Kino im Zeughaus

 

Kino im Zeughaus | Programm | Programmarchiv


 

KUNST DES DOKUMENTS – PORTRAITS


 

KUNST DES DOKUMENTS – PORTRAITS

Viele dokumentarische Arbeiten entspringen der Begegnung mit einem oder mehreren Menschen. Es nimmt deshalb nicht Wunder, dass der Portraitfilm ein besonders beliebtes Genre des Dokumentarfilms ist. KUNST DES DOKUMENTS – PORTRAITS präsentiert fünf ganz unterschiedliche Filme, die einzelne Menschen oder Menschengruppen portraitieren. Die Filmemacher verhalten sich beobachtend oder interagierend, romantisierend oder ironisch, verunsichert oder selbstbewusst. Sie ordnen rückblickend ein Leben oder erfassen introspektiv eine Gefühls- und Gedankenwelt, die eigene Wahrnehmungsweisen mitein schließt. Das dokumentarische Portrait zählt zu einer besonders faszinierenden und vielgesichtigen Erscheinungsform der Filmgeschichte.

 

KUNST DES DOKUMENTS – PORTRAITS
Jean Seberg – American Actress
D/CH 1995, R: Donatello und Fosco Dubini, 82’

Die Brüder Dubini stellen seit 1981 Dokumentar- und Spielfilme zu kulturhistorischen Themen her. Bei der Auswahl ihrer Themen interessieren sie sich vor allem für das Verhältnis zwischen Europa und Amerika unter dem Einfluss populärer Kultur. Jean Seberg – American Actress portraitiert die in Marshalltown, Iowa aufgewachsene Schauspielerin, die 1957 als 17-jährige von Otto Preminger für die Rolle der Heiligen Johanna in dessen gleichnamigem Film entdeckt wurde. Nach Bonjour Tristesse, einem weiteren Film von Otto Preminger, ging sie nach Europa und avancierte dort mit Godards A bout de souffle 1959 zur Muse der Nouvelle Vague. 1979, gerade einmal vierzigjährig, nahm sie sich das Leben. Jean Seberg – American Actress erzählt diese Biografie in Filmauszügen, privaten Zeugnissen, Pressefotos und Telefongesprächen.
Da sich Jean Seberg bis 1970 für die Black Panther engagierte, wurde sie wegen „unamerikanischen Verhaltens“ vom FBI überwacht. Mehr und mehr häuften sich private Krisen. Jean Seberg geriet in einen Zustand psychischer Labilität. „So wird der Film im letzten Drittel zunehmend zu einem Verschwörungsszenario, bei dem die Filmemacher unter anderem den Leibwächter von Jean Seberg und einen damaligen Black Panther ihre Theorien zu ihrem Tod ausführen lassen.“ (Wilfried Hippen, taz, 5.1.2006)

am 03.05. um 20.00 Uhr

 

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – PORTRAITS
Nanook of the North
Nanuk, der Eskimo

USA 1922, R: Robert Flaherty, OF, 79’

Zwischen 1914 und 1920 reiste Robert Flaherty mehrere Male zu den Inuit nach Nordkanada, sammelte dort Material für Vorträge und machte erste Filmaufnahmen. Diese wurden jedoch im Schneideraum versehentlich vernichtet. Als ihm eine New Yorker Pelzhandelsfirma einen weiteren Film finanzierte, brach Flaherty 1920 erneut in den Norden auf. Diesmal führte er alles mit sich, was nötig war, um vor Ort entwickeln, kopieren und vorführen zu können. So konnte Flaherty hier in einer Person als Regisseur, Kameramann, Drehbuchautor, Cutter und Produzent nach jedem Dreh das Material zusammen mit den Inuit sichten, Filmszenen ausmustern und neu drehen. Es entstand ein eindrucksvolles Porträt über den talentierten Walrossjäger und fürsorglichen Familienvater Nanuk - ein früher abendfüllender Dokumentarfilm, der an den internationalen Kinokassen außerordentlich erfolgreich war.
Jürgen Dittrich schreibt über Flahertys Filme: „Flahertys ethnographische Filme sind romantisierende Filme. Die ‚fiktiven’ Inuit seiner Filme sind naiver, fröhlicher und beim Jagen geschickter als die realen. Die traditionelle Kleidung, die im Film zu sehen ist, trugen die Eskimos in Wirklichkeit schon lange nicht mehr. Auch jagten sie mittlerweile mit Gewehren und nicht mit Harpunen, wie der Film behauptet. Und technikfeindlich waren die Inuit schon gar nicht. Ganz im Gegenteil, sie sind es, die Flahertys Kamera reparieren und sein Filmmaterial entwickeln.“ (www.stummfilmkonzerte.de)

Musikalische Begleitung: clair-obscur saxophonquartett

am 10.05.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – PORTRAITS
Je chanterai pour toi
African Blues

FR/ML 2002, R: Jacques Sarasin, OmU, 76’

