Kino im Zeughaus

 

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  WERKSCHAU THOMAS HEISE

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE

Kaum ein zweiter deutscher Filmemacher ist in den vergangenen drei Jahrzehnten derart unbeirrbar und bestimmt seinen Weg gegangen wie Thomas Heise. Interessiert an Menschen, die sich im kleinkriminellen Milieu Ost-Berlins bewegen, führt sein Film Wozu über diese Leute einen Film 1980 zum vorzeitigen Abbruch des Regie-Studiums an der Filmhochschule in Potsdam. Es folgen Jahre der freiberuflichen Arbeit als Autor und Regisseur, darunter Arbeiten für den Rundfunk der DDR, für die staatliche Filmdokumentation und für das Theater. Nach dem Zusammenbruch der DDR dreht Heise wieder regelmäßig Filme, deren Realisierung aber oft konfliktreich bleibt und die nach wie vor Diskussionen auslösen. Interessiert an Menschen, die einerseits von den großen historischen Bewegungen unserer Zeit affiziert, andererseits aber an den Rand der Gesellschaft geraten sind, stellen Heises Filme im zeitgenössischen deutschen Kino ein einzigartiges Œuvre dar. Das Zeughauskino zeigt die Arbeiten Thomas Heises im Rahmen einer umfangreichen Werkschau, die nahezu sein gesamtes filmisches Schaffen und darüber hinaus drei Originalton-Hörspiele umfasst.

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
Barluschke
D 1997, R: Thomas Heise, K: Peter Badel, 90’

Gruppenbild mit Kindern und Haustieren in einer großzügigen Pariser Wohnung - die ersten Einstellungen verheißen Idylle. Doch der Mann, um den sich hier in scheinbar entspannter Atmosphäre alles dreht, ist kein gewöhnlicher Familienvater. Es handelt sich um Bertold Barluschke alias Knut Damasch alias IM „Michael“, ehemaliger Agent für MfS, BND und CIA, Devisenhändler für die DDR, später Waffenschieber. Als „Kundschafter des Friedens“, so der offizielle DDR-Jargon für einen Auslandsspion, vermag er der Enge der realsozialistischen Heimat zu entfliehen, geht in die USA, lebt dort als scheinbar biederer Geschäftsmann mit Frau und Kindern, Dienstreisen führen ihn rund um den Globus. Er ist musisch begabt, belesen, ein bekennender Feinschmecker und Lebenskünstler. Vor der Kamera plaudert er über die zwielichtige Profession, als handele es sich um eine Art Bohèmedasein. „Heise geht in seinem merkwürdigen Film über einen merkwürdigen Menschen den einzig gangbaren Weg: er beschreibt Barluschke als Phänomen, enthält sich jeder Wertung. Hinter all den Masken offenbart sich die Leere eines verschwendeten Lebens, Opfer- und Täterrollen gehen ineinander über. Sehenswert!“ (Claus Löser: TIP-Magazin 7/1998)

am 06.10. in Anwesenheit von Thomas Heise

am 06.10.2007 um 21.00 Uhr
am 09.10.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
Eisenzeit
D 1991, R: Thomas Heise, K: Sebastian Richter, 87’

Bereits während seiner Zeit als Regiestudent in Potsdam-Babelsberg plant Thomas Heise ein Gruppenporträt über Jugendliche in Eisenhüttenstadt, der „ersten sozialistischen Stadt der DDR“, die als „Stalinstadt“ Anfang der 1950er Jahre aus dem Boden gestampft wurde. Das Projekt wird noch im Recherchestadium auf Veranlassung der HFF und des Ministeriums des Innern abgebrochen. Als der Regisseur zehn Jahre später endlich in seinem Beruf arbeiten kann und sich erneut dem alten Vorhaben zuwendet, sind nur noch zwei der ursprünglich vier Gesprächspartner am Leben.
Mit seiner Dokumentation geht Heise den Spuren der Verstorbenen nach, entwirft ein ernüchterndes Bild verkommener Utopien und abgebrochener Lebensentwürfe. „Der Film steigert sich zur Anklage, aber er enthüllt auch menschliche Seinsschichten, die betroffen stimmen. Thomas Heise blickt im Zorn als Betroffener zurück. Sein nervöser Stil, der von viel innerem Beteiligtsein zeugt, bezieht den Zuschauer in die Wahrheitssuche ein. Eisenzeit reflektiert auch die Schwierigkeiten des Filmemachers, sich frei zu strecken und an Stelle der verlogenen Projektionen der Propaganda, die zitiert werden, die wirklichen Fakten festzuhalten. Wie zum Trost ertönen die traurigen Lieder Neil Youngs, die einer der Toten so liebte.“ (Hans-Jörg Rother: Film und Fernsehen 1/1992)

