Das Grundstück Wilhelmstraße 62 heute. Hier stand früher das Gebäude des Reichskolonialamtes.

 

Vom Reichskolonialamt in der Wilhelmstr. 62 ist heute nichts mehr zu sehen, an seiner Stelle steht ein modernes Bürogebäude. Während des deutschen Kaiserreichs war dort die oberste Zentralstelle für die Verwaltung der Kolonien untergebracht. Zunächst wurden koloniale Angelegenheiten durch eine Abteilung des Auswärtigen Amtes bearbeitet, am 17. Mai 1907 wurde durch Allerhöchsten Erlass betreffend die Errichtung des Reichs-Kolonialamts eine eigenständige Behörde dafür eingerichtet. Durch die langwierigen antikolonialen Kriege der Afrikaner in Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika sah sich die Reichsregierung veranlasst, den deutschen Kolonialzielen durch die Einrichtung eines eigenständigen Kolonialministeriums ein größeres politisches Gewicht zu verleihen. Das Reichskolonialamt gliederte sich in vier für sämtliche kolonialen Verwaltungsgeschäfte zuständige Abteilungen: die Abteilung für allgemeine sowie politische Rechts- und Verwaltungsangelegenheiten , die Abteilung für Bau- und Verkehrswesen sowie technische Angelegenheiten und Finanzen , die Personalabteilung und die Abteilung für koloniales Militärwesen . Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges verlor Deutschland seine Kolonien und folglich wurde am 20. Juni 1919 das Reichskolonialamt aufgelöst. Allerdings wurde anlässlich der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund 1925 im Auswärtigen Amt eine Politische Abteilung X eingerichtet, die sich - in der Hoffnung, Deutschland werde irgendwann seine Kolonien wieder zurückbekommen – erneut mit kolonialen Angelegenheiten befasste. [44] 1934 richtete die NSDAP das Kolonialpolitische Amt ein, dessen Hauptsitz in München war, und das in Berlin mehrere Büros hatte. Dieses Amt war personell außerordentlich gut ausgestattet: 36 Beamte im höheren Dienst, 44 Beamte im gehobenen und mittleren Dienst, 129 Arbeiter und Angestellte und 50 nebenamtlich Beschäftigte waren dort tätig. Für das Haushaltsjahr 1940 verfügte es über einen Etat von mehr als sechs Millionen Reichsmark. Das Kolonialpolitische Amt verfügte über kein eigenes Gebäude. In Berlin war es auf mehrere Orte verteilt: Es nutzte Räume im Auswärtigen Amt in der Charlottenstraße 71, in der Reichsstelle für Bodenforschung in der Invalidenstraße 44, im Reichsamt für Landesaufnahme in der Puttkammerstraße 19 und im Afrika-Haus Am Karlsbad 10.

 

   
 

Ziel der Arbeit war die Errichtung eines zusammenhängenden „Mittelafrikanischen Kolonialreiches“ von Ghana bis Namibia im Westen und vom Tschad bis Tansania im Osten. [45] Es wurden in Zusammenarbeit mit der SS-Reichsführung Einsatzstäbe zur Übernahme belgischer, britischer und französischer Kolonien gebildet, Entwürfe für eine koloniale Gesetzgebung ausgearbeitet und Sprach- und Schulungskurse für Polizisten und Wehrmachtsangehörige, für Fernmeldetechniker, Post- und Verwaltungsbeamte angeboten. Eines der detailliert erarbeiteten Gesetze war ein „Kolonialblutschutzgesetz“, das eine umfassende „Rassentrennung“ zwischen Schwarz und Weiß vorsah. Das geplante „mittelafrikanische Reich“ dürfte die best organisierte Administration gehabt haben, die je für ein nicht existierendes Kolonialimperium entwickelt worden ist! [46]

 

 

Stundenplan aus der NS-Zeit.

Bestand des DHM.

 

9.1. „Gut – wir wollen gehen!“ Kwassi Bruce, ein Deutsch-Afrikaner im nationalsozialistischen Deutschland

Im August 1934 erreichte ein zehnseitiges Beschwerdeschreiben das Kolonialpolitische Amt im Auswärtigen Amt . [47] Autor des Schreibens war der schwarze Pianist Kwassi Bruce, der sich in dem Schreiben wie folgt vorstellt: „Ich bin ein reinrassiger, in Togo geborener Afrikaner, und in meinem 3. Lebensjahr nach Deutschland kommend, von einem rein arischen kinderlosen Ehepaar als Pflegesohn angenommen worden.“ Es ist unwahrscheinlich, dass sich hier ein schwarzer Nationalsozialist äußert. Vielmehr versuchte Kwassi Bruce vermutlich, geschickt auf die Vorurteile und Zuschreibungen seiner Umwelt einzugehen.