Der „schönste Arme-alte-vergessene-Musiker-Film“, wie Michael Pilz meint (Die Welt, 18.9.2003): Der Schweizer Dokumentarfilmer Jacques Sarasin unternimmt mit dem Sänger KarKar eine Reise in dessen Vergangenheit. KarKar („Schwarze Jacke“), wie der Musiker aus Mali in den 60er Jahren genannt wurde, komponierte einst politische Songs und besang die Unabhängigkeit des Soudan français. Jeder Malinese seiner Generation erinnert sich heute noch daran, nach seinem Mali Twist getanzt zu haben. Als KarKar seine große Liebe Pierrette findet, zieht er mit ihr in die Provinz. Doch Pierrette stirbt bei der Geburt ihres Kindes. KarKar arbeitet zunächst weiter als Sänger, dann geht er als Bauarbeiter nach Paris. Nach Jahren spürt ihn hier ein begeisterter englischer Musikproduzent auf und holt ihn mit seiner melancholisch-leidenschaftlichen Musik zurück in die Öffentlichkeit. „KarKar singt nicht von der verlorenen Zeit und schon gar nicht vom Scheitern der kühnen Hoffnungen in seinem Land. Er singt von der Liebe zu Pierrette. Auf die Trauer um sie ist sein Leben zusammengeschmolzen. (…) African Blues ist ein Gedicht, das die Kamera schrieb.“ (Hans-Jörg Rother, Der Tagesspiegel, 23.9.2003)

am 17.05.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – PORTRAITS
Mr. Death: The Rise and Fall of Fred A. Leuchter, Jr.
GB/USA 1999, R: Errol Morris, OmU, 91’

Die abendfüllenden Dokumentationen von Errol Morris zählen zu den eindrucksvollsten Arbeiten der jüngeren Filmgeschichte. In Mr. Death portraitiert er einen unscheinbar wirkenden Mann, der als „Techniker der Todesstrafe“ in die Geschichte eingegangen ist. Fred A. Leuchter, Sohn eines Gefängniswärters, verfolgt die Idee, die Todesstrafe „humaner“ zu gestalten – wie er es selbst ausdrückt. „Humaner“ gestalten will er zunächst den Elektrischen Stuhl, dann die Todesspritzen und schließlich die Gaskammern. Zu zweifelhafter Berühmtheit gelangt Leuchter weltweit, als er 1988 in Toronto in einem Prozess gegen den Holocaustleugner Ernst Zündel als Sachverständiger auftritt und wissenschaftlich zu beweisen glaubt, dass es Gaskammern in Auschwitz nie gegeben haben kann. Diese „Beweise“ werden später durch den Historiker Jan van Pelt widerlegt.
„Morris lässt ihn (Leuchter) vor einem nüchternen Hintergrund reden, mit dem Stolz und Selbstbewusstsein des Dummen erzählt er von seiner Mission. Den kulturellen Kontext – etwa den berüchtigten Edison-Film von der Exekution eines Elefanten – webt Morris ein, zudem verfremdet er das Material, sucht förmlich nach einer passenden Darstellungsform dieses Sprechens und formt so allmählich ein Schauerstück aus der Realität.“ (Dominik Kamalzadeh, Der Standard, 13./14.1.2001)

am 24.05.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

KUNST DES DOKUMENTS – PORTRAITS
Every Day Except Christmas
GB 1957, R: Lindsay Anderson, OF, 41’
We Are the Lambeth Boys
GB 1958, R: Karel Reisz, OF, 51’

Die Regisseure Lindsay Anderson und Karel Reisz bildeten 1956 zusammen mit den Kameramännern Walter Lassaly und John Fletcher das so genannte „Free Cinema Committee“. Sie verstanden ihr „Komitee“ einerseits als ein Forum für Individualisten, andererseits als Sprachrohr für ihre filmpolitischen Ideen. Und sie kämpften für realistische Filme mit zeitgenössischen Themen, die eine Alternative zu den amerikanischen „Kommerzfilmen“ bieten sollten.
1957 dreht Lindsay Anderson, einer Einladung seines Studienkollegen Karel Reisz folgend, Every Day Except Christmas. Anderson portraitiert in diesem Film die arbeitenden Menschen auf dem berühmten Freiluftmarkt in Covent Garden, wo sich damals der zentrale Blumen-, Obst- und Gemüsemarkt Londons befand. Seine ästhetischen Vorstellungen beschreibt Anderson folgendermaßen: „Every Day Except Christmas ist ein grundsätzlich subjektiver Film. Sehr, sehr subjektiv und sehr poetisch in dem Sinne, dass die Poesie, an die ich glaube, immer subjektiv ist, und dass dieses ganz speziell die Qualität des Films und in der Tat in gewisser Weise das Free Cinema ist.“ (www.fsr-photoing.de)
We Are the Lambeth Boys erzählt von Jugendlichen im „Alford House“, einem Jugendclub in London. Hier treffen sie sich zum Reden, Tanzen, Sporttreiben, Schneidern und Malen. Einige kommen gleich von der Arbeit hierher. Karel Reisz sagt über die Ideen, die dem Film zugrunde liegen: „Dieser Film entstand aus der Vorstellung, dass politische Aktionen uns zu besseren Dingen führen. Das war unser Gefühl im England der 50er Jahre. Aber eben da fing der Film an, die Frage zu stellen, ob materielle Verbesserungen im Leben der Leute nicht notwendigerweise mit dem Einhergehen einer geistigen Krisis verbunden sein würden.“ (www.fsr-photoing.de)

am 31.05.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

 

 
  Filmarchiv