am 07.10.2007 um 19.00 Uhr
am 12.10.2007 um 21.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
Mein Bruder (We'll Meet Again)
D 2005, R: Thomas Heise, K: Peter Badel, 58’

Andreas Heise lebt in Ost-Berlin zwischen Kneipen, Drogen und Deals einen reduzierten Alltag, leidet an Übergewicht, kommt schon nach wenigen Metern außer Atem. Er „träumt nicht mehr“, wie er sich später selbst erinnert. Dann schlägt ihm ein Herzinfarkt die Beine weg, er bekommt bei einer Notoperation fünf Bypässe gesetzt. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus nimmt er das Angebot eines alten Freundes an, zu ihm nach Südfrankreich zu ziehen. Vielleicht bleiben ihm hier noch zwei, drei Jahre, denkt er. In dem abgelegenen Pyrenäen-Dorf geschieht ein Wunder: Andreas erholt sich nicht nur spürbar und nimmt zwanzig Kilo ab, er verliebt sich auch noch in eine Ortsansässige und sie sich in ihn. Das sprichwörtlich neue Leben scheint zu beginnen. Doch das Paradies hat Risse. Micha, sein Gastgeber, war als IM „Marcel Black“ jahrelang für das Ministerium für Staatssicherheit tätig, hat intimste Details über die Heise-Brüder verraten und dafür Vorteile und Geld kassiert. Als der Filmemacher mit seinem Kamerateam anreist, ist sofort klar, dass dieses verschwiegene Kapitel der gemeinsamen Vergangenheit nun offen auf dem Tisch liegt. „Ich möchte mit meinem großen Bruder über Micha reden, seinen Freund. Unseren IM. Hier geht es nicht um Geheimdienste. Es geht um meinen Bruder und mich. Das Unausgesprochene zwischen uns. Sonst hätte ich diesen Film nicht gemacht." (Thomas Heise)

am 13.10. in Anwesenheit von Thomas Heise

am 07.10.2007 um 21.00 Uhr
am 13.10.2007 um 22.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
Vorname Jonas
DDR 1983, R: Thomas Heise, Originalton-Hörspiel, 60’

Im Hörspiel Vorname Jonas, das auf einem vom Rundfunk der DDR nicht abgenommenen Manuskript basiert, wird ein straffällig gewordener Jugendlicher nach seiner Haftentlassung bei seinen Resozialisierungsversuchen begleitet. Auf seinen Wegen zum Bewährungshelfer und zum Wohnungsamt, zur Krankenversicherung und zu weiteren Institutionen ist Thomas Heise stets mit dem Mikrophon dabei. Das ausschließlich aus Originaltönen montierte Hörstück nimmt inhaltlichen Bezug auf die Recherchen, die Heise als Regieassistent für Bis dass der Tod euch scheidet (1978) von Heiner Carow unternommen hatte sowie auf die inkriminierte HFF-Dokumentation Wozu denn über diese Leute einen Film. Heise protokolliert die Konfrontation des jungen Mannes mit dem DDR-Verwaltungsapparat scheinbar emotionslos, beschreibt dabei sehr genau die soziale Erstarrung und das bereits angelegte, neuerliche Scheitern des eben erst in die Freiheit entlassenen jungen Mannes. Für den DDR-Rundfunk barg dieser Blick entschieden zuviel an Realismus – das Hörspiel konnte erst im September 1989 an der Akademie der Künste in Ost-Berlin zur Premiere gebracht werden, seine Ursendung erfolgte im Januar 1990 im Berliner Rundfunk.

am 13.10.2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
Volkspolizei 1985
DDR 1985, R: Thomas Heise, K: Peter Badel І Beta SP, 60’

