> Willi Witte: Wehrertüchtigungs- und Reichsausbildungslager

Willi Witte: Wehrertüchtigungs- und Reichsausbildungslager

Dieser Eintrag stammt von Willi Witte (*1928) aus Westerland/Sylt , April 2001:

Die damaligen Feinde rückten immer näher auf das Reich zu. Dann hiess es: "Die HJ muss zum Panzergräben bauen an die dänische Grenze!" So wurden wir dann verpflichtet, in der Nähe von Süderlügum Panzergräben zu bauen. Wir waren z.B. in einer ausgeräumten Gaststätte untergebracht. Am Tag war hartes Arbeiten mit dem Spaten angesagt. Wenn Feierabend war, ging es singend in Reih und Glied nach Hause (Unterkunft). Es wurde auf Stroh geschlafen.

Ein Mädchenlager (BDM) war auch da. Ich glaube, die machten meistens Küchendienst.

Ich war vorher auch schon mal in so einem Wehrertüchtigungslager in der Nähe von St.Michaelisdon. Die meisten von uns, die da ankamen, waren zu der Zeit schon Kriegsfreiwillige, man hatte ja auch gar keine andere Wahl! Denn als wir ankamen, hie es beim Antreten z.B. "Kriegsfreiwillige, rechts raus!" Der Haufen, der sich nicht freiwillig meldete, war deshalb immer sehr klein. Diese wurden mittags früher zum Exerzieren vom Tisch geholt.

Auch nachts holte man sie oft aus den Betten. Da war es bald für die meisten vorbei mit "Verweigern". Auch beim Antreten mussten sie oft nach vorne treten und wurden als Muttersöhnchen usw. lächerlich gemacht. Es wurden mal zwei beim Rauchen erwischt. Denen wurde eine Glatze geschnitten, und jeder musste auf einem Stuhl sitzen. Ich glaube es waren über 24 Stunden. Wir, die dann gerade Wache (Streife) schoben, hatten strenge Order, darauf zu achten, dass die beiden nicht einschliefen. Anschliessend wurden beide abgeholt. Ob zum Jugendarrest oder ähnliches, weiss ich nicht mehr.

Diese Wehrertüchtigungslager waren meist einmal im Jahr. Mindestens einmal musste man an diesen teilgenommen haben. Durch dieses Lager hatte ich auch Schwierigkeiten mit meinem Pastor Wester. Denn ich war zu der Zeit gerade im Konfirmandenunterricht. Dieser dauerte damals zwei Jahre. Der Pastor sagte zu mir: "Lager oder Konfirmandenunterricht, sonst wirst du nicht konfirmiert!" Es fehlten mir noch drei Monate vom Konfirmandenunterricht. Da ich ins Lager musste, war es mit der Konfirmation vorbei. Der Pastor hatte viel Mut gehabt, muss ich sagen. So bekam ich dann die Jugendweihe. Auflehnung gegen den Pastor wäre zwecklos gewesen. Dafür war dieser viel zu konsequent. Ich glaube, er hatte auch so genug Schwierigkeiten im Dritten Reich. Später wurde Pastor Wester ein angesehener Bischof.

Anfang 1944 bekam ich mit mehreren Syltern nach der Wehrtauglichkeitsprüfung in Schleswig meinen Wehrpa. Anfang Dezember 1944 kam dann eine Einberufung in das RAL (Reichsausbildungslager). Wir waren drei Westerländer: Harald Koopmann, Harald Voigt und ich. Wir sollten uns am 8. 12. 1944 um 9 Uhr in Hamburg-Altona melden. Dort angekommen, war aber keiner da, der uns weiterhelfen konnte. Nach stundenlangen Suchen, fanden wir andere, zukünftige Kameraden, die Bescheid wussten.

