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Die 100 gezeigten Arbeiten stammen von jüdischen Häftlingen aus verschiedenen Konzentrationslagern, Arbeitslagern und Ghettos und sind im Geheimen entstanden. Sie zeugen von der Kraft des Geistes im Angesicht von Elend und Tod und dem Widerstreit zwischen der Wirklichkeit des Holocaust und einer imaginativen Gegenwelt.

Von den 50 präsentierten Künstlerinnen und Künstlern wurden 24 von den Nationalsozialisten ermordet. Neben großenteils unbekannten Namen sind auch bekannte Künstler wie Felix Nussbaum oder Ludwig Meidner vertreten.

Karl Bodek und Kurt Löw, Ein Frühling, 1941

Im häufig verwendeten Motiv von Zaun und Stacheldraht werden Einsamkeit und Gefangenschaft anschaulich, aber auch der Blick über die brutale Wirklichkeit hinaus. Die Kraft zur Selbstbehauptung als Mensch und Künstler, der Wille zu überleben und die Hoffnung auf Zukunft ließen sich nicht unterdrücken. Die beiden Häftlinge Karl Bodek und Kurt Löw gestalteten im südfranzösischen Lager Gurs Postkarten, die sie aus dem Lager in die Welt außerhalb versandten – Postkarten mit Bildern voller vielsagender Botschaften.

Hier sitzt ein gelber Schmetterling hoch über der dunklen Wirklichkeit und verkörpert die Hoffnung auf einen kommenden Frühling. Der Stacheldraht überwölbt den Blick auf die Berge an der spanischen Grenze im Hintergrund. Die gewählte Perspektive macht deutlich, dass Kunst im Lager auch hergestellt wurde, um Mut und Zuversicht zu vermitteln.

Kurt Löw war Textildesigner aus Wien, Karl Bodek Fotograf und technischer Zeichner aus Czernowitz. Beide arbeiteten in Gurs häufig zusammen und gestalteten auch Bühnenbilder für das Lagerkabarett. Während Kurt Löw mit achtundzwanzig Jahren entlassen wurde und in die Schweiz fliehen konnte, wurde Karl Bodek über das Lager Drancy im Alter von siebenunddreißig Jahren nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.

Leo Haas, Ankunft eines Transporters in Theresienstadt, 1942

"In Theresienstadt im Ghetto hat mich der Judenrat, um mich mit meinen Freunden zu schützen vor dem Transport ins Gas nach Auschwitz, eingestellt in der Bauleitung und wir haben zum Teil wirklich, aber zum anderen Teil hauptsächlich als  Tarnung Bauzeichnungen gemacht. Selbstverständlich, dass wir das Material, das uns dadurch reichlich zur Verfügung stand, nicht nur zu dem Zweck benutzen sollten, tatsächlich herum marschierten, herumgingen und was uns bemerkenswert schien, aufzeichneten. […] Das habe ich deswegen getan, weil es eigentlich mein ganzer Sinn war,… in allen Lagern… Zeugenschaft abzulegen… und gewissermaßen Beweisstücke zu schaffen. Ich habe auch… fast nie das Bewusstsein gehabt, ich mache Kunst, ich wollte nur Anklagestücke schaffen."

Das erzählte Leo Haas über seine Lagerhaft in einem Interview in Ost-Berlin 1981. Er war der einzige aus der Künstlergruppe des Ghettos, der den Krieg überlebte. Zum Zeitpunkt seiner Befreiung war er 44 Jahre alt. Einige seiner rund 500 Zeichnungen wurden als anschauliche Beweise vor Gericht benutzt. Trotz seiner dokumentarischen Absicht  ist die lavierte Tuschezeichnung über die Ankunft eines Transports ein durchkomponiertes Kunstwerk. Kahle schwarze Bäume bilden ein unheilvolles Spalier am Wegesrand. Wie Todesboten kreisen Raubvögel über dem langen, einsamen Zug von Menschen durch eine kalte, trostlose Landschaft. Neben das Tor des Ghettos aber, in die linke, untere Ecke des Bildes, zeichnete Haas den Buchstaben V – als Sinnbild für den Widerstandskampf der Künstler.

Nelly Toll, Mädchen im Feld, 1943

Dieses Gemälde stammt von einem achtjährigen Mädchen. Es zeigt zwei Mädchen, vielleicht auch Mutter und Tochter, die vor einem dichten Wald über eine sonnige Wiese schlendern. Beide sind fröhlich und hübsch gekleidet. Liebevoll hat die junge Künstlerin ihre beiden Figuren mit kleinen Details geschmückt.

