Kino im Zeughaus

 

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  IM AUFBAU

 

IM AUFBAU
ISRAELISCHES KINO. EINE RETROSPEKTIVE

Israel wird 60, das israelische Kino gar noch ein bisschen älter. Während viele Deutsche das Filmland Israel vor allem mit Eis am Stiel verbinden und ernster zu nehmende Produktionen erst in jüngster Zeit den Weg von Festivals über einen Verleih schließlich auch in deutsche Kinospielpläne finden, hatte eine substantielle Filmproduktion bereits zur Zeit des britischen Mandats in Palästina eingesetzt. Entstanden Filme zunächst vor allem im Auftrag zionistischer Organisationen, differenzierte sich das Bild in den sechziger Jahren, und neben einem höchst produktiven Unterhaltungskino wuchs eine Generation von Autorenfilmern heran, die ihre Ausbildung in Paris, New York und anderswo gemacht hatte und nun darauf drängte, die Erfahrungen aus dem Ausland in den lokalen Kontext einzubringen.
In der Retrospektive mit Arbeiten aus den Fünfzigern bis Siebzigern sind Filme zu entdecken, die fast schon als verloren gelten mussten und jetzt dank der Zusammenarbeit vieler Partner in Israel und Deutschland mit neuen Kopien auf die Leinwand kommen. Werke, die hier kaum je zu sehen waren, stehen für eine Binnensicht auf ein Land, dessen Bild uns durch seine Omnipräsenz in den Tagesmedien allzu sehr verstellt ist. IM AUFBAU zeigt die ersten Schritte eines Filmlandes, das unter schwierigen Bedingungen Erstaunliches zuwege gebracht hat. Das Filmprogramm wird ergänzt um eine Reihe von Vorträgen und Gesprächen, die sich mit dem kulturellen und historischen Entstehungskontext der Filme befassen.

Eine Film- und Veranstaltungsreihe in Zusammenarbeit mit Jerusalem Cinematheque – Israel Film Archive, der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Seminar für Filmwissenschaft der FU Berlin. Gefördert vom Hauptstadtkulturfonds, dem Bundesarchiv-Filmarchiv, der Botschaft des Staates Israel, dem Israel Film Fund, der Rabinovich Foundation und dem Forum for the Preservation of Audio-Visual Memory in Israel.
Die Herstellung der Filmkopien und Untertitel wurde von ABC & TaunusFilm und United King unterstützt.
Medienpartner ist RadioEins.

 

IM AUFBAU - ISRAELISCHES KINO. EINE RETROSPEKTIVE
Hill 24 Doesn’t Answer
Israel 1954, R: Thorold Dickinson, D: Edward Mulhare, Michael Wager, Arik Lavie, Margalit Oved, 101’, engl. OF

1948, die letzten Stunden des israelischen Unabhängigkeitskrieges. Eine kleine Gruppe von Freiwilligen macht sich auf, einen Hügel zu besetzen, bevor am Morgen UN-Kommissäre die Waffenstillstandslinien festlegen werden. Keiner von ihnen wird diese Nacht überleben. Eingebettet in diese dokumentarisch anmutende Rahmenhandlung erzählt Dickinsons Episodenfilm in Rückblenden mit den Erinnerungen seiner Protagonisten zugleich eine Geschichte der Gründung des Staates Israel. Der Ire Finnegan, Soldat der britischen Mandatsmacht, soll gegen den jüdischen Untergrund vorgehen, verstrickt sich jedoch in eine romantische Liebesgeschichte mit einer Untergrundkämpferin und wechselt schließlich auf die andere Seite. Der amerikanische Jude Goodman, ursprünglich nur als Tourist nach Palästina gekommen, wird hier zum Zionist und Patrioten. David Amiram schließlich ist ein Sabre, d.h. ein schon in Palästina geborener Jude. Während einer Schlacht im Negev steht er Auge in Auge einem verwundeten Ägypter gegenüber, der sich überraschend als einstiger SS-Mann entpuppt. Drastisch wird ihm die Alternativlosigkeit jüdischer Existenz in Israel verdeutlicht.
Die wenigen Spielfilme, die in den Jahren nach der Staatsgründung entstehen konnten, warben stets um Unterstützung für den jungen Staat. Oft tragen sie die Handschrift ausländischer oder gerade immigrierter Filmemacher, oft ist ihre Dialogsprache Englisch. Auch Hill 24 Doesn't Answer verrät deutlich die Herkunft seines britischen Regisseurs – und ist dennoch ein Schlüsselwerk der israelischen Filmgeschichte. Wegen seiner Episodenstruktur gelegentlich mit Rossellinis Paisà verglichen, fasst der Film, der das in- wie ausländische Publikum gleichermaßen ansprach, alle wichtigen Argumentationslinien zionistischer Agitation geschickt zusammen.