Am 9. 12. 1944 waren wir dann auf der Fahrt nach Dresden und von dort aus weiter nach Bernsdorf/Oberlausitz. Gegen Mitternacht kamen wir dort an. Wir wurden dort auch von keinem abgeholt. Des Wartens überdrüssig, machten wir uns dann auf den Weg durch die leeren Strassen. Wir sprachen einen Offizier an, den wir trafen, und fragten nach einem RAL. Von einem RAL war ihm in dieser Gegend nichts bekannt. Aber draussen im Wald, wäre ein HJ-Lager und da würden wir wohl erwartet werden. Nachts gegen 02.30 Uhr kamen wir dann in diesem Lager an.

Die genannten Daten habe ich freundlicherweise aus dem Tagebuch von Harald Koopmann entnommen. Dieses hat er von Anfang unserer Einberufung an mit vielen Details geführt. Er hat die Aufzeichnungen sogar nach mehreren Jahren in tschechischer und russischer Gefangenschaft mit nach Hause gebracht.

Als wir im Lager ankamen, wurde uns auch dort kein Empfang bereitet. Wir mussten erst durch Klopfen an die Fenster auf uns aufmerksam machen. Dann ging man endlich bei und hat uns in verschiedene Stuben untergebracht. Aber die Stuben hatten weder Decken noch Betten, und es war hundekalt. In meiner Stube war glücklicherweise ein Ofen drin. Es kam dann einer in Uniform und Unteroffiziers-Litzen auf der Schulter mit einer Handvoll Holz zu uns rein. Wir machten wie gelernt, Meldung. Der nahm unsere Meldung aber gar nicht soldatisch entgegen, sondern machte Feuer im Ofen. Da erfuhren wir dann auch, dass wir in einem OT-Lager gelandet waren. OT heisst Organisation Todt.

Das war so eine Art technisches Hilfswerk. Die OT baute auch Befestigungen usw. Hier sollte eine Werkstatt für Panzer errichtet werden. Morgens beim Antreten und Begrüssen sagte man uns, dass man sich freue, dass wir endlich da wären, denn man hatte schon länger auf die HJ gewartet, um mit Mauerkelle das Werk aufzubauen. Unsere Gesichter wurden immer länger, denn hier lag ein ganz klarer Irrtum vor. Nach einigen Telefonaten klärte sich dann auch alles auf.

Wir wurden dann nach einigen Hin und Her in einen Zug Richtung Breslau geschickt. Gegen Mitternacht kamen wir 15- und 16jährigen in Breslau an. Von Breslau sollte es dann um 04.00 Uhr morgens weiter nach Mähren-Weisskirchen gehen. In Breslau bekamen wir strenge Order, nicht in die verlassenen Häuser zu gehen, erinnere ich mich. Breslau war wohl schon ziemlich von der Bevölkerung verlassen. Alles war dunkel und unheimlich. Ich war aber trotzdem mit einigen Kameraden in einer verlassenen Wohnung. Denn so jung wie wir waren, war man natürlich auch neugierig. Die Wohnung war so akkurat verlassen worden, als wären die Bewohner nur zum Einkaufen gegangen. Die Betten waren frisch bezogen und gemacht usw. Den grossen Küchenwecker auf dem Küchenschrank habe ich auch noch in Erinnerung.

Am nächsten Tag, es mag gegen Mittag gewesen sein, kamen wir in Mährisch-Weisskirchen an. Da holte uns wieder keiner ab. Wir hatten so langsam alle die Schnauze voll. (Es wäre gewiss ein guter Einfall gewesen, wenn wir da alle nach Hause gefahren wären). Nach einer gewissen Wartezeit kam ein Wagen mit einem Zivilisten vorbei. Er teilte uns mit, dass das Lager noch nicht fertig eingerichtet sei und wir so lange in Ollmütz untergebracht würden. Dort angekommen, wurden wir in einer Schule untergebracht. Bis wir etwas zu essen bekamen, dauerte es noch eine Weile. Betten waren auch da nicht. Wir mussten auf dem Boden campieren. (Das war in der Adventszeit…!).

