8. Ehemaliges Reichskanzlerpalais Wilhelmstraße 77:
Haus der „Berliner-Konferenz“

   
 


 

Vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 tagte im Reichskanzlerpalais in der Wilhelmstraße 77 die sog. „Berliner Konferenz“, auch „Westafrika-Konferenz“ oder “Kongo-Konferenz“ genannt. Die Vertreter von 13 europäischen Staaten, sowie der USA und des Osmanischen Reiches hatten sich auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck dort versammelt, um über das künftige Vorgehen dieser Staaten auf dem afrikanischen Kontinent zu beraten. Afrikaner waren bei dieser Versammlung nicht zugegen. Auf der Berliner Konferenz legten die anwesenden Großmächte die Kriterien für die völkerrechtliche Anerkennung von Kolonialbesitz fest. Dies löste einen beispiellosen Wettlauf um die noch nicht besetzten Gebiete Afrikas aus. Innerhalb weniger Jahre war Afrika dann unter den europäischen Mächten aufgeteilt – bis auf Äthiopien und Liberia. Auch Deutschland sicherte sich damals seinen „Platz an der Sonne“ und trat in die Reihe der Kolonialmächte ein.

 

 

Die Berliner Konferenz unter Vorsitz des deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck. Delegierte aus 13 europäischen Staaten, aus den USA und dem osmanischen Reich nahmen an dieser Konferenz teil – jedoch kein einziger Afrikaner.

Die Gartenlaube 1884.

 

 

Wie mit dem Lineal in eine Karte eingezeichnet, quer zu den Lebensräumen afrikanischer Bevölkerungsgruppen und ohne sich um bereits bestehende afrikanische Staaten zu kümmern, legten die damaligen Großmächte ihre Einflusssphären fest. [33] Der Ort ist nicht mehr erhalten. Heute steht dort eine Gedenktafel aus Metall, die an diesen Teil der deutsch-afrikanischen Geschichte erinnert.

 

Carl Gotthilf Büttner: Kolonialpolitiker, Missionar und Sprachforscher

Die Politiker, die in Berlin Afrika untereinander aufteilten, hätten nichts ausrichten können ohne die zahlreichen Wissenschaftler, Missionare und Forschungsreisenden, die vor Ort ihre Fähigkeiten in den Dienst des Kolonialismus stellten. Einer von ihnen war Carl Gotthilf Büttner. Er wurde am 24. Dezember 1848 in Königsberg geboren. Als junger Mann studierte er Theologie und interessierte sich für das „Studium der morgenländischen Sprachen“. Nach dem Examen meldete er sich bei der Rheinischen Missionsgesellschaft in Barmen, um Missionar zu werden. 1872 wurde er ins südliche Afrika gesandt – in das Nama- und Damaraland im heutigen Namibia.

 

 

Enthüllung der Metalltafel zum Gedenken an die Berliner Konferenz am 26. Februar 1905.

Joachim Zeller.

 

 

Dort kam ihm seine außerordentliche Sprachbegabung bald sehr zustatten: Gemeinsam mit anderen Missionaren übersetzte er das Neue Testament in die Herero-Sprache und veröffentlichte mehrere Schriften zur Sprachstruktur der Herero. Außerdem gab er ein Wörterbuch und eine Grammatik der Herero-Sprache, sowie ein Wörterbuch der Nama-Sprache heraus. In der eigentlichen Missionsarbeit hielt es Büttner nicht lange aus. Die Herero, deren Sprache ihn so sehr faszinierte, hielt er für einen höchst bedenklichen Menschenschlag:

„Diese sozialen Verhältnisse der Herero haben nämlich eine frappante Ähnlichkeit mit dem Idealstaat der Sozialisten [...]: Kein individuelles Grundeigentum, der Viehbesitz scheint auch nicht Eigentum des Einzelnen, sondern mehr Eigentum des Staates resp. der Familie zu sein. Keine Steuern, kein Militär, keine Polizei, keine Gefängnisse, das Streiken als Normalzustand der Arbeiterbevölkerung, keine Beamten, allgemeine Erlaubnis zum Betteln, während die Nationalsitte das Abschlagen einer Bitte verbietet, zum Schluss keinen Eid und keinen Gott. Ist das nicht der sozialistische kommunistische Zustand?“ [34]

Bald gab es Zerwürfnisse mit den Kollegen wie mit der Missionsleitung in Barmen. Dazu mochte beigetragen haben, dass Büttner im Bewusstsein seiner universitären Bildung – die anderen Missionare waren meist Handwerker – seinen Kollegen und der Missionsleitung gegenüber wenig demütig, sondern recht fordernd, manchmal auch arrogant auftrat. So kehrte er 1880 nach Deutschland zurück, wo er eine Pfarrstelle in der Kleinstadt Wormditt (heute Ormeta in Polen) übernahm.