Die Kopie wurde unter Benutzung von Archivmaterial aus dem BFI National Archive hergestellt.

Mit Grußworten zur Eröffnung der Retrospektive am 29.4.
Einführung am 14.5.: Stewart Tryster

am 29.4. um 20.00 Uhr
am 14.5. um 20.00 Uhr

 

 

 

IM AUFBAU - ISRAELISCHES KINO. EINE RETROSPEKTIVE
Eynayim Gdolot
Big Eyes

Israel 1974, R: Uri Zohar, D: Uri Zohar, Arik Einstein, Sima Eliyahu, Elia Zohar, 80’
OmeU

Benny Fuhrmann ist erfolgreicher Trainer einer Tel Aviver Basketballmannschaft, und er hat alles, was man sich wünschen kann. Die Welt liegt ihm zu Füßen. Aber der hyperaktive Sonnyboy ist ständig gehetzt von der Angst, etwas zu verpassen. Unermüdlich jagt er dem nach, was er gerade nicht hat: seine Frau betrügt er mit einer jungen Geliebten, die eine Geliebte mit der anderen, seine Kinder sind ihm steter Klotz am Bein, und auch seine Mannschaft kann sich auf ihn nicht verlassen. Fuhrmann, immer auf der Jagd nach mehr, riskiert, am Ende ohne alles dazustehen.
Sein Freund Yossi, Star der Mannschaft, ist das Gegenteil von Benny: noch immer wohnt er bei seiner Mutter, tagelang liegt er sinnierend auf dem Sofa, und seine Auftritte auf dem Spielfeld erledigt er wie nebenbei. Wo Benny in seinem Strudel immer schneller taumelt, steht Yossi als nachdenklicher Beobachter wie unbeteiligt am Rande.
In den Rollen der zwei ungleichen Freunde brillieren Uri Zohar selbst als Benny und Arik Einstein, in Israel bis heute vor allem als Sänger populär, als Yossi. Das Portrait der beiden steht zwischen Metzitzim (Peeping Toms, 1972) und Hatzilu et HaMatzil (Save the Lifeguard, 1977) als besinnlichster von drei Filmen über Männer, die längst keine Jungen mehr sind, aber sich weigern, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Uri Zohars berühmte Tel Aviver Trilogie markiert schon beinahe das Ende seiner kurzen, aber enorm fruchtbaren Karriere als Regisseur. Kurze Zeit später sollte er, eine Ikone der Tel Aviver Boheme, der hedonistischen Stadt am Mittelmeer den Rücken kehren. Er lebt heute als orthodoxer Rabbiner in Jerusalem.

Mit freundlicher Unterstützung von United King

Einführung am 30.4.: Ariel Schweitzer
Einführung am 3.5.: Ralf Dittrich

am 30.4. um 20.00 Uhr
am 3.5. um 21.00 Uhr

 

 

 

