwandelten die "Cap Arcona" in ein loderndes Flammenmeer. Sie brannte lichterloh vom Heck bis zum Mittelschiff. Viele Menschen flohen, starben, ertranken. Vier Maschinen bekämpften die ca. 800 Meter entfernte, sich durch Flak heftig wehrende "Thielbek". Sie hatte Backbord-Schlagseite und ging innerhalb von 15 Minuten unter.

Anschließend erfolgte die Jagd der Jabos auf Ziele, die mit Bord-Maschinen-Kanonen bekämpft werden konnten: Menschen im Vorgarten eines Hauses am Binnensee, KZ-Gefangene am Kai , die auf die "Athen" eingeschifft werden sollten, Panik am Kai. Tote bleiben zurück. Die Häftlinge verstecken sich in Neustadt. Ca. 16.oo Uhr war der Jabo-Angriff beendet.

Die Häftlingsflotte brannte und war gesunken. Die Rettungsmittel waren zerstört. Die Wasser-Temperatur betrug nur 8 Grad Celsius. Unabhängig von den Temperaturen, hätten die entkräfteten Häftlinge es durch schwimmen kaum geschafft. Die Wassertiefen der Bucht waren so, dass die "Cap Arcona" nicht vollständig untergehen konnte. Überlebende hielten sich in raucharmen Bereichen auf und hofften gerettet zu werden. Ich habe die SS unterhalb von unserem Lazarettzug, am Strand zwischen Sierksdorf und Neustadt, auf Häftlinge im Wasser schießen sehen. Von See, war dieser Strand-Bereich nur von der nahe gelegenen "Deutschland" erreichbar. Sie war nicht mit KZlern belegt. Es hat sich demzufolge noch um Maßnahmen der SS gehandelt, entwichene Gefangene des südlichen Hafen-Bereichs von Neustadt zusammen zutreiben oder gar zu erschießen, die sich in Strandnähe und in Richtung Sierksdorf aufhielten. Dieses "Zusammentreiben der Häftlinge" wurde nur zeitweilig während der englischen Bomber-Angriffe unterbrochen und bis kurz vor Erscheinen der ersten englischen Panzer fortgesetzt.

Die Marine-Artillerie stellte währenddessen die Flug-Abwehr und den Bodenbeschuss der Panzer ein, da der Lazarettzug am Rangier-Bahnhof gefährdet war. Sie hissten die weiße Fahne. Unser Lazarettzug lag ca. 2 bis 3 km südlicher. Es musste sich um einen vor uns liegenden Lazarettzug handeln. Britische Panzertruppen bewegten sich aus südwestlicher Richtung über die Eutiner-Straße zur Stadtgrenze von Neustadt. Als um 16,oo Uhr der Luftangriff gegen die Häftlingsflotte zu Ende ging, waren sie plötzlich da. Drei Panzer standen sichtbar ca. 50-100 Meter oberhalb unseres Lazarettzuges und beobachteten die Geschehnisse in der Bucht. Die SS hatte vorher ihre Schießerei am Strand beendet und verschwand schnellstens. Gott sei Dank, denn unser Lazarettzug war die einzige Deckung und stand auf freiem Gelände genau zwischen Panzern und SS.

Um 17.00 Uhr überfuhren die Panzer die nicht gesprengte Hafenbrücke und erreichten den Marktplatz von Neustadt. Der Volkssturm zeigte ein beruhigendes Verhalten. Kein Widerstand von deutscher Seite. SS und politische Funktionäre waren untergetaucht. Seitens der Briten keine Notwendigkeit, die Stadt kapitulationsreif zu schießen.

Um 18.00 Uhr betritt ein britischer Offizier unseren Lazarettzug. Rang-Abzeichen und Ehrenzeichen ohne Hakenkreuz sind zu tragen. In Neustadt wird aus den eingesammelten Abzeichen das Hakenkreuz heraus geschliffen. Mein Verwundeten- Abzeichen war dabei. Am 05. Mai 1945 werden die Verwundeten unseres Lazarettzuges gemeinsam mit den KZlern in der U-Bootschule der 3-ten ULD in Neustadt untergebracht. Genau vor einem Monat wurde ich in Ostpreußen verwundet. Endlich bin ich an einem sicheren Punkt angekommen. Am 9. Mai 1945 war der Krieg zu Ende. Die Besatzung veranstaltete eine Freuden-Schießerei. Wir liegen in einem 10-Bett-Raum und horchen nach draußen. Eine Welt war untergegangen.

In der Neustädter Bucht schwemmen jeden Tag Leichen an, die sich aus den versenkten Schiffen lösten.

lo