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„Mir war es wichtig, die beiden Ausstellungen so zu konzipieren, dass wir aus der Gegenwart, aus dem 21. Jahundert, aus dem 20. Jahrhundert uns zurück in ihre Zeit, ins 19. Jahrhundert bewegen.“

Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums

In ganz unterschiedlichen Rollen erlebte und prägte Richard Wagner das 19. Jahrhundert – nicht nur als Komponist, sondern auch als Theaterreformer und Festspielgründer, Hofmusiker und Exilant, Antisemit und Schuldner, Revolutionär und Autor, Unternehmer und Kapitalismuskritiker. Er erwies sich dabei, wie die Ausstellung zeigt, als außergewöhnlich erfolgreicher Gefühlstechniker – in der Lage, die gesellschaftlichen und emotionalen Zustände sehr genau zu registrieren und auf diese reagieren zu können.

„Richard Wagner ist ohne Zweifel eine große Figur der Moderne, eine große Figur des 19. Jahrhunderts. Was wir zeigen wollen, ist Wagner als Erfinder der Moderne, Wagner hauptsächlich als Erfinder des sogenannten Mythos der Moderne.“

Michael P. Steinberg, Kurator

Mit vier Gefühlen, die als treibende Kräfte sowohl Wagners Vorstellungen als auch die politischen und sozialen Bedingungen der Zeit prägten, setzt sich die Ausstellung auseinander: Entfremdung und Zugehörigkeit, Eros und Ekel. In vier Kapiteln wird der Frage nachgegangen, wie Wagner diese gesellschaftlichen Gefühlszustände wahrnahm und künstlerisch auf sie reagierte.

„Mich hat bei der Erarbeitung besonders erstaunt und fasziniert, wie man Wagners Geschichte auch als eine Gründerzeit-Geschichte erzählen kann. Wagner kann man eigentlich auch als einen Unternehmer des 19. Jahrhunderts bezeichnen, der sich selber und sein Werk als Produkte auf einem Markt platziert.“

Katharina J. Schneider, Co-Kuratorin

Entfremdung

Wagner interessierte sich für das entfremdete Individuum – und hier vor allem für die Figur des Künstlers, der aus der Erfahrung der Entfremdung den Willen zur Aktion ableitet. In seiner Schrift „Die Kunst und die Revolution“ – in der Ausstellung im Original zu sehen – formuliert Wagner seinen Wunsch nach sowohl ästhetischer als auch politischer Erneuerung. Dabei flossen auch seine revolutionären Erfahrungen beim Dresdner Maiaufstand 1849 ein: Als Beteiligter an den Unruhen wurde er steckbrieflich gesucht – die sächsische Polizei zählte ihn zu den „politisch gefährlichen Individuen“. Wagner konnte in die Schweiz fliehen und wurde erst rund 13 Jahre nach den Ereignissen vollständig amnestiert.

Doch Wagner wollte nicht nur eine politische Revolution – weit mehr noch lag ihm die vollständige Umformung des Theaters am Herzen. Im 19. Jahrhundert war es in seinen unterschiedlichen Ausprägungen – vom höfischen Theater bis zu volkstümlichen Formen wie Bauerntheater, Wander- und Marktbühnen – an vielen Orten des öffentlichen Lebens präsent, ganz so, wie es der Genremaler Victor Zeppenfeld 1866 ins Bild setzte. Insbesondere angesichts der prekären wirtschaftlichen Lage der Schauspielerinnen und Schauspieler schwebte Wagner eine basisdemokratische Neuorganisation vor, die die Berufsbedingungen für die unterschiedlichen Theaterberufe verbessern sollte.

Sängerin Waltraud Meier und Regisseur Stefan Herheim über „Entfremdung” bei Richard Wagner

Eros

Begehren und Besitzen sind zentrale Begriffe für Wagner und werden in der Ausstellung unter dem Gefühl „Eros“ präsentiert. Berühmt und berüchtigt war der Komponist schon zu seinen Lebzeiten für die vielfältigen Liebesbeziehungen, deren Verwicklungen und Verletzungen sich nicht zuletzt in den Briefwechseln mit seinen Ehefrauen und Geliebten nachlesen lassen. Doch auch in seinem Werk spielt „Eros“ eine zentrale Rolle.