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BiYerushalayim
In Jerusalem

Israel, 1963, R: David Perlov, 33’, OmeU

Yoman
Diary, Chapter I

Israel 1973-77, R: David Perlov, 55’, OmeU

"Von nun an werde ich stets entscheiden müssen, ob ich die Suppe filmen oder essen will.", heißt es zu Beginn des Yoman im Voice-over-Kommentar des Regisseurs. Von 1973 bis 1983 schrieb der wichtigste und zugleich ungewöhnlichste Dokumentarfilmer Israels mit einer 16mm-Kamera sein filmisches Tagebuch. Im Zentrum des Films: die Wohnung des Filmemachers. Der Blick nach außen eröffnet sich nur durch das Fenster, und lediglich für Auslandsreisen verlässt die Kamera das Haus. Perlov, nach dem Misserfolg seines Spielfilms HaGlula (The Pill 1967) ohne Aufträge, hatte Yoman begonnen als Suche nach einer filmischen Ausdrucksform abseits von kommerziellen Produktionsstrukturen. Die Mischung aus politischen, künstlerischen und privaten Reflektionen, aus an Home Movies erinnernden Familienaufnahmen, Reisetagebuch und Fernsehbildern wurde zu einem der interessantesten Dokumente eines krisenhaften Jahrzehnts. Mit den vier Jahren vom Yom-Kippur-Krieg 1973 über den Wahlsieg Menahem Begins bis zum Besuch Sadats in Jerusalem 1977 umspannt der erste Teil eine Zeit dramatischer politischer Veränderungen. Mit Reisen nach Brasilien, wo Perlov aufgewachsen war, und Paris, wo er studiert hatte, betreibt er zugleich eine Spurensuche, die am Ende immer wieder in die neue Heimat Israel zurückführt.
Ein erster wichtiger Meilenstein in der künstlerischen Karriere Perlovs und im israelischen Dokumentarfilm gleichermaßen  war sein kurzer Film BiYerushalayim. "Das ist vielleicht das erste Mal, dass wir nicht ein Jerusalem der Flaggen […], ein Jerusalem der Touristen und des Jüdischen Nationalfonds sehen, sondern die Impressionen eines Menschen, der mit scharfem Blick in die entlegensten Ecken vordringt und die einfachen Menschen findet.", schrieb Al HaMishmar 1964. Der Film, der ein – damals noch geteiltes – Jerusalem in Lebens- statt in Überlebensgröße zeigt, der alles Heroisierende vermeidet, stieß in seiner Zeit zunächst auf heftigen Widerspruch, und es bedurfte der Intervention des Premierministers, ihn überhaupt aufzuführen.

Mit freundlicher Unterstützung von Mira und Yael Perlov sowie des Israel Film Service

Einführung am 1.5.: Ariel Schweitzer
Einführung am 4.5.: Ralf Dittrich

am 1.5. um 20.00 Uhr
am 4.5. um 21.00 Uhr

 

 

 

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Hem Hayu Assarah
Es waren zehn

Israel 1960, R: Baruch Dienar, D: Oded Teomi, Ninette Dinar, 99’, OmU

Western kommen aus dem Westen, und sie sind aufgeladen mit Ideologie. Der ideologischste Western aller Zeiten jedoch stammt aus dem Nahen Osten: Hem Hayu Assarah ist geradezu ein Manifest des Zionismus. Spätes 19. Jahrhundert: neun Männer und eine Frau, geflohen vor antisemitischen Pogromen im zaristischen Russland, lassen sich nieder im Norden Palästinas. In einer löchrigen Behausung, bedroht vom türkischen Polizisten, beargwöhnt von den arabischen Nachbarn, gehen sie die Erschließung des Landes an. Keiner von ihnen hat die Kenntnisse, die dafür nötig sind. Keiner von ihnen hat in Europa je einen Pflug geführt oder gesät, und eine große Dürre erschwert das Leben zusätzlich. Nicht alle haben die physische und psychische Stärke, die Strapazen durchzustehen, aber doch schreitet ihr Aufbauwerk unaufhaltsam voran.
Ein Meisterwerk des zionistischen Realismus, voll von heroischem Pathos, bedient der Film ungebrochen eine Erzählform, deren Codes lange Zeit bestimmend waren. Wie im klassischen Western betreten die Pioniere ein scheinbar unberührtes Land, und in der Dichotomie von Gut und Böse sind sie ungebrochen die Guten. Über die Vorstellung vom guten Araber jedoch wird auch die Aussicht auf eine Koexistenz in Frieden nicht verstellt.
Hem Hayu Assarah bekam international viel Anerkennung, unter anderem wegen seiner eindrücklichen Bilder aus Galiläa. In Cannes mit einem Preis bedacht, markiert er für die israelische Filmindustrie noch aus ganz anderen Gründen einen Wendepunkt: er war der erste Film, der in den Genuss von steuerlichen Fördermaßnahmen kam. Nach mehr als einem Jahrzehnt, in dem Spielfilme nur sporadisch entstehen konnten, war der Erfolg Dienars der Auftakt für eine sich endlich stabilisierende, kontinuierliche Filmproduktion.

