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Einführung: Friedemann Beyer

Reise in die Vergangenheit

Eine Witwe in ihren besten Jahren sucht in einer nostalgischen Anwandlung ihre Tanzpartner aus Jugendtagen auf und erlebt dabei lauter Enttäuschungen: Keiner ihrer früheren Verehrer entspricht ihren verklärten Erinnerungen. Als Vorbild von Hans H. Zerletts Reise in die Vergangenheit diente Julien Duviviers Un carnet de bal, der 1938 in Venedig als bester ausländischer Film prämiert wurde. Sehr zum Missbehagen von Joseph Goebbels, der den französischen Film in seinem Tagebuch vom 18. November 1937 als „Verfallskunst tollster Art“ bezeichnete.

Zerlett strafft in seinem Remake die Handlung, stellt der Protagonistin (Olga Tschechowa) eine erwachsene Tochter (Margot Hielscher) zur Seite und reduziert die Anzahl der beteiligten Männer von sieben auf drei. Diese Bearbeitungen verschaffen Reise in die Vergangenheit eine größere dramaturgische Stringenz. Hergestellt in den Monaten Dezember 1942 bis Februar 1943, die auch den Untergang der deutschen 6. Armee in der Schlacht von Stalingrad besiegelten, scheinen sich die denkwürdigen Entstehungsbedingungen des Films in seiner elegischen Grundstimmung widerzuspiegeln. Seinem Vorbild folgend ist Reise in die Vergangenheit vom poetischen Realismus Frankreichs geprägt. Dies zeigt sich besonders in der tragischen Schlüsselepisode des Films mit Ferdinand Marian. Zerlett gelingt hier ein Tableau beklemmenden menschlichen Elends, das im Film der NS-Zeit seinesgleichen sucht. (fb)

Friedemann Beyer lebt in Berlin und ist Filmhistoriker, Autor und Kurator von Filmreihen.