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  DANIÈLE HUILLET: FILMEMACHERIN IM FILM

 

DANIÈLE HUILLET: FILMEMACHERIN IM FILM

Zu Ehren von Danièle Huillet präsentiert die Reihe Danièle Huillet: Filmemacherin im Film am 15. und 16. Juni in chronologischer Folge sechs Filme aus dem Werk von Jean-Marie Straub und Danièle Huillet: Filme, in denen Danièle Huillet als Darstellerin auftritt, und Filme, in denen nur ihre Stimme zu hören ist.
Für fast fünfzig Jahre Filmarbeit sind es im Ganzen nur sehr wenige Auftritte. Es war nie zufällig, wenn die beiden Regisseure Danièle Huillet als Darstellerin ausgewählt haben. Sie tritt nicht einfach als Schauspielerin auf, sondern erscheint eher wie eine Botin, fremdartig und auch geheimnisvoll. Anders als bei Jean-Marie Straub, dem es viel leichter fällt, eine Rolle zu übernehmen, gibt es bei Danièle Huillet immer eine bestimmte Schwere. Schon in Nicht versöhnt, ihrem ersten Filmauftritt, ist diese Schwere da – und ein Widerstand.
Straub und Huillet haben nie versucht zu leugnen oder zu verdecken, wie viel Mühe ihre Arbeit macht. Danièle Huillet sprach öfters davon, wie groß die Anstrengung war, den Text des Cézanne  in der deutschen Fassung zu sprechen. Nach den Tonaufnahmen war sie einige Wochen heiser. Für Chronik der Anna Magdalena Bach, mit dessen Vorbereitung die beiden schon in den 50iger Jahren begonnen haben, hat Danièle Huillet deutsch gelernt, das Deutsch des Johann Sebastian Bach, dessen Partituren sie mit der Hand abschrieb. Es gibt eine bestimmte Ähnlichkeit zwischen dem Abschreiben der Noten und der Art und Weise, wie sie sich durch den Cézanne-Text gearbeitet hat. Die Ähnlichkeit liegt in der Art der Bewegung durch das Material, in der Aneignung, die keine wirkliche Aneignung ist, sondern eine Verinnerlichung und Umwandlung.

Am 1. Mai 2007 wäre Danièle Huillet 71 Jahre alt geworden. Jean-Marie Straub setzt ihre lebenslange gemeinsame Filmarbeit alleine fort. Im Juni wird er in Italien mit den Dreharbeiten eines neuen Films, den sie noch zusammen vorbereiten konnten, beginnen.

 

DANIÈLE HUILLET: FILMEMACHERIN IM FILM
Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht
BRD 1964/65, R: Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, D: Henning Harmssen, Karlheinz Hargesheimer, Heinrich Hargesheimer, Martha Ständer, Ulrich von Thüna, Danièle Huillet, Wendelin Sachtler, 52'

„Betrachtet man heute Machorka-Muff und Nicht versöhnt, so ist die nicht nur zögerliche, sondern geradezu feindselige Aufnahme dieser Filme in der Bundesrepublik kaum verständlich. Selbstverständlich ist es aber nun, daß sie den Beginn des ‚Jungen Deutschen Films’ markieren. Eindeutig sind sie die einzig bemerkenswerten Filme, die nach Stoffen von Heinrich Böll entstanden. Beide Filme sind nicht veraltert – zwar gealtert, aber doch aktuell geblieben.“
Rainer Rother in Reinhold Rauh (Hg.) Machorka-Muff, 1988

„Hoffentlich haben wir nie eine Literaturverfilmung gemacht in dem Sinne wie der Franz Seitz oder der Wirth nach dem Kriege den Thomas Mann am laufenden Band verfilmt hat – von Wälsungenblut bis Tonio Kröger, Zauberberg usw. Bei sämtlichen Filmen, sogar bei Moses und Aaron, hat uns der Stoff, die Vorlage nur interessiert, weil wir schon vorher die Frage gestellt haben. Manchmal ganz verschoben, z.B. in Nicht versöhnt steckt eine Frage, die ich mir als Franzose während des Algerienkriegs gestellt habe, weil Freunde da selbst mitgemacht hatten, weil sie mußten. Als die zurückgekehrt waren, da mußte ich mich fragen, ohne daß man die Frage stellen konnte – aus Scham oder weil man nicht den Mut hatte oder weil man den anderen nicht in Verlegenheit bringen wollte - : ‚Hat der und der gefoltert, mußte er mitmachen bis zum Foltern? Oder wieviel Leute hat er da als scheinbar junger Franzose, der da in den Krieg ziehen mußte, umgebracht?’ Das ist zum Beispiel eine der Fragen, die uns interessiert haben an dem Roman von Böll.“
Jean-Marie Straub in einem Gespräch mit Reinhold Rauh in: „Machorka-Muff“, 1988