 

 

Kwassi Bruce am Klavier im Deutschen Kolonialhaus.

Deutsche Kolonialzeitung 1902.

 

Kwassi Bruce wurde 1893 in Togo als Sohn des Chiefs J.C. Bruce geboren. Mit drei Jahren kam er, gemeinsam mit seinem Vater, nach Berlin. Er gehörte zur Truppe der afrikanischen Kontraktarbeiter, die bei der Ersten Deutschen Kolonialausstellung afrikanisches Alltagsleben simulieren sollten. Nach deren Ende nahm das kinderlose Ehepaar Antelmann den kleinen Kwassi in Pflege. Bruno Antelmann war Geschäftsmann, der sich auf den Import von „Kolonialwaren“ spezialisiert hatte. Seine Firma, das Deutsche Kolonialhaus an der Lützowstraße 89-90, vertrieb sämtliche Artikel der Kolonialwarenbranche vom „Usambarakaffee“ über „Herero-Schmuck“ bis hin zu „Hausgötzen aus Togo“. Außer Kwassi Bruce lebten bei den Antelmanns noch einige andere junge Afrikaner, auch sie „Söhne angesehener eingeborener Familien, die zumeist durch die Herren Gouverneure der einzelnen Schutzgebiete an den Chef des Deutschen Kolonialhauses , Herrn Bruno Antelmann, zur Erziehung und beruflichen Ausbildung empfohlen wurden.“ [48]

Die jungen Leute aus Afrika erregten bald Interesse bei Hofe und wurden zu einem Empfang im Berliner Schloss eingeladen. Als bei dieser Gelegenheit der Kaiser den kleinen Kwassi leutselig fragte, was er denn einmal werden wolle, erklärte der, nicht im mindesten eingeschüchtert, „vor dem Kaiserpaar und den Prinzen sehr offen seine Absicht, dass er nicht studieren, sondern an Stelle der Hohenzollern den Kaiserthron besteigen wolle.“ [49]

Zur Ausbildung im Deutschen Kolonialhaus gehörte, dass die jungen Afrikaner auch als Verkäufer mitarbeiteten, was sich als äußerst werbewirksam und umsatzsteigernd herausstellte. Auch die Aneignung deutscher Tugenden war Teil der Erziehung: „Sittliche Festigkeit und strenge Selbstzucht“ sollten die Kinder "sich eigen zu machen“, um „unsere afrikanischen Kolonien mehr und mehr deutscher Kultur zu erschließen.“ [50]

Es stellte sich bald heraus, dass einige der Antelmannschen Zöglinge außerordentlich musikalisch waren

„Sobald der mächtige Christbaum Ströme von Licht durch den weiten Saal sandte, hatte sich der jüngste von den kleinen Negern, der achtjährige Quassi, ans Klavier gesetzt, während der 14jährige Otto, der Sohn des bekannten Häuptlings Bell aus Kamerun, ihn auf der Violine begleitete. Und dann entquoll unter ihren Händen das weihevolle ‚Stille Nacht, heilige Nacht' in feierlichen Accorden den Instrumenten, in welche die frischen, klangvollen Stimmen der übrigen Neger bald einfielen,“ berichtet gerührt die Deutsche Kolonialzeitung und sie vermutet: „Wenn sie dereinst in ihre tropische Heimat zurückkehren, wird ihnen das Bild des deutschen Lichterbaums, das ihre Kinderherzen mit solchem Jubel erfüllte, als eine liebe Erinnerung folgen und als ein Zeichen dessen, was deutsche Gemütstiefe und Innigkeit im Verein mit traulichem Familienleben sittlich Erhebendes zu schaffen verögen.“ [52]

Mit zehn Jahren kam Kwassi Bruce aufs Gymnasium, das er mit dem „Einjährigen“ beendete. Danach besuchte er ein privates Konservatorium und wurde Pianist. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Togo kehrte er wieder nach Deutschland zurück, gründete eine eigene Musikkapelle und unternahm ausgedehnte Tourneen ins Ausland. Er erhielt sogar, wie er schreibt, in einem „vorher beantragten und ordnungsgemäß durchgeführten Einbürgerungsverfahren die deutsche Staatsangehörigkeit“. [52]

Wenn dies tatsächlich der Fall war, bildete Kwassi Bruce eine große Ausnahme unter den in Deutschland lebenden Afrikanern. Auf die Verleihung der „Reichsangehörigkeit“ hatte man kein Anrecht, auch wenn man jahrzehntelang in Deutschland gelebt hatte und bereits in einem deutschen „Schutzgebiet“ geboren worden war. In den Pässen der meisten schwarzen Deutschen stand „Unmittelbarer Reichangehöriger“ oder „Deutscher Schutzbefohlener“. Dass sie auf diese Weise nicht die volle „Reichsangehörigkeit“ besaßen, war den meisten nicht bewusst. Als dann die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, veranlassten sie bereits 1933, dass die Ausweise der schwarzen Deutschen durch „Fremdenpässe“ ersetzt wurden.

