Kino im Zeughaus

 

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  HANS JÜRGEN SYBERBERG

 

HANS JÜRGEN SYBERBERG

„Musik für Kinotiere mit Bildern dazu“, so hat Hans Jürgen Syberberg in einem kurzen Aufsatz den Film als Musik der Zukunft beschrieben. „Es gibt so etwas wie Cineasmus: Leben als Film.“ Syberbergs Cineasmus ist von einer eigenen unverwechselbaren Natur: obsessiv, schöpferisch, monströs. In der bundesdeutschen Filmszene ein radikaler Außenseiter, dessen Filme von der Kritik im günstigsten Fall ratlos besprochen, meist jedoch polemisch verdammt wurden – man greife noch einmal zu Syberbergs Wörterbuch des deutschen Filmkritikers -, begeisterten sich vor allem in den 1970er und 1980er Jahren französische und US-amerikanische Filmliebhaber für das Kino Hans Jürgen Syberbergs. In dessen Mittelpunkt steht die sogenannte „Deutsche Trilogie“ – Ludwig - Requiem für einen jungfräulichen König (1972), Karl May (1974) und Hitler. Ein Film aus Deutschland (1977):  ein breit angelegter Versuch, drei Kulminationspunkte der deutschen Geschichte zu verstehen und „das emotionale und sentimentale Geröll dieser Zeit“ (Thomas Elsaesser) zu fassen. Anlässlich seines 75. Geburtstags präsentiert das Zeughauskino Syberbergs „Deutsche Trilogie“, ergänzt um drei weitere Filme, die in den 1980er und 1990er Jahren entstanden sind. Im Museum für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz wird ab dem 13. November Syberbergs neueste Arbeit, die Installation Das Nossendorf-Projekt, zu sehen sein.

 

HANS JÜRGEN SYBERBERG
Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König
BRD 1972, R/B: Hans Jürgen Syberberg, K: Dietrich Lohmann, M: Richard Wagner, S: Peter Przygodda, D: Harry Baer, Hanna Köhler, Ingrid Caven, Ursula Strätz, Peter Moland, Peter Kern, 140’ 35 mm

Parallel zu Visconti arbeitete 1972 auch der 37-jährige Syberberg an einem Film über den Bayern-König. Statt eines 12-Millionen-Etats standen ihm nur 300.000 Mark zur Verfügung. Aus der Not des Mangels machte er die Tugend radikaler szenischer Stilisierung. Sein Ludwig spielt in Kulissen, die an Jahrmarktspanoramen, an die Fantasiewelten des Filmpioniers Georges Méliès und natürlich an die prätentiöse Selbstinszenierung Bayreuths erinnern. Über allem schwebt der artifizielle Geist Wagners. Der Komponist wird gleichzeitig von einem Zwerg und einer Frau verkörpert. „Sissi“, die geliebte Schwester des dem Wahnsinn verfallenden Regenten, hat gar nichts mehr von der Drolligkeit ihrer durch Romy Schneider geprägten Ikonografie. Hitler erlebt in einer „Vorblende“ seinen grotesken Auftritt. Und zuletzt wird der sterbende Wittelsbacher von der Vision amerikanischer Touristen heimgesucht, die begeistert seine Märchenschlösser in Besitz nehmen. Hans Jürgen Syberberg hat hier erstmals jene Stilelemente formuliert, die ihn fünf Jahre später mit dem monströsen Hitler-Projekt weltberühmt machen sollten: „Eine Welt der Kultur und der germanischen Mythen, die sich wie eine Obsession ausbreitet, eine fortwährende Schöpfung, die Vergangenheit und Gegenwart vermengt, mit der Chronologie bricht, die deutsche Romantik und Freud und Brecht gegeneinander hält.“ (Jacques Siclier, Le Monde, 11.7.1973) (cl)

Einführung: Claus Löser
am 30.11.2010 um 20.00 Uhr

 

 

HANS JÜRGEN SYBERBERG
Karl May
BRD 1974, R/B: Hans Jürgen Syberberg, K: Dietrich Lohmann, M: Gustav Mahler, Frédéric Chopin, Charles Gounod, Franz Liszt, Johann Sebastian Bach, D: Helmut Käutner, Kristina Söderbaum, Käthe Gold, Attila Hörbiger, Rudolf Fernau, Lil Dagover, 135’ 35 mm

