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Luis García Berlangas Filmografie gehört in Spanien zur Allgemeinbildung, und das Wissen über die Eigenheiten seines Schaffens ist so weit verbreitet, dass die renommierte Real Academia de las Letras Españolas 2020 einstimmig das Adjektiv „berlanguiano“ in ihr Wörterbuch aufgenommen hat. Juan Luis Cebrián, Mitgründer der einflussreichen Zeitung El País, hat kürzlich „grotesk, aber real“ als Definition dieser Wortschöpfung vorgeschlagen.

Für die Tatsache, dass Berlanga im Ausland keinen vergleichbaren Ruhm erlangt hat, gibt es mehrere Erklärungen: Da sind etwa der scheinbar volkstümliche Charakter seiner Filme und seine bewusste Orientierung an den konkreten Problemen der spanischen Gesellschaft. Nicht umsonst gilt Berlanga als einzigartiger Chronist seines Landes. Auch seine hartnäckige Distanzierung von allen politischen Bewegungen seiner Zeit – er selbst sah sich als eine Art liberalen Anarchisten – hat womöglich dazu beigetragen, dass Berlanga außerhalb Spaniens wesentlich weniger bekannt ist. Immerhin haben mehrere seiner Filme internationale Auszeichnungen und Nominierungen erhalten, und 1987 erhielt er als erster Filmemacher einen Ehren-Goya für sein Lebenswerk.

Berlanga, 1921 als Kind einer angesehenen bürgerlichen Familie in Valencia geboren, erlebte als Zeitzeuge den Spanischen Bürgerkrieg, den Zweiten Weltkrieg und die langen Jahre der Franco-Diktatur. Sein Großvater und sein Vater waren Politiker, die vor Ausbruch des Bürgerkriegs in unterschiedlichen Funktionen Mitglieder liberaler und auch konservativer Regierungen waren. Nach dem Bürgerkrieg wurde Berlangas Vater als Republikaner wegen seiner politischen Tätigkeit inhaftiert. Um seinen Vater vor der Todesstrafe zu retten, so Berlanga, habe er sich von der División Azul anwerben lassen, einer freiwilligen Infanteriedivision, die an der Seite der deutschen Wehrmacht in Russland kämpfte.

Seit seiner Jugend interessierte sich Berlanga für Literatur, Kino und Lyrik und verfasste nach dem Krieg regelmäßig Filmkritiken für unterschiedliche Zeitschriften. In Madrid bewarb er sich erfolgreich für den ersten Studienjahrgang am frisch gegründeten Instituto de Investigaciones y Experiencias Cinematográficas, der ersten staatlichen Filmhochschule Spaniens. Dort traf er unter anderem auf Juan Antonio Bardem, den Onkel des Schauspielers Javier Bardem. Berlanga und Bardem drehten 1951 gemeinsam ihren ersten Langfilm, Esa pareja feliz. Ebenfalls mit Bardem schrieb Berlanga 1953 das Drehbuch für Bienvenido Mr. Marshall. Der Film wurde mehrfach international ausgezeichnet und verschaffte Berlanga die Möglichkeit, renommierte europäische Filmemacher – insbesondere die italienischen Neorealisten – kennenzulernen. In der Folge realisierte er mehrere seiner Filme in Zusammenarbeit mit italienischen Produzenten und Darstellern.

Erst 1959 traf Berlanga die wichtigste Person seiner Karriere, den Mann, der auch sein bester Freund und Wegbegleiter werden sollte: Rafael Azcona. Der äußerst produktive Drehbuchautor war an mehr als zehn Filmen Berlangas beteiligt, von denen viele nicht nur in Spanien Lob und Ruhm ernteten. Azcona sei es gelungen, so Berlanga, seinem Werk Kontinuität, Stabilität und Festigkeit zu verleihen.

Die Filmografie Berlangas lässt sich in zwei unterschiedliche Schaffensphasen aufteilen, eine fällt in die Zeit der Franco-Diktatur mit ihren Zensurmaßnahmen, die andere in die Zeit nach dem Tod Francos. Bei allen Filmen Berlangas ist eine zärtliche, wenn auch groteske Darstellung der Gesellschaft als harmonischer Chor zu erkennen, die an den italienischen Neorealismus erinnert. Gleichwohl werden die Figuren in den Filmen ab Ende der siebziger Jahre eigenständiger, individueller und weniger berechenbar. Auch die Themen ändern sich: Wie in vielen spanischen und europäischen Filmen dieser Zeit wird in Berlangas Spätwerk die Macht der Erotik zum Paradigma. (Miguel Herrero)

Die von Miguel Herrero kuratierte Retrospektive entsteht in Zusammenarbeit mit der Botschaft von Spanien und dem Workshop Filmuntertitelung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, dessen Teilnehmer*innen auch die Ankündigungstexte der Filme verfasst haben.

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