Weil unser Lager noch nicht fertig organisiert usw. war, kam die tolle Nachricht, dass wir erstmals Weihnachtsurlaub bekamen und nach Hause fahren konnten. Weihnachten 1944 habe ich nicht mehr in voller Erinnerung. Am 28. 12. 1944 ging die Reise schon wieder nach Mährisch-Weisskirchen los.

Nach unserer Meldung auf der Dienststelle wurden wir im Haus "Puschner" eingewiesen. Auf unserer Stube waren Harald Koopmann (Sylt), W.Barg, H.H., Koberg, Jung, ein Pinneberger und ich. Harald Vogt (Sylt), der vorher mit uns war, konnte zu Hause bleiben und einer Einberufung zum Arbeitsdienst (RAD) auf Sylt folgen. Der hatte somit Riesenglück, denn uns erwartete noch so einiges.

Unser Zugführer war Uffz Stössel. Unser Stubenältester war Harald Koopmann. Stubenscheuern war unser erster Dienst. Abends wurden die letzten mitgebrachten Kuchen von zu Hause aufgegessen. Das war dann auch das Jahresende 1944 für uns.

Weisskirchen ist ein hübscher Ort mit mehreren Hochschulen. Bad Teplitz mit seinen hübschen Hotels gehörte auch dazu. Es kehrte endlich eine gewisse Regelmässigkeit in unser Dasein ein. Es begann ein strammer militärischer Ausbildungsdienst. Aber darin hatten wir ja auch schon einige Erfahrungen. Viel Geländeausbildung von der Panzerfaust bis zum MG 42 usw. Auch Spähtrupp und Nahkampf war dabei. Wir wurden perfekt gemacht.

Am 18. 01. 1945 wurden wir nach Luhacowitz ins Lager 7 verlegt. Da war die Ausbildung noch gründlicher. Geländeübungen im Schnee mit unseren Winterklamotten war kein Vergnügen. Die Front kam schon bedenklich näher. Es hörte sich von uns aus wie ein nahendes Gewitter an. An den Strassen wurden von der OT Panzersperren und Gräben zur Verteidigung gebaut. Es wurden vor allen Dingen Nachtwachen von uns gestellt. Notfalls wollte man uns mit Waffen ausrüsten. Wir waren ja immer noch bei der HJ und keine Soldaten. (15 und 16 Jahre alt).

Die Begeisterung war trotzdem noch sehr gross. Jeder von uns wäre blindlings in den Tod gerannt. Die Propagandaschule, Ausbildungslager usw. hatten das ihre getan. (Die Erkenntnisse kamen erst später). Wir gehorchten nur Befehlen. (Auch Minderbegeisterte). Es blieb uns ja auch gar keine andere Wahl. Wir dachten eben, das sei alles richtig. Es herrschte sogar der Gedanke, wenn der Russe kommt, dann jagen wir ihn zurück bis zur Wolga.

Die jungen Tschechen verhielten sich uns gegenüber absolut distanziert. Wir hätten natürlich gerne mal mit den hübschen Mädchen geflirtet. Aber die waren uns gegenüber eiskalt. Nicht mal die zehn oder zwölf jährige Tochter unserer Hauswirtin liess sich ansprechen.

Am 08. 03. 1945 war das Lager und die Ausbildung zu Ende, und wir sollten wieder nach Hause. Das Gefühl lässt sich nicht überliefern, da musste man erlebt haben. Bannführer Moritzen nahm die Meldung des Ausbildungslagerabschlusses mit 1400 HJ-lern entgegen. Da sagte er dann: "Der Führer hat euch schon heute zu den Waffen gerufen!" Wir würden geschlossen der Waffen SS übergeben werden. Vorher sprach er noch davon, dass Deutschland in höchster Gefahr wäre.

  • Willi Witte: Kriegserlebnisse in der Waffen-SS

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