Der aus dem sächsischen Erzgebirge stammende Karl May (1842 – 1912) gilt bis heute als der meist gelesene deutsche Schriftsteller. Er schrieb weit mehr als hundert Bücher, die in vielen Millionen Exemplaren gedruckt wurden. Der Bestseller-Autor stammte aus ärmlichen Verhältnissen, mehrfach saß er im Gefängnis. Die von ihm beschriebenen exotischen Gegenden kannte er nur aus Büchern. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er im Osten als „Lieblingsautor Adolf Hitlers“ zunächst eine Unperson, im Westen hielt seine Popularität an, nicht zuletzt durch die erfolgreichen Winnetou-Filme mit Pierre Brice und Lex Barker. Syberberg beschreibt das Leben Karl Mays als fortwährenden Kampf um künstlerische und moralische Anerkennung und verschränkt dieses Ringen mit den von ihm geschaffenen Figuren. „Ein Mann auf der Suche nach dem verlorenen Paradies auf dem typisch deutschen Irrweg, ruhelos Selbsterlösung suchend im selbst geschaffenen Inferno.“ (Hans Jürgen Syberberg: Syberbergs Filmbuch). Für sein Unterfangen konnte der Filmemacher ein einzigartiges Schauspielerensemble verpflichten: Neben dem Regie-Kollegen Helmut Käutner als Karl May sind Kristina Söderbaum, Attila Hörbiger und Lil Dagover zu sehen – Ikonen des deutschen Films also, deren Biografien und frühere Rollen ihrerseits auf die Widersprüche der Geschichte verweisen. (cl)

am 1.12.2010 um 20.00 Uhr

 

 

HANS JÜRGEN SYBERBERG
Parsifal
BRD/F 1982, R/B: Hans Jürgen Syberberg, K: Igor Luther, M: Richard Wagner, D: Armin Jordan, Martin Sperr, Michael Kutter, Karin Krick, Edith Clever, Robert Lloyd, 255’ 35 mm

Richard Wagners letzte Oper, von ihm selbst als „Bühnenweihfestspiel“ bezeichnet, erlebte 1882 ihre Uraufführung in Bayreuth. Die Handlung geht auf Wolfram von Eschenbachs frühmittelalterliches Epos Parzival zurück, umkreist den Kampf um den Heiligen Gral und den Speer des Longinus bzw. Mauritius: Besitzer der beiden Reliquien gelten als unbesiegbar. Syberbergs Adaption des Stoffes konzentriert sich auf das Verhältnis zwischen dem „reinen Toren“ Parsifal und dem intriganten Zauberer Klingsor. Anders als bei Wagner, wo mit Parsifals finaler Krönung zum König und der Gralsenthüllung eine umfassende Erlösung zelebriert wird, finden sich die Helden des Films zuletzt auf sich selbst zurückgeworfen. Aus den Siegen und Niederlagen der Geschichte scheint kein Sinn mehr schöpfbar zu sein. „Hans Jürgen Syberberg führt seine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit Wagners Leben und Werk zu einem konsequenten Höhepunkt: In langen, oft statischen Kameraeinstellungen stilisiert er die Oper zum kultischen Exerzitium und erweitert sie zugleich zum abendländischen Kulturpanorama, indem er die Mythen und Ideologien des 20. Jahrhunderts als Assoziationsmaterial in die Handlung einbezieht – ein Steinbruch europäischer Geschichte.“ (Lexikon des internationalen Films) (cl)

am 2.12.2010 um 19.00 Uhr

 

 

HANS JÜRGEN SYBERBERG
Hitler. Ein Film aus Deutschland
BRD 1977, R/B: Hans Jürgen Syberberg, K: Dietrich Lohmann, M: Gustav Mahler, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Richard Wagner, D: Rainer von Artenfels, Harry Baer, Peter Kern, André Heller, Hellmut Lange, Alfred Edel, Heinz Schubert  35 mm
1. Teil: Der Graal, 96’
2. Teil: Ein deutscher Traum, 132’
3. Teil: Das Ende eines Wintermärchens, 97’
4. Teil: Wir Kinder der Hölle, 104’

Mit diesem siebenstündigen Magnum Opus wurde Syberberg international bekannt, spätestens nachdem Susan Sontag den Film 1979 in New York gesehen hatte. Begeistert schrieb sie in ihrem berühmten Essay: „Dieser Film möchte alles auf einmal sein. In beispiellosem Ehrgeiz hat sich Syberberg Ziele gesetzt, die alles hinter sich lassen, was man je auf der Leinwand gesehen hat. Dieses Werk verlangt nach einer besonderen Form der Auf- und Anteilnahme, es lädt zum Nachdenken ein, zum Wieder- und Wiedersehen. Je tiefer man eindringt in sein stilistisches Beziehungsgeflecht und seine vielfältige Bedeutung, desto mehr beginnt dieser Film zu vibrieren.“ (Susan Sontag: Syberbergs Hitler). Die bundesdeutsche Filmkritik sah dies teilweise ganz anders. Sie warf dem Regisseur „Remythologisierung“ vor, unterstellte ihm bestenfalls Naivität. Bis heute ist Sybergergs Film in Deutschland nur selten zu sehen gewesen. Mit wachsendem zeitlichen Abstand wird jedoch zunehmend deutlich, mit welcher Vehemenz und auf welch hohem künstlerischen Niveau der Film seinen Exorzismus anhand der Figur Hitlers betreibt. Mit den bereits in Ludwig und Karl May geschulten Mitteln entzaubert er Hitler zur kleinbürgerlichen Wunschprojektion, macht ihn buchstäblich zur Marionette eines komplexen Bezugssystems, in dem sich Allmachtsphantasien und Sentimentalitäten brechen. André Heller als Erzähler führt durch ein überbordendes szenisches Panoptikum voller Zitate und Querverweise, das reiche Assoziationsräume öffnet. (cl)