Nelly Toll lebte in Lemberg, das nach dem deutschen Überfall auf Polen durch den Hitler-Stalin-Pakt von der russischen Armee besetzt wurde. Ihr Vater versteckte sich, um der Deportation nach Sibirien zu entgehen. Als Lemberg 1941 von deutschen Truppen besetzt wurde, musste Nelly mit ihrer Mutter und ihrem Bruder ins Ghetto ziehen. Während der Bruder bei einer der sogenannten Kinderaktionen verschleppt und ermordet wurde, gelang es dem Vater, für die beiden Frauen ein Versteck zu organisieren. Nelly lebte mit ihrer Mutter mehr als ein Jahr in einem kleinen Verschlag bei einer befreundeten christlichen Familie. Ihre Mutter ermutigte sie, in den vielen langen Stunden zu zeichnen, Geschichten zu schreiben und Tagebuch zu führen.

Nach dem Krieg studierte Nelly Toll Kunst und emigrierte nach Amerika, wo sie als Autorin und Dozentin für Kunst und Literatur bis heute arbeitet. Nelly Toll ist die einzige noch lebende Künstlerin dieser Ausstellung.

Bedřich Fritta, Hintereingang, 1941-44

Zwischen der Errichtung des Ghettos Theresienstadt im November 1941 und den letzten Kriegstagen wurden etwa 144.000 Menschen dorthin deportiert. Davon kamen etwa 120.000 Menschen um – mehr als dreißigtausend durch die elenden Bedingungen im Ghetto selbst, die anderen nach Transporten in die Vernichtungslager.

Auf der menschenleeren Tuschezeichnung Bedřich Frittas bilden Natur und Architektur die unheilvolle Kulisse zu einem Geschehen, das hier unsichtbar bleibt. Er zeigt bedrohlich aufragende Mauern und ein halboffenes Tor als Metaphern des Todes. Ohne sichtbare Alternative führt der einzige Weg in die Dunkelheit.

Fritta vergrub seine Werke im Hof. Andere Mitglieder der von ihm organisierten Künstlergruppe im Ghetto mauerten ihre Zeichnungen vor der Verhaftung der Künstler im Juli 1944 ein. Dank ihrer Tätigkeit im Untergrund gibt es viele bildhafte Zeugnisse von der Wirklichkeit im Lager. Wie die meisten seiner Kollegen wurde auch Bedřich Fritta vor Kriegsende ermordet.
Die Nationalsozialisten inszenierten Theresienstadt als sogenanntes Vorzeigeghetto, das der Weltöffentlichkeit ein normales Leben im sogenannten „jüdischen Siedlungsgebiet“ vortäuschen sollte. Mehrfach besuchte das Internationale Rote Kreuz Theresienstadt und verfasste noch im April 1945 lobende Berichte über die Lebensumstände. So offenbaren Frittas düster expressive Bilder nicht nur die Wirklichkeit des Lagers, sondern auch die Blindheit der Welt.

Pavel Fantl, Das Lied ist aus, 1941–44

Es gibt nur wenige Kunstwerke in dieser Ausstellung, die jene zeigen, die für die Qualen der Verfolgten verantwortlich waren. Kunstwerke, die im Angesicht einer unbeschreiblichen Willkür entstanden, waren vor allem ein Mittel der Selbstvergewisserung als Mensch. Sie dokumentieren den Widerstand gegen die von den Nazis betriebene Entmenschlichung ihrer Opfer.

Umso erstaunlicher ist diese kolorierte Zeichnung des Prager Arztes Pavel Fantl. Sie zeigt Adolf Hitler als einen erbärmlichen Clown. Blut tropft von seinen Händen. Das Instrument, auf dem er seine gewalttätigen Melodien spielte, liegt mit zerrissenen Saiten auf dem Boden. Die heimlich entstandene Zeichnung drückt eine tiefe Sehnsucht aus und ist zugleich eine Vorhersage: „Das Lied ist aus“, schrieb Fantl auf Tschechisch unter sein Werk. Dies bezeugt die Furchtlosigkeit und den widerständigen Humor des Malers.

Pavel Fantl, der später wie sein Sohn Tomas und seine Frau Marie ermordet wurde, hatte in Theresienstadt Kontakt zu den tschechischen Polizisten, die das Lager bewachten. Über sie erhielt er Malutensilien und erfuhr, was sich in der Welt außerhalb ereignete. Als Pavel Fantl nach Auschwitz deportiert wurde, schmuggelte ein tschechischer Bahnarbeiter etwa 80 Werke des Malers aus ihrem Versteck im Ghetto und verbarg sie bis Kriegsschluss in den Wänden seiner Wohnung.

Auszüge aus dem Audioguide von tonwelt, Berlin
Text: Marc Wrasse / Redaktion: Stephanie Kissel