„Man kann nicht nachdrücklich genug empfehlen, nach dem Film wieder zu Bölls Buch zu greifen. Nicht etwa, weil es zum Verständnis von Straubs Film nötig wäre. Bölls Buch sollte man lesen, weil es sich durch Straubs Film verändert hat. Es wirkt nackter und ernsthafter, weil es jetzt immer mit der letzten Kamerabewegung des Films von sich weg auf Deutschland weist.“
Frieda Grafe, Filmkritik Nr. 3, 1966

am 15.06.2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

DANIÈLE HUILLET: FILMEMACHERIN IM FILM
Einleitung zu Arnold Schoenbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielscene“
BRD 1972, R: Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, D: Günther Peter Straschek, Danièle Huillet, Peter Nestler, Jean-Marie Straub, 16'

„Straub hat seinen Film Einleitung seinen ersten agitatorischen Film genannt und ihn als einen Film charakterisiert, der in ‚Angst und Schrecken’ versetzt. Beides stimmt. Das Publikum war schockiert und die Art, wie das Material eingesetzt wurde, entspricht ebenfalls dieser Charakterisierung. Erst seine Entdeckung der Schönberg-Briefe animierte Straub zu diesem Film. Nichts ist erfunden, wenn man die filmischen Vorgänge selbst, die Arbeit der Filmemacher ausnimmt. Alles andere ist entweder von Schönberg, von Brecht oder dokumentarisches Material. Der Film Einleitung ist ein im eigentlichen Sinn „gewalttätiger“ Film durch Straubs Fähigkeit, einem willkürlichen Nebeneinander den notwendigen Zusammenhang zu geben.“
Jill Forbs, Monthly Film Bulletin, Vol. 43, Nr. 506, 1976

am 15.06.2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

DANIÈLE HUILLET: FILMEMACHERIN IM FILM
Toute révolution est un coup de dés
Jede Revolution ist ein Würfelwurf

F 1977, R: Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, D: Helmut Färber, Michel Delahaye, Georges Goldfayn, Danièle Huillet, Manfred Blank, Marilù Parolini, Aksar Khaled, Andrea Spingler, Dominique Villain, OmU, 11'

„Das Mallarmé-Gedicht, das der Film inszeniert, war ein Programm, alle Veränderungen enthaltend, die seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts eine neue poetische Sprache gründeten: Die Praxis von Sprache ist nicht reduzierbar auf Sinnproduktion. Gedichte von Mallarmé sind szenisch konzipiert. Nicht möglich auf dem Theater, sagt er, aber das Theater verlangend. Diese Unmöglichkeit realisiert der Film. Jede Einstellung ist ein Raum für kalkulierte Zufälle. Das Gedicht war zeitgenössisch mit der Pariser Kommune. Es registriert Umsturz auf eine für die Kunst einzig legitime Weise. Sie rüttelt an der alten Sprachordnung, auf die gesellschaftliche Ordnung aufbaut.“
Frieda Grafe, 1979, abgedruckt in „Die Republik“, Nr. 72-75, 1985

am 15.06. 2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

DANIÈLE HUILLET: FILMEMACHERIN IM FILM
Trop tôt, trop tard
Zu früh, zu spät
F/EGY 1980/81, R: Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, DF, 105'
 
Von diesem zweiteiligen Film existieren vier Sprachfassungen. Der erste Teil wird in allen vier Fassungen von Danièle Huillet gelesen, der zweite Teil von einem jeweils anderen Sprecher.

„Juni 1980 sind die Straubs aufgebrochen, um vierzehn Tage lang auf dem Land in Frankreich zu drehen... Ihre Idee war, eine Anzahl Orte, die in einem Brief von Engels an den zukünftigen Renegaten Kautsky erwähnt werden, so aufzunehmen, wie sie heute sind. In diesem Brief (im Off gelesen von D.H.) beschreibt Engels, unter Zuhilfenahme von Zahlen, den elenden Zustand der Ländereien am Vorabend der Französischen Revolution. Die Orte haben sich, wie nicht anders zu erwarten, verändert. Und der erste Eindruck ist der: sie sind ausgestorben. Das Land in Frankreich, sagt Straub, hat einen „Aspekt Science-fiction, verlassener Planet“...
Mai 1981 sind die Straubs in Ägypten und nehmen andere Landschaften auf. Die Vorlage liefert diesmal nicht Engels, sondern ein Marxist von heute, Mahmoud Hussein, Autor des Buches Klassenkämpfe in Ägypten, das vor einiger Zeit Aufsehen erregte. Wieder im Off liest die Stimme eines arabischen Intellektuellen auf französisch (mit Akzent) den Text über den Widerstand der Bauern gegen die britische Okkupation bis hin zur „kleinbürgerlichen“ Revolution von Naguib 1952. Wieder einmal erheben sich die Bauern zu früh und kommen, als es um die Macht geht, zu spät. Dieses obsedierende Verhältnis ist der „Inhalt“ des Films. Wie ein musikalisches Motiv erscheint es ganz zu Beginn: ‚daß die Bourgeois hier wie immer zu feig waren, für ihre eigenen Interessen einzustehen, daß von der Bastille an der Plebs alle Arbeit für sie tun mußte’ (Engels).“
Serge Daney, Libération, 20.2.1982, Übers.: Johannes Beringer

am 15.06.2007 um 21.00 Uhr

 

 

 