1. Teil: am 4.12.2010 um 19.00 Uhr
2. Teil: am 4.12.2010 um 21.00 Uhr
3. Teil: am 5.12.2010 um 19.00 Uhr
4. Teil: am 5.12.2010 um 21.00 Uhr

 

 

HANS JÜRGEN SYBERBERG
Die Nacht
BRD 1985, R/B: Hans Jürgen Syberberg, K: Xaver Schwarzenberger, M: Johann Sebastian Bach, Richard Wagner, D: Edith Clever, 367’ 35 mm

Seit Anfang der 1980er Jahre fungiert Edith Clever als Syberbergs Muse und engste künstlerische Mitarbeiterin, Die Nacht ist zum eindringlichen Postulat dieser Beziehung geworden. Der Film stellt nicht mehr und nicht weniger als einen fast siebenstündigen Monolog Clevers dar, der um den Untergang des Abendlandes kreist. Zu Rate gezogen werden dazu Texte von Aischalos, Platon, Eduard Mörike, Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Nietzsche, Novalis, Friedrich Hölderlin, Samuel Beckett und Richard Wagner. Von Wagner stammt auch (wieder) ein Großteil der Filmmusik, flankiert von Bachs Wohltemperierten Klavier. Szenisch erweist sich Die Nacht als noch reduzierter, aber auch als noch konzentrierter. Ein Bühnenbild im herkömmlichen Sinne gibt es nicht, Edith Clever kommt mit einem Minimum an Raum und Zubehör aus. „Ich rede die ganze Zeit von einem ‚Film’ und bin mir doch nicht sicher, dass dieser Ausdruck die Sache trifft. Denn Dramaturgie und Photographie und szenische Machart des Films als Kunst gehören einer Kategorie an, mit der Syberbergs ‚Nacht’ nichts zu tun hat. Eher möchte man von einer mit den technischen Mitteln des Films fixierten szenischen Aufführung eines Melodrams reden – wenn das auch sehr umständlich klingt.“ (Peter Wapnewski, Der Spiegel 29/1985). Edith Clever erhielt für ihre Leistung 1986 den Deutschen Filmpreis in Gold. (cl)

am 21.12.2010 um 19.00 Uhr

 

 

HANS JÜRGEN SYBERBERG
Ein Traum, was sonst?
D/A 1995, R/B: Hans Jürgen Syberberg, K: Dieter Gessl, M: Ludwig van Beethoven, D: Edith Clever, 132’ Beta SP

Auf Syberbergs gleichnamiger, 1990 am Berliner Hebbel-Theater uraufgeführten Bühneninszenierung basierender Film, der seinerseits von einer Episode aus Marion Dönhoffs Erinnerungen inspiriert wurde (Namen, die keiner mehr nennt). Als die Gräfin im Frühjahr 1945 auf ihrem Pferd aus Ostpreußen nach Westen flüchtete, übernachtete sie auf dem Gut der Schwiegertochter Bismarcks. Die alte Dame lauschte fatalistisch den Frontberichten aus dem Radio, trank ein Glas Wein und nahm sich am nächsten Tag das Leben. In Ein Traum, was sonst? imaginiert der Filmemacher diese letzten Stunden Sibylle von Bismarcks wiederum als Monolog Edith Clevers. Der von ihr mit großen Pausen vorgetragene Text setzt sich vorrangig aus Fragmenten von Euripides (Die Trojanischen Frauen), Goethe (Faust II) und Kleist (Prinz von Homburg) zusammen. Im Zusammenspiel mit der ebenso konzentrierten wie minimierten Darstellung Clevers und Beethovens Musik (Pastorale) entwickelt Syberberg einmal mehr die eindringliche Vision eines irreversiblen Verlustes. Aber: „Der Film ist weder anstrengendes Kunst-Exerzitium noch schwer verdauliches Bühnenweihfestspiel. Er ist eine geradezu leichthändige Phantasie in durchaus zumutbarer Länge und von betörender optischer Schönheit.“ (Tilman Krause, Tagesspiegel, 19.2.1995) (cl)

am 22.12.2010 um 20.00 Uhr

 

 

 

 

 
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