Fünf Jahre später bereiste er von neuem das heutige Namibia. Dieses Mal nicht als Missionar, sondern im Auftrag der deutschen Reichsregierung. In der Region um die Missionsstation Bethanien hatte der Bremer Kaufmann Adolf Lüderitz auf betrügerische Weise ein großes Stück Land erworben. Lüderitz hatte sich zunutze gemacht, dass der Chief von Bethanien Josef Fredericks nur die englische Meile als Maßeinheit kannte. Lüderitz jedoch ging bei seinen Vertragsabschlüssen von der deutschen geographischen Meile aus, die beinahe viermal so groß ist. Bewusst hatte er den Chief in seinem Irrtum gelassen. So war Fredericks der Ansicht gewesen, er verkaufe an Lüderitz lediglich einen schmalen Streifen unfruchtbares Küstengebiet einschließlich des Hafens Angra Pequena (der dann später in Lüderitzbucht umbenannt wurde), während in Wirklichkeit beinahe sein gesamtes Gebiet in das Eigentum des Bremer Kaufmanns übergegangen war. [35]

Büttners Auftrag aus Berlin lautete, diese kolonisatorischen Anfänge systematisch fortzusetzen. Gemeinsam mit dem Reichskommissar Heinrich Göring, dem Vater des späteren nationalsozialistischen Reichsmarschalls Hermann Göring, sollte er mit den einheimischen Chiefs so genannte „Schutzverträge“ abschließen. Göring allein hätte allerdings nicht viel ausrichten können. Keiner der betroffenen Chiefs sah die Gründe ein, warum er sich nun plötzlich unter den „Schutz“ des deutschen Kaisers stellen sollte. Büttner jedoch war ihnen persönlich bekannt und sprach sogar ihre Sprache. Die Einheimischen vertrauten ihm, und so gelang es Büttner auch, die meisten Chiefs zur Unterschrift unter Verträge zu bewegen, die faktisch das Ende ihrer Autonomie bedeuteten. Die erste deutsche Kolonie Deutsch-Südwestafrika war entstanden.

Den reibungslosen Ablauf schreibt Büttner der „segensreichen“ Tätigkeit der Mission zu:

„Soviel die Zeitungen von [Adolf] Lüderitz und Angra Pequena berichten, nirgends liest man, dass er mit den Eingeborenen in Konflikt gekommen ist. Alles, die Verhandlungen mit den Häuptlingen, die Reisen der Agenten des Hauses Lüderitz, geht ganz wie in einem zivilisierten Lande vor sich. Es sind christliche Häuptlinge, mit denen die Verträge abgeschlossen werden, christliche Hottentotten, die das Haus Lüderitz für seine mannigfaltigen Untersuchungsarbeiten engagiert [...]. Alles zusammengenommen gibt das gewiss kein zu verachtendes Zeugnis für die Tätigkeit der Mission ab.“ [36]

Schon zehn Jahre zuvor hatte Büttner der deutschen Industrie den Missionsgedanken ans Herz gelegt:

„Der verständige Industrielle wird den Missionar, der es zu Wege bringt, dass 100, 500, 1000 Leute, die früher nackt gingen, nun Kleider zu verbrauchen anfangen, die früher von der Hand in den Mud lebten, nunmehr mit europäischen Werkzeugen ihr Land und die Erzeugnisse bearbeiten, auch im volkswirtschaftlichen Sinne nicht für unproduktiv halten.“ [37]

Auch wenn einige seiner ehemaligen Kollegen von der Rheinischen Mission Kritik an Büttners Vorgehen durchblicken ließen, so begrüßten es die meisten doch, dass dieses Land an der südwestafrikanischen Küste nun eine deutsche Kolonie geworden war. Zufrieden vermerkte Büttner am Ende seiner Reise, es sei nur der Hilfe der Missionare vor Ort zu danken, „dass es gelungen ist, den größten Teil meines Reiseprogramms in wünschenswerter Weise innerhalb so kurzer Zeit und mit so geringen Kosten auszuführen und eine Fläche von wenigstens 7000 deutschen Quadratmeilen dem deutschen Schutzgebiete in Südafrika zuzufügen.“ [38] Zurück in Deutschland zeigte sich die deutsche Regierung erkenntlich und verlieh Büttner den Roten Adlerorden Vierter Klasse.

