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Verblendung der Massen oder Mittel zur Aufklärung schlechthin? Film ist seit seinen Anfängen wie kaum ein anderes Medium Gegenstand ideologischer Auseinandersetzungen und Vereinnahmungen. Insbesondere linke Kämpfe und Theorien spielen in diesem Streit um das Kino und im Kino eine spezifische Rolle – sei es als konsumierbare Ware in den kulturpessimistischen Überlegungen der Frankfurter Schule oder als Ort regen Widerstandes in feministischen und postkolonialen Aneignungen.

Im Mittelpunkt der die Ausstellung Karl Marx und der Kapitalismus begleitenden und von Fiona Berg und Sophie Holzberger organisierten Filmreihe steht somit nicht Karl Marx als historische Figur, sondern die weitreichenden filmischen Rezeptionen seiner theoretischen Überlegungen. Die vielfältigen und widerstreitenden Auslegungen, die Marx’ Werk hervorgerufen hat, spiegeln sich in der Verschiedenheit der Filme, die von Komödien bis Agit-Prop, von filmhistorischer Reflexion bis zum ethnographischen Dokumentarfilm reichen.  

Neben prominenten Beispielen des sowjetischen Revolutionsfilms fand Marx‘ Theorie in der globalen Aufbruchsstimmung politischer Bewegungen der 1960er Jahre, etwa in den antikolonialen Kämpfen in Lateinamerika, den Studierendenrevolten und Arbeiter*innenstreiks in Europa und den USA, sowie den globalen feministischen Bewegungen eine umfangreiche Neu-Rezeption. Welche Probleme sich gerade aus einer eurozentrischen Perspektive ergeben und welche Konfliktlinien und Macht-Asymmetrien sich innerhalb der Rezeptionsgeschichte von Marx fortschreiben, stellt einen Fixpunkt der Reihe dar. 

Einig sind sich die Filme in ihrem Selbstverständnis als politische Aktion. Viele von ihnen beharren darauf, dass marginalisierte Subjekte sich selbst und ihre Lebensverhältnisse re/präsentieren und kritisieren sollen. Damit sind die Produktionsbedingungen der Filme ebenso Schauplatz der politischen Auseinandersetzung. Neben Zugängen zu Equipment und Finanzierung sind dabei folgende Fragen zentral: Wer führt die Kamera? Wer wird von ihr angeblickt? Wem wird zugehört? 

Andere Filme nähern sich ihren Subjekten mit einem von außen kommendem Blick. In manchen Fällen wird dieser in den Filmen selbst reflektiert, beispielsweise als gemeinsame Sicht auf einen Bildschirm oder drückt sich nachträglich in der Kritik an ethnografischer Positionierung oder dem dokumentarischen Verfahren aus. Auch die kollektiven Seherfahrungen der Zirkulationsgeschichten, wie etwa der Kinozug von Medvedkin, bringen die starre Dichotomie von innen und außen, von Rezeption und Produktion in Bewegung. 

Die Filme der Reihe zeigen verschiedene Formen politischer Interventionen in bestehende und historische Arbeits- und Lebensverhältnisse und bilden dabei in ihren Grundannahmen über Zuschauer*innenschaft und Funktion von Film überraschende Allianzen. So ist das Filmprogramm von der Zuversicht durchzogen, mit Film gesellschaftliche Missstände nicht nur analysieren und kritisieren, sondern auch verändern zu können. Die Hoffnung auf Veränderung verdichtet sich dabei nicht nur im virulenten Bild demonstrierender Massen, sondern ebenso im Vertrauen auf die Kraft der Theorie in Form von Texttafeln. Die kollektive Frage nach den Möglichkeiten eines guten Lebens ist eine, die sich bis heute in vielfältiger Form im Film fortsetzt. Das Programm stellt nur einen von möglichen Anfängen dar.

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