1985 für die „Staatliche Filmdokumentation der DDR“ auf 16mm-Negativmaterial gedreht, verschwand dieser Film für nahezu zwanzig Jahre im Keller. Mit fast provisorischen technischen Mitteln und extrem niedrigem Drehverhältnis dokumentieren Thomas Heise und sein Kameramann Peter Badel das Dienstgeschehen einer Ost-Berliner Polizeiwache in unmittelbarer Nähe zum „antifaschistischen Schutzwall“. „’Arme Schweine’, denkt sich der Zuschauer angesichts lärmender Hinterhofbesäufnisse, die zu schlichten sind, doch die Anwandlungen von Mitgefühl mit den Ordnungshütern schwinden bald, wenn die Polizisten vom ‚Dienst an der Nahtstelle zum Imperialismus’ sprechen und davon, dass sie für diesen Dienst mit ‚Vierraumwohnungen’ belohnt wurden.“ (Anke Westphal: Berliner Zeitung 13.12.2001) Volkspolizei 1985 erweist sich als beklemmende Vivisektion des ideologisch dominierten Alltags in der DDR, stellt gleichzeitig eine wichtige ethnologische Grundlagenarbeit dar. Gerade seine formale Schnörkellosigkeit und der gnadenlose Blick machen den Film zum bleibenden Dokument untergegangener Wirklichkeit.

am 13.10.2007 um 20.30 Uhr
am 14.10.2007 um 21.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
Vaterland
D 2002, R: Thomas Heise, K: Peter Badel, 100’

Thomas Heise begibt sich in diesem Dokumentarfilm an jenen Ort, an dem sein Vater die Kriegszeit in einem Arbeitslager für jüdische Mischlinge verbringen musste. Straguth in der Nähe von Zerbst (Sachsen-Anhalt) hatte vorher schon der Wehrmacht und danach der Sowjetarmee als Standort gedient. Seit 2000 übten hier „special forces“ der NATO den Häuserkampf. Ein Unort am Ende der Zeit, vergessen von der Gegenwart. Nicht einmal die Sprache der Dorfbewohner ist mehr richtig zu verstehen. In der wohnküchenartigen Kneipe von „Onkel Natho“ laufen rudimentäre Kommunikationsstränge zusammen. Hier ist stets vom Krieg die Rede, so als hätte dieser nie aufgehört. „Auf den ersten Blick könnte man meinen, Heise versuche sich in seinem Dokumentarfilm an einer Art Provinzfolklore und Reliquienschau der DDR. Doch Vaterland ist eine Spurensuche mit offenem Ausgang. Eine Expedition, die den grauen Asphalt des kleinen Dorfes aufbricht, in die Sedimentschichten und Abwasserkanäle der Geschichte vorstößt. Heise gräbt die deutsche Geschichte um, vorsichtig wie ein Archäologe, der jedes Fundstück aufhebt, egal, aus welchem Trümmerhaufen es ursprünglich stammen mag.“ (Katja Nicodemus: Die Zeit 48/2003)

am 16.10.2007 um 20.00 Uhr
am 20.10.2007 um 21.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
Widerstand und Anpassung – Überlebensstrategie
DDR 1987/1989, R: Thomas Heise, Originalton-Hörspiel, 60’

In ausführlichen Sitzungen mit dem Theater- und Filmschauspieler Erwin Geschonneck, den er bereits 1983 kennen gelernt hatte, gelang es Thomas Heise, die über Jahrzehnte angelegte Panzerung des parteiloyalen Stillschweigens aufzubrechen und eine Reihe von Aussagen zu gewinnen, die er in seiner offiziellen Autobiografie „Meine unruhigen Jahre“ (Dietz-Verlag 1984) ausgespart hatte. Geschonneck war als KPD-Veteran, KZ-Häftling und einstiger Brecht-Mitstreiter unantastbar. Eigentlich undenkbar, dass gegen ihn irgendeine Form von Zensur in Anwendung gebracht werden konnte. Doch zum dritten Mal, nach den Verboten der DEFA-Spielfilme Das Beil von Wandsbek (1951) und Sonnensucher (1957/58), erlebte Erwin Geschonneck einen massiven Eingriff in seine Arbeit. Als Tabubruch galten vor allem die Andeutungen von diktatorischen Kontinuitäten vor und nach 1945 sowie die differenzierten Schilderungen seiner Zeit als Blockältester im KZ Dachau. Die Ausstrahlung des Hörspiels wurde untersagt. Noch als im Akademie-Periodikum „Sinn und Form“ Ende 1988 eine Textfassung erschien, schlugen die Wellen hoch. Erst im Dezember 1989 wurde das Hörspiel vom Berliner Rundfunk ins Programm genommen.