In Berlin warteten bereits neue Aufgaben auf Büttner. Dort war 1886 die Deutsch-Ostafrikanische Missionsgesellschaft gegründet worden. Büttner wurde das Amt des Missionsinspektors dieser Gesellschaft übertragen. Im Vorstand saßen außer Büttner auch Persönlichkeiten wie z.B. der berüchtigte Carl Peters, aufgrund seiner brutalen Kolonialpolitik auch „Hänge-Peters“ genannt. Die traditionellen Missionsgesellschaften, die vor der deutschen Kolonialzeit gegründet worden waren, wie z.B. die Rheinische Missionsgesellschaft , hatten sich zumindest in ihren offiziellen Verlautbarungen stets darum bemüht, Mission und Kolonialpolitik nicht zu vermischen, wenn dies in der Praxis auch nicht immer gelang. In der Deutsch-Ostafrikanischen Missionsgesellschaft hingegen versuchen einige einflussreiche Mitglieder, die Mission offen in den Dienst des Kolonialismus zu stellen. Diese unverhüllte Koloni alpropaganda war sogar Büttner zuviel. Wiederholt kritisierte er diese Praxis in seiner Zeitschrift Nachrichten aus der ostafrikanischen Mission. [39] Dies führte schließlich zum Bruch. Ziemlich unsanft wurde Büttner 1889 aus seinem Amt als Missionsinspektor entlassen.

Er trauerte diesem Amt allerdings nicht allzu lange nach, denn er arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits als Lehrer für die Suaheli-Sprache am Berliner Seminar für Orientalische Sprachen . Nun konnte er sich ganz dieser Arbeit und seinen linguistischen Forschungen widmen. Er gab mehrere Schriften zur Suaheli-Sprache heraus. Darunter auch die Lieder und Geschichten der Suaheli von 1894 [40], die unter anderem die kurze Lebensgeschichte seines afrikanischen Lektors -> Amur bin Nasur ilOmeiri enthalten.

Büttners Arbeit als Sprachforscher fand große Anerkennung in Fachkreisen. 1888 verlieh ihm die Universität in seiner Heimatstadt Königsberg für seine Leistung die Ehrendoktorwürde. Die Tätigkeit am Seminar für Orientalische Sprachen war die letzte Station auf Büttners Lebensweg. Am 14. Dezember 1893, noch keine 45 Jahre alt, starb er am Grippe-Virus Er wurde auf einem Friedhof in Berlin-Steglitz bestattet; sein Grab ist allerdings nicht mehr erhalten.

 

 

Fußnoten:

[33] Horst Gründer: Der „Wettlauf“ um Afrika und die Berliner Westafrika-Konferenz 1884/85. In: Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin 2002. S. 19-23.
[34] Gustav Menzel: Carl Gotthilf Büttner. Missionar, Sprachforscher und Politiker in der deutschen Kolonialbewegung. Wuppertal 1992. S. 33-34.
[35] Manfred O. Hinz / Helgard Patemann / Arnim Meier (Hrsg.): Weiß auf Schwarz. Kolonialismus, Apartheid und afrikanischer Widerstand. Berlin 1986. S. 49-53.
[36] Gustav Menzel: Carl Gotthilf Büttner. Missionar, Sprachforscher und Politiker in der deutschen Kolonialbewegung. Wuppertal 1992. S. 33-34. S. 127.
[37] Ebd. S. 124.
[38] Ebd. S. 162.
[39] Ebd. S. 180.
[40] Geschichte des erwähnten Knechtes des Propheten Gottes Amur bin Nasur ilOmeiri. Eigenhändig . In: Carl Gotthilf Büttner: Anthologie aus der Suaheli-Litteratur (Gedichte und Geschichten der Suaheli ) Berlin [1894] 1970.

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