Mit freundlicher Unterstützung von Janky M. Dinar

Einführung: Tobias Ebbrecht

am 2.5. um 19.00 Uhr
am 16.5. um 21.00 Uhr

 

 

 

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Ashdod, Juni 1961
Ashdod, June 1961

Israel 1961, R: Helga Cranston, 15’, OmeU

Etz O Palestine
The True Story of Palestine
Die wahre Geschichte Palästinas

Israel 1962, R: Nathan Axelrod, Yoel Zilberg, Uri Zohar, 66’, OmU

In wenigen Sekunden geht es von Urvater Moses zu Theodor Herzl, und gleich weiter zu den ersten zionistischen Siedlern. Danach verliert der Film ein wenig an Rasanz, aber er bleibt ein Parforceritt durch dreißig Jahre israelischer Geschichte.
Nathan Axelrod zählt zu den Pionieren des israelischen Kinos. 1926 aus der Sowjetunion nach Palästina eingewandert, hatte er sich nach gescheiterten Versuchen, Spielfilme zu machen, schnell auf Kinowochenschauen verlegt. Hunderte Stunden Filmmaterial bilden heute ein wichtiges Zeugnis der Mandatszeit in Palästina und der ersten Jahre des Staates Israel. Die 1962 aus diesem Fundus entstandene ungewöhnliche Kompilation Etz O Palestine lässt uns Tel Avivs ersten Bürgermeister Meir Dizengoff zu Pferd erleben, die Einweihung des neuen Hafens von Tel Aviv, die Haarpracht Ben Gurions, ein Fußballspiel in Tel Aviv, die illegale Einwanderung nach Palästina, die Sümpfe im Norden und die Wüste im Süden Israels.
Der Querschnitt durch die Geschichte des Landes, aus der Zusammenarbeit des Veteranen Axelrod mit den jungen Filmemachern Zilberg und Zohar entstanden, macht zugleich jene Stimmung naiver Unschuld spürbar, die Israel in den Jahren vor dem Sechs-Tage-Krieg prägte. Etz O Palestine bezieht seinen Schwung nicht zuletzt aus dem (von Haim Topol gesprochenen) humorvollen, gelegentlich ironischen Kommentar, der den Film mit überraschender Leichtigkeit begleitet.
Aus der gleichen Zeit stammt auch der kurze Dokumentarfilm Ashdod,Juni 1961, der vom Aufbau der jungen Hafenstadt am Mittelmeer berichtet. Ashdod, erst 1957 inmitten von Sanddünen gegründet, zählt zu den klassischen Entwicklungsstädten Israels. 1961 begannen Neueinwanderer mit dem Bau des Hafens, der heute zu den wichtigsten Israels gehört. Ihr harter Alltag ist der aller Neuankömmlinge in Israel.

Mit freundlicher Unterstützung von Shirly und Nitza Pashanel, United King sowie des Israel Film Service und des Steven Spielberg Jewish Film Archive

Einführung: Stewart Tryster

am 2.5. um 21.00 Uhr
am 4.5. um 19.00 Uhr

 

 

 

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Ta'alat Blaumilch
The Big Dig

Israel 1969, R: Ephraim Kishon, D: Yoseph (Bomba) Tzur, Shraga Friedman, Nissim Izikari, 85’, OmeU