Auch Kwassi Bruce verlor seine Arbeit als Leiter seiner Musikkapelle. Der Besitzer des Restaurants, in dem er regelmäßig auftrat, teilte ihm mit: „Das Publikum will keine Neger mehr sehen, wir müssen dem Wunsche der Gäste Rechnung tragen.“ [53] In dieser Situation schrieb Bruce seine Eingabe an die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt. Zornig fasste er die Situation der „Nichtarier“ in Deutschland zusammen: „Die Juden sollen heraus, und die Neger sollen nach ihrem Heimatkontinent zurück. Gut – wir wollen gehen!“ [54] Er schlug der deutschen Regierung vor, den in Deutschland lebenden Schwarzen die Reise nach Afrika und das Startkapital für den Aufbau einer neuen Existenz zu finanzieren.

Diese Eingabe erregte beträchtliches Aufsehen in den kolonialen Kreisen des NS-Staates. Angesichts der Träume, die ehemaligen deutschen Kolonien wieder zur erobern, kam die Unzufriedenheit der in Deutschland lebenden Afrikaner äußerst ungelegen. In einem Rundbrief des Kolonialpolitischen Amtes , der gemeinsam mit der Eingabe von Kwassi Bruce an verschiedene Stellen versandt wurde, hieß es:

„Diese Missstimmung ist deswegen für uns besonders unangenehm, weil sie nicht auf die hier lebenden Neger beschränkt bleibt, sondern sich durch die Beziehungen, die sie selbstverständlicherweise nach Afrika haben, auch in Afrika auswirkt [...] Sollte die Frage einer Mandatserteilung an Deutschland in Afrika einmal akut werden, kann dieser Umstand für Deutschland höchst unangenehme Rückwirkungen haben. Die einer deutschen kolonialen Betätigung feindlich gegenüberstehenden Auslandskreise würden sicherlich versuchen, daraus Kapital zu schlagen, teils durch Aufstachelung der Negerbevölkerung des betreffenden Gebiets, teils durch Presse und andere Propaganda in den europäischen Ländern. Es sollte daher versucht werden, die Gründe für die Missstimmung der hier lebenden Neger nach Möglichkeit zu beseitigen“ [49]

 

 

Das 1903 errichtete Deutsche Kolonialhaus in der Lützowstraße.

Deutsche Kolonialzeitung 1903.

 

9.2. Kwassi Bruce in der "Deutschen Afrikaschau"

Kwassi Bruce erhielt schließlich wirklich eine neue Beschäftigung – freilich nicht mehr als Pianist oder als Leiter einer Musikkapelle, sondern in der Deutschen Afrikaschau einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für die arbeitslos gewordenen Schwarzen in Deutschland. Inhaltlich war die Afrikaschau eine Art Wanderzirkus mit „afrikanischem“ Gesang und Tanz, eine Ausstellung, in der afrikanische Tiere und Inszenierungen aus dem „afrikanischen Dorfleben“ gezeigt wurden und die Möglichkeit bestand, exotische Gegenstände wie Kaffee oder Kaurimuscheln zu kaufen. Subventioniert wurde das Unternehmen vom Auswärtigen Amt , der Deutschen Arbeitsfront und der Gesellschaft für Eingeborenenkunde . Für diese Kreise erfüllte die Deutsche Afrikaschau einen doppelten Zweck: Einerseits verschaffte sie den erwerbslos gewordenen Schwarzen eine Verdienstmöglichkeit, andererseits sollte sie bei den „arischen“ Zuschauern Interesse an der kolonialen Idee wecken. Begeistert schrieb z.B. eine Bremer Zeitung über eine Aufführung der Afrikaschau:

