II. Rückschau auf den Ursprung und die
Entwicklungstendenzen des deutschen Medaillenschaffens
von der Renaissance bis zur Gegenwart

6. Das 20. Jahrhundert

"L'Art Nouveau"     Der 1. Weltkrieg     Kunstdiktat  DDR   BRD


 

"L'Art Nouveau"

An der Wende zum 20. Jahrhundert lösten Tendenzen zum "Art nouveau", aus Frankreich kommend, im künstlerischen Medaillenschaffen einen Innovationsschub aus. Da deutsche Medailleure jedoch mehrheitlich stilistische Neuerungen ablehnten, bedurfte es erst einmal intensiver Überzeugungsarbeit, ehe sich ein Wandel abzeichnete. Zu den wichtigsten Anregern und Förderern der Jugendstilmedaille in Deutschland zählte Alfred Lichtwark (1852-1914), langjähriger Direktor der Hamburger Kunsthalle. Bereits 1891 veranstaltete er in Hamburg eine Ausstellung neuer französischer Medaillen und Plaketten. Als Lichtwark dann 1897 mit seiner Programmschrift "Die Wiedererweckung der Medaille" an die Öffentlichkeit trat, hatten sich in München, Berlin und Darmstadt bereits Zentren des Jugendstils gebildet. Zwar gingen Deutschlands Medailleure nicht gerade scharenweise in das neue Lager über, doch kamen Gußmedaille und nebenher der Renaissancestil erneut zu Ehren. Natürlich stellten sich die großen Prägefirmen sogleich auf die Gegebenheiten ein und boten mit ihrem Maschinenpark die Chance zur Reform der Prägemedaille. Ausgefeilte Patinierungstechniken verfremdeten die Oberfläche der Prägemedaille derart, daß sie kaum mehr von einer Gußmedaille zu unterscheiden war.11 (Katalog-Nr. 36)

Katalog-Nr. 36

Katalog-Nr. 37

Katalog-Nr. 38

Der 1. Weltkrieg und die Medaillenkunst

In den Jahren des Weltkriegs von 1914 bis 1918 wandelte sich der Jugendstil in der Medaillenkunst weitgehend zum solennen Pathos, das vielfach expressionistische Züge trägt. Patriotische Gesinnung, auch der Medailleure, war gefragt. So gelang es im Dezember 1915 Julius Menadier, dem Direktor des Berliner Münzkabinetts, mit den "Freunden der deutschen Schaumünze" eine erste deutsche Medaillengesellschaft in der Absicht zu gründen, die Gußmedaille im Renaissancestil zu beleben. Heroischer Enthusiasmus war gefragt, und es beteiligten sich zahlreiche Künstler am Editionsprogramm zum Thema "Weltkrieg", dessen gewollter Nebeneffekt in der Verwendung von Gewinnanteilen für das Wohl der Kriegsbeschädigten bestand. (Katalog-Nr. 37)
Hugo Grünthal, Inhaber der Münzenhandlung Robert Ball Nachfolger, initiierte in Berlin gleichfalls ein Editionsprogramm von Weltkriegsmedaillen, an dem auch der Medailleur und Bildhauer Artur Imanuel Loewental (1879-?) mit großer Begeisterung beteiligt war. Darüber hinaus gab es zahlreiche Alleingänge verschiedener Medailleure. Neben dem bemerkenswerten Œuvre des Ludwig Gies führte der Münchener Medailleur Karl Goetz ein drastisch-satirisches Programm aus, das an Schärfe den französischen und englischen Kriegskarikaturen nicht nachsteht. (Katalog-Nr. 38, 39)
Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sah sich in der von Erschöpfung gezeichneten Medaillenproduktion erneut einem Stilpluralismus gegenüber, der sich mit seinen teilweise expressionistischen Zügen auf unterschiedlichsten Pfaden dem "Art déco" näherte. Medailleure wie Goetz blieben bei ihren Leisten und spotteten munter weiter. Daneben gab es wie eh und je zu vielfältigen Anlässen die Industrieware. Hinzu trat die Meißener Porzellanmanufaktur, einem aus dem Notgeldsammeln der Kriegs- und Inflationszeit herübergewachsenen Publikum massenhaft Porzellanmedaillen in zahlreichen Dekorvarianten anbietend. Aber auch der Eisenkunstguß wurde in Deutschland noch gepflegt. Vor allem bediente die Kunstgießerei des Eisenhüttenwerkes Lauchhammer den Markt mit überwiegend qualitätvollen Plaketten. (Katalog-Nr. 40, 41, 43-48)

Katalog-Nr. 38

Katalog-Nr. 39

Katalog-Nr. 40

Kunstdiktat

Durch das von der Reichsführung anvisierte und ausgeübte Kunstdiktat erfolgte in der Zeit des Nationalsozialismus eine allmähliche Abkehr von expressionistischen Kunsttendenzen zugunsten eines propagandistisch geprägten Neuklassizismus, dessen bevorzugter Hauptvertreter im Fach Plastik der Bildhauer Arno Breker (1900-1991) war. Medailleure wie Oskar Glöckler (gest. 1938), Karl Goetz (1875-1950), Richard Klein (1890-1967) oder sogar Otto Placzek (1884-1968), der von 1933 bis 1935 mit Arbeits- und Ausstellungsverbot belegt war, näherten sich im Medaillenstil dem "offiziellen" Kunstgeschmack, andere vermieden das tunlichst. Wiederum wurde die Gußmedaille zugunsten der technisch perfekten Prägemedaille zurückgedrängt. Hohe Auflagenzahlen waren gefragt. In ausgemachter Gleichförmigkeit produzierte die Porzellanmanufaktur Meißen Schaustücke auf Tagesereignisse. (Katalog-Nr. 49, 50, 51)