Ephraim Kishon ist im Ausland vor allem als Schriftsteller berühmt geworden. Weniger bekannt ist, dass der Autor satirischer Kurzgeschichten auch bei einigen der erfolgreichsten israelischen Filme Regie geführt hat. Gleich sein erster Film Sallah Shabbati (1964) brachte ihm eine Oscar-Nominierung. Auch sein zweiter Film, Ta'alat Blaumilch, wurde ein Hit und avancierte zu einem Klassiker des israelischen Kinos. Hier widmete sich Kishon einem seiner Lieblingsthemen: mit ätzender Schärfe nahm er die israelische Bürokratie aufs Korn und gab sie der Lächerlichkeit preis. Sein Gespür für ein perfektes Timing und sein Sinn für Pointen machen den Film ebenso zu einem kurzweiligen Vergnügen wie die bis in Nebenrollen exzellente Besetzung.
Blaumilch, aus der Psychiatrie entwischt, stiehlt sich einen Presslufthammer und beginnt in den frühen Morgenstunden, die verkehrsreichste Kreuzung Tel Avivs aufzubrechen. Mit dem Berufsverkehr beginnt das Chaos. Während man sich in der Stadtverwaltung verzweifelt bemüht, den Urheber der Arbeiten ausfindig zu machen, während die Anwohner in Lärm und Dreck verzweifeln, zieht Blaumilch, geschützt von tumben Polizisten, mit dem Hammer unbeirrt seine Bahn. Die Bauarbeiten avancieren zum Wahlkampfthema. Keiner der eitlen und selbstsüchtigen Bürokraten will anfangs die Verantwortung übernehmen, doch das Blatt wendet sich, als konkurrierende Politiker eine heimliche Initiative des jeweiligen Gegners wittern: plötzlich überbieten sich die Funktionäre, jeder will an erster Stelle stehen, und Heerscharen von Bulldozern, Baggern und Bauarbeitern werden Blaumilch an die Seite gestellt. Danach wird Tel Aviv nicht mehr sein, was es einmal war.

Mit freundlicher Unterstützung von United King

Einführung: Stewart Tryster

am 3.5. um 19.00 Uhr
am 9.5. um 21.00 Uhr

 

 

 

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Le'an Ne'elam Daniel Wax
But Where Is Daniel Wax

Israel 1972, R: Avram Heffner, D: Lior Yaeni, Yishai Shahar, Esther Zebko, Yael Heffner, 97’, OmeU

Längst sind Reisen in ferne Länder für Israelis so normal geworden wie das Leben im Ausland. In den siebziger Jahren hingegen war ein Flug nach Amerika noch ein exklusives Vergnügen, und Abwanderung hatte etwas von Verrat. Wer aber seinen Weg in Übersee gemacht hatte, konnte sich der Bewunderung seiner Landsleute sicher sein. Nach Jahren in den USA kehrt der Sänger Shpitz für einen Besuch nach Israel zurück. Mit Lipkin, einst sein Jugendfreund und mittlerweile Arzt, und wie Shpitz in einer Sinnkrise, lässt er Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit Revue passieren. Ihre Gespräche kreisen vor allem um Daniel Wax – das Idol ihres Abiturjahrganges. Mehr und mehr wird Shpitz' Besuch zu einer obsessiven Suche nach dem auf mysteriöse Weise verschwundenen Klassenkameraden. Immer enger zieht der Film seine Kreise um die Leerstelle in seinem Zentrum. Auf seiner Reise quer durch Israel muss der erfolgsverwöhnte Protagonist schmerzlich begreifen, dass die unbeschwerte Jugendzeit unwiderruflich vorüber ist.
Das melancholische Roadmovie nimmt, obzwar bereits 1972 gedreht, die Stimmung der Zeit nach dem Yom-Kippur-Krieg ahnungsvoll vorweg. Heffners erster langer Film, überwiegend mit Laiendarstellern gedreht, macht einen tiefgreifenden Prozess der Ernüchterung spürbar, und der Verlust der Illusionen, mit dem die Protagonisten in der Mitte ihres Lebens zurechtkommen müssen, lässt sich ebenso als eine Metapher auf die in die Jahre gekommene israelische Gesellschaft lesen. Jugendlicher Schwung und ein Gefühl von Gemeinschaft, die in den Aufbaujahren ein Gefühl von Sicherheit gegeben hatten, sind Nachdenklichkeit und Zweifeln gewichen, und wie bei Shpitz werden hinter der Fassade zur Schau getragener Selbstsicherheit tiefe Risse deutlich sichtbar.