am 17.10.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE 
Imbiß
DDR 1978, R: Thomas Heise І Beta SP, 7’
Wozu denn über diese Leute einen Film
DDR 1980, R: Thomas Heise І Beta SP, 33’
Imbiß Spezial
DDR 1989, R: Thomas Heise, 27’

Kurzfilmprogramm mit drei Beiträgen, die eine Brücke von Thomas Heises Zeit an der Filmhochschule bis zum Zusammenbruch der DDR schlagen. Imbiß ist sein erster Übungsfilm in Potsdam-Babelsberg; er zeugt bereits von der präzisen Beobachtungsgabe des noch jungen Filmemachers.
Wozu denn über diese Leute einen Film führte dann zum vorzeitigen Abbruch der Ausbildung an der Filmhochschule. In kühnem Cinéma-Vérité-Stil entworfen, fokussiert diese Dokumentation ein sonst völlig ausgeblendetes Segment aus dem kleinkriminellen Milieu Ost-Berlins. Die Konfrontation mit der Hochschulleitung war vorprogrammiert. Mit 30 Minuten viel zu lang für die verlangte Beobachtungsstudie (zusätzliches Filmmaterial kaufte Heise privat auf dem Schwarzmarkt ein), zitiert der Filmtitel den Ausspruch eines Dozenten, dem das Sujet vorgestellt worden war. Die Titelwahl wurde als die Provokation verstanden, als die sie auch gemeint war.
Mit Imbiß Spezial realisierte der Künstler einen Dokumentarfilm an der Akademie der Künste, wo er in den Jahren erzwungener filmischer Untätigkeit nach Vermittlung Heiner Müllers als Meisterschüler überwintern konnte. „Es ist ein Film des Übergangs im Untergang des alten Vaterlandes. Die Agonie des Wartens auf dem Bahnhof Lichtenberg als gesellschaftliches Vexierbild.“ (Gerd Kroske, taz 8.2.1991)

am 19.10.2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
Das Haus
DDR 1984, R: Thomas Heise, K: Peter Badel, Beta SP, 60’

„1984 im Berolinahaus auf dem Alexanderplatz, Sitz des Bezirksamtes von Berlin-Mitte. Jeden Dienstag und Donnerstag dürfen Bürger ohne Termin vorstellig werden, um ihre Sorgen und Nöte zu artikulieren; im Wohnungsamt, bei der Sozialfürsorge oder der Jugendhilfe. In jeder der mit einem Paternoster verbundenen Etage die gleiche Konstellation: plastische Schilderungen von Ausnahmesituationen hier, schulterzuckendes Verweisen auf eingeschränkte Kapazitäten da. Als die Auftraggeber des Films das Material sahen, ließen sie es denn auch stillschweigend in geduldigen Bunkern versenken. Wenigstens wurde es nicht vernichtet.“ (Claus Löser, taz 20.11.2001) Das Haus ist neben Volkspolizei 1985 der zweite Beitrag von Thomas Heise für die „Staatliche Filmdokumentation der DDR“, der ebenfalls nicht für öffentliche Vorführungen vorgesehen war. Ohne zusätzliches Licht, mit rudimentärer Ton- und Bildtechnik in Schwarzweiß aufgenommen, wirken die Aufnahmen aus dem Inneren des DDR-Verwaltungsapparates heute ernüchternd - und leben doch gleichzeitig von einer merkwürdigen Poesie der Vergeblichkeit. Durch knappe Zwischentitel baut Heise eine zusätzliche Ebene ein, schafft eine kontrapunktische Struktur im durchaus Brechtschen Sinne.

am 20.10.2007 um 19.30 Uhr
am 23.10.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
03.01.1988 Ein Nachtgespräch
DDR/D 1988/1999, R: Thomas Heise, Originalton-Feature, 60’
Der Ausländer
DDR/D 1987/2004, R: Thomas Heise І Video, 37‘