„Klingsor’s Zaubergarten ist gefunden!“, schreibt Richard Wagner am 26. Mai 1880 ins Gästebuch der Villa Rufolo. Das Haus in Ravello an der Amalfiküste besichtigte er während eines Italienaufenthalts. Er war gezielt auf der Suche nach einem Vorbild für den Garten in seinem Bühnenweihfestspiel „Parsifal“, der bisher nur in seiner Vorstellung existierte – der Ort, an dem die Blumenmädchen auftreten, die Parsifal umwerben – und in dem Kundry Parsifal verführen und vom rechten Weg abbringen will. Die überreiche Blumenpracht des Gartens kommt auch in dem Bühnenbildmodell zum Ausdruck, das den Entwurf von Paul von Joukowsky für die Bayreuther Uraufführung 1882 dokumentiert.

Sängerin Waltraud Meier und Regisseur Stefan Herheim über „Eros” bei Richard Wagner

Zugehörigkeit

Gemeinschaftlich erlebte Gefühlsinszenierungen sind für Wagner insbesondere bei seiner Gründung der Bayreuther Festspiele zentral. Wie eine „Gemeinde“ versammelt er sein Publikum um sich, setzt das Gefühl „Zugehörigkeit“ in Szene – und befördert dabei zugleich die „Marke Wagner“. „Den Deutschen ein ihnen eigenes Theater zu gründen“, lautet das Ziel, das Wagner in seiner Ansprache zur Grundsteinlegung des Festspielhauses am 22. Mai 1872 verkündet.

Nicht nur seine Bayreuther „Gemeinde“ hat er demnach im Blick – Zugehörigkeit spielte auch in Bezug auf „Volk“ und „Nation“ eine Rolle. „Zum ersten Male sah ich den Rhein, – mit hellen Tränen im Auge schwur ich armer Künstler meinem deutschen Vaterlande ewige Treue“, schrieb Wagner in seiner Autobiographischen Skizze von 1842 und meinte damit vor allem seine Verachtung gegenüber Frankreich. Den Nationalismus seiner Zeit, insbesondere nach der Reichsgründung 1871, symbolisierte in besonderer Weise die Figur der „Germania“, die in Bildender Kunst, aber auch in Gegenständen wie einer Pfeife präsent war: Einer Wagnerschen Walküre gleich thront auf dem aufwändig beschnitzten Meerschaumrohr die mit Schwert und Schild bewehrte und mit Eichenlaub bekrönte Germania.

Sängerin Waltraud Meier und Regisseur Stefan Herheim über „Zugehörigkeit” bei Richard Wagner

Ekel

Die Frage nach Zugehörigkeit führt zur Frage, wen man aus der Gemeinschaft ausschließen will – ein Thema, das im Blick auf Wagner von zentraler Bedeutung ist und das in Bezug auf das Gefühl „Ekel“ in der Ausstellung präsentiert wird. Bei Wagner und vielen seiner Zeitgenossen spielen dabei antisemitische Ressentiments eine im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer größer werdende Rolle. Nicht zuletzt mit seiner dreimaligen Veröffentlichung der Schrift „Das Judenthum in der Musik“, die in der Ausstellung im handschriftlichen Original, in der 1850 unter Pseudonym veröffentlichten Fassung, als Schrift von 1869 und in einer Medienstation zu sehen ist, ist Wagner eine einflussreiche Stimme antisemitischer Diskriminierung.

Zu Wagners Antisemitismus gehört aber auch, dass er durchaus Kontakte zu jüdischen Künstlern pflegte, nicht zuletzt zu dem Dirigenten Hermann Levi, der am 26. Juli 1882 die Uraufführung des Parsifal dirigierte – und den Franz von Lenbach in der Manier mittelalterlicher Ikonen malte.

Dem Thema Antisemitismus widmet sich in der Ausstellung auch die eigens vom Chefregisseur und Intendanten der Komischen Oper Berlin Barrie Kosky geschaffene Installation „Schwarzalbenreich“: In der Dunkelheit eines Raums im Raum vermischt eine Klangcollage ins Jiddische übertragene, antisemitische Wagner-Zitate mit Passagen der antisemitisch überzeichneten Figuren Alberich und Mime aus „Der Ring des Nibelungen” und Sixtus Beckmesser aus „Die Meistersinger von Nürnberg“ sowie mit synagogalem Gesang.