„Ein schwarzer Krieger rührt die dumpfe Trommel, er zieht Sie hinein in dieses Dorf, das eine herrliche Sammlung vieler Gebrauchsgegenstände der Eingeborenen Afrikas [...], sowie auch ausgestopfte Tiere aufweist [...] Schwarze, die damals [...] für Deutschland in den Kampf zogen und die auch zahlreiche Auszeichnungen aufweisen können, bringen uns die Erinnerung an jene Zeit nahe, in der die Neger mit seltenem Fanatismus für ihre deutschen Herren eintraten und der Lüge jener Hetzpropaganda mit Erfolg entgegentreten konnten, dass Deutschland keine Befähigung habe, ein Kolonialvolk zu sein.“ [50]

Kwassi Bruce war von 1935 bis 1939 einer der leitenden Direktoren der Deutschen Afrikaschau . Nicht immer fügten sich die Mitglieder der Truppe der Aufforderung, „Wilde“ zu mimen. Einige der auftretenden Schwarzen redeten die Zuschauer mit „Landsleute, deutsche Volksgenossen“ an und verglichen ihre „Tänze mit dem bayrischen Schuhplatteln“. Auf diese Weise stellten sie sich auf eine Stufe mit ihren „arischen“ Zuschauern. Darüber hinaus erklärten die Akteure der Afrikaschau öffentlich, dass die meisten von ihnen „teils nie in den Kolonien gewesen seien, einer sei amerikanischer Neger, verschiedene seien seit ihrer Kindheit in Deutschland.“ [51] Damit war der Mythos vom authentischen afrikanischen Wilden, der seine deutschen Kolonialherren zurückhaben möchte, endgültig zerstört. Trotz des Einspruches aus der Gesellschaft für Eingeborenenkunde wurde die Deutsche Afrikaschau 1940 verboten.

Kwassi Bruce war bereits 1939 nach Togo zurückgekehrt. Erst 1947 kam er wieder nach Europa, wo er in zweiter Ehe seine frühere deutsche Lebensgefährtin heiratete. Zusammen mit ihrer Tochter zog das Ehepaar nach Berlin, wo sie jedoch nicht mehr heimisch wurden. Bruce nahm seine Arbeit als Musiker wieder auf und reiste viel. 1950 emigrierte er mit seiner Familie nach Paris, wo er 1964 starb.

 

 

Fußnoten:

[44] Harald Sippel: Die Kolonialabteilung des Auswärtigen Amtes und das Reichskolonialamt. In: Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin 2002. S. 29-32.
[45] Kum'a Ndumbe III: Was wollte Hitler in Afrika? NS-Planungen für eine faschistische Neugestaltung Afrikas. Frankfurt a.M. 1993.
[46] Harald Sippel: Kolonialverwaltung ohne Kolonien –Das Kolonialpolische Amt der NSDAP und das geplante Reichskolonialministerium. In: Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin 2002. S. 256-261.
[47] Dieses Dokument ist abgedruckt in: Peter Martin/ Christine Alonzo (Hg.): Zwischen Charleston und Stechschritt. Schwarze im Nationalsozialismus. München-Hamburg 2004. S. 411-416.
[48] Zit. nach: Joachim Zeller: „Das Deutsche Kolonialhaus in der Lützowstraße“. In: Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin 2002. S. 89.
[49] Deutsche Kolonialzeitung (1901). S. 114-115.
[50] Zit. nach: Joachim Zeller: „Das Deutsche Kolonialhaus in der Lützowstraße“. In: Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin 2002. S. 89.
[51] Ebd. S. 92.
[52] Harald Sippel: Kolonialverwaltung ohne Kolonien –Das Kolonialpolische Amt der NSDAP und das geplante Reichskolonialministerium. In: Ulrich van der Heyden / Joachim Zeller (Hg.): Kolonialmetropole Berlin. Eine Spurensuche. Berlin 2002. S. 412.
[53] Ebd. S. 413.
[54] Ebd. S. 415.
[55] Zit. nach: Katharina Oguntoye: Eine afro-deutsche Geschichte. Zur Lebenssituation von Afrikanern und Afro-Deutschen in Deutschland von 1884 bis 1950. Berlin 1997. S. 133.
[56] Zit. nach: Elisa Forgey: „Die große Negertrommel der kolonialen Werbung“. Die deutsche Afrika-Schau 1935-1943. In: Werkstatt Geschichte 9, 3. Jg. Hamburg 1994. S. 23-33.
[57] Elisa Forgey: „Die große Negertrommel der kolonialen Werbung“. Die deutsche Afrika-Schau 1935-1943. In: Werkstatt Geschichte 9, 3. Jg. Hamburg 1994. S. 31.

PDF-Download:

 

Die Artisten der Deutschen Afrikaschau, um 1938. Bei dem zweiten von links könnte es sich um Kwassi Bruce handeln.

Paulette Reed-Anderson