Hörspiel und Videodokumentation geben die seltene Gelegenheit, Heiner Müllers legendäre Inszenierung seines eigenen Stücks Der Lohndrücker am Deutschen Theater in Ost-Berlin 1987/88 zu rekapitulieren. In der Nacht vom 3. zum 4. Januar 1988 trafen sich Müller, Michael Gwisdek und Herrmann Beyer nach der Probe zum bereits 1956 geschriebenen Stück, um über die Arbeit am Text zu sprechen. Thomas Heise dokumentierte damals die Diskussion, verarbeitete die Aufzeichnung 1999 mit dem Musiker Robert Henke („imbalance computer music“) zum Hörstück 03.01.1988 Ein Nachtgespräch, das genau elf Jahre nach den historischen Aufnahmen im Brecht-Zentrum Berlin seine Uraufführung erlebte.
In Der Ausländer greift Heise auf VHS-Material zurück, das Gespräche und Situationen im Theater und in Heiner Müllers Wohnung dokumentiert: „Ein kommentarloser und nicht immer ganz leicht zugänglicher Blick auf die letzten Tage der DDR, der immer dann gehörig an Faszination gewinnt, wenn Müller selbst vor der Kamera agiert, spricht und überlegt – rauchend, Whisky trinkend, ironisch und scharfsinnig wie stets. Sehenswert!“ (Lars Penning: TIP-Magazin 23/2004)

am 21.10.2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
Im Glück (Neger)
D 2006, R: Thomas Heise, K: Peter Badel, 87’

1990 inszenierte Thomas Heise mit einer Gruppe Jugendlicher Heiner Müllers „Anatomie Titus Fall of Rome“. Einige der damals am Stück beteiligten Laien begleitete er filmisch zwischen 1999 und 2005 weiter. Sven ist einer von ihnen; er filmte mit einer Videokamera Fragmente seines Lebens, die nun Teil des aktuellen Dokumentarfilms von Heise geworden sind. Ergebnis ist eine bestürzende, um Orientierungslosigkeit, Hoffnung und Enttäuschung kreisende Collage „Die kurzen Szenen mit offenem Ausgang stellen nichts nach, greifen nie voraus. Heises Filme bewegen sich in einem stetigen Wechsel von Vor- und Rücklauf, sie sind weniger dem Erzählen als dem Denken und Erinnern vergleichbar.“ (Christina Bylow: Berliner Zeitung 20.3.2006) „Ich bin ein Neger“, bekundete Heiner Müller 1985 bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises und verwies damit wie vor ihm Herbert Achternbusch und Bertolt Brecht auch auf Shakespeare und seinen „Othello“. Auch Müller-Schüler Thomas Heise begreift sich in seiner Funktion als Künstler als jemand, der eine gesellschaftlich randständige Position einnimmt. Damit bekennt er sich zu einer Verwandtschaft mit jenen Gescheiterten, die er in seinen Filmen porträtiert, obwohl er im Gegensatz zu ihnen noch über das Privileg der künstlerischen Artikulation verfügt.

am 24. 10.2007 um 20.00 Uhr
am 27. 10.2007 um 21.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE
Stau – Jetzt geht’s los
D 1992, R: Thomas Heise, K: Sebastian Richter, 85’

Eine Gruppe Jugendlicher in Halle-Neustadt, sich ratlos zwischen den Betonblöcken bewegend, die einst als sozialistische Mustersiedlung errichtet worden waren. Nach dem Ende der DDR beginnen sich die gewohnten Sicherheiten aufzulösen. Obwohl es in Sachsen-Anhalt kaum Ausländer gibt, macht sich eine dumpfe Ablehnung gegen alles breit, was bisher nicht zum Alltag gehörte. Der allgemeinen, als Bedrohung empfundenen Auflösung werden vermeintlich klare Weltbilder entgegen gesetzt. Als Thomas Heise auf der Duisburger Filmwoche für Stau – Jetzt geht’s los mit dem „Dokumentarfilmpreis 1992“ prämiert wurde, lautete die Laudatio: „Der Regisseur porträtiert Jugendliche aus Halle, die als rechtsradikal gelten und sich selbst auch so definieren. Der Film geht der Frage nach, wer diese Menschen sind, die sich hinter dieser ideologischen Festlegung verbergen. Er zeigt ihre Unsicherheit und Verlegenheit, ihre Versteinerung und Aggression. Er erhebt Einspruch gegen die landläufige Berichterstattung der Medien. Dieser Einspruch ist notwendig und konstruktiv, weil er einer bequemen und leichtfertigen Ausgrenzung entgegenwirkt. Der Film wird Widerspruch hervorrufen.“ Tatsächlich spaltete schon vor seiner Kinopremiere die Öffentlichkeit. Der Film stieß vor allem bei jenen potentiellen Zuschauern auf Ablehnung, die ihn zwar noch nicht gesehen hatten, ihm aber vorauseilend Verharmlosung rechter Täter unterstellten. 15 Jahre nach den Turbulenzen wird die Bedeutung von Heises Film deutlicher denn je.