Mit freundlicher Unterstützung von Avram Heffner

Einführung am 7.5.: Avram Heffner
Einführung am 10.5.: Lihi Nagler

am 7.5. um 20.00 Uhr
am 10.5. um 21.00 Uhr

 

 

 

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Hor BeLevanah
Hole in the Moon
Loch im Mond

Israel 1965, R: Uri Zohar, D: Uri Zohar, Avram Heffner, 73’, OmeU

„Der Mond hat kein Loch. Jeder normale Mensch weiß, daß der Mond kein Loch hat. Aber Loch im Mond ist ein Film. Und wenn Loch im Mond ein Film ist, kann er auch ein Loch im Mond zeigen. Deshalb trägt der Film diesen Titel. Wenn Loch im Mond kein Film wäre, trüge er nicht diesen Titel, denn dann hätte der Mond kein Loch." (Uri Zohar)
Kein Filmemacher in Israel hatte vor Hor BeLevanah je die Sprache des Kinos selbst ins Zentrum gestellt, und keiner hat je wieder so radikal mit ihr experimentiert wie Uri Zohar Mitte der sechziger Jahre. Mit einem Feuerwerk von filmischen Einfällen und historischen Referenzen unterläuft er alle Erwartungen an eine kohärente narrative Struktur. Inspiriert von Adolfas Mekas' Hallelujah the Hills, hatte Zohar seinem ersten Spielfilm zugleich eine sehr spezifisch israelische Ausrichtung gegeben. Nicht nur das Filmemachen an sich wird hier zum Thema: Zohar parodiert vor allem und ganz speziell die Grundmuster des zionistischen Realismus, die das israelische Kino bis dahin bestimmt hatten.
Tzelnick erreicht den Hafen von Jaffa, auf einem Floß: gestrandet schon vor der Ankunft im Heiligen Land. Als Saftverkäufer in der Wüste, mitten im Nichts, lässt er sich nieder – um am kommenden Morgen zu entdecken, dass gerade gegenüber Mizrahi einen weiteren Saftkiosk eröffnet hat. Weil andere Kundschaft fehlt, verkaufen sich die beiden gegenseitig Getränke, bis ihnen eines Tages ein Gast rät: "Macht Filme." Und weil die reale Welt die Versprechen nicht hält, die sie gegeben hat, schaffen Tzelnick und Mizrahi sich mit einem Film im Film ihr eigenes Universum. Doch dieses erweist sich als ebenso unkontrollierbar wie das echte Leben. Die Folgen ihres Unterfangens sind fatal.

Mit freundlicher Unterstützung von Shoval Films

Einführung am 8.5.: Avram Heffner
Einführung am 10.5.: Ralf Dittrich

am 8.5. um 20.00 Uhr
am 10.5. um 19.00 Uhr

 

 

 

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Or Min HaHefker
Light Out of Nowhere

Israel 1973, R: Nissim Dayan, D: Nissim Levy, Shlomo Bassan, Abie Saltzberg, 94’, OmeU

Mit der Bewegung der israelischen Black Panther fand die lange angestaute Wut von Juden orientaler Herkunft zu Beginn der siebziger Jahre ein Ventil, verschafften sich jene, die sich vom ashkenasischen Establishment als Bürger zweiter Klasse behandelt sahen, eine Stimme. Auch im Kino war ihre Sache bis dahin lediglich in populären Komödien verhandelt worden, in denen man sich auf Kosten der unterprivilegierten Orientalen billig amüsieren konnte. Und nicht einmal in diesen Genrefilmen vertraten sie sich selbst: Sephardim im Film wurden oft von ashkenasischen Schauspielern verkörpert; sephardischen Darstellern blieb die Rolle der (noch schlechter angesehenen) Araber.
Die aufgeladene Stimmung dieser Zeit greift Nissim Dayan auf, wenn er in den staubigen Straßen eines Tel Aviver Armenviertels mit Laiendarstellern die Geschichte des siebzehnjährigen Shaul inszeniert, der sich wiederfindet zwischen der unterwürfigen Schicksalsergebenheit seines Vaters und dem hilflosen Zynismus seines kriminellen Bruders. Beides sind Optionen, die er nicht akzeptieren will. Aber welche Möglichkeiten hat einer, ohne Ausbildung, dem als Orientalen das Stigma der Minderwertigkeit anhängt?
Dayans am Neorealismus orientierter Film bricht ein Tabu, wenn er das hoffungslose Leben in den Elendsquartieren Tel Avivs plastisch spürbar werden lässt, und er ist fast dokumentarisch nah an der Realität, wenn die Bewohner gewaltsam rebellieren gegen die behördlich verfügte Zerstörung eines Schuppens, in dem all die mühsam zusammengekratzten Groschen seiner Bewohner stecken. Es ist eine böse Ironie des Schicksals, dass Or Min HaHefker seinerzeit fast ungesehen von den Leinwänden verschwand: sein Kinostart fiel in die ersten Tage des Yom-Kippur-Kriegs, in dem Israel um sein Überleben kämpfte.