DANIÈLE HUILLET: FILMEMACHERIN IM FILM
Schwarze Sünde
BRD 1988/89, R: Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, D: Andreas von Rauch, Vladimir Baratta, Howard Vernon, Danièle Huillet, 40'

Es sind drei Fassungen des Trauerspiels Der Tod des Empedokles von Friedrich Hölderlin überliefert, keine der drei Fassungen wurde vom Dichter vollendet. Die erste Fassung, zugleich die umfangreichste, diente Danièle Huillet und Jean-Marie Straub als Grundlage für ihren 1986 in Sizilien entstandenen Film Der Tod des Empedokles. Die zweite Fassung wurde vom Dichter früh aufgegeben, sie besteht aus wenigen Bruchstücken und Fragmenten. Von der dritten Fassung existieren zwei Szenen von fünf geplanten Akten. Dieser Text der dritten Fassung führte Danièle Huillet und Jean-Marie Straub nun zur neuerlichen Beschäftigung mit Hölderlin, oder genauer, zur Fortsetzung der einmal begonnenen. 1988 entstand, wiederum in Sizilien und mit drei Darstellern aus dem ersten Film, die 40minütige Arbeit Schwarze Sünde.

Hans Hurch: Eine Frage zu dem kurzen Text, den Sie am Ende des Films sprechen: Was auffällt, ist, daß da die Sprache plötzlich ganz frei wird, jedes Wort für sich steht, wie ein eigener Ton.
Danièle Huillet: Ja, ich glaube, es ist für mich fast leichter, weil für mich die Worte nicht ausschließlich, nicht so unbedingt mit Kommunikation verbunden sind, daß man darüber den Rest vergißt. Und dazu kommt, daß ich die deutsche Sprache zuerst durch Bach gelernt habe, also das war nicht ein Vehikel, das war eine musikalische Sprache als erstes. Und dann ist dieser Text am Ende ja ein Fragment, bricht immer wieder ab und erlaubt keine Entwicklung. Man hat keinen festen Rhythmus mehr.
Straub: Und sie konnte sich das leisten, nicht nur als Ausländerin, sondern weil der Text eben trotzdem mit Metrik zu tun hat, sie konnte nicht nur jedem Wort sein Gewicht geben, sogar jeder Silbe.
Danièle Huillet und Jean-Marie Straub im Gespräch mit Hans Hurch, Falter, Nr. 25, 1989
 
am 16.06.2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

DANIÈLE HUILLET: FILMEMACHERIN IM FILM
Paul Cézanne im Gespräch mit Joachim Gasquet
D/F 1989, R: Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, Stimmen: Danièle Huillet und Jean-Marie Straub                       DF, 63'

Es existieren eine deutsche und eine französische Sprachfassung (d.h. zwei Negativschnitte, zwei Mischungen). Die französische Fassung ist 12 Minuten kürzer als die deutsche.

Danièle Huillet: Gasquet war ein junger Mensch, der zwei Bilder von Cézanne gesehen hatte und so betroffen war, daß er den Maler kennenlernen wollte. Das war zu der Zeit, von der Gasquet erzählt, er habe auf der Straße gehört, wie hinter dem Rücken von Cézanne Leute sagten: „Solche Maler sollte man erschießen.“ Für Cézanne war wichtig, daß ein junger Mensch kam, von dem er den Eindruck hatte, er verstehe was von dem, was er malte. In einem der Briefe, die er dem Jungen schrieb, steht einmal ein Satz: „Ich muß zugeben, daß es sehr schwer ist, diese Welt zu verlassen“, so, als ob er vielleicht einmal an Selbstmord gedacht hätte, so verzweifelt war er. Trotzdem wird zwischen den beiden nie mehr gesagt, das wird nur beiläufig erwähnt....
Wer gewohnt ist, nur noch Gespräche zu lesen, in denen sich keiner mehr ausliefert, in denen der Sprechende immer zuerst nach rechts oder nach links schaut, ist von diesem Text schockiert. Wer redet noch mit offenem Herzen? Es ist, wie wenn du plötzlich auf einem Berg reine Luft atmest. Das ist ein Schock, heutzutage, bis man merkt, daß das gar nicht zuviel ist, sondern so sein sollte....
Jean-Marie Straub: Niemand weiß, wie der Cézanne sprach, ob seine Stimme dunkel oder hell war, wie stark sein südlicher Akzent war nach dem langen Aufenthalt in Paris. Wir wollten keinen alten Schauspieler, der versucht hätte, das irgendwie nachzuahmen. Plötzlich kamen wir auf die Idee, etwas ganz Fremdes zu tun, eine weibliche Stimme zu nehmen, die das Selbstverständige unterminiert. Denn darin besteht doch unsere Arbeit. Das ist das einzige, was ich von der großen Verfremdungstheorie begriffen habe: daß uns nie etwas natürlich erscheinen soll, weder in der sozialen Welt, noch in der Politik, noch im Alltag.
Danièle Huillet und Jean-Marie Straub im Gespräch mit Peter Kammerer, Frankfurter Rundschau, 9.3.1990

am 16.06.2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

 

 
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