am 26.10.2007 um 19.00 Uhr
am 30.10.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

 WERKSCHAU THOMAS HEISE
Neustadt (Stau - der Stand der Dinge)
D 2000, K: Peter Badel, 87’

„Lebensgeschichten aus Neustadt. Leben auf schmalem Grat. Sehnsüchtig nach Liebe. Nie klappt das Leben ganz und ist immer anders als vorgestellt. Wie sieht die Normalität aus und was schlummert unter der Decke, erschöpft von den Konflikten des Alltags? Eine Beobachtung in Deutschland zur Jahrhundertwende.“ (Thomas Heise) Was der Regisseur in knappen Worten beschreibt, ist mehr als die bloße Fortsetzung des einst spektakulär umstrittenen Films Stau – Jetzt geht’s los (1992): Acht Jahre nach der ersten Begegnung mit den sich selbst als „rechts“ beschreibenden Jugendlichen, stellt sich die Lage in Halle-Neustadt trostloser denn je dar. Im sich langsam entvölkernden Neubaugebiet grassieren Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und allgemeiner sozialer wie baulicher Verfall - Intoleranz und der Wunsch nach einfachen Antworten auf das Dilemma sind hingegen allgegenwärtig. „Wer nichts hat, nichts eigenständig hinbekommt, klammert sich ans Deutschsein.“ (Thomas Heise im Gespräch mit Stefan Reinecke: Der Tagesspiegel 6.12.2000) „Der Film bewegt sich weit entfernt von medialem Elends-Voyeurismus, seine Konsequenz, mit der verdrängte Wirklichkeitsbereiche ihre Vivisektion erfahren, kann nicht hoch genug geschätzt werden. Herausragend!“ (TIP-Magazin 7/2000)

am 26.10.2007 um 21.00 Uhr
am 31.10.2007 um 20.00 Uhr

 

 

 

WERKSCHAU THOMAS HEISE 
Schweigendes Dorf
DDR/D 1985/1991, R: Thomas Heise, Hörspiel, 60’

Im April 1945 kommt auf dem abgelegenen Bahnhof eines mitteldeutschen Dorfes ein Zug zum Stehen: Bei den „Passagieren“ handelt es sich um 6000 KZ-Häftlinge. Nach drei Tagen sind diese Insassen verschwunden, von ihnen bleibt nur ein Massengrab und das Schweigen der Dorfbevölkerung. Als Thomas Heise in der Akademie der Künste in Ost-Berlin als Meisterschüler unterkommt, beschäftigt ihn das historisch verbürgte Ereignis aus den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs gleich auf mehreren Ebenen. Zunächst kann der als Fernsehdokumentation konzipierte Stoff in Adlershof wegen seiner Unvereinbarkeit mit dem offiziellen Antifaschismusbild nicht realisiert werden. Später schreibt Heise das Buch zu einer Bühnenfassung mit dem sarkastischen Zusatztitel „Fragment eines Dokumentarfilms auf Papier“ um, die im Mai 1987 im Potsdamer Hans-Otto-Theater zur Aufführung kommt. Die kurz vorher erarbeitete Hörspiel-Variation entsteht 1985 als Eigenproduktion im Tonstudio der Akademie der Künste, ohne dass für eine Ausstrahlung im DDR-Rundfunk Aussicht bestehen würde. Erst 1991 erlebt das Hörspiel im Rahmen der Ausstellung „Jüdische Lebenswelten“ am Berliner Ensemble seine Premiere, ein Jahr später erfolgt dann die Ausstrahlung im Deutschlandsender Kultur.

in Anwesenheit von Thomas Heise

am 27.10.2007 um 19.00 Uhr

 

 

 

 

 
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