Mit freundlicher Unterstützung von United King

Einführung: Lihi Nagler

am 9.5. um 19.00 Uhr
am 11.5. um 21.00 Uhr

IM AUFBAU - ISRAELISCHES KINO. EINE RETROSPEKTIVE
Eldorado
Israel 1963, R: Menahem Golan, D: Haim Topol, Gila Almagor, Shaike Ophir, 103’
OmeU

Menahem Golan gehört zu den widersprüchlichsten Figuren der israelischen Filmszene. Als Regisseur und Drehbuchautor, vor allem aber als Produzent hat er wie kein anderer das kommerzielle Kino in Israel geprägt, und viele Filmleute haben ihre Karriere bei ihm begonnen. Während die Kritik ihn schmähte, waren die meisten seiner Produktionen Publikumserfolge, und von sieben Oscar-Nominierungen, die es für israelische Filme bis anhin gegeben hat, gingen vier an Golan.
Mit Eldorado, seiner ersten Regiearbeit, beginnt die Erfolgsgeschichte der sogenannten Bourekas: nach einem billigen orientalischen Gebäck benannte Unterhaltungsfilme, die ihre Spannung aus dem Konflikt unterschiedlicher Ethnien beziehen und in deren Zentrum oft die Romanze eines Orientalen mit einer Ashkenazy steht. Benny, Krimineller aus Jaffa, wird aus Mangel an Beweisen von einem Mordvorwurf freigesprochen und will ein neues Leben beginnen. Doch sein erbitterter Widersacher, Polizeikommissar Buganov, will ihn um jeden Preis wieder im Gefängnis sehen. Seine einstigen Kumpane lassen ihn nicht aus ihren Fängen. Seine alte Liebe, die Prostituierte Margo, hängt noch immer an ihm, während sich ihm mit Noemi, der schönen Tochter seines Anwalts, ganz neue Aussichten bieten. In Noemis Oberschichts-Umfeld wiederum findet die junge Liebe wenig Beifall. In den engen Gassen der alten Hafenstadt Jaffa legt sich ein Netz von Intrigen immer enger um Benny, und seine guten Vorsätze scheinen zum Scheitern verurteilt.
Für Haim Topol, der später als Sallah Shabbati und als Tevye weltberühmt werden sollte, war Benny eine seiner ersten Filmrollen, und auch Gila Almagor (Margo), vielleicht der einzige echte Star des israelischen Kinos, stand hier noch am Anfang ihrer Karriere.

Mit freundlicher Unterstützung von Shoval Films

Einführung: Lihi Nagler

am 11.5. um 19.00 Uhr
am 16.5. um 19.00 Uhr

ISRAELISCHES KINO. VORTRÄGE UND GESPRÄCHE

IM AUFBAU - ISRAELISCHES KINO. EINE RETROSPEKTIVE
The New Sensibility:
Israeli Modern Cinema of the Sixties and Seventies.

Lecture by Ariel Schweitzer (in English)

Als sich junge israelische Filmemacher in den sechziger Jahren anschickten, das heroische zionistisch-realistische Kino in Frage zu stellen, kannten sie natürlich die kinematographischen Erneuerungsbewegungen ihrer Zeit. Was aber entstand aus der Übertragung von Einflüssen des modernen europäischen und amerikanischen Kinos auf den lokalen israelischen Kontext? Ariel Schweitzer, Hochschullehrer in Tel Aviv und Paris, stellt charakteristische Themen und Stilformen eines vielfältigen Autorenkinos vor, das unter dem Begriff der New Sensibility subsummiert wird?