Katalog-Nr. 41

Katalog-Nr. 48

Katalog-Nr. 43

Medaillenkunst in der DDR

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es für Medailleure erst allmählich wieder Arbeit. In der DDR bestimmten lange Zeit altgediente und neue Meister den politisch fixierten Medaillen- und Plakettenstil, unter ihnen vor allem Bruno Eyermann (1888-1961), Fritz Schulz (1909-1994) und Ernst Weiss (1898-1974). Bisweilen entstanden Auftragswerke fragwürdig-ideologischen Inhalts, teilweise in Anbetracht der eigenen Biographie und vornehmlich während der Zeit des Kalten Krieges. So mancher Medailleur schuf einerseits die Polit-Ikonen, lavierte sich andererseits aber auch am "Bitterfelder Weg" (seit 1959 propagiert) und am "sozialistischen Realismus" (einer mehr oder weniger modifizierten Übernahme der seit 1934 in der Sowjetunion dogmatisch angewandten Kunstmethode), den allgemeingültigen und offiziell geförderten Kunstrichtungen, vorbei. (Katalog-Nr. 52, 53, 54, 55, 56)
Mit der Institutionalisierung eines allumfassenden Volkskunstschaffens bemächtigten sich in der 1960er Jahren zahlreiche Amateure auch des Mediums Medaille, wirkten und werkelten in Betrieben und Kunstzirkeln mit allen nur denkbaren Materialien. Den immer größer werdenden Bedarf an Gedenk- und Erinnerungsstücken zu jeder Gelegenheit für Partei, Regierung, Massenorganisationen, Militär und Paramilitär befriedigten neben der Staatsmünze in Berlin, die die technisch ausgereiftesten Erzeugnisse herstellte, Stanzwerkstätten im VEB Präwema Markneukirchen und im VEB Walzwerk Hettstedt. (Katalog-Nr. 57)
Was an Medaillen und Plaketten noch fehlte, füllte Meißens Porzellanmanufaktur auf. Sie setzte, im Vertrauen auf den guten Ruf ihrer Produkte, im wahrsten Sinne des Wortes auf die Porzellanmasse. (Katalog-Nr. 58)
Daneben entfaltete sich um Gustav Weidanz (1889-1970) in der Bildhauerklasse auf der Burg Giebichenstein in Halle/Saale eine richtungweisende Schule zeitgemäßer Medaillenkunst. Bekannte Repräsentanten und Verfechter der Gußmedaille waren (sind) Gerhard Lichtenfeld (1921-1978), Bernd Göbel (geb. 1942), Wilfried Fitzenreiter (geb. 1932) und Gerhard Rommel (geb. 1934). Gemessen am breiten und innovativen Medaillenschaffen in Polen, Ungarn oder Finnland, und infolge der Bedarfsdeckung durch die anspruchsloseren Massenproduktionen von DDR-Medaillen, blieben alle Bemühungen um die Belebung der Kunstmedaille in der DDR bis in die 1980er Jahre relativ wirkungslos und auf einen kleinen Liebhaberkreis beschränkt, der es aber immerhin ermöglichte, das Fach zu erhalten. (Katalog-Nr. 59, 60, 61)

Katalog-Nr. 55

Katalog-Nr. 57

Katalog-Nr. 58

Medaillenkunst in der BRD

In der Bundesrepublik gab es ebenfalls Grund zur Klage. Die Kunstmedaille litt erheblich unter dem Ausarten der Prägemedaille, die zwar äußerlich vollendet hergestellt war, aber vornehmlich dem Zweck zu dienen hatte, mittels Metallwert ein finanzielles Spekulationsobjekt zu sein. Künstlerischer Tiefgang kam hierbei nur selten zur Geltung. Den Klagen folgten die Bemühungen um Akzeptanz der Medaillenkunst, und das schon seit den 1950er Jahren. Obwohl sich bundesdeutsche Künstler zahlreich und erfolgreich an internationalen Ausstellungen beteiligten, gelang ein einheimischer dauerhafter Durchbruch nicht. Daran änderten auch gelegentliche Ausstellungen zeitgenössischer Medaillen und Plaketten so bekannter Künstler wie Ludwig Gies (1887-1966), Anita Blum-Paulmichl (1911-1981), Fritz Nuß (geb. 1907) oder gar Richard Scheibe (1879-1964) wenig. Im Dezember 1967 gründete sich eine "Gesellschaft der Deutschen Medaillenfreunde", später umbenannt in "Deutsche Medaillengesellschaft", die das zeitgenössische künstlerische Medaillenschaffen propagierte und förderte. Nur eben das politisch-historische Ereignis blieb in der bundesdeutschen Medaillenkunst als Thema unterrepräsentiert.12 Die deutsche Geschichtsmedaille war den kommerziellen Medaillenprägeanstalten überlassen worden. (Katalog-Nr. 62, 63, 64)

Katalog-Nr. 62

Katalog-Nr. 63

Katalog-Nr. 64

11 In diesem Zusammenhang sei auf die wichtige Studie zur Verbindung der Medaillenkunstmetropole München mit der Poellathschen Prägeanstalt in Schrobenhausen hingewiesen: Weber, Ingrid S.: Prägeanstalt Carl Poellath Schrobenhausen, Ausgangspunkt und langjähriges Zentrum der Münchner Medaillenkunst des 20. Jahrhunderts, in: Jahrbuch für Numismatik und Geldgeschichte 39, 1989, S. 57-98.