Der Filmwissenschaftler Ariel Schweitzer unterrichtet an den Universitäten Paris VIII und Tel Aviv. Er ist Autor des Buches Le Cinéma israélien de la modernité (Paris, 1997) und Kurator von Filmreihen.

Eintritt frei

am 30.4. um 18.30 Uhr

 

IM AUFBAU - ISRAELISCHES KINO. EINE RETROSPEKTIVE
Le'at Yoter / Slow Down
Avram Heffner in conversation with Ralf Dittrich (in English)

Avram Heffner hat den israelischen Film seit den sechziger Jahren als Regisseur, Autor, Schauspieler und auch als Lehrer mitgeprägt. Wir zeigen seinen Film Le'an Ne'elam Daniel Wax sowie Hor BeLevanah, in dem er eine Hauptrolle spielt.
Im Gespräch mit Ralf Dittrich berichtet Avram Heffner über das Filmemachen im Israel der sechziger und siebziger Jahre. Neben den institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungen für die Entwicklung eines Autorenkinos steht seine persönliche Erfahrung im Mittelpunkt: seine Motivation, seine Themen, die Quellen seiner Inspiration.

Eintritt frei

am 7.5. um 18.30 Uhr

 

IM AUFBAU - ISRAELISCHES KINO. EINE RETROSPEKTIVE
Shoot / Movies: Kriege im israelischen Kino.

Vortrag von Ralf Dittrich

Es überrascht nicht, dass Krieg im israelischen Kino breiten Raum einnimmt. Israel hat Kriege geführt, deren Richtigkeit kein Israeli je in Frage gestellt hätte. Längst jedoch ist die Bevölkerung sich nicht mehr einig in der Bewertung der militärischen Auseinandersetzungen, an denen das Land beteiligt ist. Wie zeigt sich diese zunehmend kritische Haltung im Film? Hat sich die Repräsentation des Krieges im israelischen Kino verändert? Was liegt zwischen Hill 24 Doesn't Answer (Thorold Dickenson, 1954) und dem gerade für den Oscar nominierten Beaufort (Joseph Cedar, 2007)?

Ralf Dittrich lebt als Filmwissenschaftler und Kurator von Filmprogrammen in Berlin. Das israelische Kino gehört zu seinen Arbeitsschwerpunkten.

Eintritt frei

am 14.5. um 18.30 Uhr

 

 

IM AUFBAU - ISRAELISCHES KINO. EINE RETROSPEKTIVE
Ein Kino des Westens im Nahen Osten?
Symposium zum israelischen Film

Israel, obwohl im Nahen Osten gelegen, wird gemeinhin dem westlichen Kulturkreis zugerechnet, und in der Tat war das israelisches Kino seit seinen Anfängen in hohem Maße von europäischen und amerikanischen Einflüssen geprägt. Viele seiner Protagonisten waren ashkenasischer Abstammung, nicht wenige absolvierten ihre Ausbildung in Europa oder in den USA. Sie waren mit den kinematographischen Strömungen des Westens vertraut. Mindestens genauso prägend war für sie jedoch der lokale Kontext, und so entstanden zahlreiche originär israelische Arbeiten – weit davon entfernt, eine Kopie etwa der Nouvelle Vague zu sein. Die Kenntnis kultureller und historischer Hintergründe und Zusammenhänge hilft, Nuancen wahrzunehmen, die andernfalls womöglich unverstanden blieben.
Das Symposium mit internationaler Beteiligung bietet die Möglichkeit, einzelne Aspekte, die für die Entwicklung des israelischen Kinos von entscheidender Bedeutung waren, intensiv zu diskutieren und damit das Verständnis einer trotz aller Verwandtschaft immer wieder auch fremd erscheinenden Filmkultur zu vertiefen.

Link: Programm (.pdf)


Eine Anmeldung, die bis zum 2. Mai unter der Telefonnummer 030 / 20 30 44 21 möglich ist, wird erbeten.

Eintritt frei

am 4.5. um 11.00 Uhr

 

 

 
  Filmarchiv